Dass es ein Parlament unter höchst widrigen Umständen schaffen kann, die demokratische Ordnung eines Landes zu retten, hat die Nationalversammlung Südkoreas eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Jeong-In Yun skizziert die Ereignisse um den Staatstreich des Präsidenten Ende letzten Jahres und seine Beendigung durch parlamentarische Untersuchungen, Anhörungen, Suspendierung, Amtsenthebung und Neuwahl des Präsidenten. Und auch wenn die Opposition über die Stimmenmehrheit im Parlament verfügte und durchaus Mängel in den Kontrollinstrumente deutlich wurden: Ohne ihr unverzügliches Handeln und den couragierten Einsatz ihrer konstitutionellen Befugnisse wäre es nicht gelungen, Massenproteste zu mobilisieren und gemeinsam mit den Bürgern den Niedergang der Demokratie aufzuhalten. Jeong-In Yun resümiert, dass „in einer Präsidialdemokratie selbst die verheerendste, vom Präsidenten ausgelöste Krise durch den verfassungsmäßigen Prozess überwunden werden kann, wenn das Parlament sich den demokratischen Grundsätzen und dem verfassungsmäßigen Auftrag verpflichtet fühlt“.
Es liegt nahe, Parallelen zur politischen Entwicklung in den USA zu ziehen, denn die Präsidentschafts- und Kongresswahlen im vergangenen November haben Ergebnisse hervorgebracht, die befürchten lassen, dass die vielgepriesenen „checks and balances“ nicht ausreichen werden, präsidentielle Machtusurpation zu verhindern. Fünf Autoren widmen sich in diesem Heft der ZParl den Vereinigten Staaten. Michael Kolkmann analysiert die Wahlen zu Repräsentantenhaus und Senat, Christian Lammert die erneute Wahl Donald Trumps zum Präsidenten. Kolkmanninformiert über wahlentscheidende Themen sowie sozio-strukturelle Determinanten des Wählerverhaltens und setzt die personelle Zusammensetzung beider Häuser des Kongresses in Bezug zu Aspekten der Repräsentation und Polarisierung wie auch zu Tendenzen der „Parlamentarisierung“ des politischen Systems. In seinem Ausblick auf die Zwischenwahlen im November 2026 thematisiert er einerseits die ehrgeizige Agenda der Republikaner, andererseits die Heterogenität ihrer Abgeordneten und erörtert die personelle wie programmatische Lage der Demokratischen Partei.
Welch ungewöhnlichen Weg diese zur Präsidentenwahl 2024 gehen musste und inwiefern auch Trumps Nominierung eher nicht herkömmlichem Muster entsprach, ist Lammerts Beitrag zu entnehmen. Für ihn markiert die Wahl einen weiteren Höhepunkt in der politischen Polarisierung der Gesellschaft. Dafür findet er Belege in Stil und Substanz der Wahlkampagnen, bei den sozio-strukturellen Bestimmungsfaktoren des Wahlverhaltens wie den von beiden Parteien genutzten identitätspolitischen Gräben, die zudem noch von den Echokammern Sozialer Medien verstärkt wurden. Lammert prognostiziert einen „tiefgreifenden Umbau“, der innen- und außenpolitisch wirken und weit über Trumps Amtszeit hinausgehen wird. Wie widerstandsfähig dabei die US-amerikanische Demokratie sein wird, hängt wesentlich von der Entwicklung der Parteien ab.
Dazu stellen Philipp Adorf und Marco Bitschnau zwei Diagnosen. Adorf sieht die Republikaner ideologisch geschlossener und radikalisierter als zuvor. Bei ihm ist nachzulesen, wie die rasante Umsetzung des „Projekts 2025“, die Blaupause für den Umbau des Staates und die Schwächung liberaler Institutionen, den Trumpismus zur prägenden Struktur der Partei gemacht hat und wie die gleichzeitige Öffnung für neue Wählerschichten zu bewerten ist. Diese Diversifizierung untersucht Bitschnau detailliert, insbesondere hinsichtlich der Latinos, aber auch afro-amerikanischer und asiatisch-stämmiger Wählergruppen. Er charakterisiert Trump als „Großen Transformator“, der neben der ethnischen auch eine soziale Weitung der Partei zur „Schutzmacht des Kleinen Mannes“ und ihre Säkularisierung bewirkt hat – aber eben in hochgradig personalisierter Form. Daher ist es nicht ausgemacht, dass die beobachteten Wählerverschiebungen über Trump hinaus Bestand haben werden. Bitschnau diskutiert Pro- und Contra-Argumente.
