Arzheimer, Kai und Cornelia Weins: Zerfallen die sozialstrukturellen Bindungen an die Union – zum Beispiel in Rheinland-Pfalz?
Der Mainzer Machtwechsel von 1991 erregte besondere Aufmerksamkeit, weil er eine Jahrzehnte währende CDU-Dominanz durchbrach. Die Analyse der Sozialstrukturen und Wahlergebnisse der Landkreise zwischen 1971 und 1990 zeigt, daß sich die Vorherrschaft der CDU im Rheinland-Pfalz der siebziger Jahre auf ihre Stärke in den überwiegend katholischen Landesteilen gründete. Seither haben sich die Wahlergebnisse der Union in ihren katholischen Hochburgen dem Landesdurchschnitt angenähert. Mögen die verbliebenen Unterschiede zwar immer noch sehr gut durch die Konfessionsstruktur zu erklären sein, so ist gleichwohl ein partieller Zerfall der sozialstrukturell vermittelten Bindungen an die Union zu diagnostizieren und damit die Auflösung der katholischen Milieus als sichere CDU-Reservoirs. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 2, S. 203 ff.]
Probst, Lothar: Wer ist die PDS – zum Beispiel in Rostock?
Mit 33,2 Prozent der Wählerstimmen ist die PDS stärkste Partei in Rostock. Eine sozialwissenschaftliche Befragung ihrer Mitglieder vermittelt das Panorama einer strukturell überalterten, politisch relativ homogenen und sozial hochsensibilisierten Mitgliederschaft, die sich sehr stark mit der Partei und ihrer Führung identifiziert. Der politische Wertehorizont belegt eine starke Identifikation mit den sozialen Verheißungen des DDR-Systems und ist zugleich von einem tiefen Mißtrauen gegenüber der Wiedervereinigung und der repräsentativen Demokratie geprägt. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 2, S. 216 ff.]
Dach, R. Peter: Veröffentlichung von Wahlprognosen: keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Wahlprognosen sind im Gesamtzusammenhang der Willensbildung des Wählers zu sehen und rechtlich zu akzeptieren. Ein Veröffentlichungsverbot würde gegen die Freiheit der Meinungsäußerung desjenigen verstoßen, der veröffentlichen möchte, insbesondere aber die Informationsfreiheit des Wählers verletzen. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 2, S. 229 ff.]
Bäumler, Helmut und Lukas Gundermann: Zur Unzulässigkeit von Stasi-Abhörprotokollen vor Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen.
Beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR werden die Protokolle von Telefongesprächen westdeutscher Politiker aufbewahrt, die die Stasi abgehört hat. Ihre Verwendung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse verlangt die Beachtung von Art. 10 GG. Aus dem Stasi-Unterlagengesetz ergibt sich überdies, daß die Informationen nicht zum Nachteil der Abhöropfer verwendet werden dürfen. Das Amtsgericht und das Landesgericht Kiel untersagten dem sogenannten „Schubladen-Untersuchungsausschuß“ des Kieler Landtages die Nutzung von Stasi-Abhörprotokollen. Der Gesetzgeber sollte die Vorschriften zur Nutzung von Stasi-Unterlagen durch parlamentarische Untersuchungs-ausschüsse präzisieren. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 2, S. 236 ff.]
Rieken, Marion und Andrea Römmele: Erste Wirkungen der neuen Parteienfinanzierung?
Nicht zuletzt auf Verlangen des Bundesverfassungsgerichtes setzte das Parteiengesetz von 1994 neue Akzente: die Wahlkampffinanzierung ist auf eine allgemeine Teilfinanzierung der Parteien ausgeweitet; die öffentliche Finanzierung erfolgt nach Erfolgsparametern. Die erste Analyse der bisher vier Rechenschaftsberichte (1991 bis 1994) ergibt keine tiefgreifenden quantitativen Veränderungen. Qualitativ zeigen sich jedoch bereits im Anfangsjahr nach der Gesetzgebung deutliche Verschiebungen, die durchaus im Sinne des Bundesverfassungsgerichts auf größere Bürgernähe zielen: Kleinspenden haben an Bedeutung gewonnen, während Großspenden und Spenden juristischer Personen zurückgegangen sind. Die Mitgliedsbeiträge bleiben – trotz rückläufiger Mitgliederzahlen – stabil. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 2, S. 254 ff.]
Schaber, Thomas: Transparenz und Lobbying in der Europäischen Union. Geschichte und Folgen der Neuregelung von 1996.
Die Überlastung des Europäischen Parlaments durch Interessenvertreter hat zu einer bereits 1989 begonnenen Debatte über die Regulierung von Lobbying geführt. 1996 beschloß das Parlament eine Neuregelung der Tätigkeit der Interessenvertreter und der Offenlegung finanzieller Interessen der Parlamentarier. Die Regelung führt einen Verhaltenskodex für Lobbyisten sowie ein Register ein, in dem Interessengruppen sich eintragen lassen müssen. Auch die Abgeordneten müssen zukünftig bezahlte Aktivitäten offenlegen. Die Regulierungsbemühungen des Europäischen Parlaments offenbaren Konflikte, die aus unterschiedlichen nationalen und politischen Vorstellungen über Grenzen und Möglichkeiten des Lobbying sowie der Tauglichkeit von Instrumenten zu deren Regulierung erwachsen. Aufgezeigt werden die zu erwartenden Folgen der neuen Regelung. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 2, S. 266 ff.]
