Abstracts 1/2005 deutsch

Niedermayer, Oskar: Die Wahl zum Europäischen Parlament vom 13. Juni 2004 in Deutschland: Ein schwarzer Tag für die SPD.
Wie in den vorangegangenen Wahlen zum Europäischen Parlament waren auch 2004 im Wahlkampf europäische Themen zweitrangig. Die SPD rekurrierte auf ihr positives Image bezüglich der Irakpolitik, das mitgeholfen hatte, die Bundestagswahl 2002 zu gewinnen, und präsentierte sich als Friedensmacht. Die Oppositionsparteien, insbesondere CDU/CSU und PDS, versuchten, die Europawahl in eine Volksabstimmung über die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesregierung umzufunktionieren. Nur die Grünen und die FDP gaben der europäischen Ebene mehr Raum. Die Grünen führten zusammen mit ihren Schwesterparteien europaweit eine mehr oder weniger einheitliche Kampagne durch, die FDP kämpfte für eine Volksabstimmung über den Entwurf eines europäischen Verfassungsvertrages und schnitt ihren Wahlkampf ganz auf ihre europäische Spitzenkandidatin zu. Die Entscheidung der Wähler wurde dennoch primär von den unpopulären Sozialreformen bestimmt. Die SPD musste daher das schlechteste Ergebnis hinnehmen, das sie je bei einer bundesweiten Wahl erzielte. Auch die Union verlor Stimmen, weil die Mehrheit der Wähler ihr nicht zutraute, eine bessere Politik zu machen. Gewinner waren die kleinen Parteien, insbesondere die Grünen und die FDP. Europaweit stellte das deutsche Ergebnis keine Ausnahme dar: Viele nationale Regierungsparteien erlitten Wahlniederlagen. [ZParl, 36. Jg., H. 1, S. 3 – 19]


Winkler, Jürgen R.: Die saarländische Landtagswahl vom 5. September 2004: Vom Zwei- zum Vierparteiensystem mit einer dominanten CDU.

Die Ausgangslage begünstigte die seit 1999 im Saarland regierende CDU. Die Sozialstruktur der Region, die negative Wahrnehmung der Bundesregierung, eine verfehlte Wahlkampfstrategie der SPD und die Konfrontation zwischen dem früheren SPD-Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine und Kanzler Gerhard Schröder waren keine Herausforderung für die CDU. Obgleich sich die wirtschaftliche Lage der Saarländer seit der letzten Wahl kaum verbessert hatte, waren sie mit der Arbeit des populären Ministerpräsidenten Peter Müllerzufrieden. Wie erwartet, ging die CDU als klare Siegerin aus der Wahl hervor. Sie erzielte 47,5 Prozent der Stimmen, gewann die absolute Mehrheit der Mandate und stellt mit Peter Müller erneut den Ministerpräsidenten. Die SPD konnte einen Teil ihrer früheren Wähler nicht mobilisieren. Vor allem Arbeiter, Arbeitslose und Gewerkschaftsmitglieder wanderten ab. Grüne und FDP gehören neben den Christdemokraten zu den Gewinnern der Wahl, obwohl sie über keine herausragenden Kandidaten und zündenden Ideen verfügten. Sie profitierten von der geringen Wahlbeteiligung und zogen nach längerer Abwesenheit wieder in den Landtag ein. Somit hat sich das symmetrische Zweiparteiensystem im Saarland in ein asymmetrisches Vierparteiensystem mit der CDU als dominanter politischer Kraft transformiert. [ZParl, 36. Jg., H. 1, S. 19 – 35]

