Abstracts 1/2001 deutsch

Naßmacher, Hiltrud: Die Bedeutung der Kommunen und der Kommunalpolitik für den Aufstieg neuer Parteien.
Vielfach erwarten Beobachter (und hoffen Repräsentanten neuer Wahlbewerber selbst), dass ein Aufstieg einer neuen Gruppierung im Parteiensystem von der kommunalen Ebene her möglich sei. Die ersten Erfolge der STATT-Partei in Hamburg 1993 sind das am intensivsten wahrgenommene Beispiel. Die Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde für Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im Jahre 1999 hat Hoffnungen auf den langfristigen Erfolg neuer Gruppierungen geweckt. Ob diese berechtigt sind, konnte eine quantitative und qualitative empirische Untersuchung, die sich auf die Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Sachsen bezog, prüfen. Dabei wurde deutlich, dass hohes Engagement auf der örtlichen Ebene gleichzeitig mit vielfältigen Restriktionen verbunden ist. Solche Aktivitäten reichen keinesfalls aus, um eine neue Gruppierung im Parteiensystem zu platzieren. Neben Erfolgen auf der kommunalen Ebene scheint eine überörtliche Medienpräsenz mit neuen und spezifischen Themen hinzukommen zu müssen. Der Aufstieg der Grünen lässt sich, trotz Parteien- und Politikerverdrossenheit, mit einer beliebigen „Anti-Parteien-Partei“ nicht so leicht wiederholen. (ZParl, 32. Jg., H. 1, S. 3 ff.)

Holtkamp, Lars: Kommunale Beteiligung an Entscheidungsprozessen der Bundesländer.
Die kommunale Selbstverwaltung erfüllt für das politische System der Bundesrepublik Deutschland gerade angesichts von Globalisierung und Kompetenzverlust in Richtung EU eminent wichtige Funktionen. Die kommunale Selbstverwaltung kann die Integration der Bürger fördern, Innovationen für das politische System kleinräumig erproben und durch die spezifische Problemnähe zur Optimierung bundesstaatlicher Politiken beitragen. Diesen Funktionen können die Kommunen aber immer schwerer nachkommen, weil ihre Handlungsspielräume durch die zunehmende Detailsteuerung höherer föderaler Ebenen und durch eine überwiegend exogen verursachte Haushaltskrise äußerst beschränkt sind. Diese beschränkten Spielräume sind im Wesentlichen ein Produkt des föderalen Aushandlungsprozesses, in dem die Kommunen institutionell die schwächste Stellung haben. Ausgehend von dieser Situationsbeschreibung wird skizziert, wie durch die Einrichtung einer Kommunalkammer auf Landesebene die Position der Kommunen gestärkt werden kann. Dabei wird aufgrund unterschiedlicher Problemlagen eine Kommunalkammer mit weitgehenden Vetorechten abgelehnt. Sie soll vielmehr durch andere institutionelle Arrangements aufgewertet werden. Bei der Entwicklung eines konkreten Modells der Kommunalkammer stehen der Bayerische Senat und der Kommunale Rat in Rheinland-Pfalz Pate. (ZParl, 32. Jg., H. 1, S. 19 ff.)

Jung, Otmar: Dreimal Fehlschlag. Die schwierigen Anfänge der direkten Demokratie in Berlin.
1998/99 wurden in Berlin drei Versuche direkter Demokratie unternommen: die Volksinitiative gegen den Bau des Transrapids Berlin-Hamburg, das Volksbegehren „Mehr Demokratie in Berlin“ und das Volksbegehren „Schluß mit der Rechtschreibreform!“. Alle drei schlugen – auf je verschiedenen Verfahrensstufen und aus unterschiedlichen formalen Gründen – fehl. Gewiss spielten dabei auch objektive Schwierigkeiten in der Millionenstadt beziehungsweise Fehler und Schwächen der Initiatoren eine Rolle. Aber eine tiefere Ursache liegt darin, wie die politische Elite Berlins das „ungeliebte Modell“ direkte Demokratie ausgestaltet hat: Kennzeichnend hierfür ist das einzigartige Verbot verfassungsändernder Volksgesetzgebung, womit die politische Führung der Stadt „ihrem“ Volk ganz unverhohlen Misstrauen entgegenbringt. Hinderlich wirkt insbesondere das in Berlin vorgeschriebene beziehungsweise praktizierte Verfahren, das entsprechende Projekte bereits im Vorfeld restringiert, ja hintertreibt („Eine Wahl, die auf den Nichtwähler setzt“), sodass es zu Abstimmungen überhaupt nicht kommt. Um diese missliche Situation zu ändern – und vor allem um für Fairness im Verfahren zu sorgen –, lassen sich nach diesen drei praktischen Fällen einige verfassungspolitische Empfehlungen geben. (ZParl, 32. Jg., H. 1, S. 33 ff.)

