Abstracts 1/2014 deutsch

 

Behnke, Joachim: Das neue Wahlgesetz im Test der Bundestagswahl 2013.

Das neue Wahlgesetz ist gegenüber dem alten Wahlgesetz, wie es zum Beispiel bei der Wahl 2009 angewandt wurde, in vielerlei Hinsicht eine Verbesserung. Insbesondere wurde durch den Ausgleich das Problem der Überhangmandate und die damit einhergehende Verzerrung des Proporzes gelöst. Andererseits aber wurden neue Probleme geschaffen, die zwar nicht verfassungswidrig sein mögen, aber schwerwiegend genug sind, um das Design als misslungen zu betrachten. Einer der schwerwiegendsten Mängel des neuen Gesetzes besteht in einer so genannten Verfahrensrendite, das heißt, einer unnötigen Vergrößerung des Bundestags, die durch keine substanziellen Gründe gerechtfertigt werden kann. Des Weiteren kann es dazu kommen, dass einzelnen Landeslisten in der Endverteilung Mandate fehlen, die erst den Sitzanspruch begründet haben, auf den sich der Ausgleich stützt. Dies führt zu einem Widerspruch in der normativen Begründung des Ausgleichs. Er selbst beinhaltet unter bestimmten Umständen die Gefahr einer dramatischen Vergrößerung des Parlaments. Schließlich kommt es im Rahmen des Ausgleichs auch im neuen Wahlgesetz zu einem absoluten negativen Stimmgewicht. Damit aber erweist sich das neue Wahlgesetz anderen Alternativen endgültig als eindeutig unterlegen. [ZParl, 45. Jg., H. 1, S. 17 – 37]

 

Maier, Jürgen, Thorsten Faas und Michaela Maier: Aufgeholt, aber nicht aufgeschlossen: Wahrnehmungen und Wirkungen von TV-Duellen am Beispiel von Angela Merkel und Peer Steinbrück 2013.

Auch bei der Bundestagswahl 2013 war das TV-Duell zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU/CSU) und ihrem Herausforderer Peer Steinbrück (SPD) das wichtigste Wahlkampfereignis. Mit Hilfe von Experimental- und Real-Time-Response-Daten wird gezeigt, dass insbesondere Steinbrück von dem TV-Duell profitieren konnte. Aus Sicht der Zuschauer konnte er nicht nur – entgegen aller Erwartungen – die Debatte für sich entscheiden, sondern auch sein Image verbessern. Demgegenüber haben sich die Einstellungen zu Merkel verschlechtert, so dass per Saldo Steinbrück seinen Rückstand auf die Kanzlerin verkürzen (wenn auch keineswegs gänzlich wettmachen) konnte. Dieser für Steinbrück positive Effekt lässt sich auch noch einige Tage nach dem Duell nachweisen. Die Ergebnisse für das TV-Duell 2013 decken sich mit Befunden zu früheren Fernsehdebatten und belegen, dass solche Live-Diskussionen erhebliche Effekte auf die politischen Einstellungen und Verhaltensabsichten von Rezipienten haben können. [ZParl, 45. Jg., H. 1, S. 38 – 54]

 

Anders, Lisa: Wen ku?mmert schon Europa? Europa als Wahlkampfthema bei der Bundestagswahl 2013.

Die Krise des Euroraums hat die Entscheidungsfindung im europäischen Mehrebenensystem intergouvernementaler und hierdurch die mittelbare Repräsentation der Unionsbürger durch die nationalen Regierungen relevanter werden lassen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Rolle die Europapolitik im Bundestagswahlkampf 2013 gespielt hat. Wurde die Europapolitik im Wahlkampf 2013 vernachlässigt beziehungsweise gezielt depolitisiert oder haben die Parteien den Wählern zu europapolitischen Sachfragen erkennbare politische Alternativen geboten? Die durchgeführte Inhaltsanalyse dreier Printmedien liefert keinen Hinweis für eine gezielte Depolitisierung europapolitischer Themen. Sie zeigt vielmehr, dass die Politiker die Europapolitik auch in der heißen Wahlkampfphase thematisierten und hierbei zu verschiedenen Fragen der Europapolitik durchaus unterscheidbare Positionen medial vermitteln konnten. Insbesondere gilt dies für die Positionen der Regierungsparteien, die in den Printmedien wesentlich häufiger zu finden waren als die der Oppositionsparteien. [ZParl, 45. Jg., H. 1, S. 55 – 72]

 

Niedermayer, Oskar: Aufsteiger, Absteiger und ewig „Sonstige“: Klein- und Kleinstparteien bei der Bundestags­wahl 2013.

