Abstracts 2/2006 deutsch

Waldhoff, Christian: Das missverstandene Mandat. Verfassungsrechtliche Maßstäbe zur Normierung der erweiterten Offenlegungspflichten der Abgeordneten des Deutschen Bundestags.
Durch Änderungen des Abgeordnetengesetzes und der Verhaltensrichtlinien der Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind erweiterte Anzeige- und Veröffentlichungspflichten nicht nur hinsichtlich so genannter Nebeneinkünfte, sondern auch hinsichtlich der neben dem Abgeordnetenmandat ausgeübten Berufstätigkeit der Parlamentarier festgelegt worden. Diese sanktionierten Pflichten beeinträchtigen den verfassungsrechtlich gesicherten Status des freien Mandats sowie Grundrechte der Abgeordneten. Sie werden als Irrweg einer zunehmenden Verrechtlichung des Status der Abgeordneten kritisiert. An die Stelle von Kontrollmechanismen und Selbstheilungskräften des politischen Prozesses treten verwaltungsrechtliche Sanktionen, das Abgeordnetenmandat nähert sich schleichend einem öffentlichen Dienstverhältnis an. [ZParl, 37. Jg., H. 2, S. 251 ff.]


Muhle, Stefan: Mehr Transparenz bei Nebenbeschäftigungen von Abgeordneten? Zur Weiterentwicklung des Abgeordnetenrechts in Niedersachsen.

Kürzlich wurde – ausgelöst von der so genannten VW-Gehälteraffäre um zwei niedersächsische Landtagsabgeordnete – bundesweit über die Notwendigkeit größerer Transparenz bei Nebenbeschäftigungen von Abgeordneten debattiert. Das im Zuge der Affäre vom niedersächsischen Landtagspräsidenten angestrebte Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig hat die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung des Abgeordnetenrechts verdeutlicht. Um eine möglichst weitgehende Verständigung zwischen allen Fraktionen im Niedersächsischen Landtag zu erreichen, wurde mit Beschluss vom 27. Januar 2005 ein Unterausschuss zur Weiterentwicklung des Abgeordnetengesetzes und seiner Verhaltensregeln fraktionsübergreifend beschlossen. Der Landtag kann mit diesem Unterausschuss und den dort erzielten Ergebnissen einen wichtigen Beitrag zur Vereinheitlichung des Verhaltensrechts für Abgeordnete aller deutschen Parlamente leisten. [ZParl, 37. Jg., H. 2, S. 266 ff.]

Biehl, Heiko: Wie viel Bodenhaftung haben die Parteien? Zum Zusammenhang von Parteimitgliedschaft und Herkunftsmilieu.
Die meisten Parteienforscher gehen davon aus, dass die deutschen Parteien gegenwärtig nur noch schwache Beziehungen zu ihren Herkunftsmilieus unterhalten. Diese Einschätzung wird anhand der Ergebnisse des Potsdamer Parteimitgliederprojekts in wesentlichen Punkten ergänzt und korrigiert: Erstens weisen zwar mittlerweile die Mitgliedschaften aller Parteien ein ähnliches Erwerbsprofil auf, in konfessionell-religiöser Hinsicht unterscheiden sich die Angehörigen der verschiedenen Parteien jedoch erheblich. Zweitens wirken die Mitglieder in unterschiedlichen Vorfeldorganisationen mit. Drittens üben die traditionellen Milieus dort, wo sie noch vorhanden sind, eine ungebrochene parteipolitische Prägekraft aus. Die Angehörigen der klassischen Trägerschichten engagieren sich in aller Regel in „ihrer“ Partei. Die Befunde zeigen, dass trotz der unstrittigen Angleichung der Berufsprofile der Mitgliedschaften weiterhin unterschiedliche gesellschaftliche Verflechtungen der Parteien bestehen. Die Bindung der Parteiangehörigen zu den Herkunftsmilieus erfolgt heutzutage jedoch stärker über die Mitgliedschaft in Vorfeldorganisationen als über die Position im Erwerbsleben. [ZParl, 37. Jg., H. 2, S. 277 ff.]

