Hellmann, Daniel und Benjamin Höhne: Die formale Dimension der Kandidatenaufstellung: Satzungen im Parteien- und Zeitvergleich.
Satzungen bestimmen die internen Spielregeln einer Partei. Bei den Kandidatenaufstellungen geben sie Aufschluss darüber, wer dazu befugt ist, Auswahlentscheidungen zu treffen, wer kandidieren darf und welche Regeln bei den innerparteilichen Wahlen gelten. Untersuchungsgegenstände sind die Satzungen und Statuten der Bundestagsparteien CDU, CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, FDP und AfD zur Bundestagswahl 2017. Aufgrund des im internationalen Vergleich eng gesetzten rechtlichen Rahmens in Deutschland, sind viele Ähnlichkeiten zwischen den Parteien auszumachen, aber auch Unterschiede, die unter anderem auf unterschiedliche innerparteiliche Partizipationskulturen hinweisen. Differenzen wurden vor allem im Hinblick auf den Kreis der Auswahlberechtigten ausgemacht, der bei den kleineren Parteien tendenziell inklusiver ausfällt als bei den größeren. Am geringsten ist die formale Ausgestaltungsdichte bei der AfD, die aufgrund ihres jungen Alters bisher wenig Anlass zur Institutionalisierung formaler Regeln fand. In längsschnittanalytischer Perspektive ließ sich durch einen Vergleich mit den Satzungen zur Bundestagswahl 2002 beachtliche Kontinuität und nur wenig Wandel feststellen. [ZParl, 51. Jg. (2020), H. 1, S. 5 – 27]
Schindler, Danny: In den „geheimen Gärten“ der Vorauswahl. Variationen der Listenaufstellung von CDU und SPD zum 19. Deutschen Bundestag.
Zu den innerparteilichen Auswahlprozessen, die der Listenaufstellung für den Deutschen Bundestag vorangehen, liegen bisher kaum systematische Erkenntnisse vor. Sie sind allerdings von großer Bedeutung, wenn man das Geschehen auf den wahlrechtlich vorgesehenen Nominierungskonferenzen treffend beurteilen und erklären will. Vor diesem Hintergrund werden die der Listenaufstellung für die 19. Wahlperiode vorgelagerten Verfahren von CDU und SPD untersucht. Auf der Basis von Beobachtungs- und Befragungsdaten zeigt sich, dass in beiden Parteien vielstufige und vielgestaltige Selektionsmechanismen existieren, die die späteren Nominierungsentscheidungen stark vorstrukturieren und im Einzelfall auch faktisch vorwegnehmen. Den Landesparteivorständen kommt in sehr unterschiedlichem Maße (Vor-)Selektionsmacht zu und teilweise ist auch von einer Machtüberschätzung durch die auswählenden Parteimitglieder auszugehen. Die Aufstellungsverfahren erfordern insgesamt Repräsentationsleistungen auf verschiedenen Ebenen und können auch als Ausweis innerparteilicher Demokratie angesehen werden. Nachgedacht werden sollte allerdings über eine stärkere satzungsrechtliche Normierung der Vorauswahlprozeduren. Deren verbreitete Informalität geht zu Lasten der Nachvollziehbarkeit parteipolitischer Willensbildung, auch unter Parteimitgliedern und möglichen Kandidaturinteressenten. [ZParl, 51. Jg. (2020), H. 1, S. 28 – 50]
Hellmann, Daniel: Der mühselige Weg zum Mandat – aber welcher? Empirische Untersuchungen zu Inhalt und Bedeutung der Ochsentour.