Bei der Bundestagswahl 2013 gaben 15,7 Prozent der Wähler ihre Stimme einer der nach der Wahl nicht im Bundestag repräsentierten Parteien. Der Beitrag betrachtet diese Klein- und Kleinstparteien näher. Er setzt sich mit den Definitionsproblemen auseinander, stellt eine Typologie dieser Parteien vor und diskutiert ihre Erfolgs- beziehungsweise Misserfolgsbedingungen, die auf der Angebots- und Nachfrageseite sowie unter den Rahmenbedingungen des politischen Wettbewerbs zu finden sind. Neben einem Überblick über alle an der Wahl teilnehmenden Klein- und Kleinstparteien wird das Analyseraster dazu verwendet, zu erklären, warum die FDP zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt hat, warum die Piraten ihre regionalen Erfolge nicht auf die Bundesebene übertragen konnten, warum die Freien Wähler sich auf der Bundesebene nicht etablierten und warum die Alternative für Deutschland kurz nach ihrer Gründung fast in den Bundestag einzog. [ZParl, 45. Jg., H. 1, S. 73 – 93]

 

Schmitt-Beck, Rüdiger: Euro-Kritik, Wirtschaftspessimismus und Einwanderungsskepsis: Hintergründe des Beinah-Wahlerfolges der Alternative für Deutschland (AfD) bei der Bundestagswahl 2013.

Eine der größten Überraschungen am Wahlabend der Bundestagswahl 2013 war das gute Abschneiden der Alternative für Deutschland (AfD), einer Partei, die erst ein gutes halbes Jahr vor der Wahl gegründet worden war und dennoch nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde und damit den Einzug in den Bundestag verfehlte. Auf Basis einer im Rahmen der German Longitudinal Election Study (GLES) zur Bundestagswahl 2013 durchgeführten Rolling Cross-Section/Panel-Umfrage untersucht der Beitrag die Wahlentscheidungen für die AfD. Die Befunde lassen darauf schließen, dass sich die Unterstützung aus zwei Quellen speiste – einer kleineren Gruppe von Wählern, die sich schon frühzeitig aufgrund ihrer Euro-kritischen Haltung auf die AfD festlegten, und einer größeren Gruppe von Spätentscheidern, die von der einwanderungskritischen Wahlwerbung der Partei angezogen wurde. [ZParl, 45. Jg., H. 1, S. 94 – 112]

 

Jesse, Eckhard: Die Bundestagswahl 2013 im Spiegel der repra?sentativen Wahlstatistik.

Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor der einzige Staat der Welt, der eine repräsentative Wahlstatistik hat, die Wahlbeteiligung und Wahlverhalten nach Alter und Geschlecht exakt ermittelt. Das Wahlgeheimnis wird dadurch nicht verletzt. Die Wahlbeteiligungsquote der Frauen (72,1 Prozent) liegt nur deshalb knapp hinter derjenigen der Männer (72,7 Prozent), weil die männlichen Wahlberechtigten ab 70 Jahren (79,9 Prozent) weitaus stärker von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten als die weiblichen Wahlberechtigten, der selben Altersgruppe (71,3 Prozent). Die Union wurde bei der Bundestagswahl 2013 von 44,3 Prozent der Frauen und „nur“ von 38,6 Prozent der Männer gewählt. Hingegen ist die SPD eher eine „Männerpartei“ (26,6 zu 25,0 Prozent). CDU/CSU und die SPD gewannen in allen Altersgruppen, während die Linke, die Grünen und die FDP verloren. Das Scheitern der Liberalen und der Alternative für Deutschland an der Fünf-Prozent-Hürde lag an den Frauen (FDP: 4,1 Prozent, AfD: 3,6 Prozent). Nur 27,4 Prozent der Zweitstimmenwähler der FDP gaben ihre Erststimme dem Wahlkreiskandidaten „ihrer“ Partei (AfD: 30,0 Prozent). Insgesamt ging das Stimmensplitting gegenüber 2009 um 3,4 Prozentpunkte auf 23,0 Prozent zurück. [ZParl, 45. Jg., H. 1, S. 113 – 127]

 

Rigoll, Dominik: Grenzen des Sagbaren. NS-Belastung und NS-Verfolgungserfahrung bei Bundestagsabgeordneten.

