Brunsbach, Sandra: Machen Frauen den Unterschied? Parlamentarierinnen als Repräsentantinnen frauenspezifischer Interessen im Deutschen Bundestag.
Ein steigender Frauenanteil im Parlament wird häufig mit der Erwartung einer stärkeren inhaltlichen Vertretung frauenspezifischer Interessen in der Politik verknüpft. Dieser vermeintliche Zusammenhang zwischen deskriptiver und substantieller Repräsentation wird anhand eines Vergleichs der 11. und 15. Wahlperiode des Deutschen Bundestages untersucht. Eine Analyse von Abgeordnetenbefragungen und Ausschussprotokollen zeigt, dass Parlamentarierinnen in beiden Legislaturperioden eine größere substantielle Repräsentationsleitung erbringen als ihre männlichen Kollegen. Dennoch resultiert aus der im Zeitverlauf erfolgten Verdopplung des Frauenanteils im Gesamtparlament und in nahezu allen Fraktionen kein klar zu konstatierendes Plus an substantieller Repräsentation. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 3 – 24]
Davidson-Schmich, Louise K. und Isabelle Kürschner: Stößt die Frauenquote an ihre Grenzen? Eine Untersuchung der Bundestagswahl 2009.
Die Bundesrepublik Deutschland wird aufgrund ihres Wahl- und Parteiensystems und dem relativ hohen Anteil von Frauen in den Parlamenten häufig als Beispiel für die Einführung, Umsetzung und Auswirkung von Regelungen zur Geschlechterquote herangezogen. Am Deutschen Bundestag lässt sich das Zusammenspiel von Parteiquoten und Parteienwettbewerb sehr gut erkennen. Die Einführung der Frauenquote hat in den 1980er und 1990er Jahren zu einem deutlichen Anstieg des Frauenanteils geführt. Doch dieser stagniert seit nunmehr einer Dekade. Somit stellt sich heute die Frage: Ist die Quote – nach anfänglich großen Erfolgen – an ihre Grenzen gestoßen? Trotz der nachgewiesenen Wirksamkeit wird immer wieder deutlich, dass diese durch unterschiedliche Gegebenheiten und Einflüsse teilweise stark eingeschränkt werden kann. Die Analyse der Bundestagswahl 2009 zeigt, dass die Parteien ihre selbst gesteckten Ziele und Anforderungen nur teilweise erfüllen. Eine Schlüsselposition kommt den Direktmandaten zu, die sich in Deutschland bisher jeglichen Quoten entziehen. Um den Frauenanteil im Bundestag zu steigern, bedarf es hier deutlicherer Vorgaben als bisher. Notwendig ist zudem eine eingehende Analyse der innerparteilichen Führungsebenen auf Kreis-, Bezirks und Landesebene, die maßgeblichen Einfluss auf die Nominierung der Kandidaten nehmen. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 25 – 34]
Holtkamp, Lars, Sonja Schnittke und Elke Wiechmann: Die Stagnation der parlamentarischen Frauenrepräsentanz – Erklärungsansätze am Beispiel deutscher Großstädte.
Nach einem starken Anstieg der Frauenrepräsentanz in bundesdeutschen Parlamenten kann seit einem Jahrzehnt lediglich Stagnation konstatiert werden. Die Frauenrepräsentanz hat sich in den Parlamenten durchschnittlich bei knapp einem Drittel eingependelt und eine paritätische Repräsentanz ist nicht in Sichtweite. Am Beispiel der westdeutschen Großstadtparlamente kann man mögliche Ursachen für diese Stagnation diskutieren: Empirisch kann belegt werden, dass hierfür insbesondere das Nominierungsverhalten der Parteien verantwortlich ist, während beim Wählerverhalten kein diskriminierender Effekt zu verzeichnen ist. Das Nominierungsverhalten wird empirisch wiederum maßgeblich durch die von Parteien geschaffenen Institution, insbesondere die Quoten- und Wahlrechtssysteme, beeinflusst und ist damit politisch in Richtung einer paritätischen Repräsentanz intentional gestaltbar, wie es insbesondere der Rational-Choice-Institutionalismus annimmt. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 35 – 49]
Hoecker, Beate: Politische Repräsentation von Frauen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Vergleich.