Witte, Jan: Der kommunale „Recall“ in Deutschland – erste Anwendungserfahrungen.
Im Schatten der in allen Kommunalverfassungen in den letzten Jahren eingeführten direkt-demokratischen Instrumente Sachbegehren und -entscheid stehen die Möglichkeiten zur vorzeitigen Abwahl des Bürgermeisters durch die Bevölkerung. Wurde diese Option eines „Recall“ in der Bundesrepublik bis zur Wende nirgends verwirklicht, ist nunmehr ein recht unterschiedlich ausgestaltetes Verfahren zur Abwahl der inzwischen überall unmittelbar gewählten Bürgermeister vorgesehen. Während einige Bundesländer sowohl das Initiativrecht als auch die Entscheidung über die Abwahl den Bürgern überlassen und andere nur dann einen Bürgerentscheid vorsehen, wenn zunächst die Vertretungskörperschaft einen entsprechenden Beschluss gefasst hat, schließen manche Länder die vorzeitige Abwahl ganz aus. Weitgehend unbekannt geblieben ist bislang die tatsächliche Anwendungspraxis der Abberufungsmöglichkeiten, die bislang nur in Brandenburg eine gewisse Resonanz in der Öffentlichkeit erfahren haben. Da gerade dort bereits eine Änderung der Verfahrensvoraussetzungen stattgefunden hat, ist zu hinterfragen, welche Ausgestaltungsform dem von den Gesetzgebern verfolgten Zielen der verstärkten Bürgerbeteiligung auch im Hinblick auf Personalentscheidungen am ehesten gerecht werden kann. (ZParl, 32. Jg., H. 1, S. 57 ff.)

Schulenburg, Klaus: Plebiszitäre Elemente der neuen Gemeindeordnung in Nordrhein-Westfalen aus Sicht der Bürgermeister und Gemeindedirektoren.
Der Beitrag liefert eine erste empirisch-quantitative Antwort auf die Frage, wie Inhaber gemeindlicher Spitzenpositionen auf die Einführung von Instrumenten direkter Demokratie in die Kommunalverfassung reagieren. Als Beispiel dient die Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalens, in die bei der Reform 1994 Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid erstmals eingeführt wurden. Die Analysen basieren auf Daten einer schriftlichen Befragung von Bürgermeistern und Gemeindedirektoren, die im Rahmen der wissenschaftlichen Begleituntersuchung zur Einführung der neuen Kommunalverfassung 1996 erhoben wurden. Die Auswertung der Antworten auf die direkte Frage nach der Bewertung der plebiszitären Elemente zeigt eine mehrheitliche Befürwortung in allen Positionsgruppen, die in erster Linie von der Zufriedenheit mit der Ausgestaltung der rechtlichen Regelungen abhängt. Diese spezielle Reformbewertung korrespondiert mit einigen allgemeinen Thesen zur direkten Demokratie, deren Einschätzung bei den Bürgermeistern und Gemeindedirektoren abgefragt wurde. Mit Hilfe einer Faktorenanalyse können zwei Einstellungen identifiziert werden, die als „Vertrauen in die Entscheidungskompetenz der Bürger“ beziehungsweise als „Akzeptanz direkter Bürgerbeteiligung“ interpretiert werden. Bei den zur Erklärung dieser Einstellungen durchgeführten Regressionsanalysen erweisen sich die Stimmung im Gemeinderat als Kontextvariable der Gemeinde und eine aus einer Rangordnung kommunalpolitischer Ziele abgeleitete traditionelle versus moderne Wertorientierung als persönliche Komponente der Befragten als wichtigste Erklärungsfaktoren. (ZParl, 32. Jg., H. 1, S. 72 ff.)

