Abstracts 2/1999 deutsch

Feist, Ursula und Hans-Jürgen Hoffmann: Die Bundestagswahlanalyse 1998: Wahl des Wechsels.
Mit der Wahl zum 14. Deutschen Bundestag ist in der Bundesrepublik Deutschland erstmals auf Bundesebene eingetreten, was letzte Konsequenz des demokratischen Instituts der Wahl als Bestellung von Herrschaft auf Zeit ist. Der Entscheidungsdruck der Wähler zwischen „Weiter so“ und Wechsel ließ die Wahlbeteiligung steigen und spitzte sich auf die Alternative zwischen den Kanzlerkandidaten Helmut KohlundGerhard Schröder mit ihrer unterschiedlichen symbolischen Ausstrahlung zu. Nach sechzehn Jahren Amtszeit trauten die meisten Wähler dem christlich-liberalen Regierungsbündnis nicht mehr die politische Kompetenz für die gewünschte Zukunftsgestaltung zu. Mit dem Werben um die Neue Mitte, einer Wiederauflage des 1972 erfolgreichen Wahlkampfkonzepts unter Willy Brandt, gelang der SPD 1998 erneut der Durchbruch. Ähnlich wie damals schmiedete sie eine Allianz zwischen ihren Traditionswählern und dem bürgerlichen, aufstiegsorientierten Milieu. Damit traf die SPD besser als die Union thematisch den Nerv der Wählermotivationen. Die Regierungsparteien waren 1998 — ähnlich wie 1994 — aus der Defensive heraus in den Wahlkampf gezogen. Der konstante Wille zum Wechsel verhinderte 1998 aber einen Last-Minute-Swing zugunsten der christlich-liberalen Koalition und erlahmte auch nicht. Hinzu kam, daß die Union kein schlüssiges, auch die eigenen Reihen überzeugendes Wahlkampfkonzept entwickelte, während die SPD einen modernen Wahlkampf nach amerikanischen Vorbild führte. Unterstützt wurde sie dabei von der Mehrheit der Massenmedien, die in ihrer überwiegenden Mehrheit für den voraussichtlichen Sieger SchröderPartei ergriffen, zumindest aber Sympathie für einen politischen Wechsel erkennen ließen. Darüber hinaus haben strukturelle Faktoren 1998 wichtige Spuren hinterlassen: Die Union hat die jahrelange Schleifung ihrer Hochburgen im katholisch-ländlichen Milieu und auch unter ihrer treuesten Klientel, den Frauen über sechzig Jahre,1998 nicht stoppen können. Die ihr 1990 noch klar zugeneigte Arbeiterschaft im Osten hat sich schrittweise abgewendet, im Lager der Angestellten haben die Christdemokraten die Vormachtstellung an die SPD eingebüßt. Die Wahlergebnisse streuen breit vor allem nach Bundesländern, die damit als eigenständige Einheiten politischer Einflußgrößen stärker in Erscheinung traten. Die beiden deutschen Elektorate gehen nach wie vor getrennte Wege, die Diskrepanz nimmt sogar noch zu. Irritierbar waren die Wähler in der Frage der gewünschten Koalition. Das herbeigewählte Ergebnis Rot-Grün entsprach nicht den vorwiegenden Präferenzen, die stärker bei einer Großen Koalition lagen. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 215 ff.]

Neu, Viola und Ute Molitor: Das Wahlverhalten der Frauen bei der Bundestagswahl 1998: Kaum anders als das der Männer.
Frauen stellen die größte Wählergruppe dar und können somit den Wahlausgang erheblich beeinflussen. Fraglich ist indes, ob Frauen eine wahlrelevante Gruppe sind, die sich von den Männern in ihrer Wahlentscheidung signifikant unterscheidet. Eine historische Betrachtung von Wahlentscheidungen der Geschlechter verdeutlicht einen konservativeren Wahltrend der Frauen, der bis Ende der 60er Jahre den Unionsparteien zugute kam. Danach fand eine Angleichung statt. Die Unterschiede in der Wahlentscheidung von Männern und Frauen waren — zumindest auf den ersten Blick — nur noch gering. Das gilt auch für die Bundestagswahl 1998. Doch unter der Oberfläche zeigen sich einige spezifische Muster: Insbesondere die zusätzliche Betrachtung nach Alter fördert eine größere „Linkslastigkeit“ der jüngeren Wählerinnen zutage, von der in den alten Bundesländern die Grünen und in den neuen Bundesländern die PDS profitieren. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 252 ff.]