Rütters, Peter: Regierungsmitglieder im Saarland: Daten zu Sozialprofil, Rekrutierung und Amtsverlauf von Landespolitikern (1947 – 2004).
Obwohl die Landesregierungen durch die Expansion des Verbundföderalismus als Kompetenzgewinner gegenüber den Landesparlamenten angesehen werden, haben Sozialprofile und Rekrutierungsmuster des Regierungspersonals sowie die Amtsverläufe von Ministerpräsidenten und Ministern bislang kaum größere wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren. Am Beispiel der Regierungen des Saarlandes zwischen 1947 bis 2004 wird eine quantitative Strukturanalyse der Ministerpräsidenten und der Regierungsmitglieder vorgenommen. Im Einzelnen werden dabei die folgenden Faktoren berücksichtigt: Sozialprofil (Schulbildung und Hochschulstudium, Geschlechterzusammensetzung); Qualifizierung für das Amt und Rekrutierung der Minister (Tätigkeit vor der Amtsübernahme, Ressortqualifizierung durch Fachstudium, Parlamentserfahrung); Amtsverlauf (Altersstruktur, Amtsdauer, Gründe für die Beendigung des Amtes); Parlamentsbindung der Regierungsmitglieder. Bei den Ministerpräsidenten werden zudem die Parteifunktionen während der Amtszeit und der Karriereverlauf nach dem Ausscheiden aus dem Amt untersucht. Die Ergebnisse zeigen unter anderem eine strukturelle Kontinuität der Bildungs- und Ausbildungsvoraussetzungen für Ministerpräsidenten und Minister(innen) der saarländischen Landesregierungen zwischen 1947 und 2004. Die Parlamentsbindung des Regierungspersonals nahm in diesem Zeitraum allerdings ab. In eine föderale Elitenzirkulation zwischen Bund und Ländern oder zwischen den Ländern waren die saarländischen Regierungsmitglieder nicht einbezogen. [ZParl, 36. Jg., H. 1, S. 35 – 63]

Niedermayer, Oskar: Die brandenburgische Landtagswahl vom 19. September 2004: Reaktionen der Wähler auf Hartz IV.
Der Wahlkampf zur Landtagswahl in Brandenburg 2004 wurde von dem Anfang Juli verabschiedeten ‚Hartz IV’-Gesetz zur Arbeitsmarktreform beherrscht, das die Bürger aus Protest auf die Straße trieb und zum zentralen Feld der Auseinandersetzung zwischen den Parteien wurde. Die PDS griff das Thema in aggressiv-populistischer Weise auf und profilierte sich als Partei des sozialen Gewissens. Während sich die CDU mit ihrer Reaktion schwer tat, entschied sich die SPD für eine offensive, stark personalisierte Gegenstrategie: Ministerpräsident Matthias Platzeck stellte sich dem Bürgerprotest und präsentierte sich als Anwalt der besonderen Interessen der Ostdeutschen. Dies wurde von den Wählern letztendlich honoriert: Die SPD erlitt zwar herbe Verluste, konnte sich jedoch vor der deutlich erstarkten PDS als Nr. 1 behaupten, während die CDU abgeschlagen auf Platz drei landete. Die Grünen und die FDP scheiterten wieder an der Fünfprozenthürde, während der rechtsextremen DVU der erneute Einzug ins Landesparlament gelang. Die Art der zwischenparteilichen Auseinandersetzungen während des Wahlkampfes hatten innerhalb der anfangs durchaus nach beiden Seiten (CDU und PDS) offenen SPD die Weichen in Richtung einer erneuten Koalition mit der CDU gestellt, die daher nach der Wahl auch sehr schnell zustande kam. [ZParl, 36. Jg., H. 1, S. 64 – 80]

Jesse, Eckhard: Die sächsische Landtagswahl vom 19. September 2004: Debakel für CDU und SPD gleichermaßen.
Die vierte Landtagswahl im Freistaat Sachsen seit der deutschen Einheit brachte überraschende Ergebnisse: Die bislang unangefochten dominierende CDU verlor 15,8 Prozentpunkte; die PDS gewann erneut Stimmen dazu; das Ergebnis der SPD wurde einstellig; die rechtsextremistische NPD erhielt 9,2 Prozent der Stimmen; die Liberalen und die Grünen zogen nach zehn Jahren wieder in den Landtag ein. CDU und SPD hatten die Proteste gegen die Arbeitsmarktreform im Rahmen des Hartz IV-Gesetzes unterschätzt. Davon profitierten wohl Parteien wie PDS und NPD. Die sächsische CDU konnte aus einer Reihe von Gründen viele ihrer Wähler nicht mobilisieren. Sie ließ insbesondere ein Integrationsdefizit gegenüber der Wählerschaft von rechtsaußen erkennen. Arithmetisch und politisch gab es keine Alternative zur „Koalition der Verlierer“ aus CDU und SPD. Die Landtagswahl war Ergebnis von Faktoren wie sinkender Wahlbeteiligung, Gewinnen radikaler Kräfte und Stimmenzunahmen für kleinere Parteien, die als Zeichen einer Parteienverdrossenheit interpretiert werden können. Die Verluste der CDU kamen letztendlich nicht der „Opposition im System“, sondern der „Opposition zum System“ zugute. [ZParl, 36. Jg., H. 1, S. 80 – 100]