Die Abhängigkeit von der Person Trump beeinflusst auch in hohem Maße die legislative Ebene, wie das Chaos um die Sprecherwahl schon im vorigen Repräsentantenhaus belegt. Alexander Kühne beschreibt die Tragweite dieser Abhängigkeit und ordnet die Vorgänge mit grundsätzlichen Überlegungen zur politischen Bedeutung des Amtes für die parlamentarische Kooperation und Kompromissfindung ein. Er gibt zu bedenken, ob die Macht des Präsidenten bei der Besetzung dieser höchst wichtigen Position im Kongress nicht schon als Teil eines „executive takeover“ zu werten ist.
So ungewiss es gegenwärtig ist, wie es den Demokraten gelingen kann, sich programmatisch wie personell neu aufzustellen und sich weiterer Aushebelung der liberalen Demokratie entgegenzustemmen, so sicher ist, dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen in den kommenden Jahren von Unsicherheit und Unberechenbarkeit geprägt sein werden. Eric Langenbacher lässt die Herausforderungen Revue passieren, die von einem erratischen US-Präsidenten auf allen Gebieten internationaler Politik ausgehen, benennt aber auch einige mildernde Faktoren.
Eine historische Gemeinsamkeit von Deutschland und den USA ist Gegenstand der Untersuchung von Daniel Benedikt Stienen: In beiden Ländern durften 1972 zum ersten Mal auch 18- bis 20-Jährige an nationalen Wahlen teilnehmen. Die Vorgeschichte der Reform des Wahlalters, die konkreten politischen Debatten und den Gesetzgebungsprozess vergleicht Stienen und identifiziert Faktoren, die für die Altersabsenkung förderlich waren.
Ein anderer Aspekt der politischen Partizipation junger Menschen in der Bundesrepublik erschließt sich aus den Daten zu den Parteimitgliedschaften, die Oskar Niedermayer jedes Jahr in der ZParl dokumentiert und analysiert. Für 2024 ist dort nicht nur nachzulesen, wie unterschiedlich sich die politischen Turbulenzen zum Ende des Jahres auf die Mitgliederbestände der einzelnen Parteien auswirkten, sondern es finden sich auch Informationen zur regionalen Verteilung, zur Alters- und Geschlechtsstruktur, zur Konfessionsbindung und Fluktuation der Mitgliedschaften. Hinsichtlich der Rekrutierungsfähigkeit der Parteien ist keine Trendwende in Sicht: Nur noch knapp 1,6 Prozent der beitrittsberechtigten Bevölkerung gehören einer der acht Bundestagsparteien an.
Wie wichtig politische Parteien für eine freiheitliche pluralistische Demokratie sind, lässt sich auch daran erkennen, wie schnell sie in Autokratien behindert und in Diktaturen verboten werden. Im Nationalsozialismus kam die Verwandlung von Wahlen und Abstimmungen hinzu. Die fünf Fälle, in denen sie ab 1933 noch durchgeführt wurden, dienten, so Heinrich Oberreuter in seinem Aufsatz, einer Identitätsbestätigung von Führer und Volk, wurden als „Feiertage der Volksgemeinschaft“ inszeniert und zum Legitimationsbeweis für den Bruch internationaler Verträge missbraucht. Mit aufschlussreichen Einzelheiten und grundsätzlichen Überlegungen zur Legitimierung von Herrschaft lässt er ein facettenreiches Bild des politischen Klimas jener Jahre entstehen: von breiter Zustimmung zum Regime bis zur Verweigerung, dem Einheitsmythos von Führer und Volk zu erliegen.
Suzanne S. Schüttemeyer
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