Brunner, Wolfram: Bundestagswahlkämpfe und ihre Effekte: Der Traditionsbruch 1998.
Einige grundlegende Aussagen zum Thema Bundestagswahlkampfeffekte und ihre Messung sind anzuzeigen: Vor Bundestagswahlen kommt es regelmäßig zu deutlichen Stimmungsveränderungen in Bezug auf die Wahlabsicht. Da die Schwankungen in der Wahlabsicht über den betrachteten Zeitraum (1972 – 1994) nicht zunehmen, kann weder auf eine zunehmende Volatilität der Wählerschaft noch auf eine zunehmende Bedeutung von Wahlkämpfen geschlossen werden. Auch zeigt sich kein wachsender Einfluß kurzfristiger Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht. Im letzten Jahr vor einer Bundestagswahl kann die große Regierungspartei immer Stimmengewinne verbuchen, während die große Oppositionspartei zumeist Einbußen hinnehmen muß. Bis zur Bundestagswahl 1994 gab es darüber hinaus immer einen Zeitpunkt, an dem die Regierungspartei die Oppositionspartei ,überholt’. Dies war 1998 nicht mehr der Fall. Alles in allem scheinen Wahlkampagnen nicht zielgenau zu sein, da sich kaum klar zu isolierende Reiz-Reaktions-Beziehungen zwischen Kampagnenschwerpunkten und Wählerreaktionen herstellen lassen. Die regelmäßige Stimmungsverbesserung zugunsten der Regierungspartei läßt sich mittels wahlspezifischer Faktoren, struktureller Vorteile der Regierungspartei sowie auch mit Automatismen im Wählerverhalten erklären. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 268 ff.]

Edinger, Florian: Indexierung der Abgeordnetenentschädigung verfassungsgemäß — Altersversorgung unangemessen hoch: Die Diäten-Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 16.12.1998.
Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hielt die Indexierung der Diäten und der steuerfreien Aufwandsentschädigung in der Thüringer Verfassung für vereinbar mit dem Grundgesetz und ihre einfachgesetzliche Ausgestaltung im Thüringer Abgeordnetengesetz für vereinbar mit der Thüringer Verfassung. Das Gericht sah insbesondere keinen Widerspruch zum Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975. Damit wird die Verfassungsmäßigkeit des Thüringer Versuchs bestätigt, die Abgeordneten vom „Fluch der Entscheidung in eigener Sache“ zu befreien. Die Kritik an der Abgeordnetenbesoldung wird aber auch die Indexierung kaum verhindern können. Über die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz kann letztverbindlich nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Die Höhe und den Umfang der Altersentschädigung nach dem Thüringer Abgeordnetengesetz hielt der Thüringer Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig. Sie schließe nicht nur die Versorgungslücke, die durch die Mandatstätigkeit entstehe, sondern führe zu einer Vollversorgung. Das Gericht korrigierte damit eine Versorgungsregelung, die über das in anderen Parlamenten Übliche hinausging. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 296 ff.]

Römmele, Andrea: Direkte Kommunikation zwischen Parteien und Wählern: Direct-Mailing bei SPD und CDU.
Mailings der beiden Großparteien CDU und SPD der Jahre 1994 bis 1996 sowie partei-interne Dokumente und Interviews mit den verantwortlichen Akteuren sind Grundlage der empirischen Untersuchung, die Antworten auf Inhalt, Umfang und Zielgruppe der Mailings gibt und die Reaktionen der Wähler dokumentiert. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 304 ff.]