Schoen, Harald und Thorsten Faas: Reihenfolgeeffekte bei der bayerischen Landtagswahl 2003: Die Ersten werden die Ersten sein.
Das bayerische Landtagswahlsystem ist ungewöhnlich. Es erlaubt den Wählern nicht nur, zwei Stimmen abzugeben, sondern – anders als etwa bei Bundestagswahlen – auch mit der Zweitstimme einen einzelnen Kandidaten innerhalb von Parteilisten zu wählen. Auf diese Weise soll unter anderem die Rückbindung aller Kandidaten an ihre Wähler erhöht werden. Fraglich erscheint allerdings, ob die Wähler die Möglichkeit, bewusst einzelne Listenkandidaten zu wählen, wirklich nutzen. Aus theoretischer Sicht ist dies kaum zu vermuten. Vielmehr ist zu erwarten, dass Kandidaten auf vorderen Listenplätzen, insbesondere Listenführer, deutlich profitieren. Die empirische Analyse der bayerischen Landtagswahl 2003 bestätigt diese Vermutung: Listenführer erhalten einen erheblichen Bonus von beinahe 40 Prozentpunkten, der allein auf ihre Spitzenposition auf der Liste zurückzuführen ist; auch andere Kandidaten auf vorderen Plätzen profitieren von ihrer Listenposition. Das im Wahlsystem angelegte Potenzial einer kandidatenorientierten Stimmabgabe wird also nicht ausgeschöpft. Vielmehr scheinen viele Bürger das als kandidatenzentriert konzipierte System am Wahltag in ein einfacher handhabbares, parteienorientiertes System umzuinterpretieren, indem sie den Listenführer wählen. [ZParl, 36. Jg., H. 1, S. 100 – 116]

Putz, Sebastian: Kleine Parteien in Koalitionskonflikten: Das Beispiel der FDP beim Sturz des Ministerpräsidenten in Sachsen-Anhalt 1993.
Im November 1993 trat der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Werner Münch(CDU), der eine CDU-FDP-Koalition geführt hatte, von seinem Amt zurück. Anhand dieses Beispiels können das Machtpotential und die Einflussmöglichkeiten einer kleinen Regierungspartei in einem personenbasierten Konflikt untersucht werden. In einer Nachzeichnung der damaligen Abläufe und Ereignisse wird erkennbar, dass ein Teil des kleineren Koalitionspartners FDP auf den Sturz des Ministerpräsidenten beziehungsweise auf den Bruch der Regierungskoalition hinarbeitete. Bei der Verfolgung dieser Ziele bedachten diese FDP-Mitglieder auch übergeordnete bundespolitische Auswirkungen (auf der Bundesebene gab es damals eine CDU/CSU-FDP-Koalition). Ein anderer Teil der sachsen-anhaltischen FDP hielt allerdings an der bestehenden Koalitionsregierung fest und erzwang schließlich mit der Wahl Christoph Bergners als Nachfolger von Münch ihre Fortsetzung. Aus diesem Fall lassen sich Hypothesen über die Handlungsmöglichkeiten einer kleinen Regierungspartei in koalitionsinternen Konflikten, die sich auf Personen, nicht auf Politikinhalte beziehen, ableiten. [ZParl, 36. Jg., H. 1, S. 120 – 141]

Wüst, Andreas M.: Einstellungen von Parlamentskandidaten gegenüber Einwandererminoritäten in Deutschland und den Niederlanden.
Jüngere Wahlstudien haben gezeigt, dass die parteipolitischen Präferenzen von Einwanderern bestimmten Mustern folgen und bemerkenswert stabil sind. Länderübergreifend werden dabei – mit Ausnahme der deutschen Aussiedler – „linke“ Parteien erheblich stärker von Wählern mit Migrationshintergrund präferiert. Ein Grund hierfür scheint in der Attraktivität bestimmter parteipolitischer Angebote und Kandidaten zu liegen. Diese Hypothese wird mit Hilfe von Kandidatenbefragungen anlässlich der deutschen und niederländischen Parlamentswahlen 2002 geprüft. Dabei wird vergleichend analysiert, welche Haltungen die Kandidaten zur Zuwanderung allgemein, zur Zuwanderung bestimmter Personengruppen, deren Repräsentation in den Parlamenten und zur kulturellen Assimilation einnehmen. Es zeigt sich, dass PDS, Grüne und SPD sowie GroenLinks, PvdA (Sozialdemokraten) und D66 (Linksliberale) attraktiver für Einwanderer sind, da deren Kandidaten nicht nur weiterer Zuwanderung gegenüber offener sind, sondern sich auch eine bessere Repräsentation der Minderheiten im Parlament wünschen und einen geringeren Assimilationsdruck ausüben. Außerdem wird offenbar, dass die niederländischen Kandidaten bei Zuwanderung und Integration etwas restriktivere Haltungen einnehmen als ihre deutschen Kollegen. [ZParl, 36. Jg., H. 1, S. 142 – 152]

