Beichelt, Timm: EU-Osterweiterung: eine Bürde für Repräsentation und Legitimation in den Beitrittsländern?
Die Osterweiterung der EU entfaltet auf drei Ebenen des politischen Systems ambivalente Wirkungen in den Beitrittsländern. Erstens wird das ohnehin schon bestehende Übergewicht der Exekutiven verstärkt, da diese die Verhandlungen mit der EU weitgehend führen. Somit werden, zweitens, die Parlamente weiter marginalisiert. Deren Schwäche wirkt sich auf den intermediären Sektor aus, so dass Volatilität und Fragmentierung die Parteiensysteme in den Beitrittsländern prägen. Daneben werden, drittens, rechtspopulistische und ethnozentrische Parteien begünstigt, die mit der Gegnerschaft zur EU Wähler gewinnen können. Sie profitieren davon, dass sozio-ökonomische Spannungen in andere Arenen übertragen werden und sich vor allem in Form von sozio-kulturellen Konflikten niederschlagen. Diese Entwicklungen lassen darauf schließen, dass zwischen den funktionalen Erfordernissen des EU-Beitritts und der schwachen Legitimation der demokratischen Institutionen sowie dem Erfolg von politischen Kräften, die den Verhandlungen mit der EU ablehnend gegenüberstehen, ein kausaler Zusammenhang besteht. (ZParl, 34. Jg., H. 2, S. 257 – 270)
Gawrich, Andrea: Die jüngsten Parlamentswahlen in Polen, Ungarn und Tschechien.
In den drei wichtigsten EU-Kandidatenländern fanden im Herbst 2001 und im Frühjahr 2002 Parlamentswahlen statt, in deren Folge Regierungen bestellt wurden, die ihre Länder in die EU führen sollen. In Polen wurde nach der Niederlage der vormaligen Regierungsparteien eine instabile Regierungskoalition postkommunistischer Parteien gebildet, die bereits wieder zerbrochen ist; zudem kam es zu einem Besorgnis erregenden Zuwachs rechter und populistischer Parteien. Die Wahl in Ungarn hat hingegen eine weitere Konsolidierung des gemäßigt pluralisierten Parteiensystems mit einer Tendenz zum Zwei-Parteien-System bewirkt. Auch ein populistischer Wahlkampf konnte keine extremen EU-feindlichen politischen Kräfte in das ungarische Parlament bringen. In Tschechien löste eine sozialdemokratisch-liberal-christdemokratische Mehrheitsregierung die bisherige sozialdemokratische Minderheitsregierung ab. Der EU-kritische Kurs der großen konservativen Partei ODS wurde von der Bevölkerung nicht honoriert. Trotz der Tatsache, dass in allen drei Ländern prinzipiell europafreundliche Regierungen letztlich gebildet werden konnten, stellt die Frage des EU-Beitritts eine zentrale Konfliktlinie in diesen Staaten dar. (ZParl, 34. Jg., H. 2, S. 270 – 284)
Michaelis, Julia und Gerd Strohmeier: Wahlkampf 2002 in Ungarn: Grenzen der Amerikanisierung und Westeuropäisierung.
Die vierten ungarischen Parlamentswahlen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs führten am 7. und 21. April 2002 zum dritten Mal in Folge zu einem Regierungswechsel. Hierzu trug der Wahlkampf wesentlich bei. Da in Ungarn insbesondere in Wirtschaft und Gesellschaft amerikanische beziehungsweise westeuropäische Einflüsse deutlich bemerkbar sind, ist anzunehmen, dass mit dem Wechsel von nicht- beziehungsweise semi-kompetitiven zu kompetitiven Wahlen, das heißt von einer oktroyierten Interessenhomogenität zu einer pluralistischen Interessenkonkurrenz, auch eine Übernahme westlicher Techniken des politischen Wettbewerbs einherging – dass folglich nicht nur die Strukturen, sondern auch die Funktionen des politischen Systems aus dem Westen „geliefert“ wurden. Ein Vergleich des ungarischen Wahlkampfs 2002 mit „modernen“ westlichen Wahlkämpfen hinsichtlich der Personalisierung, Nachfrageorientierung und Kommerzialisierung sowie im Blick auf die Rolle der Medien und die Angriffe auf den politischen Gegner widerlegt jedoch diese Annahme. Tatsächlich sind die ungarischen Wahlkampftechniken nur zum Teil und ansatzweise westlichen Standards angeglichen. Die fortbestehenden Unterschiede sind vor allem auf Differenzen in der politischen Kultur zurückzuführen. (ZParl, 34. Jg., H. 2, S. 284 – 296)
Lütticken, Florian und Florian Pfeil: Finnlands neue Verfassung: Abschied vom semi-präsidentiellen System.
Mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung im Jahr 2000 hat Finnland den Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem weitgehend vollzogen. Die so genannte „Gesamtreform 2000“ führt zwar in vielen Punkten die finnischen Verfassungstraditionen weiter, stellt aber vor allem durch die Abkehr vom semi-präsidentiellen System einen bedeutenden qualitativen Wandel dar. Das Hauptcharakteristikum der neuen Verfassung liegt in der Beschränkung der Machtbefugnisse des Präsidenten zugunsten der Regierung. Selbst im Bereich der Außenpolitik ist seine Stellung geschwächt, da ihm die Belange der EU aus der Hand genommen sind und er in allen außenpolitischen Fragen zur Kooperation verpflichtet ist. Auch nach der Gesamtreform wird es in Finnland keine Verfassungsgerichtsbarkeit geben; und es besteht wie zuvor die Möglichkeit, beschränkte Ausnahmegesetze zur Verfassung zu verabschieden. Abgesehen von diesen Veränderungen und Kontinuitäten zeichnet sich die neue Verfassung durch einen umfangreichen Grundrechtekatalog aus. (ZParl, 34. Jg., H. 2, S. 296 – 310)
Köppl, Stefan: Vergebliches Bemühen um Veränderung: Gescheiterte Anläufe zur Reform der italienischen Verfassung.
Die italienische Politik laborierte lange an nicht zuletzt institutionell bedingten Struktur- wie Funktionsproblemen und hat auch deshalb in den 1990er Jahren tiefgreifende Umwälzungen, vor allem im Parteiensystem, erfahren. Zwischen 1983 und 1998 gab es drei groß angelegte Versuche, mittels einer Verfassungsreform einerseits akute Probleme zu beheben, andererseits den Übergang zu einer „Zweiten Republik“ auch institutionell zu besiegeln. Doch keinem der Anläufe war Erfolg beschieden. Sie scheiterten trotz teilweise höchst unterschiedlicher Rahmenbedingungen an genau jenen Problemen, die sie beheben sollten. Die Vielzahl an Veto-Positionen und die stark divergierenden Reformvorstellungen der Akteure führten zu einer gegenseitigen Blockade. Somit befindet sich Italien in einer Situation, die als „Politikverflechtungsfalle“ beschrieben werden kann. Selbst das Auftreten neuer Akteure auf der Parteienbühne konnte diese Falle nicht aufbrechen. Vor diesem Hintergrund sind die Chancen auf eine grundlegende Reform der italienischen Verfassung auch für die Zukunft skeptisch zu beurteilen. (ZParl, 34. Jg., H. 2, S. 310 – 329)
Edinger, Michael: Nachwehen des premier-parlamentarischen Intermezzos: Die Knessetwahl 2003 vor dem Hintergrund einer gescheiterten Verfassungsreform.
Aus der Knessetwahl am 28. Januar 2003 sind in Israel der alte und neue Regierungschef Ariel Sharon und sein Likud-Block als klare Sieger hervorgegangen, während die Arbeitspartei das schlechteste Ergebnis seit der Staatsgründung erzielte. Zugleich ist das weltweit beispiellose Experiment der Direktwahl des Premierministers in einem ansonsten rein parlamentarischen Institutionen-Setting zu Ende gegangen. Entgegen den Intentionen seiner Initiatoren hatte das „premier-parlamentarische“ System während seines kurzen Bestehens weder die Position des Premiers stärken, noch das Erpressungspotenzial kleiner Parteien verringern können. Stattdessen wurden die direkt gewählten Regierungschefs jeweils mit einer schwachen parlamentarischen Gefolgschaft bedacht, so dass aufwändige Koalitionsverhandlungen und instabile Regierungen folgten. Die weitgehende Rückkehr zum verfassungsrechtlichen Status quo ante hat die kontraproduktiven Effekte des Direktwahlsystems abgemildert. Gleichwohl sind Fraktionalisierung, Polarisierung und der Mandatsanteil der Klientel- oder Sektorparteien auf einem hohen Niveau verblieben – Nachwirkungen einer gescheiterten Verfassungsreform. Mit der Bildung einer für israelische Verhältnisse kleinen Vier-Parteien-Koalition, der erstmals seit etwa 30 Jahren keine orthodoxe Partei angehört, könnte sich das Gelegenheitsfenster für kleinere institutionelle Reformen wieder öffnen. Die Erfahrungen mit dem Premier-Parlamentarismus belegen auch über den israelischen Fall hinaus, wie problematisch die Einführung systemfremder Elemente in eine bestehende Verfassungsordnung ist. (ZParl, 34. Jg., H. 2, S. 329 – 381)
Helmerich, Antje: Die Baskisch-Nationalistische Partei und die Krise im Baskenland: Eine Partei zwischen ideologischem Radikalismus und Systemkonformität.