Bergmann, Kristin: Regierungsbildung 1998: Dokumentation der Koalitionsverhandlungen.
Die Koalitionsverhandlungen waren geprägt von der relativen Verhandlungsschwäche der Grünen, die angesichts ihres vergleichsweise schlechten Wahlergebnisses und der zumindest theoretisch bestehenden weiteren Koalitionsoptionen der SPD kaum über Druckpotential verfügten. Die schwache Position der Grünen zeigte sich vor allem im Ergebnis der Sachverhandlungen, bei denen sie nur wenige eigene Akzente setzen konnten, während die SPD ihre Politikkonzepte weitgehend durchsetzte. Die Personalverhandlungen waren zum einen von Positionskämpfen innerhalb der SPD, zum anderen von vielerlei parteiinternen Proporzverpflichtungen gekennzeichnet. Der Koalitionsvertrag, der innerhalb von nur 30 Tagen ausgehandelt wurde, legt lediglich einen Teil der Reformvorhaben der rot-grünen Koalition präzise fest und überläßt eine Reihe von konfliktträchtigen Sachentscheidungen zukünftigen Aushandlungsprozessen. Konkreter wird der Koalitionsvertrag in Fragen der koalitionsinternen Abstimmungen. Entgegen der gängigen politischen Praxis auf Bundesebene wird explizit die Einrichtung eines Koalitionsausschusses und das Verbot wechselnder Mehrheiten im Bundestag verankert. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 316 ff.]

Zohlnhöfer, Reimut: Die große Steuerreform 1998/99: Ein Lehrstück für Politikentwicklung bei Parteienwettbewerb im Bundesstaat.
Anhand des Willensbildungsprozesses zur gescheiterten Steuerreform 1998/99 der christlich-liberalen Koalition wird gezeigt, an welchen Akteuren eine Einigung scheiterte und welche Motive hierfür ausschlaggebend waren, um Hinweise darauf zu erhalten, unter welchen Bedingungen es zu Politikblockaden bei gegenläufigen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat kommen kann. Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß der Willensbildungsprozeß bereits stark vom bevorstehenden Bundestagswahlkampf geprägt war und sich alle beteiligten Parteien letztlich von einer Nichtentscheidung einen größeren Wahlerfolg versprachen als von einer Einigung zu den Bedingungen des Gegenspielers. Insofern sind Entscheidungsblockaden bei gegenläufigen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat offenbar um so wahrscheinlicher, je näher die nächsten wichtigen Wahlen rücken und je positiver die Erwartungen der Beteiligten bezüglich des elektoralen „payoffs“ im Fall der Nichteinigung sind. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 326 ff.]

Decken, Frank: Parteien und Parteiensysteme im Wandel.
Ein Großteil der Untersuchungen zum Wandel von Parteiensystemen kranken daran, daß sie dessen verschiedene Ebenen — Wählerverhalten, gesellschaftliche Konfliktlinien und die Struktur des Parteienwettbewerbs — nicht genau genug voneinander abgrenzen; darüber hinaus lassen sie die Rolle der Parteien als eigenständige strategische Akteure weitgehend unberücksichtigt. Analysen der Parteien selbst stellen in der Regel auf deren Funktionswandel ab, wobei zwischen den Aspekten „Parteien in der Gesellschaft“, „Parteien im Staat“ und „Parteien als Organisation“ unterschieden werden kann. Die meisten Autoren gehen davon aus, daß der Bedeutungsverlust, den die Parteien im gesellschaftlichen Bereich erlitten haben, durch einen korrespondierenden Bedeutungsgewinn im staatlichen und Regierungsbereich wettgemacht worden ist, was aber aus einer Reihe von Gründen zu kurz greift. Dasselbe gilt für den von Katz und Mair unlängst eingeführten Begriff der Kartellpartei zur Bezeichnung des derzeit vorherrschenden Organisationstypus der Parteien. Problematisch daran ist zum einen die schmale empirische Basis des Konzepts, zum anderen die Vorstellung einer Ablösung und Überwindung historisch vorausgegangener Typen (Kader-, Massen- und Allerweltspartei), obwohl deren Prinzipien in den heutigen Parteien durchaus weiterwirken. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 345 ff.]

Rudolph, Karsten: Die sechziger Jahre: Das Jahrzehnt der Volksparteien?
Aus der üblichen historiographischen und politikwissenschaftlichen Sicht erscheinen die sechziger Jahre in Abgrenzung zur Weimarer Republik und der Gegenwart als die Blütezeit der Volksparteien in Deutschland. Diese Sichtweise wird problematisiert, indem einerseits die (sich historisch verändernden) Maßstäbe für die Beurteilung von Politik schlechthin und des deutschen Parteiensystems im besonderen thematisiert und andererseits die Entwicklung von SPD, CDU und FDP in den sechziger Jahren anhand empirischer Studien skizziert werden. Das vorläufige Ergebnis dieses Untersuchungsganges lautet: Die Volkspartei hat es in den sechziger Jahren nicht gegeben. Realiter kam die FDP dem normativen Modell für einige Jahre am nächsten. Gleichwohl erfuhren sämtliche demokratische Parteien einen erheblichen Modernisierungsschub, der aber — entgegen aller zeitgenössischen Beteuerungen oder Absichtserklärungen — keineswegs in die Richtung der „Allerweltspartei“ führte. Die besondere Leistungsfähigkeit des politischen Systems beruhte somit auf anderen Faktoren im komplexen Prozeß der Modernisierung politischer Parteien, die jene allerdings schon einige Jahre später in eine bis heute andauernde Krise führten. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 362 ff.]

