Abstracts 1/2002 deutsch

Gabriel, Oscar W.: Die baden-württembergische Landtagswahl vom 25. März 2001: Fehlschlag einer „Teufelsaustreibung“.
Nach einer außerordentlich spannenden Vorwahlzeit, in der zeitweise eine Ablösung der seit 1953 regierenden CDU möglich schien, brachte das Wählervotum am 25. März 2001 eine klare Bestätigung der CDU/FDP-Koalition. Trotz erheblicher Stimmengewinne, freilich überwiegend auf Kosten der Grünen, war es der SPD mit ihrer jungen Spitzenkandidatin nicht gelungen, die amtierende Regierung abzulösen. Dieser Wahlausgang war vor allem deshalb überraschend, weil die CDU weder in Personal- noch in Sachfragen über einen klaren Vorteil gegenüber der SPD verfügte. Bei genauer Betrachtung scheinen die folgenden Faktoren für den Wahlausgang maßgeblich gewesen zu sein: Die Strategie der beiden großen Parteien, ihren Wettkampf um die politische Führung ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, erwies sich als erfolgreich. Hierunter hatten die kleinen im Landtag vertretenen Parteien, insbesondere die Republikaner und die Grünen, zu leiden. In der Auseinandersetzung zwischen CDU und SPD befand sich die CDU auf Grund der Verteilung der langfristig wirksamen Parteiidentifizierer gegenüber ihrer Konkurrentin im Vorteil. Schließlich spielte auch die Kandidatenfrage eine gewisse Rolle, denn die Wähler attestierten dem amtierenden Ministerpräsidenten im Vergleich mit seiner Herausforderin die größere Sachkompetenz und Führungserfahrung. (ZParl, 33. Jg., H. 1, S. 10 ff.)

Weins, Cornelia: Die rheinland-pfälzische Landtagswahl vom 25. März 2001: Klarer Sieg für Kurt Beck und die SPD.
Aus der rheinland-pfälzischen Landtagswahl ist die SPD unter Führung von Kurt Beckals klare Siegerin hervorgegangen. Die CDU und ihr Spitzenkandidat Christoph Böhrmussten dagegen mit dem schlechtesten Nachkriegsergebnis eine schwere Niederlage hinnehmen. Verluste gab es auch bei FDP und Grünen; letzteren gelang der Einzug in den Mainzer Landtag nur knapp. Die Wahlbeteiligung erreichte nicht zuletzt aufgrund der sehr niedrigen Partizipation junger Wahlberechtigter einen historischen Tiefstand. Nach den Wahlen wurde erneut eine sozialliberale Regierung gebildet, in der sich die Machtverteilung in Folge des Wahlresultats wieder zugunsten der SPD verlagert hat. Ohne eine personelle und programmatische Neuorientierung wird es der CDU auf Landesebene schwer fallen, die momentan unangefochtene Stellung vonKurt Beckund der SPD aufzubrechen. (ZParl, 33. Jg., H. 1, S. 26 ff.)

Horst, Patrick: Die Hamburger Bürgerschaftswahl vom 23. September 2001: Schillerndem „Bürgerblock“ gelingt der Machtwechsel.
Die Abwahl der Hamburger SPD nach 44 Jahren Regierungsverantwortung und der ungewöhnliche Wahlerfolg einer erst seit einem Jahr existierenden Partei, der „Schill Partei“, mit fast 20 Prozent der Stimmen waren die beiden herausragenden Ergebnisse der Hamburger Bürgerschaftswahl. Der Amtsrichter Ronald Barnabas Schillreüssierte mit einem Wahlkampf, den er ganz auf angebliche und tatsächliche Versäumnisse der amtierenden rot-grünen Koalition in der inneren Sicherheit zuschnitt. Nur auf diesem Politikfeld und in der Verkehrspolitik nahmen die Wähler die späteren Wahlsieger Schill und CDU kompetenter wahr als die SPD, die trotz ihrer als gut perzipierten wirtschaftspolitischen Leistungsbilanz mit dem schwachen Image ihres Bürgermeisters Ortwin Runde zu kämpfen hatte. Weil sich die SPD zudem im Wahlkampf wiederholt „Filz“-Vorwürfen ausgesetzt sah, konnte die Opposition erfolgreich auf den politischen „Wechsel“ setzen. Laut einer eigenen Meinungsführerumfrage unter Politikern und Journalisten wurde der Wunsch nach einem Machtwechsel auch von den Medien, insbesondere denen des Springer-Konzerns, unterstützt. (ZParl, 33. Jg., H. 1, S. 43 ff.)