Die Baskisch-Nationalistische Partei PNV dominiert das politische Geschehen im Baskenland seit der Demokratisierung vor nunmehr über zwanzig Jahren. Bis heute gilt die PNV zwar als nach wie vor wichtigste Wortführerin baskischer Interessen, trägt jedoch auch erhebliche Verantwortung für die seit vielen Jahren angespannte politische und gesellschaftliche Situation im autonomen Baskenland. Die Partei wurde Ende des 19. Jahrhunderts gegründet und fand nach einer Spaltung in den dreißiger Jahren wieder zusammen. Die jener Spaltung zugrunde liegende Spannung zwischen konservativen und eher progressiven Kreisen prägt die Partei bis heute. In den siebziger Jahren versuchte sich die PNV im Zuge des Systemwechsels ideologisch und programmatisch zu erneuern. Sie war wesentlich an den Aushandlungen des Autonomiestatuts beteiligt und ist seit 1980 in wechselnden Koalitionen in der Regierungsverantwortung. Die PNV hat in dieser Zeit bewiesen, dass sie pragmatische Realpolitik betreiben kann. Eine wirkliche Modernisierung blieb allerdings aus, wie der immer wieder geäußerte Alleinvertretungsanspruch aller baskischer Interessen zeigt. Auch wird der Nationalismus weiterhin von der Partei – abhängig von der jeweiligen politischen Lage – mehr oder weniger stark instrumentalisiert, um sich von den politischen Gegnern abheben zu können. (ZParl, 34. Jg., H. 2, S. 347 – 367)
Middendorf, Tim: Ist das französische Parteiensystem noch eine Quadrille bipolaire? Das Parteiensystem der V. Republik nach den Wahlen zur Nationalversammlung 2002.
Referenzpunkt einer Standortbestimmung des französischen Parteiensystems nach den Wahlen zur Nationalversammlung im Juni 2002 ist Duvergers Befund der Quadrille bipolaire. Betrachtet man den Wandel des französischen Parteiensystems zwischen 1978 und 2002 und analysiert quantitative (Format und Fragmentierung) sowie qualitative Strukturmerkmale (Polarisierung und Dynamik) auf zwei verschiedenen Ebenen (elektoral und parlamentarisch) so ergibt sich Folgendes: In den 90er Jahren hat zwar eine Ausdifferenzierung des Parteienspektrums stattgefunden, blieb aber auf die elektorale Ebene des Parteiensystems beschränkt. Die für Sartori zentrale Wettbewerbskonstellation wurde dagegen nicht wesentlich berührt: Bipolarität, Blockbildung und (potentielle) Alternierung der Regierungsmehrheit prägen noch immer das Parteiensystem der V. französischen Republik und wurden durch die letzten Wahlen zur Assemblée nationale bekräftigt. Zu Recht kann daher weiterhin von einer Quadrille bipolaire gesprochen werden. (ZParl, 34. Jg., H. 2, S. 368 – 381)
Messerschmidt, Romy: Vom mächtigen Superpräsidenten zum machtlosen Repräsentanten? Zum Wandel des Präsidialamtes der V. Republik und den Diskussionen um eine Verfassungsreform in Frankreich.
Das Amt des französischen Staatspräsidenten unterlag in der V. Republik zwei Transformationen. Erstens wandelte sich aufgrund der Einführung der Direktwahl 1962 der von Charles de Gaulle überparteilich gewollte Präsident zum faktischen Mehrheits- und Regierungschef. Damit entwickelte sich, so die erste These, das Regierungssystem der V. Republik langsam zu einer Parteienregierung mit stabilen Mehrheiten, womit das Parlament wider Erwarten eine machtpolitische Stärkung erfuhr. Die zweite Transformation ist 1986 mit der ersten Kohabitation angestoßen worden; wohin sie führt, ist noch offen. Vor allem die dritte und längste Kohabitation hinterließ den Eindruck, dass ein politisches Amt auf Dauer den Wechsel zwischen großer Machtfülle einerseits und Reduktion auf repräsentative Funktionen andererseits nicht unbeschadet überstehen kann. Die zweite These lautet daher, dass die Häufigkeit, vor allem aber die zunehmende Dauer der Kohabitation, bewirken, dass die Direktwahl des Präsidenten immer weniger eine Bipolarisierung des Parteiensystems herbeiführen kann. Dies wiederum kann – langfristig und entgegen der Annahme, Kohabitationen stärkten das französische Parlament – zu einer instabilen, der IV. Republik ähnlichen und damit letzten Endes auch das Parlament schwächenden Form der Parteienregierung führen. (ZParl, 34. Jg., H. 2, S. 389 – 413)