Veen, Hans-Joachim: Volksparteien: Die fortschrittlichste Organisationsform politischer Willensbildung.
Die Überwindung des deutschen Vielparteiensystems mit seinen ideologischen Fragmentierungen und Milieuverwurzelungen durch die modernen Volksparteien gehört sicherlich zu den herausragendsten demokratischen Leistungen der zweiten deutschen Republik. Wie kein anderer Parteitypus sind sie in der Lage, unterschiedliche Interessen schichten- und konfessionsübergreifend zu integrieren, Kompromisse auf breiter Basis zu erarbeiten und damit Führungsfähigkeit, politische Mäßigung und demokratische Verantwortungsklarheit zu sichern. Keine andere Institution kann den Parteien die ebenso existentielle wie strapaziös-frustrierende Aufgabe der politisch-sozialen Integration abnehmen. Diese Aufgabe ist trotz starken wählersoziologischen Wandels bisher erfolgreich bewältigt worden. Das Konzept der Volksparteien hat sich deshalb auch weder theoretisch noch empirisch erledigt. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 377 ff.]

Nickig, Eckhard: Von der Mitglieder- zur Fraktionspartei: Abschied von einer Fiktion.
Die Volksparteien in Deutschland haben sich bisher vor allem als Mitgliederparteien definiert. Doch das Modell der Mitgliederpartei erweist sich angesichts der Organisationsschwäche der Parteien nicht als zukunftsweisend. Den Anspruch einer breiten Mitgliederpartizipation konnten die Mitgliederparteien ohnehin nie einlösen. Daran ändern auch neue Formen direkter Mitgliederpartizipation nichts, die bisher vor allem als taktisches Instrument der Parteiführungen eingesetzt wurden. Inhaltlich werden die Parteien von den Fraktionen dominiert. Die Abgeordneten werden jedoch mit weitgehenden Ansprüchen der Mitgliederpartei konfrontiert, die ihnen eine angemessene Parlamentsarbeit erschweren. Der Parlamentarismus hat daher erheblich unter dem Leitbild der Mitgliederpartei zu leiden. Die Spannung zwischen Mitgliederpartei und Fraktionspartei wird sich zugunsten der Fraktionspartei auflösen müssen, wobei sich die ostdeutsche Parteienlandschaft mit ihrer geringeren Milieuverankerung als Vorbild erweist. Die politische Legitimation der Parteien leitet sich aus demokratischen Wahlen und der Qualität ihrer Arbeit ab, nicht von der Zahl oder Mitwirkung ihrer Mitglieder. Der notwendige Abschied vom Konzept der Mitgliederpartei könnte dem Parlamentarismus wieder einen größeren Freiraum und öffentliches Ansehen verschaffen. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 382 ff.]

Dittberner, Jürgen: Die „PAM“ und die FDP: Teilhabe statt Übernahme.
1998 sammelte eine Projektgruppe an der Technischen Universität Berlin ebenso viele Beitrittserklärungen für die Berliner FDP wie die Partei Mitglieder hatte. Ziel war eine „Übernahme“ der Partei, um damit einen Kurswechsel in der Bildungspolitik der damaligen Bundesregierung zu erreichen. Die für die Aufnahmen neuer Mitglieder zuständigen Basisorganisationen reagierten teils aufnahmewillig, teils abweisend. Etwa ein Drittel der Beitrittserklärungen erwiesen sich als nicht ernsthaft. Von ursprünglich 2.867 „Aufnahmewilligen“ wurden am Ende 850 Personen wirklich neue Parteimitglieder. Diese sprachen jedoch nicht mehr von einer „Übernahme“ der Partei, sondern von der Teilhabe an innerparteilichen Entscheidungsprozessen. Im Beitrag wird versucht, aus dem Vorgang Schlußfolgerungen für die Möglichkeiten und Grenzen der Mitgliederrekrutierung politischer Parteien abzuleiten. [ZParl, 30.Jg. (1999), H. 2, S. 389 ff.]

