Deutschsprachige Abstracts der aktuellen Ausgabe der ZParl

Kloepfer, Michael und Alexander Jessen: Zum vorzeitigen Ende von Koalitionen. 

Das Ende der „Ampelkoalition“ im November 2024 hat einmal mehr illustriert, dass Regierungskoalitionen nicht selten vorzeitig, d.h. vor dem eigentlichen Ablauf der Wahlperiode beendet werden. Im Rahmen dieses Beitrags wird daher das Phänomen der vorzeitigen Beendigung von Koalitionen aus historischer, juristischer und politischer Perspektive untersucht. Grundsätzlich kann dabei zwischen einem vorzeitigen Ende aufgrund von Streitigkeiten („Koalitionsbruch“ bzw. „Zerbrechen der Koalition“) einerseits und einer vorzeitigen Beendigung aufgrund einer Parlamentsauflösung andererseits unterschieden werden, wobei insgesamt sechs verschiedene Instrumente zur vorzeitigen Beendigung einer Koalition existieren. Darüber hinaus zeigt sich, dass im Falle einer Koalition aus mehr als zwei Parteien die Koalitionsvereinbarung nach dem Ausscheiden eines Partners für die verbleibenden Partner grundsätzlich weiterhin politisch verbindlich bleibt. Vor dem Hintergrund der erheblichen faktischen Steuerungswirkungen von Koalitionsvereinbarungen könnte über die Einführung einheitlicher Regeln für den Abschluss und das Ende von Koalitionsvereinbarungen diskutiert werden. [ZParl, 56. Jg. (2025), H. 3, S. 487 – 503]

MaierJürgen, Marco Hirsch, Kevin Brendel, Peter Hevesi, Paul Lukowicz, Jennifer Bast und Hannah Decker: Showdown auf der Zielgeraden: Wahrnehmung und Wirkung der Kanzlerdebatten im Bundestagswahlkampf 2025.

In den letzten zwei Wochen des Bundestagswahlkampfs 2025 trafen die Kanzlerkandidaten von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und AfD in unterschiedlichen Konstellationen dreimal in Fernsehdebatten direkt aufeinander und setzen damit die vor mehr als 20 Jahre etablierte Tradition von TV-Debatten vor Bundestagswahlen fort. Basierend auf nicht-repräsentative Befragungen und Echtzeitmessungen von Zuschauerreaktionen zeigen wir für die beiden ersten Kanzlerdebatten (N=1.495 bzw. N=345), dass Scholzsich gegenüber Merz insgesamt leichte Vorteile erarbeitete. Habeck schlug sich besser als jeder andere Kandidat; Weidel zeigte in den Augen der Zuschauer die mit Abstand schlechteste Leistung aller Kandidaten. Obwohl die Debattenleistungen der Kandidaten sich nicht erkennbar auf die Entwicklung der Meinungsumfragen niederschlugen, belegen unsere Daten das Wirkungspotenzial solcher Sendungen: Fast alle Kandidaten konnten ihre persönlichen Zustimmungswerte deutlich verbessern, rund ein Sechstel des Publikums veränderte seine Kanzlerpräferenz bzw. seine Wahlabsicht, der Anteil der unentschlossenen Wähler sank erkennbar. Diese Effekte fielen bei parteipolitisch ungebundenen Wählern nochmals größer aus. [ZParl, 56. Jg. (2025), H. 3, S. 504 – 517]

Ortmann, Karl Michael: Das optimale mehrheitstreue Sitzzuteilungsverfahren.

