Jesse, Eckhard: Die sächsische Landtagswahl vom 31. August 2014: Zäsur für das Parteiensystem nach der zweiten nicht großen „Großen Koalition“?
Der Ausgang der Wahl zum sechsten sächsischen Landtag führte wie 2004 zu einer Koalition einer starken Union mit einer schwachen SPD unter Ministerpräsident Stanislaw Tillich, dem nunmehr dienstältesten Chef einer Landesregierung. Die Parteien setzten im Wahlkampf auf die „sächsische Karte“. Eine Wechselstimmung fehlte, wobei die CDU, die große Regierungspartei, deutlich besser bewertet wurde als ihr kleiner Koalitionspartner, die FDP. Ein arithmetisch mögliches schwarz-grünes Bündnis scheiterte vor allem an den Grünen. Während mit der FDP und der NPD zwei Parteien nach einem Jahrzehnt parlamentarischer Tätigkeit nicht mehr in den Landtag einzogen, gelang dies der erstmalig antretenden Alternative für Deutschland aus dem Stand heraus. Damit könnte diese Landtagswahl eine Zäsur auch für das politische System Deutschlands bedeuten. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 1, S. 3 – 20]
Niedermayer, Oskar: Die brandenburgische Landtagswahl vom 14. September 2014: Die Linke wird abgestraft, bleibt aber Regierungspartei.
Die Kampagne zur brandenburgischen Landtagswahl geriet zum ‚Kuschelwahlkampf‘, da die Regierung konfliktträchtige Bereiche schon vorher entschärft hatte und weder Die Linke noch die CDU ihren gewünschten Koalitionspartner SPD hart angingen. Dies trug wesentlich zum Sinken der Wahlbeteiligung auf das Rekordtief von 47,9 Prozent bei. Der Spitzenkandidat der SPD und amtierende Ministerpräsident Dietmar Woidke lag in der Wählersicht in allen Belangen deutlich vor seinen Herausforderern; seiner Partei trauten die Wähler bei allen relevanten Themenbereichen am meisten zu. So gewann die SPD die Wahl mit 31,9 Prozent. Die CDU rückte mit 23 Prozent auf den zweiten Platz vor, während Die Linke auf den dritten Platz zurückfiel. Die AfD erreichte 12,2 Prozent, die Grünen 6,2 Prozent, die BVB/Freie Wähler erhielten drei Mandate und die FDP schied mit 1,5 Prozent aus dem Landtag aus. Die SPD führte mit der CDU ernsthafte Sondierungsgespräche, entschied sich dann aber für die Fortführung der Koalition mit der Linken. Dietmar Woidke wurde zum Ministerpräsidenten gewählt, die SPD erhielt sechs, Die Linke drei Ministerposten. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 1, S. 21 – 38]
Oppelland, Torsten: Die thüringische Landtagswahl vom 14. September 2014: Startschuss zum Experiment einer rot-rot-grünen Koalition unter linker Führung.
Nach 24 Jahren hat 2014 die CDU erstmals in Thüringen die Macht an eine neue Koalition aus Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen verloren. Ihr Ziel, so weit an Wählerstimmen zuzulegen, dass keine Mehrheit gegen sie gebildet werden konnte, hat sie aus verschiedenen Gründen knapp verfehlt: Ein wenig polarisierter Wahlkampf, Ansehensverluste der Ministerpräsidentin Christiane Lieberknecht, ein Bedeutungsverlust der Themen, in denen sie über hohe Kompetenzwerte verfügt trugen dazu bei. Dagegen hat Die Linke, die im Wahlkampf alles auf die Karte der Personalisierung gesetzt hatte, ihr gutes Ergebnis von 2009 leicht verbessern können. Die SPD war der große Wahlverlierer und büßte ein Drittel ihrer Mandate ein. In Folge ihrer strategischen Entscheidung, die Koalitionsfrage im Wahlkampf offen zu halten, konnte sie weder einen Bilanz- noch einen Wechselwahlkampf betreiben. Dennoch kam sie in die Schlüsselposition, über die Regierungsmehrheit entscheiden zu können; legitimiert durch ein Mitgliedervotum entschied sie sich für den Machtwechsel. Die FDP ist an der Sperrklausel gescheitert, während die AfD mit über zehn Prozent ein unerwartet starkes Wahlergebnis erzielt hat, ohne damit die Mehrheitsbildung im Landtag beeinflussen zu können. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 1, S. 39 – 56]
Träger, Hendrik: Ein Vierteljahrhundert Wahlen in Ost und West (1990 – 2014): regionale Unterschiede und Gemeinsamkeiten.