Damm, Sven Mirko: Die europäischen politischen Parteien: Hoffnungsträger europäischer Öffentlichkeit zwischen nationalen Parteien und europäischen Fraktionsfamilien.
Die Zukunftsperspektiven des „Europäischen Traums“ sind eng verknüpft mit dem Entwicklungsprozeß europäischer politischer Parteien. Deren Bedeutung für die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit ist beträchtlich. Der Beitrag stellt einerseits den Zusammenhang dieses Aspekts mit dem historischen Entstehungsprozeß internationaler Parteien und andererseits mit den aktuellen Organisationsstrukturen und -Statuten der europäischen Parteien her. Vor diesem Hintergrund wird insbesondere auf die Stellung der europäischen Parteien im Einflußgeflecht nationaler Mitgliedsparteien und europäischer Fraktionen eingegangen und der Bedeutungsgehalt des europarechtlichen Parteienartikels 138a EGV analysiert. Den Abschluß bilden Überlegungen zum Stellenwert europäischer Parteien für die Legitimations- und Demokratieproblematik in der Europäischen Union. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 395 ff.]

Müller-Rommel, Ferdinand: Die Neuen von den Rändern her: Herausforderung der europäischen Parteiensysteme?
Ausgehend von der Diskussion um Stabilität und Wandel westeuropäischer Parteiensysteme wird der Frage nachgegangen, welchen Effekt die libertären Wertestrukturen der Grünen sowie die autoritären Wertestrukturen der Rechtspopulisten auf das traditionelle „Links-Rechts-Cleavage“ haben. Anhand der Wahlergebnisse der Zeiträume 1975-1979 und 1995-1998 wird nachgewiesen, daß die Grünen bislang die etablierten Parteien stärker herausgefordert haben als die Rechtspopulisten. Allerdings haben diese Herausforderungen die relative Stabilität der vorhandenen Parteiensysteme nicht ernsthaft in Frage gestellt. Die längerfristige Beständigkeit der programmatischen Herausforderung durch Grüne und Rechtspopulisten ist abhängig von der Rolle und Funktion von politischer Opposition, von den Strategien der politischen Aushandlungsprozesse zwischen den etablierten Elitekartellen sowie von der Wandlungsfähigkeit der Grünen und der Rechtspopulisten als potentielle Regierungspartner in westeuropäischen politischen Systemen. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 424 ff.]

Dietz, Thomas: Der „Club“ der Internationalen: Die Grünen ante portas.
In den letzten zwanzig Jahren hat die transnationale Zusammenarbeit grüner Parteien in organisatorisch verfestigten, grenzüberschreitenden Parteiorganisationen erheblich an Intensität gewonnen. Dies gilt besonders für Europa, seit Mitte der neunziger Jahre aber auch für Afrika und Amerika. Im Gegensatz zu den großen Parteifamilien verfügen die Grünen bislang jedoch noch nicht über eine Internationale, in deren Rahmen grüne Parteien nicht nur auf den einzelnen Kontinenten, sondern auch global dauerhaft zusammenarbeiten. Die Gründung einer solchen Internationale wird mit der Verfestigung der kontinentalen Zusammenarbeit und der fortschreitenden Relativierung ideologischer Grundwerte der Grünen jedoch zunehmend wahrscheinlicher. Finanzielle und gegenseitige Akzeptanzprobleme hindern den Analytiker allerdings noch daran, die Gründung einer grünen Internationale und den damit verbundenen organisatorischen Übergang vom „think globally, act locally“ der achtziger Jahre zum „think globally, act globally“ der neunziger Jahre und des nächsten Jahrtausends mit Sicherheit vorhersagen zu können. Auf jeden Fall wird die globale Kooperationsstruktur der Grünen von der organisatorischen Verfestigung her unter allen Parteifamilien (soweit diese über eine Internationale verfügen) am wenigsten ausgeprägt sein. Ob damit auch geringere Erfolge bei der globalen politischen Zusammenarbeit einhergehen, bleibt abzuwarten. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 433 ff.]