Traditionelle Sitzzuteilungsverfahren beruhen darauf, das Prinzip der Wahlgleichheit zu wahren. Allerdings können sie das Prinzip der Mehrheitstreue verletzen. So kann es vorkommen, dass einer Koalition von Parteien, die bei einer gegebenen Wahl die Mehrheit der Stimmen erhalten hat, nur eine Minderheit der Sitze im Parlament zugeteilt wird. Um dieses Problem systematisch zu lösen, nutzen wir die kooperative Spieltheorie. Infolgedessen wird Mehrheitstreue dadurch erreicht, dass die Menge der minimalen Gewinnerkoalitionen, die sich aus der Wahl ergibt, im Parlament gespiegelt ist. Innerhalb der Menge aller mehrheitstreuen Zuteilungen identifizieren wir die optimale Lösung dadurch, dass die Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen gewährleistet wird. Bemerkenswerterweise stellt die durch das Divisorverfahren mit Standardrundung berechnete Sitzzuteilung die Lösung des so genannten demokratischen Sitzzuteilungsproblems dar, wenn sie denn mehrheitstreu ist. Daher kann unser Ansatz als eine systematische Weiterentwicklung des Verfahrens nach Sainte-Laguë betrachtet werden. [ZParl, 56. Jg. (2025), H. 3, S. 518 – 533]

Baumert, Jona-Frederik: Wahl ohne Auswahl: Vier Gründe, weshalb das schleswig-holsteinische Kommunalwahlsystem dringend einer Reform bedarf.

Dieser Beitrag zeigt vier problematische Aspekte des schleswig-holsteinischen Kommunalwahlsystems auf, die mit paradoxen und dem lokalen Kontext nicht angemessenen Auswirkungen einhergehen. Hierzu zählt der Umstand, dass Einzelbewerber teilweise keinen Sitz erhalten, obwohl sie mehr Stimmen errungen haben als ein Wahlvorschlag, der Sitze erhalten hat; die Existenz von Überhang- und Ausgleichsmandaten, obwohl diese für die dem System zugrundliegende Intention nicht erforderlich wären; sowie die Notwendigkeit für Parteien, trotz des weit verbreiteten Kandidatenmangels mehr Kandidaten als die Hälfte der Gemeinderatssitze aufzustellen, um die volle Stimmenzahl zu erhalten. Der mit Abstand fragwürdigste Aspekt ist jedoch, dass in Gemeinden, in denen nur ein Wahlvorschlag zur Wahl antritt, die Wähler keine Möglichkeit haben, die Verteilung der Mandate zu beeinflussen. Diese Problematik betrifft ein Drittel aller Gemeinden in Schleswig-Holstein. Am Beispiel der Wahlsysteme anderer Bundesländer wird aufgezeigt, dass deutlich bessere Alternativen zum jetzigen System zur Verfügung stehen. Konkret wird der Vorschlag entwickelt, ein auf drei Stimmen basierendes Verhältniswahlsystem mit offenen Listen, in dem je die Hälfte der Mandate in Listen- und Stimmreihenfolge an die Bewerber verteilt wird, an Stelle des jetzigen Verfahrens treten zu lassen. [ZParl, 56. Jg. (2025), H. 3, S.534 – 547]

Grotz, Florian und Martin Klausch: Die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft vom 2. März 2025: Bestätigung von Rot-Grün entgegen dem Bundestrend.

Trotz der vorgezogenen Bundestagswahl, die aufgrund des Scheiterns der Ampelregierung im Bund nur eine Woche zuvor stattfand, bestimmten landespolitische Fragen den Ausgang der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft vom 2. März 2025. Zwar verloren beide Partner der rot-grünen Regierungskoalition Stimmenanteile, gelang es der CDU, sich von ihrem historisch schlechten Abschneiden von 2020 zu erholen, und verzeichneten sowohl Die Linke als auch die AfD leichte Zugewinne. In Hamburg war jedoch zu keinem Zeitpunkt eine verbreitete Wechselstimmung zu beobachten. SPD und Grüne machten bereits im Wahlkampf deutlich, dass sie ihr Bündnis nach Möglichkeit fortsetzen wollten. Nachdem sie erneut eine Mehrheit erreichten, stand die Regierungsbildung im Zeichen der inhaltlichen und personellen Kontinuität. Das Kabinett Tschentscher III steht nunmehr vor der Herausforderung, Probleme in den Themenfeldern zu lösen, in denen sich die Oppositionsparteien zu profilieren versuchen: in den Bereichen Innere Sicherheit, Verkehr und Wirtschaft (CDU und AfD) sowie die Wohnungspolitik (Die Linke). [ZParl, 56. Jg. (2025), H. 3, S. 548 – 567]

Neuling, Lucas: Die österreichische Nationalratswahl vom 29. September 2024: FPÖ erstmals stärkste Kraft, doch Türkis-Rot-Pink regiert. 