Klein, Markus und Dieter Ohr: Der Richter und sein Wähler. Ronald B. Schills Wahlerfolg als Beispiel extremer Personalisierung der Politik.
Als Ergebnis einer repräsentativen Vorwahlumfrage unter Hamburger Wahlberechtigten (n = 1001) kristallisiert sich heraus, dass die Wähler der „Schill-Partei“ keineswegs einen mehrheitlich rechtsextremen Hintergrund besitzen. Vielmehr zeigt sich, dass es der „Schill-Partei“ gelang, Wähler aus allen sozialen Gruppen für sich zu gewinnen. Ronald B. Schill wurde als ein mediengewandter Kandidat wahrgenommen. Zudem wurde ihm in dem Problemfeld der inneren Sicherheit von einem großen Teil der Hamburger Bürger eine hohe Kompetenz zugeschrieben. Im Kern ist der Wahlerfolg der „Schill-Partei“ als Zusammenspiel aus extremer Personalisierung einerseits und thematischer Zuspitzung des Wahlkampfes auf ein Thema, nämlich das der inneren Sicherheit, andererseits zu interpretieren. Als besonders wirksam erwies sich diese Variante des „Populismus“ bei Wählern, die nicht langfristig an eine Partei gebunden sind. (ZParl, 33. Jg., H. 1, S. 64 ff.)

Mann, Annette und Ekkehard Münzing: Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie des Deutschen Bundestages – Arbeitsweise und Bedeutung.
Auf der Grundlage zahlreicher Hintergrundgespräche mit Abgeordneten und Mitarbeitern aus Fraktionen und Verwaltung werden Rolle und Funktion der einzelnen Akteure im Wirtschaftsausschuss – Mitglieder, Vorsitzender und Obleute – dargestellt und erläutert. Es folgt eine Beschreibung seiner Struktur und Arbeitsweise. Der Ausschuss verfügt über ein hohes Renommee und große Attraktivität bei den Abgeordneten. Seine Bedeutung gewinnt er weniger aus der Federführung bei zentralen Gesetzesvorhaben als vielmehr aus seiner Querschnittsverantwortung für die parlamentarische Diskussion aller aktuellen wirtschaftspolitischen Fragen. Erörtert werden auch Reformvorschläge. (ZParl, 33. Jg., H. 1, S. 80 ff.)

Lemke-Müller, Sabine: Zwischen Gleichstellung und traditioneller Rollenorientierung: Ausschusspräferenzen von Politikerinnen in Parlamenten Westeuropas.
Politikerinnen setzen auch heute noch andere inhaltliche Schwerpunkte als ihre männlichen Kollegen. Das zeigt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Ausschüssen, wie sie für viele Parlamente Westeuropas typisch ist. Die einzige Ausnahme im untersuchten Sample stellt Schweden dar, dessen politische Kultur stark an Gleichheit und Gerechtigkeit orientiert ist. In den anderen Parlamenten sind Frauen weniger häufig in wirtschaftsnahen und außenpolitischen Ausschüssen vertreten, sondern konzentrieren sich auf soziale und kulturelle Politikfelder. Auch in der Verteidigungspolitik engagieren sie sich seltener als Männer. Wie eine Befragung der Parlamentarierinnen ergab, fühlen sie sich aber keineswegs von männlich dominierten Fraktionshierarchien in weniger bedeutende Ausschüsse abgeschoben. Vielmehr gehen Politikerinnen ihren persönlichen Neigungen nach und orientieren sich an ihren Erfahrungen. Erstaunlicherweise ist ein Einfluss der Ausschussbesetzungen auf die Verteilung von Regierungsämtern nicht erkennbar. (ZParl, 33. Jg., H. 1, S. 99 ff.)

Teissier, Cécile: Gesetzliche Verwirklichung der Geschlechterparität bei französischen Wahlmandaten – Erste Anwendungserfahrungen.
In Frankreich haben im März 2001 die ersten Listenwahlen nach In-Kraft-Treten des Gesetzes „zur Förderung des gleichen Zugangs von Frauen und Männern zu Wahlmandaten und –ämtern“ stattgefunden, nämlich die kommunalen Wahlen. Im Licht dieser ersten Anwendungserfahrungen zeigt sich, dass das Gesetz zwar den Eintritt der Frauen in die Politik quantitativ fördert, deren Unterpräsenz in den politisch strategischen Positionen aber weitgehend erhalten bleibt. (ZParl, 33. Jg., H. 1, S. 115 ff.)

Vatter, Adrian: Politische Institutionen und ihre Leistungsfähigkeit. Der Fall des Bikameralismus im internationalen Vergleich.
Bikamerale Strukturen bremsen in signifikanter Weise Interventionen der öffentlichen Hand und hemmen einen Ausbau des Wohlfahrtsstaates. In diesem Sinne stellen sie wirksame institutionelle Arrangements zur Stärkung liberaler Marktkräfte dar und erweisen sich insbesondere in der Wirtschafts- und Finanzpolitik als mächtige Bremsklötze politischer Reformen. Nachweisbar ist auch die dezentralisierende Wirkung dualer Parlamentsstrukturen. Abgesehen von der Überrepräsentation kleiner und bevölkerungsschwacher Gebietskörperschaften bestätigt sich sonst keiner der von der normativen Parlamentsforschung behaupteten Vorzüge Zweiter Kammern: Bikamerale Strukturen schränken die Macht der Regierung nicht stärker ein als unikamerale Systeme; sie führen zu keiner höheren Stabilität des politischen Systems; sie erreichen weder eine höhere Qualität der Demokratie noch der ökonomischen Systemleistungen. Bikamerale Systeme verringern im Vergleich zu Einkammersystemen signifikant die Wahlchancen von Frauen. (ZParl, 33. Jg., H. 1, S. 125 ff.)

