Behnke, Joachim, Ruth Kamm und Thomas Sommerer: Der Effekt der Neueinteilung der Wahlkreise auf die Entstehung von Überhangmandaten.
Aufgrund der Vorgabe des Bundeswahlgesetzes, dass die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern deren Bevölkerungszahl so weit wie möglich entsprechen muss, wurden im 16. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 27. April 2001 75 Wahlkreise neu abgegrenzt. Gleichzeitig wurde die Anzahl der Wahlkreise von 328 auf 299 reduziert, womit die gesetzliche Mitgliedszahl des Bundestages von 656 auf 598 sank. Um die Auswirkung der Wahlkreisneueinteilung auf die Entstehung von Überhangmandaten zu untersuchen, wird auf ein formales Modell zurückgegriffen, das sowohl den spezifischen Effekt einer einzelnen Ursache abbilden als auch die komplexen Wechselwirkungen zwischen allen beteiligten Faktoren wiedergeben kann. Der Effekt der Wahlkreisneueinteilung wird bestimmt, indem das Modell bezüglich der Stimmenzahlen der Bundestagswahl 1998 sowohl für die damals gültige Wahlkreiseinteilung als auch alternativ für die neue Einteilung berechnet wird. Es ergibt sich, dass trotz der Wahlkreisneueinteilung auch in Zukunft mit einer größeren Anzahl von Überhangmandaten zu rechnen ist. Dafür sind andere Faktoren wie unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung, Stimmensplitting und vor allem die Existenz regional bedeutsamer Parteien wie der PDS verantwortlich. (ZParl, 34. Jg., H. 1, S. 122 – 145)
Deutsch, Franziska und Suzanne S. Schüttemeyer: Die Berufsstruktur des Deutschen Bundestages – 14. und 15. Wahlperiode.
Analysen zur Berufsstruktur des Deutschen Bundestages haben in der Zeitschrift für Parlamentsfragen eine lange Tradition. Frühere Untersuchungen von Adalbert Hess und Emil-Peter Müller aufgreifend zeigen die hier dokumentierten Ergebnisse zum 14. und 15. Bundestag neben Kontinuitäten auch einige Veränderungen zu vorangegangenen Wahlperioden. So bleibt der Anteil der Beamten im Parlament mit rund einem Drittel weitgehend konstant, während für Selbständige, Arbeiter und „Funktionäre“ ein leicht rückläufiger Trend sichtbar wird. Auffällig ist dabei, dass gerade jüngere Parlamentarier die Arbeit bei Fraktion oder Partei und insbesondere bei Bundestagsabgeordneten zunehmend als Sprungbrett für eine eigene politische Karriere nutzen. Deutlich öfter als in früheren Wahlperioden finden heute Angehörige Freier Berufe sowie Angestellte in der Wirtschaft den Weg in den Bundestag.
(ZParl, 34. Jg., H. 1, S. 21 – 32)
Hilmer, Richard: Bundestagswahl 2002: eine zweite Chance für Rot-Grün.
Bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 entschied sich eine knappe Mehrheit der Wähler für die Fortsetzung der rot-grünen Regierungskoalition. In den Vorwahlumfragen hatte das bürgerliche Lager lange Zeit vorn gelegen. Auslöser dieses Stimmungsumschwungs war ein Themenwechsel: Anstatt der bis Anfang August dominierenden Themen Wirtschaftslage und Arbeitslosigkeit bestimmten nun die Jahrhundertflut und der aufziehende Irakkonflikt die öffentliche Diskussion. Der Kanzler nutzte nicht zuletzt in den beiden TV-Duellen die Chance, sich als führungsstarker und entscheidungsfreudiger Krisenmanager zu profilieren, was ihm vor allem Stimmen der ostdeutschen Wähler einbrachte. Mit seiner deutlichen Absage an eine Kriegsbeteiligung besetzte er ein wesentliches Kompetenzfeld der PDS, was maßgeblich zu deren Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde beitrug und damit erst die Voraussetzung für eine Regierungsmehrheit von Rot-Grün schuf. Wesentliche Voraussetzung für den Stimmungsumschwung war die anhaltende Skepsis gegenüber der Problemlösungskompetenz der Union und eine in breiten Wählerschichten spürbare Zurückhaltung gegenüber ihrem Spitzenkandidaten. Trotz der insgesamt kritischen Beurteilung der Politik der Bundesregierung herrschte deshalb zu keinem Zeitpunkt eine ausgeprägte Wechselstimmung. Auch wenn sich der Wahlkampf schließlich auf die Kanzlerfrage zuspitzte und es darüber zur Polarisierung der Wähler kam, ist am Wahlverhalten 2002 auch eine Präferenz für unterschiedliche Gesellschaftsmodelle abzulesen: für eine offene tolerante Gesellschaft, die eher auf sozialen Ausgleich bedacht ist – wofür SPD und Grüne und auch Schröder standen – oder für eine stärker auf traditionelle Werte ausgerichtete und effizienzorientierte Leistungsgesellschaft, die eher mit schwarz-gelb und mit Stoiber verbunden wurde. (ZParl, 34. Jg., H. 1, S. 187 – 219)
Holtmann, Everhard: Die sachsen-anhaltische Landtagswahl vom 21. April 2002: Bürgervotum gegen das Tolerierungsbündnis von SPD und PDS.