Die österreichische Nationalratswahl vom 29. September 2024 markiert den Endpunkt der längsten Legislaturperiode seit Verlängerung der Amtsdauer im Jahr 2007. Fünf Wahlen gab es seither, erst das zweite Mal fand sie regulär statt. Während die Koalition aus ÖVP und Grünen 2020 vielversprechend startete, sah sie sich bald erheblichen Streitigkeiten gegenüber und konnte nur mit Mühe – für österreichische Verhältnisse jedoch immerhin – die Ziellinie erreichen. Dennoch verhinderte das Durchhaltevermögen der Regierung nicht, was sich seit fast zwei Jahren in den Umfragen abzeichnete: Erstmals errang die rechtspopulistische Freiheitliche Partei die meisten Stimmen unter den 6,35 Millionen wahlberechtigten Österreichern und verschob die Machtverhältnisse deutlich nach Rechtsaußen. Die anschließenden Regierungsbildungsversuche scheiterten mehrfach, kosteten dem Regierungschef das Amt und öffneten der FPÖ kurzzeitig die Tür zum Kanzleramt. Letztendlich bildeten die Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen die erste Drei-Parteien-Koalition auf österreichischer Bundesebene. [ZParl, 56. Jg. (2025), H. 3, S. 568 – 584]

Kannenberg, Oliver: Aller guten Dinge sind drei? – Die Koalitionsverhandlungen in Österreich im Nachgang der Nationalratswahl 2024. 

Die Koalitionsverhandlungen nach der österreichischen Nationalratswahl 2024 entwickelten sich zur längsten Regierungsbildung der Zweiten Republik und führten erstmals seit 1949 zu einer übergroßen Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS. Der Beitrag zeichnet die drei Koalitionsverhandlung chronologisch nach und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die informellen Praktiken, parteipolitischen Blockaden und die verfassungsrechtlichen Spielräume. Deutlich wird dabei die sich wechselseitig verstärkende Dynamik aus multiplen Verhandlungsabbrüchen und parallelen Landtagswahlen herausgestellt, die Bundespräsident Alexander van der Bellen dazu nötigte, mit Traditionen zu brechen und mehrfach öffentliche Appelle an die Parteivertreter zu richten. Die Regierungsbildung 2024/2025 stellt ein in seiner Form einzigartiges Beispiel für das zunehmende Auseinanderfallen traditioneller Koalitionslogiken dar und bietet wichtige Erkenntnisse für die vergleichende Koalitionsforschung. [ZParl, 56. Jg. (2025), H. 3, S. 585 – 611]

SchroederWolfgang und Hauke Bruns: Bundestagswahl 2025: Atempause in einer politisierten Gesellschaft.

Die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 war geprägt von einer hohen Polarisierung, die sich stark um das Thema Migration drehte, was zu einer Rekordwahlbeteiligung von 82,5 Prozent führte. Die Union (CDU/CSU) erzielte 28,5 Prozent, blieb jedoch hinter den Erwartungen zurück, während die AfD mit 20,8 Prozent erstmals zur zweitstärksten Partei aufstieg und ihre Wählerschaft verdoppelte. Die SPD erlebte mit 16,4 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1890, was die Unbeliebtheit der Ampelkoalition widerspiegelt, die insgesamt 19,5 Prozentpunkte verlor. Die Linke konnte sich hingegen auf 8,8 Prozent steigern, was auf eine erfolgreiche Neuausrichtung zurückzuführen ist. Die Wahl führte zu einer neuen politischen Landschaft, in der die großen Volksparteien Union und die SPD nur noch eine knappe Mehrheit bilden konnten, während die FDP und das BSW an der Fünfprozenthürde scheiterten. Die Herausforderungen für die neue Regierung sind erheblich: sie Misstrauen abbauen und schmerzhafte Kompromisse eingehen muss, um stabil zu regieren. Gleichzeitig steh sie vor großen finanziellen Herausforderungen, wozu ein nie dagewesenes Schuldenpaket noch im alten Bundestag auf den Weg gebracht wurde. [ZParl, 56. Jg. (2025), H. 3, S. 612 – 643]