Die Parlamentarismusforschung hat sich mit der Frage, inwieweit im Bundestag über die individuelle NS-Belastung beziehungsweise NS-Verfolgungserfahrung gesprochen werden konnte, noch nicht systematisch auseinandergesetzt, und dies obwohl die Zeitgeschichtsschreibung der letzten Jahre immer wieder gezeigt hat, wie wichtig die Unterscheidung verschiedener Erinnerungs- und Erfahrungsgemeinschaften für das Verständnis der deutsch-deutschen Nachkriegsgesellschaft ist. Die dem Beitrag zugrunde liegenden Hypothesen basieren auf Stichproben, die im Rahmen einer Studie zur Geschichte der „streitbaren Demokratie“ angestellt wurden. Sie lauten, dass individuelle NS-Erfahrungen zwar einen Einfluss auf das Debattierverhalten hatten. Jedoch vermied man es in der Regel, offen von der Existenz dieser Einflüsse zu sprechen. Stattdessen verwandten die Abgeordneten abstrakte Topoi, die der Debatte an historischer Sprengkraft nahmen. Selbst wenn die Abgeordneten über die „Lehren aus Weimar“ debattierten, zählten nicht so sehr reale Erlebnisse und Erfahrungen, und auch nicht das, was sie bis 1945 gedacht und getan hatten. Vielmehr argumentierten sie entlang eines verallgemeinerbaren Erlebnis- und Erfahrungskanons. Durch diese Dosierung biographischer Informationen konnten Schlammschlachten vermieden und die Zusammenarbeit möglich werden. [ZParl, 45. Jg., H. 1, S. 128 – 140]

 

Peitz, Detlef: Gerhard Herrgesell: Vom SS-Richter zum Parlamentsstenografen. Zugleich ein Beitrag zu den Anfängen der Bundestagsverwaltung.

Die Dokumentation von parlamentarischen Sitzungen ist für die Herstellung von Transparenz in einer Demokratie unerlässlich und ureigenste Aufgabe der Parlamentsstenografen. Aufgrund der für diesen Beruf erforderlichen Spezialisierung war es unumgänglich, beim Wiederaufbau der Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg auch auf Stenografen zurückzugreifen, die an herausgehobener Position während der NS-Zeit tätig waren. So waren allein zehn in den letzten Kriegsjahren im Zentrum der Kriegsmaschine, dem so genannten Führerhauptquartier, im Einsatz, um die militärischen Lagebesprechungen wortgenau zu protokollieren. Einer von ihnen war Gerhard Herrgesell, der zuvor als SS-Richter tätig war. Nach längerer Internierung arbeitete er im Parlamentarischen Rat und in der Bundestagsverwaltung und wurde 1968 wie vier weitere Stenografen aus dem Führerhauptquartier vor ihm Leiter des Stenografischen Dienstes des Deutschen Bundestages. Herrgesell sticht dadurch hervor, dass er in den Jahren 1944/45 die Initiative gegen unrechtmäßiges Vorgehen von SS und Militär ergriff, den Amerikanern einen entscheidenden Hinweis zur Auffindung der Protokolle der Lagebesprechungen gab und sich 1985 auch als einziger Stenograf öffentlich zu seiner früheren Tätigkeit äußerte. Er vermied dabei jedoch wie auch die meisten seiner Kollegen jegliche Reflexion über die Erfahrungen in der NS-Zeit. Wohl auch dadurch, dass eine Reihe von personellen Weichenstellungen im Stenografischen Dienst des Bundestages von Beziehungen zu Weggefährten aus der NS-Zeit geprägt war, konnte sich hier eine Art Schweigekartell etablieren. [ZParl, 45. Jg., H. 1, S. 141 – 157]

 

Wineroither, David M. und Gilg Seeber: Die o?sterreichische Nationalratswahl vom 29. September 2013: Das Ende Großer Koalitionen in Sicht.

Die Nationalratswahl 2013 ließ die Reihenfolge der etablierten Parteien unverändert, die Spitze allerdings zusammenrücken: Sozial- und Christdemokraten verzeichneten nach den starken Verlusten vor fünf Jahren dieses Mal moderate Verluste. Beide Regierungspartner hatten auf einen konventionellen Zielgruppenwahlkampf gesetzt, um Stammwähler zu mobilisieren. Die Freiheitlichen, die erneut eine harte Linie gegenüber Migranten propagierten, gewannen deutlich hinzu. Gravierende Veränderungen prägen das Bild auf Ebene der Klein- und Mittelparteien: Jörg Haiders Gründung, das BZÖ, verfehlte den Wiedereinzug in den Nationalrat. Während die Grünen kaum vom Protest gegen die Regierungsparteien und ihrem Image als Korruptionsaufdeckerin profitierten, gelang den liberalen NEOS auf Anhieb der Einzug ins Hohe Haus. Die bereits als Fraktion etablierte Protestbewegung des Multimillionärs Frank Stronach schaffte ebenfalls den Sprung über die bundesweite Vier-Prozent-Hürde, womit eine Wahl erstmals sechs Parteien in den Nationalrat beförderte. Das Wahlergebnis stellte die Weichen in Richtung einer erneuten Zusammenarbeit von SPÖ und ÖVP: Sie beschreibt als Große Koalition die einzige Zweiervariante, die über eine absolute Mandatsmehrheit verfügt. Das Kabinett Faymann II wurde Mitte Dezember vereidigt. [ZParl, 45. Jg., H. 1, S. 158 – 174]

 

Hilmer, Richard und Stefan Merz: Die Bundestagswahl vom 22. September 2013: Merkels Meisterstück.