Im Osten stellt Die Linke seit 2014 einen Ministerpräsidenten, während sie im Westen häufig gar nicht in den Landtagen vertreten ist. Es scheint also große Unterschiede beim Wahlverhalten zwischen den neuen und den alten Ländern zu geben. Ob das tatsächlich so ist, wird für alle Bundestags-, Landtags- und Europawahlen seit 1990 untersucht. Analysiert werden die Wahlbeteiligung, die Resultate der relevanten Parteien (CSU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke/PDS, Die Republikaner, DVU, NPD) und die Volatilität, also die Wechselbereitschaft zwischen zwei aufeinanderfolgenden Urnengängen. Die Ergebnisse sind teilweise überraschend: Die Ostdeutschen sind nämlich keineswegs per se wahlmüder als die Westdeutschen; ebenso wenig votieren sie generell häufiger für rechtsextreme Parteien oder geben ihre Stimme einer anderer Partei als bei der letzten Abstimmung. Insgesamt können verschiedene regionale Unterschiede ebenso wie Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 1, S. 57 – 81]
Best, Volker: Komplexe Koalitionen, perplexe Wähler, perforierte Parteiprofile. Eine kritische Revision einiger jüngerer Befunde zur deutschen Koalitionsdemokratie und ein Reformvorschlag.
In Folge der Pluralisierung des Parteiensystems entwickeln sich Regierungsbildungen weg von tradierten Lagerkoalitionen und hin zu Großen Koalitionen oder anderen lagerübergreifenden Bündnissen. Diese Entwicklung ist aus drei Gründen problematisch: Erstens gilt die Präferenz eines Großteils der Wählerschaft und insbesondere der Anhängerschaften der einzelnen Parteien nach wie vor den Lagerkoalitionen. Folglich werden zweitens die Wahlkämpfe unter den Vorzeichen dieser Wunschkoalitionen geführt, was sich mit der Regierungsbildung aber immer weniger deckt; darin besteht ein demokratietheoretisches Problem. Drittens leiden die Parteiprofile unter den in „Koalitionen der Unwilligen“ notwendigen weitreichenden Konzessionen, wofür die beteiligten Parteien bei der Folgewahl oft abgestraft werden, bei Großen Koalitionen vor allem der Juniorpartner. Zur Revitalisierung der Lagerkoalitionen, die den Parteien eine bessere Wahrung ihrer „Markenkerne“ und den Wählern klare Auswahlmöglichkeiten bieten, wird ein Verhältniswahlsystem mit Mehrheitsprämie nach italienischem Vorbild vorgeschlagen. Ein solches wäre nicht nur schonender und zugleich effektiver als ein Mehrheits- oder Grabenwahlsystem, es entspräche auch den Interessenlagen der Parteien. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 1, S. 82 – 99]
Ley, Richard: Die Wahl von Ministerpräsidenten ohne Landtagsmandat – Überlegungen zur Änderung des Art. 52 Abs. 1 LV-NRW.
Die Einengung der Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen auf Mitglieder des Landtages hat bisher zu keinen offensichtlichen Problemen geführt. Dennoch wird derzeit die Streichung dieser Verfassungsbestimmung diskutiert. Diese Überlegung ist sinnvoll, denn das Staatsrecht muss auch auf potentielle Problemsituationen vorbereitet sein. Die Dokumentation von Fällen in den anderen Bundesländern zeigt, dass es sinnvoll ist auch in Nordrhein-Westfalen den „Suchraum“ für Ministerpräsidenten zu erweitern und die derzeitige Begrenzung der Kandidatur auf Parlamentarier aufzuheben, denn Verfassungsbestimmungen sollen für die politischen Kräfte einen möglichst großen Spielraum offen lassen und dadurch die notwendige Flexibilität für den politischen Machtprozess eröffnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Einschränkung aus den Grundprinzipien der Verfassung wie zum Beispiel dem Gedanken des Rechtsstaats und der Demokratie nicht notwendig ist. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 1, S. 100 – 116]
Reutter, Werner: Verfassungsgesetzgebung in Brandenburg.
Verfassungspolitik scheint kaum mit der Funktionslogik parlamentarischer Regierungssysteme in Einklang zu stehen. Verfassungsänderungen verlangen mindestens eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, das heißt in der Regel muss mindestens eine Oppositionsfraktion der Änderung zustimmen. Die Funktionsimperative parlamentarischer Regierungssysteme scheinen daher für solche Gesetzgebungsverfahren nicht als geeignete Erklärungsgrundlage, denn eine mehrheitsdemokratische Betrachtung wirkt wenig ergiebig. Die Analyse der Verfassungsgesetzgebung in Brandenburg zwischen 1992 und 2013 macht allerdings deutlich, dass viele Prinzipien der Mehrheitsregierung bei den verfassungsändernden Gesetzgebungsverfahren durchaus eine Rolle spielte. Auch in diesem Politikfeld prägte der „Neue Dualismus“ die Akteurkonstellationen, Inhalte und Ergebnisse. Zudem wiesen Entscheidungsverfahren im Landtag bei verfassungsändernden Gesetzgebungsverfahren keine grundlegen Unterschiede von „normalen“ Gesetzgebungsprozessen auf. So entsprach der Landtag Brandenburg als verfassungsändernder Gesetzgeber alles in allem dem Bundestag. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 1, S. 116 – 135]
Häsing, Jens und Aron Buzogány: Europäisierung des deutschen Landesparlamentarismus? Zur Rolle der Landtagsverwaltungen.