Siefken, Sven T.: Regierungsbildung 2025: Ein holpriger Weg in die „Arbeitskoalition“ im Bund

Nach dem Bruch der Ampel-Koalition im November 2025 wurden mittels der Vertrauensfrage im Parlament vorgezogene Neuwahlen herbeigeführt. Das Wahlergebnis ließ rechnerisch und politisch nur eine Koalition aus CDU/CSU und SPD zu. Aus den Unionsparteien waren Erwartungen an eine schnelle Regierungsbildung geweckt worden, die mit Hilfe einer kürzeren, dynamisch gestalteten Koalitionsvereinbarung erfolgen sollten. Doch die Verhandlungen verliefen entsprechend der in den vergangenen Jahrzehnten etablierten Praxis: In einer horizontal und vertikal sehr differenzierten Verhandlungsstruktur mit Sondierungsgesprächen, einer Hauptverhandlungs- und vielen Arbeitsgruppen waren fast 300 Politikerinnen und Politiker vorrangig aus Bund und Ländern direkt beteiligt. In einem mehrstufigen Verfahren arbeiteten sie einen umfassenden Koalitionsvertrag aus, der die politischen Vorhaben, die Ressortverteilung und die Arbeitsweise von Parlament und Regierung festlegte. Dass Friedrich Merz zunächst nicht die für die Wahl zum Bundeskanzler erforderliche Mehrheit im Bundestag erhielt, zeigte innerhalb der neuen Koalition verbleibendes Konfliktpotenzial. In der Ressortorganisation und der sie spiegelnden Ausschussstruktur im Parlament wurden zahlreiche Veränderungen vorgenommen, dabei wurde ein neues Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung geschaffen. Insgesamt zeigt die Regierungsbildung 2025 deutliche Kontinuität bei der Formalisierung informaler Politik. [ZParl, 56. Jg. (2025), H. 3, S. 644 – 678]

Gabriel, Oscar: Zerfällt die demokratische Mitte in den europäischen Parteiendemokratien? 

Seit den 1970er Jahren haben sich die Parteiensysteme der europäischen Demokratien grundlegend verändert. In allen Staaten verloren die zentristischen Parteien die über Jahrzehnte das politische Leben dieser Länder prägten an Unterstützung durch die Wählerschaft. Die erste Phase des Wandels war durch das europaweite Aufkommen neuer, linksliberal ökologischer Parteien charakterisiert, die zweite Phase brachte den Aufstieg linker Flügelparteien mit sich, für die dritte Phase war ein Erstarken rechter Flügelparteien typisch. Der Beitrag untersucht am, Beispiel von zwölf alten und neuen europäischen Demokratien diese Entwicklung. In allen zwölf Ländern war seit 1990 ein Wachstum der politischen Ränder auf Kosten der traditionellen Mitte zu verzeichnen. Es vollzog sich jedoch in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß. Die zentristischen Parteien einschließlich der neuen ökologischen Linken und die rechten und linken Flügelparteien unterscheiden voneinander vor allem durch die Einstellung ihrer Wähler zur Migration und die Zufriedenheit mit den gesellschaftlichen und politischen Bedingungen. Als wichtigste Antriebskräfte dieser politischen Kräfteverschieben wirkten die Ausbreitung von Selbstverwirklichungswerten und die Einstellungen zur Globalisierung. [ZParl, 56. Jg. (2025), H. 3, S. 679 – 705]

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