Am Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts ist Politik nach wie vor eine männliche Domäne. Während Frauen im Europäischen Parlament mit 35 Prozent noch vergleichsweise gut repräsentiert sind, beträgt die Frauenbeteiligung im Durchschnitt der 27 EU-Mitgliedstaaten auf parlamentarischer Ebene lediglich 24 Prozent, auf der Regierungsebene 27 Prozent. Von diesen Durchschnittswerten zeigen sich im Ländervergleich allerdings erhebliche Abweichungen, die zum einen die führende Rolle insbesondere der nordischen Staaten im Hinblick auf die politische Repräsentation von Frauen erneut bestätigen, zum anderen erhebliche Repräsentationsdefizite vor allem im Kreis der zwölf neuen EU-Staaten offenbaren. Die Erklärung der europaweit sehr unterschiedlichen Repräsentation von Frauen liegt im jeweiligen nationalen Mix von institutionellen, kulturellen und sozialstrukturellen Faktoren. Generalisierend lässt sich festhalten, dass eine frühe Einführung des Frauenwahlrechts, eine egalitäre Politische Kultur, Verhältniswahlrecht sowie eine hohe Frauenerwerbsquote charakteristisch sind für eine hohe legislative Vertretung von Frauen. Umgekehrt erweisen sich eine späte Einführung des Frauenwahlrechts, traditionelle Geschlechterrollenbilder und Mischwahlsysteme als typisch für Staaten mit einer niedrigen parlamentarischen Repräsentation von Frauen. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 50 – 65]
Derichs, Claudia, Hala Kindelberger und Christine Holike: Parlamentarierinnen in der islamischen Welt – untergeordnete Abgeordnete?
Parlamenten in islamisch geprägten Staaten wird meist nur eine schwache Position im politischen Entscheidungsgefüge attestiert. Sie bestehen nur zu einem Teil aus gewählten Mitgliedern und nehmen häufig keine gesetzgebende, sondern allenfalls eine beratende Funktion ein. Noch schwächer als der Einfluss der Parlamente selbst wird in aller Regel der Einfluss beurteilt, den weibliche Abgeordnete auf das parlamentarische Geschehen ausüben. Betrachtet man den Zusammenhang zwischen „Islam“ als Religion/Lebensanschauung und der politischen beziehungsweise parlamentarischen Repräsentation von Frauen in der „islamischen Welt“, kommt man – auf Basis empirischer Untersuchungen in den Regionen des Mittleren Ostens und Nordafrikas sowie Süd- und Südostasien – zu dem Befund, dass es keine eindeutige Kausalbeziehung zwischen der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung des Islam und einer mangelnden politischen Repräsentanz von Frauen gibt. Die Genderideologie eines Landes, auf der das Geschlechterverhältnis basiert, setzt sich aus zahlreichen Elementen zusammen, die historisch und kulturell verwurzelt sind und dabei oft in einer religiösen Rhetorik ihren Widerhall finden. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 65 – 81]
Schmidt, Carmen: Der historische Machtwechsel in Japan vor dem Hintergrund von Wahlrecht und Wählerverhalten.
Bei den Wahlen zum japanischen Unterhaus im August 2009 konnte die bis dahin stärkste Oppositionspartei, die Demokratische Partei Japans, die seit 1955 nahezu ununterbrochen herrschende konservative Liberaldemokratische Partei als Regierungspartei ablösen und als stärkste Fraktion in das Parlament einziehen. Für den Ausgang der Wahl war das Wahlsystem ebenso entscheidend wie die Strategie der Parteien, die Kandidatenaufstellung abzustimmen. Dealignment-Prozesse unter der Wählerschaft haben ebenfalls den Machtwechsel begünstigt. Ausschlaggebend war die Mobilisierung der unentschlossenen Wähler, weshalb mehrere Szenarien denkbar sind: So könnte sich ein alternierendes Parteiensystem etablieren, in dem den thematisch mobilisierten Wählern eine bedeutende Rolle zukommt. Allerdings ist eine Entwicklung hin zu einem echten Zweiparteiensystem unter dem geltenden Wahlrecht schwer vorstellbar. Stabile Koalitionen zwischen zwei ideologischen Lagern sind nicht erkennbar. Vielmehr sind angesichts der großen ideologischen Differenzen innerhalb der DPJ und ihrer bislang mangelnden Verankerung in der Wählerschaft auch Abspaltungen durchaus vorstellbar, wodurch neue Parteienkonstellationen und -koalitionen entstehen könnten. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 82 – 95]
Reetz, Axel: Das Baltikum: Stabilität in der Instabilität. Die fünften Parlamente in Estland, Lettland und Litauen.