Görl, Tilo: Regionalisierung der politischen Landschaft in den neuen Bundesländern am Beispiel der Landtagswahlen 1999 in Brandenburg, Thüringen und Sachsen.
Die politische Landschaft der neuen Länder ist in einem hohen Maße regionalisiert. Während in Sachsen und Thüringen seit 1990 die CDU dominiert, ist in Brandenburg die SPD die bestimmende politische Kraft. Dieses Muster wurde durch die Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen, die in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September 1999 stattfanden, im Kern bestätigt. Die von CDU und SPD in den drei Ländern erzielten Stimmenanteile korrespondieren stark mit dem wahrgenommenen Kompetenzprofil beider Parteien und der jeweiligen Kandidatenkonstellation. Der jeweils führenden Regierungspartei wurde in nahezu allen Politikfeldern ein Kompetenzvorsprung attestiert; auch lagen die amtierenden Ministerpräsidenten in der Sympathiebewertung klar vor ihren Herausforderern. Des Weiteren konnten die CDU in Sachsen und Thüringen und die SPD in Brandenburg von regionalen Spezifika im sozialstrukturellen Wahlverhalten profitieren. In multivariaten Modellen des individuellen Wahlverhaltens erweist sich die Kandidatenorientierung als stärkste Erklärungsgröße. Die komplementären Wahlchancen von CDU und SPD in Brandenburg, Thüringen und Sachsen sind dementsprechend das Ergebnis der regional variierenden Profilierung des politischen Spitzenpersonals. (ZParl, 32. Jg., H. 1, S. 94 ff.)

Feist, Ursula und Hans Jürgen Hoffmann: Die nordrhein-westfälische Landtagswahl vom 14. Mai 2000: Gelbe Karte für Rot-Grün.
In Nordrhein-Westfalen wurde die rot-grüne Koalition erneut bestätigt, allerdings mit beträchtlichen, auf beide Partner annähernd gleich verteilten Einbußen, so dass sich SPD wie Grüne gleichermaßen von den Wählern abgestraft fühlen mussten. Zu den Verlierern zählte jedoch auch die CDU. Sie hatte nicht an die vorangehenden Erfolge anknüpfen und ihre seit Jahrzehnten währende Stagnation in der Oppositionsrolle im Düsseldorfer Landtag überwinden können. Denn mit der im Winter enthüllten Parteispendenaffäre um die Bundes-CDU waren die Christdemokraten unversehens in eine schwere Vertrauenskrise gestürzt worden. Auch die NRW-SPD ereilte zum Wahlkampfauftakt ein Skandal: In einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss sah sie sich mit der so genannten „Flugaffäre“ konfrontiert, in die Spitzenpolitiker des Landes verwickelt waren. So zogen beide großen Volksparteien in angeschlagenem Zustand in den Wahlkampf und konnten ihre Bataillone nicht voll mobilisieren. Die Wahlbeteiligung sank auf einen Minusrekord in der Wahlgeschichte des Landes. Wählerströme in die Wahlenthaltung dominierten den Wahlausgang weitaus mehr als der Wähleraustausch unter den Parteien. Unbelastet von Affären und Vertrauensschwund präsentierte sich allein die FDP unter Jürgen Möllemann. Er hatte geradezu lehrbuchhaft in amerikanischem Stil um den Wiedereinzug in den Landtag gekämpft, am Ende wurde die FDP einziger Sieger. Offenbar fungierte die liberale Partei für so manchen als bürgerliche Protestalternative in einer als Parteienkrise empfundenen Lage. Das Wahlergebnis eröffnete allein der SPD Koalitionsoptionen in jede Richtung und ließ Spekulationen aufblühen, ob der alte und neue Regierungschef Wolfgang Clement – gegen Berlin und bisheriges Lagerdenken – eine rot-gelbe Koalition anstreben würde. Es blieb jedoch – nach kurzer Verhandlungszeit – bei der rot-grünen Koalition. (ZParl, 32. Jg., H. 1, S. 124 ff.)

