Abstracts 2/2005 deutsch

Filzmaier, Peter und Fritz Plasser: Die Wahlen zum US-Kongress vom 2: November 2004: Post-Electoral Politics oder Plutokratie?
In den US-amerikanischen Kongresswahlen 2004 gab es kaum Sitzwechsel zwischen den Parteien. Entsprechend dem mehrjährigen Durchschnitt wurden 98 Prozent der Amtsinhaber im Repräsentantenhaus und 96 Prozent im Senat wieder gewählt. Das bedeutet, dass die Republikaner im Haus seit 1994 bis mindestens 2006 über eine Mehrheit verfügen. Diese Zeitspanne ist die längste ohne Mehrheitswechsel seit den 1930er Jahren. Gleichzeitig kontrolliert die Republikanische Partei seit mehr als einem Jahrzehnt den Senat. Aus diesen Entwicklungen ergeben sich (1) begrenzte politische Einflussmöglichkeiten der Demokratischen Partei, die längerfristig keine effektive Herausforderung darstellt, und (2) eine mangelnde Demokratiequalität des Wahlsystems, das zu post-electoral politics ohne Mehrheitsänderungen führt. Hauptursache für diese Entwicklungsrichtungen ist die Wahlkampffinanzierung. So wurden 2004 offiziell knapp 1,1 Milliarden Dollar zuzüglich hunderter Milliarden einer unbekannten Zahl von stellvertretend wahlkämpfenden Gruppen ausgegeben. Die Mehrheit der Wahlkampfspenden ging dabei an Amtsinhaber und Kandidaten für offene Sitze, während Herausforderer im Regelfall wenig oder gar nichts erhielten. Das ungleiche System der Wahlkampffinanzierung in Verbindung mit extrem kostenintensiven Fernsehwerbekampagnen könnte zu einer politischen „Herrschaft der Reichen“ in den USA führen. Es ist unklar, ob eine tief reichende Reform des zunehmend erstarrten und finanziell unkontrollierbaren Systems der Kongresswahlen in den USA möglich und gewollt ist. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 243 – 259]

Kolkmann, Michael: Die Präsidentschaftswahl in den USA vom 2. November 2004: Ein knapper Sieg Bushs, aber auch ein Mandat?
Das Ergebnis der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl 2004 entspricht weitgehend dem von 2000. 47 von 50 Bundesstaaten haben parteipolitisch so entschieden wie in der vorangegangenen Wahl und ermöglichten damit dem Amtsinhaber George W. Bush eine zweite Amtszeit. Im Wahlergebnis von 2004 lassen sich jedoch wichtige Veränderungen ausmachen, die den Wahlsieg Bushs knapp, aber eindeutig erscheinen lassen. Dazu gehören eine stärkere Verteilung der Wahlmännerstimmen auf Republikanisch geprägte Bundesstaaten im Süden des Landes sowie deutliche Zugewinne Bushs bei Hispanics, Frauen und Katholiken. Stärker als je zuvor war der Wahlkampf von außenpolitischen Fragestellungen geprägt. Dem Demokratischen Herausforderer John F. Kerry gelang es im Wahlkampf nicht, mit seiner vielfältigen außenpolitischen Erfahrung zu punkten; Bush dagegen verstand es, die instabile Situation im Nachkriegs-Irak mit dem Krieg gegen den Terrorismus zu verknüpfen. Auch die durchwachsende wirtschaftspolitische Bilanz Bushs konnte Kerry nicht für sich nutzen. Während die Demokraten sich intensiv um die Wechselwähler in der politischen Mitte bemühten, konzentrierten sich die Republikaner auf die Mobilisierung der eigenen Basis. Ob Bush in seiner zweiten Amtszeit sein beabsichtigtes, anspruchsvolles Reformprogramm durchsetzen kann, hängt zu einem Großteil von den Mehrheiten im Kongress ab. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 259 – 279]