Decker, Frank und Julia von Blumenthal: Die bundespolitische Durchdringung der Landtagswahlen. Eine empirische Analyse von 1970 bis 2001.
Die weitgehende Unitarisierung der Gesetzgebung und der gestiegene Einfluss des Bundesrates haben bei den Wählern den Eindruck verfestigt, dass politische Weichenstellungen in erster Linie auf Bundesebene getroffen werden. Dies bleibt nicht ohne Folgen für den Parteienwettbewerb. Da die Länder kaum noch über originäre Gestaltungsmöglichkeiten verfügen, spielen bundespolitische Aspekte auf der Landesebene eine immer größere Rolle. Eine von 1970 bis in die Gegenwart reichende Längsschnittanalyse zeigt, dass Landtagswahlen einem erheblichen bundespolitischen Einfluss unterliegen. Sie haben immer mehr den Charakter von „Zwischen-“ beziehungsweise „Testwahlen“ angenommen und fungieren als Stimmungsbarometer für die Bundespolitik. Das Sanktionswählerverhalten begünstigend, führen sie in der Regel zu Stimmenverlusten für die im Bund regierenden Parteien. Die bundespolitische Durchdringung der Landtagswahlen führt zu einer Vermischung der politischen Ebenen und damit zu einer Einschränkung beziehungsweise Modifizierung des zentralen Parteienwettbewerbs. Der Grundwiderspruch zwischen parlamentarischer Mehrheitsentscheidung und föderativer Konsensfindung, der dahinter aufscheint, hat sich seit seiner erstmaligen „Entdeckung“ in den siebziger Jahren nicht nennenswert vermindert. Er bleibt das Kardinalproblem des deutschen „Parteienbundesstaates“. (ZParl, 33. Jg., H. 1, S. 144 ff.)

Sturm, Roland: Vorbilder für eine Bundesratsreform? Lehren aus den Erfahrungen der Verfassungspraxis Zweiter Kammern.
So eng der sachliche Zusammenhang zwischen föderaler Ordnung und den Funktionen Zweiter Kammern auch ist, erlaubt er dennoch weder Vorhersagen über den Modus der Bestellung Zweiter Kammern noch über deren politisches Gewicht. Im Hinblick auf eine Reform des Bundesrates, die diesen anpassen könnte an neue Strukturen des Wettbewerbsföderalismus, ergibt der Vergleich kein Patentrezept. Allerdings scheint sich die Inkompatibilität von Wettbewerbsföderalismus und Beteiligungsföderalismus aufgrund der Erfahrungen mit starken Zweiten Kammern in unitarisch föderalen politischen Systemen zu bestätigen. Die deutsche Unterscheidung zwischen zustimmungspflichtigen und Einspruchsgesetzen im Bundesrat ist aus vergleichender Perspektive alles andere als ein Ausnahmefall. Nicht die Vetoprozedur als solche, sondern die Frage, bei welchen Materien diese greifen soll, scheint also entscheidend. Wenn ein Veto Zweiter Kammern in Länderangelegenheiten bejaht wird, bleibt das eigentliche Problem, diese ab- beziehungsweise einzugrenzen. (ZParl, 33. Jg., H. 1, S. 166 ff.)

Leonardy, Uwe: Parteien im Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland. Scharniere zwischen Staat und Politik.
Das deutsche föderale System bedarf der ständigen Koordination und „Versöhnung“ zwischen den Anforderungen des Bundes- und des Parteienstaates. Dazu ist ein weit ausgreifendes Geflecht von organisatorischen Vorkehrungen zum Dialog in der Praxis von Politik und Rechtsetzung entstanden. Wie im Einzelnen dargestellt, durchdringt dieses Geflecht alle drei Bereiche der Arbeitsstrukturen des Föderalismus: den vom Grundgesetz verfassten Bundesstaat, den Gesamtstaat und die Dritte Ebene. Die Tätigkeit der hier angesiedelten Scharniere hat entgegen gängigen Thesen dazu geführt, dass föderale Krisen durch sie bewältigt und Blockaden vermieden wurden. Das ist vorrangig ein Verdienst der Parteien. Aber auch sie haben Grenzen ihrer Einflussnahme zu beachten. Diese liegen dort, wo das Prinzip der Bundestreue berührt wird. Ihm sind nicht nur die staatlichen Institutionen, sondern auch die Parteien unterworfen. (ZParl, 33. Jg., H. 1, S. 180 ff.)

Kommentare sind geschlossen.