Die Ochsentour, also der mühsame parteiinterne Aufstieg hin zu politischen Entscheidungspositionen, ist im allgemeinen Sprachgebrauch meist negativ konnotiert. Trotz dieser negativen Bewertung ist bislang unklar, was dieser Prozess der innerparteilichen Bewährung genau ist und wie man die Ochsentour sowohl vom Sprachbild als auch vom Inhalt her definieren könnte. Eine deskriptive Bestandsaufnahme unter Rückgriff auf Befragungsdaten des IParl zeigt, dass der Erfolg eines Bewerbers von deutlich mehr als der für die Ochsentour symptomatischen Parteimitgliedschaftsdauer abhängt. Diese dient, wie die meisten anderen untersuchten Faktoren, eher dazu, Vertrauen aufzubauen und sich gegenüber der eigenen Parteibasis zu beweisen. Insgesamt zeichnen die Daten das Bild eines flexiblen, vielseitig engagierten und der Parteibasis bekannten Kandidaten. Das Sprachbild der Tour des Ochsen passt damit nicht zu dem, was die Kandidaturbewerber tatsächlich leisten. [ZParl, 51. Jg. (2020), H. 1, S. 51 – 69]
Cordes, Malte und Daniel Hellmann: Wer ist der ideale Kandidat? Auswahlkriterien bei der Kandidatenaufstellung zum Deutschen Bundestag.
Vor der Wahl suchen die Parteimitglieder diejenigen aus, die als Kandidaten antreten. Deren Entscheidungen hängen davon ab, wie sie sich einen ‚idealen Kandidaten‘ vorstellen. Auf Grundlage einer Befragung von auswahlberechtigten Parteimitgliedern zur Bundestagswahl 2017 durch das Institut für Parlamentarismusforschung (IParl) lassen sich diese Präferenzen untersuchen. Es zeigt sich, dass es zwar kein einheitliches Idealbild gibt, aber auch keine distinkt voneinander verschiedenen Gruppen. Unterschiede treten weniger im Vergleich von Wahlkreis- und Landesebene auf, sondern eher im Parteienvergleich. Auch die Bewerber selbst nehmen die Ansprüche der Auswählenden teilweise anders war. Vermutlich haben diejenigen, die diese komplexen Ansprüche besser antizipieren können, auch bessere Chancen im parteiinternen Nominierungsprozess. [ZParl, 51. Jg. (2020), H. 1, S. 70 – 85]
Kannenberg, Oliver: „Wir gucken zuerst auf uns“ – Nur wie lange noch? Parteienwettbewerb bei der Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 2017.
Aufstieg und Etablierung der AfD haben die deutsche Parteienlandschaft in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert und die etablierten Parteien herausgefordert. Mögliche Effekte auf die Rekrutierungsfunktion der Parteien, der sie mit der Kandidatenaufstellung zu Wahlen nachkommen, wurden bisher nicht untersucht. Im Rahmen leitfadengestützter Interviews wurden Parteimitglieder auf den Aufstellungsversammlungen nach einem möglichen Einfluss der rechtspopulistischen Partei auf die Kandidatenaufstellung befragt. Es zeigen sich starke Beharrungskräfte in den etablierten Parteien, sowohl den Modus der Aufstellung betreffend als auch die dazu herangezogenen Auswahlkriterien. Die Kandidaten zur Bundestagswahl 2017 wurden trotz des veränderten Parteienwettbewerbs weit überwiegend nach innerparteilichen Kriterien ausgewählt. Der Fokus lag eindeutig auf der langfristigen Bewährung innerhalb der Partei. Dennoch sind erste Anzeichen für eine zukünftig stärkere Gewichtung der wählerbezogenen Selektionskriterien erkennbar. Dazu beitragen könnten vor allem die sinkenden Mitgliederzahlen, ein veränderter Wettbewerb um Direktmandate und eine verstärkte parteiinterne Polarisierung. [ZParl, 51. Jg. (2020), H. 1, S. 86 – 106]
Höhne, Benjamin: Mehr Frauen im Bundestag? Deskriptive Repräsentation und die innerparteiliche Herausbildung des Gender Gaps.