Das Ergebnis der Landtagswahl vom 21.April 2002 in Sachsen-Anhalt signalisiert ein klares Misstrauensvotum der Mehrheit der Wähler gegenüber dem bisherigen Regierungsbündnis von SPD und PDS. Aus bisher zum Teil unveröffentlichten Umfragedaten wird deutlich, dass sich die – auf eine defizitäre Leistungsbilanz im Schlüssel-Politikfeld Arbeitsmarkt und Wirtschaft zurückzuführenden – Popularitätseinbußen der von Ministerpräsident Reinhard Höppner geführten Landesregierung bereits im Sommer 2001 anbahnten; das Meinungsklima im Land kippte aber erst nach der Jahreswende 2001/2002 in eine ausgeprägte politische Wechselstimmung um. Die Niederlage der SPD konnte weder durch territoriale „Fluchtburgen“ noch durch sozialstrukturell verankerte Bindungen ehemaliger Wähler abgefedert werden. Vielmehr sind die Verluste der Sozialdemokraten nahezu gleichmäßig über sämtliche Teilregionen und sozialen Gruppen verteilt. Neben dem Erfolg der FDP, die nach achtjähriger Abwesenheit mit einem zweistelligen Ergebnis in den Magdeburger Landtag zurückkehren konnte, ist bemerkenswert, dass es der „Schill-Partei“ nicht gelang, ihren Überraschungserfolg der Hamburger Bürgerschaftswahl von September 2001 in einem Flächenland zu wiederholen und das elektorale Erbe der DVU als Protestpartei anzutreten. (ZParl, 34. Jg., H. 1, S. 41 – 60)
Hough, Daniel und Charlie Jeffery: Landtagswahlen: Bundestestwahlen oder Regionalwahlen?
Das Verhältnis von Bundes- und Landtagswahlergebnissen wurde bisher (meist) als zyklische Rhythmus beschrieben. Demnach würde die Hauptregierungspartei im Bund in den Landtagswahlen zur Mitte der Wahlperiode am schlechtesten abschneiden. Diese These kann zunächst anhand des Dinkelschen Ansatzes der Erwartbarkeit für die Zeit von 1949 bis 1990 bestätigt werden, nicht aber für die Jahre nach 1990. Auch wenn man die deutschen Wahlergebnisse mit dem aus der kanadischen Politikwissenschaft übertragenen „Index der Unähnlichkeit“ überprüft, wird dieser Befund wird untermauert. Nach 1990 sind territoriale Präferenzen wichtiger geworden; Landtagswahlen können danach nicht mehr eindeutig als abhängig von Wahlen zum Bundestag interpretiert werden, sondern als Wahlen mit eigenen Dynamiken. Daher haben sich die Wechselwirkungen zwischen Landtags- und Bundestagswahlen verändert. Es gibt deutliche Anzeichen für ein territorial begründetes Mehrebenen-Wahlverhalten in der Bundesrepublik nach 1990. (ZParl, 34. Jg., H. 1, S. 79 – 94)
Lovens, Sebastian: Die Besetzung der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses.