Die durch den Vertrag von Lissabon eingeführte Subsidiaritätskontrolle betrifft in Deutschland neben dem Bundestag auch den Bundesrat. Obwohl im Bundesrat die Exekutiven der Länder vertreten sind, werden die neuen Möglichkeiten auch von den Landesparlamenten zunehmend aktiv genutzt – gleichwohl gibt es aber bedeutende Unterschiede zwischen den einzelnen Landtagen. Der Beitrag weist auf die Rolle eines bislang wenig beachteten Akteurs bei der Gestaltung der Europapolitik der Landtage hin: Die als unpolitisch geltenden Parlamentsverwaltungen. Typischerweise sind europäische Themen auf der Landesebene nur wenig politisiert; zudem gibt es nur wenige Parlamentarier, die in diesem Bereich als ausgewiesene Fachpolitiker bezeichnet werden können. Unter solchen Bedingungen können „unpolitische“ Verwaltungsakteure zu einflussreichen Akteuren werden. Insofern ist die beschriebene Professionalisierung der Landtage bei der Bearbeitung von EU-Themen einschließlich einer neu entstandenen horizontalen und vertikalen Kooperationsbereitschaft der Parlamentsverwaltungen bedeutsam für ihr Rolle im europäischen Mehrebenensystem. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 1, S. 136 – 150]
Geißel, Brigitte, Martina Neunecker und Alma Kolleck: Dialogorientierte Beteiligungsverfahren: Wirkungsvolle oder sinnlose Innovationen? Das Beispiel Bürgerhaushalt.
Zu den zentralen Themen der Politikwissenschaft gehört die Suche nach effektiven und legitimen politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen. Dialogorientierte Verfahren der Bürgerbeteiligung gelten derzeit häufig als Hoffnungsträger – oder als nutzlose Augenwischerei. Am Beispiel bundesrepublikanischer Bürgerhaushalte wird gezeigt, dass dialogorientierte Verfahren als wirkungsvoll oder sinnlos bewertet werden – je nachdem welche Kriterien angelegt werden. Aus den Perspektiven der Demokratiewissenschaft sowie der unterschiedlichen, in Bürgerhaushalte involvierten Akteure wird ein vorläufiger Analyserahmen entwickelt, der eine detaillierte „Bewertung der Bewertung“ dialogorientierter Verfahren ermöglicht. Somit wird zwar keine abschließende Einschätzung zum Verfahren des Bürgerhaushalts vorgelegt, aber eine Fokussierung und Fortentwicklung von Kriterien zu dessen Bewertung vorgenommen. Ein solches multidimensionales, feinmaschiges Kriterienset wird es künftig ermöglichen, aus unterschiedlichen Evaluationen ein „Gesamtbild“ zu entwickeln. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 1, S 151 – 165]
Winkelmann, Thorsten und Jost F. Noller: Nur wenig Veränderung: Die Parlamentswahlen in Südafrika vom 7. Mai 2014.
Südafrikas fünfte demokratische Wahlen haben einen klaren Sieger hervorgebracht: Der African National Congress (ANC) hat eine klare Parlamentsmehrheit von 62,15 Prozent der Stimmen erreicht. Zugewinne konnte die liberale, wirtschaftsfreundliche Democratic Alliance (DA) verbuchen, die die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme wie auch die grassierende Korruption im Land zum Wahlkampfthema machte. Aus dem Stand erreichten die Economic Freedom Fighters (EFF) 6,35 Prozent der Stimmen. Sie befürwortet die Verstaatlichung bestimmter Industriezweige nach dem Vorbild von Hugo Chavez in Venezuela sowie eine umfassende Bodenreform, die bereits im Nachbarland Zimbabwe scheiterte. Diese Extrempositionen trugen ebenso wie die bescheidende Regierungsbilanz des ANC etwa bei der Armuts- und Kriminalitätsbekämpfung zur Polarisierung im Wahlkampf bei. Hinzu kommt, dass die südafrikanische Gesellschaft nach wie vor hochgradig fragmentiert ist, was nicht nur auf die sozio-ökonomischen Disparitäten verweist, sondern auch auf die Folgen der Apartheid. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 1, S. 166 – 182]
Geßler, Sebastian: Autonomie und institutionelle Handlungsspielräume regionaler Parteien in Katalonien, Quebec und Schottland im Vergleich.
Institutionelle Faktoren haben einen bedeutsamen Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg regionaler Minderheitsparteien. Dies zeigt sich an den Beispielen Katalonien, Quebec und Schottland und ihren Minderheitenparteien PQ, CiU und SNP. Die Ausgestaltung des Parteien- und des Wahlsystems haben dabei ebenso wie der Grad regionaler Autonomie eine wichtige Rolle für die Regierungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit der drei genannten Parteien auf regionaler Ebene gespielt. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 1, S. 183 – 204]