Nachdem die baltischen Republiken 1991 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder unabhängig geworden waren, sind zwanzig Jahre vergangenen und turnusgemäß mehrere Parlamente gewählt worden. In diesem Zeitraum haben sich die Wahltermine jedoch gestreckt, so dass sie nach dem Beitritt zur NATO und der EU jeweils in verschiedene Kontexte fallen. Im Westen oftmals als Einheit betrachtet, zeigt sich inzwischen immer deutlicher eine große Unterschiedlichkeit. Zwar wurden die Regierungen in Estland und Lettland erstmals „wiedergewählt“, die Bildung anderer politischer Bündnisse zeigt jedoch die nach wie vor gegebene Instabilität der Parteiensysteme, in denen keine Spillover-Effekte der Integration der baltischen EU-Abgeordneten in europaweite ideologisch verortbare Parteistrukturen zu erkennen sind. In diesem Urnengang gibt es vielmehr regelmäßig Überraschungen. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 96 – 117]
Jochem, Sven: Die schwedische Reichstagswahl vom 19. September 2010 – Zur Logik einer sich auflösenden sozialdemokratischen Hochburg.
Bei der schwedischen Reichstagswahl 2010 wurde erstmals in der Nachkriegszeit eine bürgerliche Koalition an der Wahlurne bestätigt. Im Vergleich zur Wahl von 2006 ereigneten sich nur geringe Veränderungen der Mehrheitsverhältnisse. Allerdings konnten die rechtspopulistischen Schwedendemokraten in den Reichstag einziehen und damit eine bürgerliche Minderheitsregierung erzwingen. Die Sozialdemokraten, die ein rot-grünes Wahlbündnis anführten, mussten ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1920 hinnehmen; sie büßten ihre hegemoniale Position im Parteienwettbewerb ein. Die Konservative Partei etablierte sich endgültig als zweite Partei der Mitte neben der Sozialdemokratie und verfügt gegenwärtig über vorzügliche strategische Optionen im Parteienwettbewerb. Der Blockwettbewerb im schwedischen Reichstag scheint mit der Wahl 2010 vorläufig ausgesetzt zu sein. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 117 – 130]
Szabó, Máté und Ágnes Lux: Die ungarischen Parlamentswahlen 2010: Zweidrittelmehrheit, neuformiertes Parteiensystem, Konsequenzen für die Politische Kultur
Bei den Wahlen zum ungarischen Parlament 2010 hat das Partei-„Bündnis“ FIDESZ/KDNP zum ersten Mal in der post-kommunistischen Geschichte Ungarns die Zweidrittelmehrheit gewonnen. Der massive Rechtsruck wurde durch mehrere Faktoren begünstigt: den Verlust des Bürgervertrauens durch die „Lügenrede“ von 2006, die Regierungskorruption und politische Günstlingswirtschaft, die Machenschaften der Gyurcsány-Regierung sowie ihre Unfähigkeit die Wirtschaftskrise zu mildern. Die Zweidrittelmehrheit der neuen Regierung bietet die Möglichkeit zu großen Änderungen – aber auch zum Missbrauch. Angetreten mit dem Ziel die Wirtschaft zu stabilisieren, das Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen umzuformen und die nationale Einheit zu stärken, birgt viele schwierige und zweischneidige Entscheidungen mit kontraproduktiven Wirkungen in sich, so dass es zu einer politischen Destabilisierung kommen könnte. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 131 – 147]
Kurtán, Sándor und Gabriella Ilonszki: Fraktionsprofile nach den Wahlen 2010 in Ungarn: Abschottung der parlamentarischen Elite?
Die Wahlen in Ungarn 2010 werden als kritisch betrachtet, weil die beiden großen Parteien des Systemwechsels (MDF, SZDSZ) nicht wieder ins Parlament gewählt wurden, während zwei neue Parteien (Jobbik, LMP) erstmals Mandate erringen konnten. Betrachtet man die Profile der Abgeordneten im neu gewählten Parlament, dann wird das Ausmaß der Transformation sichtbar: Beinahe 50 Prozent der Abgeordneten sind neu; sie sind jünger, weniger gebildet und häufiger in Budapest geboren. Andere Tendenzen setzten sich fort: Die Zahl der Abgeordnete mit kommunalpolitischen Hintergrund und mit führenden Position innerhalb der Parteien ist weiter angestiegen. Während die Abgeordneten der neuen Parteien größtenteils Amateure sind, führen die etablierten Parteien (FIDESZ, KDNP, MSZP) ihre Ansicht über die Arbeitsweise des Parlaments weiter. Insgesamt deuten die Zahlen auf eine fortgesetzte Zentralisierung, Homogenisierung und Ämterhäufung sowie Positionsverflechtungen hin. Neben einer gewissen personellen Erneuerung lebt das Phänomen der Konzentrierung und des „Einfrierens der Elite“ weiter. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 147 – 165]
Niclauß, Karlheinz: SPD-Fraktion und Reformpolitik: Wie viel Mitsteuerung war möglich bei der Vorbereitung der Agenda 2010?