Bajohr, Stefan: Fünf Jahre und zwei Koalitionsverträge: Die Wandlung der Grünen in Nordrhein-Westfalen.
Trotz programmatischer Gegensätze, vor allem in der Energie- und Verkehrspolitik, vereinbarten SPD und Bündnis 90/Die Grünen 1995 die Bildung einer Koalition in Nordrhein-Westfalen. Von den einen als „Zweckbündnis auf Zeit“, von den anderen als „historische Chance“ bewertet, geriet die Koalition schon bald in ihre erste ernst zu nehmende Krise. Deren Überwindung bildete das Grundmuster weiterer Konfliktlösungen: Beharren des strukturkonservativen Seniorpartners, Selbstverleugnung des Juniors und Zusicherung künftig besserer Koordination. Zwar konnten die Grünen durchaus eigene Anliegen befördern – wo dies gelingen durfte, entschied indes die SPD, die sich vollständig verhärtete, sofern ihre industriepolitische Zuverlässigkeit und Wirtschaftsfreundlichkeit berührt waren. Auf zwei Sonderparteitagen beugte sich eine Mehrheit der Grünen und marginalisierte zugleich die innerparteiliche Linke. Der SPD gelang die Domestizierung der einstigen Protestpartei, weil den Grünen das Rüstzeug fehlte, substanzielle Streitthemen von weniger relevanten abzuheben. Die daraus folgende Preisgabe selbst grüner Essentials öffnete den Weg zum Koalitionsvertrag 2000, der einen Paradigmenwechsel grüner Politik markiert. (ZParl, 32. Jg., H. 1, S. 146 ff.)

Mnich, Peter: Die schleswig-holsteinische Landtagswahl vom 27. Februar 2000: Das erste Wählervotum nach der CDU-Finanzaffäre.
Zu Beginn des Jahres 2000 war die Wählerschaft in Schleswig-Holstein aufgerufen, die Besetzung des 15. Landtages zu bestimmen. Vier Jahre rot-grüne Koalition galt es zu bewerten und gegen die Ministerpräsidentin Heide Simonis stellte die CDU mit Volker Rüheeinen Herausforderer, von dem man erwartete, dass mit ihm die Union wieder zur stärksten Partei im Lande werden könnte. Solche Hoffnungen wurden durch die ersten Umfragen im Vorfeld der Wahl bestärkt. Zur Jahreswende 1999/2000 sorgte dann aber die CDU-Finanzaffäre für ein weiteres Spannungsmoment. Das Wahlergebnis selbst fiel allerdings weniger spektakulär aus, als von vielen Beobachtern erwartet wurde. Die SPD und die Grünen konnten sich insgesamt betrachtet weitgehend stabilisieren und ihre Regierungskoalition fortsetzen. Die CDU blieb wie in den drei vorangegangenen Landtagswahlen deutlich unter der 40-Prozent-Marke und musste sich ein weiteres Mal mit der Oppositionsrolle begnügen. (ZParl, 32. Jg., H. 1, S. 171 ff.)

Ohr, Dieter und Markus Klein: „When a man meets a woman …“ Heide Simonis undVolker Rühe als Spitzenkandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten bei der Landtagswahl in Schleswig Holstein am 27. Februar 2000.
Im Urteil der Schleswig-holsteinischen Wahlberechtigten lagen die beiden Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten Heide Simonis und Volker Rühe bei politischen Kernkompetenzen wie den Managerqualitäten und der Problemlösungskompetenz nahezu gleichauf. Deutlich schlechter schnitt Volker Rühe dagegen bei der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit ab. Diese prägte, stärker als bei Heide Simonis, auch seine Gesamtbeurteilung durch die Wähler und die Wahlentscheidung selbst. Die CDU-Parteispendenaffäre dürfte demnach sowohl die Gesamtbeurteilung des Kandidaten Volker Rüheals auch die Wahlentscheidung und das Wahlergebnis maßgeblich zu seinen Ungunsten beeinflusst haben. Männer bewerteten die Managerqualitäten und Problemlösungskompetenz von Volker Rühebesonders positiv, während Frauen dies bei den entsprechenden Qualitäten von Heide Simonistaten. Bei den Männern hatte die Problemlösungskompetenz beider Kandidaten einen etwas stärkeren Effekt auf die Wahlentscheidung als bei den Frauen. (ZParl, 32. Jg., H. 1, S. 178 ff.)

Kommentare sind geschlossen.