Die Sitze der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses wurden bislang mit Ausnahme von 1969 nach einem der drei Verfahren d’Hondt, Hare/Niemeyer oder St. Laguë/Schepers zwischen den Fraktionen verteilt. Für die Entscheidung des Bundestages zugunsten eines der drei Schlüssel war es maßgeblich, einerseits auch kleine Fraktionen soweit wie möglich an der parlamentarischen Arbeit teilnehmen zu lassen, andererseits aber die Mehrheit des Plenums auf der Bundestagsbank widerzuspiegeln. In der gegenwärtigen (15.) Legislaturperiode ergibt sich nach allen drei Wahlverfahren ein Patt. Der Bundestag beschloß daher ein abweichendes Verfahren zur Sicherung der Koalitionsmehrheit. Auch wenn der Konflikt zwischen dem mathematisch zu lösenden Ziel, die Bundestagssitze möglichst exakt auf die Ausschusssitze umzurechnen und dem politisch zu beachtenden Ziel, die Bundestagsmehrheit auch auf den Ausschuss zu projizieren, so gelöst werden kann, dass die Koalitionsmehrheit und damit eine authentische Verhandlungsposition gegenüber den Bundesratsvertretern im Ausschuss hergestellt wird, ist die konkret verabschiedete Regelung zu kritisieren: Sie taugt nur für die spezifische Machtkonstellation der 15. Wahlperiode. Daher wird eine Neuregelung vorgeschlagen und ein Ausblick auf die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgericht gegeben. (ZParl, 34. Jg, H. 1, S. 33 – 41)
Rauber, David N.: Überhangmandate – keine Überraschungen (mehr).
Die verfassungsrechtliche Hinnehmbarkeit und wahlrechtliche Ausgestaltung von Überhangmandaten standen wiederholt auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hielt sie in relativ weit gesteckten Grenzen für akzeptabel, aber in „Überhangländern“ nicht nachfolgefähig, solange der Überhang besteht. Diese Entscheidung wird verständlich, wenn man Überhangmandate als nur durch die Wahl mit der Erststimme legitimiert und nicht auch durch das Zweitstimmenwahlergebnis getragen ansieht. Eine Konstante der wahlprüfungsrechtlichen Judikatur des Gerichts bleibt dabei außen vor: die Stabilisierung der einmal geschaffenen Zusammensetzung des Bundestags mit dem Ziel der Sicherung seiner Funktionsfähigkeit. Die zentrale Parlamentsfunktion der Regierungsbildung wurde seit 1994 durch Überhangmandate dergestalt verstärkt, dass außer Großen Koalitionen Bündnisse einer großen mit einer kleinen Partei möglich wurden. Das spricht dafür, durch eine Änderung des Wahlgesetzes Überhangmandaten dergestalt Bestand zu verleihen, dass Wahlkreisabgeordnete künftig durch ebenfalls im Wahlkreis gewählte Ersatzbewerber ersetzt werden. Auf diese Art und Weise würden die Mehrheitsverhältnisse stabilisiert und das Wahlsystem hinsichtlich der Wahl in Wahlkreisen bei gleichbleibender Grundstruktur verfassungskonform verbessert werden. (ZParl, 34. Jg., H. 1, S. 116 – 122)
Rütters, Peter: Daten zur Sozialstruktur des Saarländischen Landtags 1947 bis 1999.
Daten zur Sozialstruktur sind für die deutschen Landtage nach wie vor nur schwer erhältlich. Diese Lücke wird hier für das Saarland wenigstens teilweise geschlossen, auch wenn die geringe Zahl der Abgeordneten im Saarland – das der kleinste Flächenstaat der Bundesrepublik ist und mit 50 bzw. 51 Mitgliedern den kleinsten Landtag besitzt – die Aussagefähigkeit quantitativer Analyse begrenzt. In tabellarisch komprimierter Form werden Grunddaten zusammengestellt und mit einigen Interpretationsangeboten versehen. Im einzelnen handelt es sich um Daten zur Dauer der Parlamentsmitgliedschaft, zu Schulabschlüssen, zur Berufs- und Altersstruktur und zur Geschlechterzusammensetzung des Parlaments. Soweit es möglich und sinnvoll schien, umfassen die Tabellen Daten für den Zeitraum von 1947 bis 1999 (1.-12. Wahlperiode), wobei erst seit der dritten Wahlperiode mit Anschluss des Landes an die Bundesrepublik Parteienverbote entfielen und somit in fast allen dokumentierten Kategorien deutliche Brüche zu verzeichnen sind. (ZParl, 34. Jg., H. 1, S. 95 – 115)
Sauer, Gustav W.: Zur proportionalen Wahlauswertung bei Zweistimmenwahlsystemen ohne Überhangmandate.