Schultze, Rainer-Olaf und Jörg Broschek: Die kanadische Unterhauswahl vom 28. Juni 2004: Das Parteiensystem auf dem Weg vom Mehrheits- zum Minderheitsregime?
Bei der kanadischen Unterhauswahl vom 28. Juni 2004 konnten weder die seit 1993 regierenden Liberalen noch die neu formierten Konservativen ihre Ziele erreichen. Premierminister Paul Martin, seit Dezember 2003 als Nachfolger Jean Chrétiens im Amt, verfehlte die Mandatsmehrheit und steht seither einer Minderheitsregierung vor. Trotz des Zusammenschlusses von Canadian Alliance und Progressive Conservatives zur Conservative Party of Canada sowie des weit verbreiteten Unmutes in der Wählerschaft über die Regierungspraxis der Liberalen schaffte es aber auch das konservative Lager nicht, aus dieser strukturell wie situativ veränderten Konstellation Nutzen zu ziehen und die liberale Bundesregierung abzulösen. Sieger der Wahl waren hingegen die Regional- und Drittparteien: in erster Linie der separatistische Bloc Québécois sowie die sozialdemokratische NDP. Aus historischer Perspektive kann argumentiert werden, dass es sich für die beiden großen Parteien aufgrund fortschreitender Fragmentierungen in Gesellschaft und Politik derzeit schwierig gestaltet, dauerhaft stabile parlamentarische Mehrheiten zu erzielen. Nach 20 Jahren alternierender Mehrheitsregierungen ist es daher wahrscheinlich, dass der kanadischen Politik erneut eine Phase von Mehrheits- und Minderheitsregierungen ins Haus steht. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 280 – 300]

Becker, Bernd-Werner: Machterhalt und Zukunftsgestaltung: Elemente erfolgreicher politischer Steuerung in Großbritannien.
Politiker stehen in der Mediendemokratie unter dem Zwang zur „permanenten Kampagne“. Nicht nur in Wahlkampfzeiten ist daher eine klar strukturierte, zentrale Steuerung ein wesentlicher Faktor politischen Handelns. Unabhängig vom Ausgang der Unterhauswahl am 5. Mai 2005 zeigt das Beispiel der Regierung Tony Blair in Großbritannien, welchen wesentlichen Anteil die politische Steuerungsstrategie in No 10 Downing Street an der Stabilisierung der Regierung hat – trotz der rückläufigen Umfragewerte und dem Vertrauensverlust des Premiers in der Bevölkerung seit der Entscheidung zum Irakkrieg Anfang 2003. Die Steuerungsstrategie basiert dabei insbesondere auf Machtzentrierung, Informalisierung und professioneller Kommunikation. Am Beispiel Großbritannien lässt sich zudem nachweisen, dass politische Steuerung mehr sein sollte als bloße Machterhaltungsstrategie. Sie kann zugleich, wenn sie auf einer klaren politischen Vision beruht, Zukunftsgestaltungsstrategie sein. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 301 – 311]


Steppacher, Burkard: Tonartwechsel in der Schweiz: Der Dreiklang von Volksrechten, Konkordanz und erneuerter „Zauberformel“ nach den National- und Ständeratswahlen 2003.

Ergebnis der Parlamentswahlen 2003 in der Schweiz ist eine erkennbare Polarisierung an den politischen Rändern bei geschwächter Mitte. Als Hauptgewinner der Wahlen und nunmehr klar stärkste Partei forderte die rechtsbürgerliche, nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) bei den sich anschließenden Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates (Regierung) mit Nachdruck – und letztlich erfolgreich – einen zusätzlichen Sitz in diesem seit 1959 zahlenmäßig unverändert zusammengesetzten Kollegialorgan. Als Alternative drohte die SVP mit dem Gang in die Opposition und somit dem Ende der traditionellen Konkordanz. Vor dem Hintergrund der verfassungsmäßigen Besonderheiten des direktdemokratisch geprägten politischen Systems der Schweiz können die Wahlergebnisse für beide Parlamentskammern (National- und Ständerat) analysiert und am Beispiel der Wahl 2003 die Zukunftstauglichkeit des schweizerischen „Konkordanzsystems“ untersucht werden. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 311 – 326]


Reetz, Axel: Die vierten Parlamente in Estland, Lettland und Litauen: Ähnliche Voraussetzungen, verschiedene Pfade.

Die baltischen Staaten sind seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nunmehr 15 Jahre unabhängig. Von diesem gemeinsamen Ausgangspunkt haben sich seither drei verschiedene politische Systeme entwickelt, die sich insbesondere hinsichtlich ihrer Parteiensysteme unterscheiden. Diese Tendenz bestätigte sich auch bei den jeweils vierten Parlamentswahlen seit 1991: 2002 in Lettland, 2003 in Estland und 2004 in Litauen. In Litauen ist dabei der anfängliche Dualismus zwischen Konservativen und Postsozialisten einem Vielparteiensystem gewichen. Lettland war bisher hingegen in allen Legislaturperioden von einem solchen Parteiensystem geprägt – jede Wahl seit 1991 wurde von einer kurz zuvor neu gegründeten Partei mit populären Persönlichkeiten gewonnen. Diese spezifische politische Unstetigkeit macht Lettland in der postsozialistischen Staatenwelt einmalig. Estland unterscheidet sich grundlegend: Obwohl die Anzahl der politisch bedeutenden Parteien nicht geringer ist als in den anderen beiden baltischen Staaten, konnte sich bisher keine postkommunistische Linke oder eine Partei, die die Interessen der russischen Minderheiten vertritt, etablieren. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 326 – 348]