Mit der Regierungserklärung „Agenda 2010“ vom März 2003 legte Bundeskanzler Gerhard Schröder einen breit angelegten sozial- und wirtschaftspolitisches Reformentwurf vor. Die politische Umsetzung dieses Programms führte zu Regelungen, die bis heute umstritten sind. Da die Agenda im engeren Kreis des Bundeskanzleramts vorbereitet wurde, stellt sich die Frage nach der Mitwirkung des Bundestages an dieser Richtungsentscheidung. Konnten die Regierungsfraktionen den Inhalt der Agenda beeinflussen? Waren sie wenigstens über die angekündigten Reformen informiert? Eine Durchsicht der SPD-Fraktionsprotokolle zeigt, dass auf dem Gebiet der Finanzpolitik eine enge Kooperation zwischen Regierung und Fraktion stattfand. Der sozialpolitische Teil der Agenda war den Parlamentariern der führenden Regierungspartei nur in groben Zügen bekannt. Änderungen im Sozialsystem, die später zu heftigen Kontroversen führten, wurden offenbar in der Fraktion nicht diskutiert. Während die Regierungsfraktionen an der auf die Agenda folgenden Reformgesetzgebung beteiligt waren, ging die Initiative zum Politikwechsel allein von der Regierungsspitze aus. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 166 – 185]
Strohmeier, Gerd: Die Geister, die Karlsruhe rief – Eine Replik auf die Beiträge zur Wahlsystemreform in Heft 2/2010 der ZParl.
In Heft 2/2010 der ZParl sind verschiedene Vorschläge zur Wahlsystemreform diskutiert worden, die den Effekt des inversen Erfolgswerts in unterschiedlicher Weise zu beheben versuchen und dabei unterschiedliche „Nebenwirkungen“ erzeugen. In dem Beitrag werden die verschiedenen Modelle systematisiert sowie deren verfassungsrechtliche und politische Konsequenzen diskutiert. Dabei werden die aktuellen Vorschläge zur Wahlsystemreform in zwei Lager unterteilt: ein Lager, das an Listenverbindungen festhält, und ein Lager, das auf Listenverbindungen verzichtet. Anschließend wird gezeigt, dass Reformalternativen, die an Listenverbindungen festhalten, mit nicht zu vernachlässigenden ungewünschten Nebenwirkungen behaftet oder überhaupt nicht geeignet sind. Schließlich wird, um die Struktur des bestehenden Wahlsystems bestmöglich zu erhalten und dessen Mechanismen mit Gewissheit um den Effekt des inversen Erfolgswerts zu korrigieren, ohne dabei allzu große und ungewünschte Nebenwirkungen zu erzeugen, eine Wahlsystemreform empfohlen, die auf Listenverbindungen verzichtet. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 186 – 193]
Holtmann, Everhard: Direkt gewählte Ministerpräsidenten – eine kritische Folgenabschätzung der von Frank Decker in Heft 3/2010 der ZParl veröffentlichten Überlegungen.
Der Beitrag setzt sich kritisch auseinander mit dem in der ZParl 4/2010 veröffentlichten Überlegungen FrankDeckers, auf der Länderebene die Direktwahl der Ministerpräsidenten einzuführen. Ein erster Einwand gegen diesen Vorschlag lautet: Wenn die in der Direktwahl von (Ober-)Bürgermeistern zum Ausdruck kommende Präsidentialisierung der kommunalen Ebene, wie bei Decker, als Analogiefall herangezogen wird, dann ist auch die Abschaffung der Sperrklausel für Landtagswahlen zwingend – folgt man der Logik des Bundesverfassungsgerichts, das eben diesen Zusammenhang zwischen Direktwahl der Gemeindespitze und kommunaler Sperrklausel hergestellt hat. Des Weiteren werden Konsequenzen für die Funktionsfähigkeit des Landesparlamentarismus und der Praxis des Regierens aufgezeigt, die aus einer Direktwahl des Ministerpräsidenten resultierten: ein höheres Blockadepotential in der Interaktion künftig getrennter Gewalten, das Erfordernis einer parlamentarischen Parallelbürokratie sowie ein mutmaßlich nachteiliger Effekt für den demokratischen Parteienstaat. [ZParl, 42. Jg., H. 1, S. 194 – 205]