Marschall, Stefan: TV-Berichterstattung aus dem Parlament: in neuer Form, auch mit neuem Format?
Im April 1989 ist das stetig wachsende Angebot an Fernsehkanälen in der Bundesrepublik um den „Dokumentations- und Ereigniskanal Phönix“ erweitert worden. „Phönix“ ist das Produkt der nachgezeichneten Diskussion um ein Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages. Die Bedeutung der Fernsehberichterstattung für die parlamentarische Öffentlichkeit ist vielfach begründet. Zwei Folgeerscheinungen sind zu bedenken: Zum einen hat die hauptsächliche Wahrnehmung parlamentarischen Handelns über das Fernsehen problematische Folgen für das Bild vom Parlament und vom Parlamentarismus, zum anderen hat sich der Bundestag zunehmend den Bedingungen des Fernsehens angepaßt. Argumente pro und kontra Parlamentskanal werden einander gegenüber gestellt, Umsetzungsfragen erörtert. Bei aller Attraktivität der neuen bleibt die Parlamentsberichterstattung auf die traditionellen Kommunikationstechniken angewiesen. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 2, S. 279 ff.]
Holtz-Bacha, Christina: Hörfunk-Wahlkampagnen: einflußreich, auch einfallsreich?
Für ihre Medienkampagnen versuchen die politischen Akteure zwar gern, sich in den redaktionellen Teilen zu plazieren, wo der Werbecharakter ihres Auftretens weniger offensichtlich wird. Vieles spricht dennoch dafür, daß die Werbekampagne, insbesondere in den Funkmedien, an Bedeutung gewinnen wird; denn Wahlspots sind unbeeinflußt von redaktioneller Bearbeitung. Die Wahlspots während der niedersächsischen Kampagnen zur Landtagswahl und zur Europawahl 1994 im öffentlich-rechtlichen Hörfunk legen den Verdacht nahe, daß die Parteien die Produktion ihrer Radiowerbung eher mit geringem Aufwand betreiben und daß sie die Möglichkeiten, die ihnen der Hörfunk bietet, noch nicht erkannt haben. Zumindest die untersuchte Radiowerbung ließ einen Parteienverbund der Einfallslosigkeit erkennen. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 2, S. 294 ff.]
Stolorz, Christian: Bedrückende Entwicklungsperspektiven des Föderalismus im vereinigten Deutschland.
Der Föderalismus der Bundesrepublik ist von binnenstaatlicher wie von europäischer Ebene wachsenden Gefahren ausgesetzt. Sieben Entwicklungsstränge der Deformierung deutscher Bundesstaatlichkeiten sind auszumachen. Sie begründen zugleich die Unfähigkeit zum Wandel. Das bedrückende Fazit: Aus eigener Kraft werden die Bundesländer nicht zur gebotenen grundlegenden Reform des Föderalismus fähig sein, insbesondere nicht zur unumgänglichen Neugliederung. Sieben konkrete Maßnahmen sollten eine Neugliederung befördern – zum Beispiel die Schaffung eines Datenrasters als Vergleichsbasis für die wirtschaftliche, finanzielle und demographische Entwicklung der Länder über die Zeit, die Konstituierung eines Bund-Länder-Planungsausschusses und die Analyse des Kostenaufwandes von Verwaltung und Regierungen. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 2, S. 311 ff.]
Sturm, Roland: Föderalismus in Deutschland und in den USA – Tendenzen der Angleichung?
Nach den Buchstaben der Verfassungen unterscheiden sich die Föderalismen der beiden Länder grundlegend. In der gesellschaftlichen Realität weisen der Föderalismus in Deutschland und der Föderalismus in den USA jedoch durchaus Tendenzen zur Angleichung auf. Dies hat weniger mit Verfassungswandel zu tun als mit der allerdings unterschiedlich legitimierten Kompe-tenzerweiterung des Zentralstaates, sowie der Möglichkeit von Kompetenzverlagerungen, die die Ebenen einer föderalen Ordnung bieten. Jüngste vergleichbare „Entlastungsbemühungen“ der zentralstaatlichen Ebenen in Deutschland und den USA folgen weiterhin unterschiedlichen Gestaltungskriterien. Während in den USA politikfeldorientierte, flexible und reversible Ad hoc-Arrangements die Mehrebenenpolitik dominieren, bleiben die deutschen Länder in die Mechanismen der prinzipiell nur durch verfassungsändernde Mehrheiten revidierbaren Politikverflechtung eingebunden. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 2, S. 335 ff.]
Alemann, Ulrich von: Anmerkungen zum US-Wahlkampf 1996.
In der Glosse werden die augenfällig gewordenen Unterschiede der beiden letzten Präsidentschaftswahlen in den USA, der „Clinton-Wahlen“ 1992 und 1996 benannt: die Veränderungen hinsichtlich Amtsbonus, Themen und Medienrolle, bezüglich Parteien, Politikberatung und Wahlkampftechniken. Einige „eherne Gesetze“ amerikanischer Wahl-kampagnen scheinen seit 1996 nicht mehr zu gelten. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 2, S. 346 ff.]