Becker, Bernd: Innerparteiliche Reformmöglichkeiten für die deutschen Parteien: Von Großbritannien lernen.
In Deutschland wird seit langem über die Vor- und Nachteile innerparteilicher Demokratie und verstärkter Mitgliederbeteiligung diskutiert. Theoretische Diskussionen überdecken aber zu sehr das in der Realität bestehende Defizit an echter Mitgliederbeteiligung in den deutschen Parteien und verstellen so den Weg für mögliche Lösungsansätze. Demokratie in den Parteien ist die Basis für das Bestehen und die Funktionalität unserer Parteiendemokratie. Innerhalb der deutschen Parteien kommt die Demokratie aber über die Erfüllung der parteienrechtlichen Mindestauflagen nicht hinaus. Eigentlich selbstverständliche Partizipationsrechte, vor allem bei Personalentscheidungen, werden den deutschen Parteimitgliedern vorenthalten — anders als dies bei den britischen Parteien der Fall ist. Basierend auf Mechanismen verstärkter Mitgliederpartizipation innerhalb britischer Parteien werden den deutschen Parteien konkrete Vorschläge für die Weiterentwicklung ihrer innerparteilichen Organisation auf dem Feld der Personalentscheidungen, also bei der Besetzung ihrer Führungsgremien und bei der Nominierung von Kandidaten für allgemeine Wahlen, gemacht. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 447 ff.]

Niclauß, Karlheinz: Die britische Wahlreform: Der Report der unabhängigen Kommission.
Die britische Regierung setzte 1997 eine fünfköpfige Kommission ein mit der Aufgabe, einen Reformvorschlag zum britischen Wahlrecht zu erarbeiten. Der nun vorliegende Bericht der Kommission wird auch außerhalb Großbritanniens mit Aufmerksamkeit studiert, weil er die ausländischen Wahlsysteme in seine vergleichende Bewertung einbezieht. Deutschland und Irland werden hierbei besonders ausführlich kommentiert. Der Kommissionsvorschlag eines „mixed system“ zeichnet sich aber durch typisch britische Originalität aus. Falls die aus Einerwahlkreisen und Großwahlkreisen bestehende Lösung auf der Insel nicht zum Zuge kommt, sollte man ihren Import nach Deutschland zumindest diskutieren. Die hierzulande in regelmäßigen Abständen wiederholte Forderung nach Einführung des gegenwärtigen britischen Mehrheitswahlrechts würde auf diese Weise um eine interessante Variante bereichert. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 467 ff.]

Kaidatzis, Akritas: Die Wirklichkeit der innerparteilichen Demokratie in Griechenland.
Das griechische Parteienstaatsverständnis wird stark vom herrschenden Leitgedanken der Parteienautonomie geprägt. Deswegen bleibt es noch strittig, ob aus der Verfassung ein Gebot innerparteilicher Demokratie abgeleitet werden kann. Alle griechischen Parteien deklarieren allerdings in ihren Satzungen den Grundsatz der innerparteilichen Demokratie. Die innerparteiliche Wirklichkeit aber weist erhebliche Probleme und Mängel an demokratischen Prozessen auf, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte als Strukturprobleme erwiesen haben. Die Parteien sind stark personenorientiert, zentralistisch und autoritär organisiert. Dies hat zur Folge, daß die einfachen Mitglieder so gut wie keine Partizipationschancen genießen und die Fraktionsmitglieder wie die gesellschaftlichen Kräfte stark von der Parteiführung abhängen beziehungsweise manipuliert werden. Schließlich fragt es sich, ob die Allmacht einer engen Parteiführung der demokratischen Staatsordnung und der parteipolitischen Integration auf europäischer Ebene gerecht wird. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 472 ff.]