Die parlamentarische Präsenz von Frauen steht seit einiger Zeit verstärkt im Fokus öffentlicher Debatten. Diesen mangelt es weniger an theoretischen Argumenten, sondern eher an empirischen Erkenntnissen. Wie der „Gender Gap“ zwischen der Zusammensetzung des Deutschen Bundestages und der Bevölkerung zu erklären ist, kann anhand der Kandidatenaufstellungen aller sieben Bundestagsparteien zur Bundestagswahl 2017 analysiert werden. Bei den ermittelten Auswahlpräferenzen zeigen teils deutliche Mehrheiten fast aller Parteien (bis auf AfD) Sensibilität für eine ausgleichende Geschlechterpräsenz. In drei konsekutiven Schritten werden die Rekrutierungsetappen beginnend beim Übergang von der Gesellschaft zur Partei und endend bei der Wahl der Bundestagsabgeordneten durchleuchtet. Die Probleme der Minderpräsenz von Frauen setzen früh ein, das heißt bereits bei der Parteimitgliedschaft. Signifikante Differenzen zwischen den Geschlechtern beim innerparteilichen Engagement finden sich dagegen kaum. Bei den Nominierungsentscheidungen zeigt sich häufiger eine positive Diskriminierung von Frauen – vor allem auf den Landeslisten – , als eine negative – vor allem in den Wahlkreisen. [ZParl, 51. Jg. (2020), H. 1, S. 107 – 127]
Sturm, Roland: Sieg des konservativen Populismus. Die britischen Parlamentswahlen vom 12. Dezember 2019.
Unter den besonderen Bedingungen der innenpolitischen Auseinandersetzungen um die Zukunft Großbritanniens in der EU (Brexit), die das Land bis heute in zwei politische und gesellschaftliche Lager spalten, kam es im Dezember 2019 zu vorgezogenen Neuwahlen. Mit Boris Johnson, der zunächst seine Partei und dann die Wählerschaft überzeugte, gewann der Vertreter eines kompromisslosen Brexit-Kurses die Parlamentswahlen. Beide großen britischen Parteien setzten auf populistische Wahlkampfstrategien. Der Konservativen Partei gelang (außerhalb Schottlands und Nordirlands) ein Erdrutschsieg. [ZParl, 51. Jg. (2020), H. 1, S. 128 – 140]
Pfeiffer, Christian und Nikolaus Werz: Die spanischen Parlamentswahlen vom 28. April und 10. November 2019 und die politische Blockade.
Nachdem der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez und seine Partei Partido Socialista Obrero Español (PSOE) aufgrund einer andauernden Blockade im Parlament nicht in der Lage waren, den Staatshaushalt für das Jahr 2019 zu verabschieden, rief Sánchez Neuwahlen für Ende April 2019 aus. Die Anberaumung von Neuwahlen war nur ein weiteres Kapitel einer Blockade der spanischen Politik, die diese mittlerweile seit etwa fünf Jahren lähmt und offensichtlich tiefer liegende institutionelle sowie aus der politischen Kultur resultierende Ursachen hat. Diese Evidenz wurde in den folgenden Verhandlungen um eine Regierungsbildung nochmals untermauert, da es erneut zu keiner Regierungsbildung kam: Am 10. November 2019 mussten die vierten nationalen Wahlen innerhalb von vier Jahren abgehalten werden. Eine Analyse der nationalen Wahlen vom 28. April 2019 und 10. November 2019 kann unter anderem Gründe dieser Blockade aufzeigen. [ZParl, 51. Jg. (2020), H. 1, S. 141 – 167]
Lemmer, Daniel: Das spanische Parteiensystem von 1977 bis 2019: Veränderung oder Transformation?