Röper, Erich: Volksinitiativen und Bürgeranträge: Richtungsweisendes Urteil des OVG Bremen.
Plebiszite sind in den meisten deutschen Landesverfassungen vorgesehen. Sie werden allerdings selten genutzt, da sie geringere Wirkung entfalten, als es künftig für die EU-Ebene vorgesehen ist. Außerdem behandeln die Landesparlamente Volksinitiativen beziehungsweise Bürgeranträge tendenziell geringschätzig. Eine Entscheidung des OVG Bremen stärkt nun die Rechtsstellung der Initiatoren. Die gesetzliche Umsetzung dieser Entscheidung wird helfen, die Verfahren im Parlament (hier in der Bremischen Bürgerschaft), die sich mit solchen Initiativen befassen, zu beschleunigen. [ZParl, 36. Jg., H. 1, S. 152 – 160]

Jung, Otmar: Regieren mit dem obligatorischen Verfassungsreferendum: Wirkung, Konterstrategie, Nutzungsversuche und Umgangsweise.
Das obligatorische Verfassungsreferendum gilt gemeinhin als Instrument zur Stabilisierung einer Verfassung, was im Ergebnis durchaus ambivalent zu beurteilen ist: Solche Verfassungen können einerseits zum Gegenstand einer religion civile werden, drohen aber andererseits auch zu veralten. In den deutschen Bundesländern deutet vieles auf die stabilisierende Wirkung hin, ohne dass sie sich empirisch streng beweisen ließe. In jenen Ländern, die das obligatorische Verfassungsreferendum kennen (Bayern, Hessen und Bremen), zeigen sich einige charakteristische Züge des Regierungshandelns: Regierungen streben meist danach, sich der Referendumskontrolle zu entwinden. Dazu setzen sie vor allem auf die Strategie, aus den unterschiedlichsten Themen „Pakete“ zu schnüren. Diese Verletzung des Prinzips der „Einheit der Materie“ ist bislang von Verfassungsgerichten allerdings nicht beanstandet worden. Außerdem versuchen Regierungen, diese Volksabstimmungen plebiszitär zu instrumentalisieren oder Basisinitiativen „abzufangen“ und in die Referendumsform zu überführen. Die politischen Repräsentanten zeigen sich zudem nicht besonders interessiert an Abstimmungsdebatten über kommende Referenden; Schlagworte scheinen ihnen oft zu genügen. [ZParl, 36. Jg., H. 1, S. 161 – 187]

Bauer, Michael W.: Die deutschen Bundesländer und der Konvent zur Zukunft der Europäischen Union: zwischen subnationaler Interessendivergenz und supranationalem Sozialisationsdruck.
Das Entstehen des Europäischen Verfassungsvertrags bietet neues Material, um gängige integrationstheoretische Ansätze zu überprüfen. Im Hinblick auf die Rolle der deutschen Länder im Verfassungsprozess werden fünf Hypothesen abgeleitet, deren Implikationen empirisch einem Wahrscheinlichkeitstest unterzogen werden. Dabei wird deutlich, dass die steigende Interessendivergenz zwischen den subnationalen Einheiten sowie Effekte der Sozialisierung subnationaler Verhandlungsführung im supranationalen Kontext zentrale Erklärungsvariablen darstellen. Die relative Untertheoretisierung der Rolle starker subnationaler Einheiten – gerade auch der deutschen Länder – im europäischen Mehrebenensystem bleibt zwar bestehen. Anhand der Differenzierung in eine Aggregationsphase und eine Projektionsphase wird aber deutlich, welche Ansätze und Hypothesen ihr Erklärungspotential am Fallbeispiel der deutschen Länder im Verfassungsprozess am überzeugendsten entfalten können. Künftig sollte für die Entwicklung angemessener theoretischer Erklärungen dem Aufeinandertreffen von sozioökonomischen Determinanten, politischen Interessen und Lerneffekten der Akteure größere Aufmerksamkeit als bisher gewidmet werden. [ZParl, 36. Jg., H. 1, S. 188 – 207]

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