Wahlsysteme mit deren Auswertealgorithmen in Landtags- und Bundestagswahlen sind oftmals mit erstaunlichen Inkonsistenzen behaftet. So führen Höchstzahl- und Quotenverfahren dazu, dass je nach Stimmenverhältnissen Parteien Mandate verlieren oder hinzugewinnen, ohne dass dies aus einer Proportionalzuteilung nachvollziehbar wäre. Das hier präsentierte Zweistimmenmodell sieht zum einen Direktmandate vor und teilt die Zweitstimmen strikt proportional zu, indem nach Dezimalresten abgeschnitten wird. Außerdem erübrigen sich durch eine linear-komplementäre Kopplung von Direkt- zu Zweitstimmenmandaten die Überhangmandate. Ein internationaler und nationaler Vergleich von Parlamentsgrößen zeigt des weiteren, dass Bundes- und Landesparlamente mehrheitlich überdimensioniert sind. Da das vorgestellte Modell erlaubt, je nach Wahlbeteiligung die Zweitstimmenmandate relational zu reduzieren, könnte damit den Parlamenten auch ein Sparbeitrag abverlangt werden. (ZParl, 34. Jg., H. 1, S. 146 – 165)
Unruh, Peter: Partei und Mandat: Probleme der Listennachfolge. Zum Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 2. Juli 2001.
Das System der personalisierten Verhältniswahl, das dem bundesdeutschen Wahlrecht auf der Bundes-, der Landes- und der Kommunalebene zugrunde liegt, enthält regelmäßig Vorschriften über den Ausschluss von der Listennachfolge bei einem Ausscheiden des potentiellen Nachrückers aus der Partei, die den Wahlvorschlag erstellt hat. Ein Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 2. Juli 2001 gibt Anlass, erneut und vertieft den Anwendungsbereich und die Verfassungsmäßigkeit derartiger „Parteiklauseln“ zu diskutieren. Im Ergebnis sind diese erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. So verstoßen sie nicht nur gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 S.1 GG), sondern auch gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Selbst wenn die Verfassungsmäßigkeit der Parteiklauseln unterstellt würde, so müsste aus ihrem Anwendungsbereich jedenfalls die Parteispaltung, das heißt die formale Auflösung der Ursprungspartei bei gleichzeitiger Gründung neuer politischer Gruppierungen, ausgesondert werden. Diesen Maßstäben wird das Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts jedenfalls nicht in vollem Umfange gerecht. (ZParl, 34. Jg., H. 1, S. 166 – 186)
Werz, Nikolaus und Jochen Schmidt: Die mecklenburg-vorpommersche Landtagswahl vom 22. September 2002: Bestätigung der rot-roten Koalition mit Gewinnern und Verlierern.
Mit der Wahl zum vierten Landtag in Mecklenburg-Vorpommern wurde gleichzeitig über die erste rot-rote Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik abgestimmt. Da SPD und PDS die Fortsetzung ihrer Koalition angekündigt hatten und andere Regierungskonstellationen kaum realistisch erschienen, stand vor allem die Frage im Mittelpunkt, welche der beiden Parteien als Gewinner aus der Wahl hervorgehen würde. Mit über 40 Prozent der Stimmen wurde die SPD klarer Sieger, die CDU konnte nur leicht zulegen, und die PDS erlebte einen tiefen Absturz in der Wählergunst. Wie erwartet blieb den kleineren Parteien erneut der Einzug in den Landtag verwehrt; dabei verfehlte die FDP nur knapp die Fünfprozenthürde. Die seit 1990 zu beobachtenden regionalen Muster blieben auch bei dieser Wahl erhalten. Im Unterschied zu 1998 bauten SPD und CDU ihre Hochburgen aus, die PDS verlor dagegen in ihren Hochburgen am stärksten. Insgesamt ist festzustellen, dass es aufgrund der gleichzeitig durchgeführten Bundestagswahlen wiederum bundespolitische Faktoren waren, die den Wahlausgang beeinflussten. Nach weitgehend reibungslosen Koalitionsverhandlungen machten schon die ersten Wochen der Regierungsarbeit deutlich, dass das Verhältnis zwischen den Koalitionspartnern in dieser Legislaturperiode stärker von Konflikten geprägt sein wird. (ZParl, 34. Jg., H. 1, S. 60 – 79)