Hat in Spanien von Juni 1977 bis Januar 2019 ein Wandel des Parteiensystems stattgefunden? Mit Hilfe einer Operationalisierung des Parteisystemwandels nach Smith (1989) kann untersucht werden, ob von einer begrenzten oder generellen Veränderung, je nachdem wie viele Indikatoren sich für bestimmte Gruppen von Parteien verändern, sowie von einem Wandel des Parteiensystems die Rede sein kann. Es zeigt sich, dass das spanische Parteiensystem zwischen den Jahren von 1977 bis 2015 mehrere Phasen einer begrenzten Veränderung durchlief. Trotz der darauf folgenden massiven Sitzverschiebungen und dem Anstieg des Formats bis Januar 2019 kann nur von einer (schwachen) generellen Veränderung, nicht aber von einem Wandel die Rede sein. [ZParl, 51. Jg. (2020), H. 1, S. 168 – 190]
Schüttemeyer, Suzanne S. und Anastasia Pyschny: Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 2017. Untersuchungen zu personellen und partizipatorischen Grundlagen demokratischer Ordnung.
Die im Bundestag vertretenen Parteien zählen circa 300.000 aktive Mitglieder, aus denen alle Mandatsträger, vom Gemeinderat bis zum Europäischen Parlament, rekrutiert werden. Durch den anhaltenden Mitgliederschwund der Parteien verkleinert sich zunehmend auch der Pool, aus dem die Parteien ihr politisches Personal schöpfen. Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklung und der überragenden Bedeutung der Rekrutierungsfunktion der Parteien für die Funktionsweise und den Bestand des politischen Systems wurde die Kandidatenaufstellung zum Deutschen Bundestag seit fünf Jahrzehnten nicht umfassend systematisch untersucht. Das Institut für Parlamentarismusforschung (IParl) hat sich daher vor der Bundestagswahl 2017 dieser Forschungslücke mit der Frage gewidmet, wer wen wie und warum für eine Bundestagskandidatur im Wahlkreis und auf der Landesliste auswählt und aus welchen Gründen beziehungsweise anhand welcher Kriterien Parteimitglieder ihre Entscheidungen treffen. Die Erhebungsdaten unterfüttern den Sorgenzustand: Nicht nur die personellen, sondern auch die partizipatorischen Grundlagen demokratischer Ordnung schwinden im Zeitverlauf. Obwohl die Parteien im Allgemeinen häufiger Mitgliederversammlungen durchführen, ist die Beteiligung der die Bundestagskandidaten auswählenden Parteimitglieder von CDU, CSU und SPD innerhalb von 15 Jahren um 46 Prozent gesunken. Inklusivere Verfahren stellen demnach kein Allheilmittel dar. Vielmehr müssen die Parteien auch darauf achten, dass vorhandene Beteiligungsangebote umfassend genutzt werden. [ZParl, 51. Jg. (2020), H. 1, S. 191 – 213]
Reichart-Dreyer, Ingrid: Ist der Mitgliederschwund der Parteien wirklich irreversibel? Überlegungen zur Rekrutierungs- und Repräsentationsfähigkeit von Parteien.
Parteien verbinden Gesellschaft und Staat. Sie sollen Mitglieder gewinnen, integrieren und Führungspersonal ausbilden. Gefährden die Mitgliederverluste seit 1990 die Aufgabenerfüllung der Parteien in der parlamentarischen Demokratie? Die Untersuchung zeigt an den Unterschieden zwischen den Ländern, dass die Rekrutierung mit der Zahl der Ämter in Gemeinden, Kreisen und Ländern steigt. Großstädte und Stadtstaaten verringern die Chance der Beteiligung. Mit Verwaltungsreformen sank die Zahl der Mandatsträger und mit zeitlicher Verzögerung die Zahl der Parteimitglieder. Es fällt auf, dass sich die Rekrutierungsfähigkeit der Parteien deutlich unterscheidet. Spiegeln diese Daten die innerparteiliche Organisation? Beeinflussen die in Satzungen festgehaltene Strukturen die Meinungs- und Willensbildung? Wie sieht die zur Führungsfähigkeit notwendige Verbindung zwischen den Mandatsträgern und der Partei aus? Sagen die Parteien den Menschen auch, wofür sich der Einsatz lohnt? Ein Vergleich zwischen den Parteien zeigt, wie die Rekrutierungsfähigkeit verbessert werden könnte. [ZParl, 51. Jg. (2020), H. 1, S. 214 – 233]