Schnapp, Kai-Uwe und Philipp Harfst: Parlamentarische Informations- und Kontrollressourcen in 22 westlichen Demokratien.

Parlamentarische Informations- und Kontrollressourcen in 22 westlichen Demokratien werden einer empirischen Untersuchung unterzogen, wobei insbesondere Kontrollressourcen parlamentarischer Systeme mit denen des US-Kongresses als Legislative eines präsidentiellen Systems verglichen werden. Im Einzelnen wird erörtert, über welche Mittel Parlamente beziehungsweise Regierungspartei(en), Opposition, einzelne Abgeordnete und Ausschüsse verfügen, um Informationsungleichgewichte zur Regierung auszugleichen. Dabei erscheinen die ständigen Parlamentsausschüssen (mit ihren Strukturen, ihrer Mitgliedschaft und ihren formalen Rechten) sowie die Personalausstattung der Parlamente als wichtigste Ressourcen zur Erlangung von Informationen und zur Ausübung von Kontrolle. Außerdem sind parlamentseigene Informationsdienste sowie Informations- und Auskunftsrechte der Parlamente und Rechnungshöfe bedeutend. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 348 – 370]

Edinger, Florian: Schwarzgeld und die Folgen. Das Bundesverfassungsgericht zur fehlerhaften Rechnungslegung einer Partei – 2 BvR 383/03.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass der Rechenschaftsbericht der CDU über das Jahr 1998, der auf Liechtensteiner Konten geparktes Parteivermögen von über zehn Millionen Euro verschwieg, kein Rechenschaftsbericht im Sinne des Parteiengesetzes war. Daher war die Entscheidung des Bundestagspräsidenten richtig, der CDU denjenigen Teil der staatlichen Parteienfinanzierung zu verweigern, der sich nach der Höhe der Mitgliedsbeiträge und Spenden bemisst. Dies ist gerechtfertigt, weil die Parteien nach Art. 21 Abs. 2 Satz 4 GG „über die Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft ablegen“ müssen, um den freien Willensbildungsprozess in der Wählerschaft und innerhalb der Parteien sowie die Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb zu schützen. Es muss deshalb sichergestellt werden, dass die Wähler vom Vermögen und der wirklichen Herkunft der Mittel einer Partei Kenntnis erhalten. Der Bundestag hat mittlerweile das Parteiengesetz geändert und die Sanktionen für fehlerhafte Rechenschaftsberichte ausdrücklich geregelt. Unter anderem muss eine Partei nunmehr grundsätzlich das Doppelte des fehlerhaften Betrags als Sanktion zahlen. Die Fälschung eines Rechenschaftsberichts wurde zudem unter Strafe gestellt. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 371 – 374]


Jutzi, Siegfried: Zur Verfassungswidrigkeit des „Drei-Länder-Quorums“ bei der Parteienfinanzierung. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 2004 – 2 BvE 1 und 2/02.

In Deutschland erhalten politische Parteien eine staatliche Teilfinanzierung. Für die Verteilung der staatlichen Mittel kommt es zum einen auf den Wahlerfolg einer Partei (Wählerstimmenanteil) und zum anderen auf die Summe ihrer Mitgliedsbeiträge und der von ihr eingeworbenen Spenden (Zuwendungsanteil) an. Nach einer Gesetzesänderung sollten Parteien staatliche Zuschüsse bezogen auf den Zuwendungsanteil (durchschnittlich 60 Prozent) nur noch erhalten, wenn sie bei mindestens drei der jeweils letzten Landtagswahlen 1,0 v.H. (Drei-Länder-Quorum) oder bei einer der jeweils letzten Landtagswahlen 5,0 v.H. der für die Listen abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben. Das Bundesverfassungsgericht sah dadurch den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit verletzt. Die Mehrparteiendemokratie verlange einen offenen Zugang zum „politischen Markt“. Dieser würde durch den Wegfall der staatlichen Finanzierung besonders erschwert, da gerade der Teil, der auf Mitgliedsbeiträgen basiere, bei neuen Parteien erheblich sei. Der Gesetzgeber hat den Grundsatz der Chancengleichheit schon mehrfach missachtet, was offenbar durch die Mitgliedschaft der Abgeordneten in etablierten Parteien begünstigt wird. Es ist daher auch zweifelhaft, ob etwa eine transparentere und präzisere Gesetzesfolgenabschätzung in der Lage wäre, Abhilfe zu schaffen. Es wird wohl auch in Zukunft dem BVerfG die Rolle des (einzigen) Garanten eines fairen Ausgleichs bei der Parteienfinanzierung zukommen. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 375 – 382]