Höpner, Martin: Beiträge der Unternehmen zur Parteienfinanzierung. Wer spendet an wen? Und warum?
In Deutschland sind – anders als beispielsweise in Frankreich und den USA – direkte Parteispenden juristischer Personen zulässig. Um von strukturellen Unternehmensmerkmalen auf die Bereitschaft zu Parteispenden und ihre Verteilung an die politischen Lager schließen zu können, wird ein Modell entwickelt. Dieses beruht auf Daten über Spenden der einhundert größten deutschen Unternehmen im Wahljahr 2002. Spenden und ihre Verteilung hängen demnach vor allem von der personellen Verflochtenheit und der Sektorzugehörigkeit der Unternehmen ab. Im Aggregat verteilen sich die im Jahr 2002 von den einhundert größten Unternehmen gespendeten Mittel folgendermaßen: CDU und CSU erhielten 55,8 Prozent, die SPD 22,1 Prozent, die FDP 17,7 Prozent und die Grünen 4,4 Prozent. Die PDS bekam von Unternehmen keine Großspenden. Zwei Logiken des Spenderverhaltens sind zu unterscheiden: die gezielte Stärkung eines politischen Lagers gegenüber dem anderen und die parteienübergreifende politische Landschaftspflege. [ZParl, 37. Jg., H. 2, S. 293 ff.]

Koß, Michael und Dan Hough: Landesparteien in vergleichender Perspektive: Die Linkspartei.PDS zwischen Regierungsverantwortung und Opposition.
Die zunehmende Regionalisierung des deutschen Parteiensystems wirft die Frage auf, inwiefern sich verschiedene Landesverbände einer Partei voneinander unterscheiden. Für deren Beantwortung wird zwischen dem Streben nach Regierungsteilhabe, Programmverwirklichung und Stimmenmaximierung unterschieden. Vergleicht man zwei regierende und zwei opponierende Landesverbände der Linkspartei.PDS (Mecklenburg-Vorpommern und Berlin beziehungsweise Brandenburg und Sachsen) miteinander, ergibt sich Folgendes: Während die mecklenburg-vorpommeranische PDS vor allem aus Gründen der Programmverwirklichung an einer Regierung beteiligt ist, spielt für den Berliner Landesverband die Regierungsteilhabe eine größere Rolle. Anders als bei den beiden mitregierenden Landesverbänden haben sich die Ziele der brandenburgischen und der sächsischen PDS gewandelt: Erstere entwickelte sich vom Programmverwirklicher zum Stimmenmaximierer, letztere beschritt den umgekehrten Weg. Insgesamt scheinen interne Faktoren die vorherrschenden Ziele der Landesverbände stärker zu beeinflussen als externe. [ZParl, 37. Jg., H. 2, S. 312 ff.]

Poguntke, Thomas und Christine Pütz: Parteien in der Europäischen Union: Zu den Entwicklungschancen der Europarteien.
Seit den frühen neunziger Jahren ist in mehreren Reformschritten die supranationale Handlungslogik im politischen Prozess der EU gestärkt worden. Besonders relevant sind in diesem Zusammenhang die erhebliche Stärkung des Europäischen Parlamentes sowie die Ausweitung der Möglichkeiten zu Mehrheitsentscheidungen im Europäischen Rat. Dadurch haben sich Entwicklungschancen und -restriktionen der aus den transnationalen Parteienzusammenschlüssen hervorgegangenen Europarteien verändert: Während ihre Chancen hinsichtlich Mobilisierung und Integration eher begrenzt sind, da hier die nationalen Parteien vorrangig aktiv sind, halten sich Potentiale und Restriktionen im Bereich der Interessenartikulation und -aggregation die Waage. In der Elitenrekrutierung werden ebenfalls die nationalen Parteien vorherrschend bleiben, allerdings könnten sich neue Koordinationsaufgaben für die Europarteien ergeben, ebenso bei der Politikgestaltung. Generell liegen die Entwicklungsmöglichkeiten der „Parteien auf europäischer Ebene“ weniger in der Kompetenzübertragung als in der Kompetenzerweiterung. [ZParl, 37. Jg., H. 2, S. 334 ff.]