Die Bundestagswahl 2013 hatte einen eindeutigen Sieger: CDU und CSU übersprangen zum ersten Mal seit 1994 wieder die 40-Prozent-Marke und verpassten die absolute Mehrheit nur knapp. Dank starker Zugewinne im ganzen Land und allen Bevölkerungsgruppen präsentiert sich die Union wieder als echte Volkspartei. Den Sieg verdankt sie in erster Linie Angela Merkel, die als Kanzlerin auf internationalem Parkett glänzte, deren Euro-Krisenmanagement überzeugte, und die es verstand, gesellschaftliche Konflikte wie etwa um Atomkraft und Mindestlohn zu entschärfen. Ihr Koalitionspartner, die FDP, konnte dagegen die 2009 geweckten hohen Erwartungen zu keinem Zeitpunkt erfüllen und wurde deshalb von den Wählern abgestraft. Zum ersten Mal sind die Liberalen nicht mehr im Bundestag vertreten. Von den Oppositionsparteien legte einzig die SPD leicht zu, blieb aber weit unter ihren Erwartungen. Ihr Wahlkampf begann holprig, ihr Spitzenkandidat, Peer Steinbrück, agierte bisweilen unglücklich und ihr programmatisches Versprechen von mehr sozialer Gerechtigkeit blieb angesichts einer verbesserten wirtschaftlichen Stimmungslage am Ende wirkungslos. Die Grünen verspielten mit einem Wahlkampf jenseits ihres Markenkerns ihr zuvor lang anhaltendes Stimmungshoch. Mit einem Bündel an Steuererhöhungen, einem Veggie-Day und einer Pädophiliedebatte verprellten sie bürgerliche Wähler und verunsicherten ihre Stammklientel. Am Ende landeten die Grünen sogar knapp hinter der Linken, die dank ihres starken Spitzenkandidaten Gregor Gysi, die befürchteten großen Verluste eindämmen konnte. Ausdruck einer ungebremst hohen Volatilität ist auch das gute Abschneiden der kleinen Parteien, von denen die AfD nur knapp die Mandatsschwelle verpasste. Da im neuen Vier-Parteien-Parlament eine Koalition aus Rot-Rot-Grün ausschied, führte die Union als klarer Wahlsieger Sondierungsgespräche mit SPD und Grünen. Eine erste schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene schien jedoch sowohl den Grünen als auch der CSU zu riskant. Nach langen Verhandlungen und dem Votum der SPD-Mitglieder – ein Novum in der Wahlgeschichte – wurde drei Monate nach der Wahl eine Große Koalition unter Führung von Angela Merkel und Sigmar Gabriel gebildet. [ZParl, 45. Jg., H. 1, S. 175 – 206]

 

Sturm, Roland: Die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2013: lagerübergreifend und langwierig.

Die Regierungsbildung 2013 war in mehrfacher Weise innovativ. Sie etablierte eine neue Art des formalisierten Entscheidungsverfahrens im Dreischritt: Sondieren, Verhandeln und für die SPD: Mitgliederbefragung. Neu war auch das umfassende Einbeziehen aller relevanten Bundes- und Landesvertreter und einer Kommunalpolitikerin der verhandelnden Parteien. Die Politikblockade, die der lange Verhandlungsweg für den Bundestag bedeutete, wurde mit der Einrichtung eines neuen Ausschusstypus, dem Hauptausschuss, (erfolglos) zu überbrücken versucht. Hauptgrund für die Rekordzeit, die die Koalitionsbildung in Anspruch nahm, war die Notwendigkeit, die Grenzen der politischen Lager aus dem Wahlkampf zu überwinden. Um dennoch die Identität der politischen Partner zu wahren, wurde auf einen rational scheinenden Deliberationsprozess gesetzt. Dieser produzierte einen umfangreichen Koalitionsvertrag, dessen Relevanz schon in den ersten Tagen der Großen Koalition auf dem Prüfstand stand. [ZParl, 45. Jg., H. 1, S. 207 – 230]

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