Helms, Ludger: Der Wandel politischer Kontrolle in den parlamentarischen Demokratien Westeuropas.
Während ein Großteil der Literatur aus dem Bereich der vergleichenden Politikwissenschaft traditionell dazu tendiert, sich ausschließlich mit der parlamentarischen Kontrolle von Regierungsmacht zu beschäftigen, werden hier insgesamt vier Hauptformen der politischen Kontrolle unterschieden und – mit Blick auf die größeren parlamentarischen Demokratien Westeuropas – diskutiert: elektorale Kontrolle, parlamentarische Kontrolle, gerichtliche Kontrolle und Kontrolle durch vetomächtige Akteure des privaten Sektors. Während auf den ersten Blick vor allem elektorale und gerichtliche Kontrolle in den vergangenen zwei Jahrzehnte als gestärkt erscheinen, sind insbesondere einzelne Akteure des nicht-staatlichen Bereichs wie global agierende Firmen und private Massenmedien als die eigentlichen Gewinner der jüngeren Wandlungsprozesse zu betrachten. Diese Entwicklung droht, das Prinzip des „responsible government“ strukturell zu untergraben. Darin liegt ein Gefahrenpotential, für dessen Entschärfung es anscheinend keine institutionellen Patentlösungen gibt. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 390 – 410]

Macków, Jerzy: Voraussetzungen der Demokratie in der postkommunistischen Systemtransformation: Tschechien, Belarus und die Ukraine.
Die meisten Transformationstheorien argumentieren, dass Demokratisierung vor allem vom „institutionellen Design“ der postkommunistischen Systeme abhänge. Soziale Faktoren wie der Stand der Nationenbildung und die Entwicklung der Zivilgesellschaft werden hingegen oft außer Acht gelassen. Ein Vergleich von Belarus, Tschechiens und der Ukraine verdeutlicht allerdings die wichtige Rolle dieser sozialen Faktoren, die diese für eine erfolgreiche Demokratisierung der vormals totalitären Systeme spielen. Entscheidende Unterschiede zwischen den drei Ländern werden klar: Während Zivilgesellschaft und demokratische Eliten in der Tschechischen Republik vorhanden sind, sind beide Faktoren in Belarus beispielsweise nicht gut entwickelt. Darüber hinaus kann gezeigt werden, dass die Existenz einer Zivilgesellschaft nicht absolut notwendig ist in einer frühen Phase des Transformationsprozesses, aber sehr wichtig wird in späteren. Eine Demokratie, die sich nur auf demokratische Eliten stützt, ist in Gefahr, von antidemokratischen und populistischen Kräften an sich gerissen zu werden. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 411 – 424]


Röper, Erich
: Befangenheitsregelung für parallele Berufstätigkeit von Abgeordneten.

Mit Vehemenz, Neid und mancher Schadenfreude werden „Nebentätigkeiten“ von Abgeordneten sowie nach Grund und Höhe unklare Zahlungen von Unternehmen diskutiert. Die parallele Berufstätigkeit ist für die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Abgeordneten nach dem Ende des Mandats allerdings unverzichtbar, damit sie nicht am Mandat „kleben“ und gegenüber Partei und Fraktion zu willfährig zu werden. Nötig sind klare Regelungen, die zugleich Grenzen ziehen, und Transparenz. Die bewährte Befangenheitsregelung in Art. 84 BremLV hindert Abgeordnete, für persönliche und familiäre Interessen oder die „ihrer“ Unternehmen zu streiten und zu votieren, was zugleich die Bezüge beschränkt. Bei Verstößen können sie aus dem Parlament ausgeschlossen werden. Diese Regelung sollte auf den Bundestag und die Landtage ausgedehnt werden. [ZParl, 36. Jg., H. 2, S. 425 – 431]

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