Schmitz, Karsten: Wahl- und Parteiensysteme in Osteuropa: Eine Neubewertung anhand des Konzentrationseffekts.
Die von Maurice Duverger und Giovanni Sartori entwickelten Gesetze zum Zusammenhang von Wahl- und Parteiensystemen lassen sich mit Blick auf die jungen Demokratien im postkommunistischen Osteuropa überprüfen. Dafür werden diese sowohl nach der Art ihrer Wahlsysteme als auch nach der erwarteten Stärke des Konzentrationseffektes unterschieden. Es zeigt sich, dass der entscheidende Konzentrationseffekt umso eher von einem Verhältniswahlrecht mit nationaler Sperrklausel als von einem Mehrheitswahlrecht in Einerwahlkreisen ausgeht, je weniger das Parteiensystem strukturiert ist. Solche instabilen Parteiensysteme finden sich in vielen Staaten Osteuropas. Während die Gesetze von Duverger in ihrer Simplizität der dortigen Situation kaum gerecht werden, trifft die Theorie von Sartoriaufgrund ihrer stärkeren Berücksichtigung der Struktur des Parteiensystems schon eher zu, allerdings vernachlässigt auch sie die Wirkung von landesweiten Sperrklauseln. Die fehlende Bedeutung der nationalen Sperrklausel in den bisherigen Analysen ist wohl auch das Resultat der Beeinflussung vieler Autoren durch die relativ stabilen westlichen Parteiensysteme. [ZParl, 37. Jg., H. 2, S. 353 ff.]

Birsl, Ursula: Pfadwechsel: Vom deutschen Föderalismus zum transnationalen Neoregionalismus.
Die Vorschläge zu einer Föderalismusreform, die zwischen CDU, CSU und SPD im Rahmen des Koalitionsvertrags ausgehandelt worden sind, scheinen zu bestätigen, dass die Akteure nicht hinreichend bereit sind, die staatliche Ordnung zu reformieren und die Politikverflechtung aufzubrechen. Hinzu kommt, dass das staatliche Ordnungsparadigma so unscharf geworden ist, dass es nicht mehr „nur“ um eine Restrukturierung eines föderativen Systems geht. Das Regierungssystem hat sich durch die historisch-institutionelle Entwicklung sowie die politische Praxis bereits entföderalisiert. Wenn es also stimmt, dass sich Deutschland zu einem unitarischen Einheitsstaat gewandelt hat, wäre der deutsche Föderalismus ein Mythos. Empirische Befunde aus der vergleichenden Föderalismusforschung untermauern diese Einschätzung. Gleichzeitig konstituiert sich aber eine neue politische Ebene, die als Neoregionalismus bezeichnet werden kann. Dieser ist in seinen Konturen noch nicht klar zu erfassen, setzt jedoch die Länderebene unter Druck und könnte einen Prozess der Reföderalisierung auslösen. [ZParl, 37. Jg., H. 2, S. 384 ff.]

Leunig, Sven: „AB(C)“ oder „ROM“? Zur Operationalisierung von Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat.
Die Antwort auf die Frage, ob es in Bundestag und Bundesrat parteipolitisch gegenläufige oder gleichgerichtete Mehrheiten gibt, hängt nicht unwesentlich davon ab, wie diese Mehrheitsverhältnisse operationalisiert werden. In der politikwissenschaftlichen Forschung konkurrieren bei der Darstellung der Mehrheiten im Bundesrat gegenwärtig die zwei Modelle „AB(C)“ und „ROM“. Ihre Anwendung führt zu signifikant unterschiedlichen Bewertungen bezüglich der Abhängigkeit der Bundesregierung von den Landesregierungen unter Beteiligung von Parteien, die im Bund der Opposition angehören. Beide Modelle sind mit grundsätzlichen Defiziten behaftet. Ein „modifiziertes ROM-Modell“ könnte dagegen die parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat am realistischsten abbilden. [ZParl, 37. Jg., H. 2, S. 402 ff.]

Kommentare sind geschlossen.