Meier, Andreas: Volkskammerdelegierte im Deutschen Bundestag (1952). Faktischer und fiktiver Parlamentarismus im Konflikt.
Östliche und westliche Archivunterlagen erlauben die Rekonstruktion des einzigen Besuchs einer Volkskammerdelegation im Deutschen Bundestag. Das Ereignis erhitzte 1952 Ost- wie Westdeutsche gleichermaßen. Ansatz der Analyse ist, daß der Empfang dann aber schnell in Vergessenheit geriet: Die DDR verfolgte keine patriotischen Ziele mehr und die westdeutsche Zeitgeschichtsschreibung war durch die „Ära Adenauer“ fixiert, deren Grundtendenz der Coup des Bundestagspräsidenten Hermann Ehlerswidersprach: Gegen den Willen Adenauers und der SPD empfing Ehlers die Delegation, aber er unterlief eindeutig deren propagandistische Absicht, „parlamentarische“ innerdeutsche Verhandlungen aufzunehmen. Empfangs- und gesprächsbereit konnte Ehlers wie kein anderer die Unglaubwürdigkeit der DDR-Emissäre entlarven. Paradigmatische Bedeutung hat die analytische Darstellung im neunten Jahr des vereinten Deutschlands, weil die in der „Ära Adenauer“ unbegreifliche Gesprächsbereitschaft den Bundestagspräsidenten nach Stasiunterlagen nie kompromittierte. Der Empfang war eine parlamentarische Lehrstunde für den „Alten“, der erfolglos tobte. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 487 ff.]

Wirthensohn, Andreas: Dem „ewigen Gespräch“ ein Ende setzten: Parlamentarismuskritik am Beispiel von Carl Schmittund Hans Herbert von Arnim — nur eine Polemik.
So alt wie der Parlamentarismus ist auch die Kritik, die an ihm geübt wird. Am Beispiel von Carl Schmitt und Hans Herbert von Arnim zeigt sich, daß es neben den üblichen Polemiken auch ebenso scharfsinnige wie problematische Formen der Auseinandersetzung mit dem parlamentarischen Regierungssystem gibt. Ging es Carl Schmittdarum, den Parlamentarismus der Weimarer Republik als „verschimmelte“ Institution, die ihre geistigen Prinzipien verloren habe, kenntlich zu machen und ihm eine identitäre Demokratievorstellung entgegenzusetzen, so geht von Arnim von einer Gemeinwohlkonzeption aus, der das parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland nur unzureichend gerecht werde. Diesem „Zukurzkommen allgemeiner Interessen“ soll nach von Arnim durch eine Stärkung außerparlamentarischer Institutionen beziehungsweise direktdemokratischer Elemente begegnet werden. Dabei zeigt sich, daß die Parlamentarismuskritik in beiden Fällen einem tiefen Unbehagen am modernen Pluralismus mitsamt seiner Grundprämissen (konfligierende Meinungen und Interessen, Gemeinwohl a posteriori, Mehrheitsprinzip) und Akteuren (besonders den Parteien und Interessengruppen) entspringt und die dargebotenen Lösungsvorschläge letztlich — wenn auch in je unterschiedlicher Weise — auf eine Entpluralisierung politischer Willensbildung abzielen. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 500 ff.]

Krause, Joachim: Der Bedeutungswandel parlamentarischer Kontrolle: Deutscher Bundestag und US-Kongreß im Vergleich.
Aufgrund der unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Ausgangsbedingungen ist die Aufgabenbestimmung der Kontrolle der Regierungstätigkeit durch Kongreß und Bundestag unterschiedlich. Beide müssen jedoch mit ähnlichen Herausforderungen fertig werden. Bundestag und Kongreß haben relativ ähnliche Methoden entwickelt, um mit dem Komplexitätsproblem fertig zu werden: durch Spezialisierung, Ausdifferenzierung, Ausbau von Hilfseinrichtungen sowie Nutzung moderner Informationsmedien und wissenschaftlicher Expertise. Die Versuche von Bundestag und Kongreß, Kontrollverluste infolge Internationalisierung und Globalisierung zu kompensieren, lassen gleichwohl unterschiedliche Herangehensweisen erkennen. Einem vorsichtigen, primär auf die Ausdehnung mitwirkender Kontrolle im Bereich der Europapolitik und anderen außenpolitischen Politikbereichen zielendem deutschen Ansatz steht der herausfordernde unilateralistische Ansatz des amerikanischen Kongresses entgegen. Die Kontrolle der Staatsfinanzen (und die Verhinderung struktureller Haushaltsdefizite) durch die Parlamente ist in beiden Systemen mit dem selben strukturellen Problem belastet: beide Parlamente sind im heutigen Leistungs- und Subventionsstaat nicht der zur Sparsamkeit neigende Faktor, so daß „Sparkoalitionen“ notwendig werden, die die wesentlichen politischen Kräfte umfassen. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 2, S. 534 ff.]

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