Wiefelspütz, Dieter: Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte und der Bundestag: Ist eine Reform geboten?
Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung, für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich die vorherige konstitutive Zustimmung des Bundestages einzuholen. Das dazu beschlossene Parlamentsbeteiligungsgesetz (PBG) realisiert nicht nur parlamentarische Kontrolle – vor allem in Gestalt eines umfassenden Informationsrechts –, sondern gewährleistet die maßgebliche Beteiligung des Bundestages an zentralen Akten der Außen- und Sicherheitspolitik. Zur Kontrolle kommt staatsleitende (Mit-)Gestaltung durch das Parlament hinzu. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden und sich vertiefenden Integration militärischer Strukturen wird der Gesetzgeber in Zukunft immer wieder die Frage beantworten müssen, ob die militärische Einsatzrationalität im Bündnis stärker zu gewichten ist als das vorherige konstitutive Beteiligungsrecht des Parlaments. Eine vorschnelle Beschränkung der Beteiligungsrechte des Bundestags aus Gründen der Rücksichtnahme auf Bündnisstrukturen ist dabei nicht zu befürworten. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt in seiner konkreten Wahrnehmung durch das Parlament ist der Bundesrepublik bislang gut bekommen. Zwingende Gründe für eine „regierungsfreundliche“ Reform des PBG sind gegenwärtig nicht ersichtlich. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. 203 ff.]
Ryjácek, Jan: Der Entscheidungsprozess über den Bundeswehreinsatz zum Schutz der Wahlen im Kongo.
Der Bundestag beziehungsweise einzelne seiner Ausschüsse wirkten bei der Entscheidung über die Beteiligung der Bundeswehr an der Mission EUFOR DR Congo mit, die von der Europäischen Union von Juli bis November 2006 getragen wurde. Der Bundestag war dabei durchaus in der Lage, im Verlauf eines informellen Entscheidungsfindungsprozesses die Politik der Bundesregierung zu beeinflussen und sich als Vetospieler zu behaupten. Eine Anpassung bestehender parlamentarischer Entscheidungsstrukturen und -prozesse zum Einsatz der Bundeswehr ist daher aus empirischer Sicht nicht erforderlich. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. 219 ff.]
Hoven, Elisa: Entschädigungsleistungen an Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Bewertung und Fortentwicklung der Reform vom 1. Januar 2008.
Die von den Fraktionen der Großen Koalition beschlossene Reform der Abgeordnetenversorgung vom 1. Januar 2008 hat die Frage nach Legitimität und Angemessenheit von Entschädigungsleistungen an Abgeordnete des Bundestages erneut in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion gerückt. Allerdings bleiben auch nach den Neuregelungen die Versorgungsleistungen und die Amtsausstattungspauschale nach wie vor reformbedürftig, um ihrer kompensatorischen Funktion gerecht zu werden und den Anforderungen an eine transparente Festsetzung zu genügen. Die progressive Anpassung der Diäten an die Vergütung kommunaler Wahlbeamter auf Zeit und einfacher Bundesrichter stellt angesichts der herausgehobenen verfassungsrechtlichen Stellung des Abgeordneten eine angemessene Entschädigung im Sinne von Art. 48 Abs. 3 GG dar. Als Ursprung der öffentlichen Kritik ist somit nicht die Höhe der Bezüge, sondern die Ausgestaltung des Verfahrens und das grundsätzliche Misstrauen gegenüber einer „Selbstbedienung“ der Abgeordneten auszumachen. Durch eine Indexierung der Entschädigung nach Maßgabe der allgemeinen Einkommensentwicklung könnte sich der Bundestag jedoch zumindest teilweise vom „Fluch der Selbstentscheidung“ befreien. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. 233 ff.]
Krumpal, Ivar und Heiko Rauhut: Zum Ausmaß der bundespolitischen Parteipolitikverflechtung bei Landtagswahlen in Deutschland 1996 bis 2000.
Landtagswahlen in der Bundesrepublik werden von empirischen Wahlforschern häufig als aktuelle Stimmungsbarometer für die Bundespolitik beziehungsweise als „Bundestestwahlen“ interpretiert. Sie können aber auch primär als Regionalwahlen betrachtet werden, die spezifischen landestypischen Dynamiken folgen. Eine vergleichende Analyse von 17 Landtagswahlstudien mit mehreren Individualdatensätzen im Rahmen eines replikativen Surveys zeigt, dass in Westdeutschland die Landesparteien einen stärkeren Einfluss auf die individuellen Landtagswahlpräferenzen ausüben als die Bundesparteien. In Ostdeutschland wiegt dagegen bei Landtagswahlen die bundespolitische Dimension stärker. Die Parteipolitikverflechtung zwischen Landes- und Bundesebene ist somit bei Landtagswahlen in den neuen Bundesländern ausgeprägter als in den alten. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. 249 ff.]
Hoecker, Beate: Die Bremer Bürgerschaftswahl vom 13. Mai 2007: Neustart für Rot-Grün und Fünf- statt Dreiparteiensystem.
Der Ausgang der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft zeichnet sich durch zwei bemerkenswerte Ergebnisse aus: Erstens fand die zwölfjährige Große Koalition ein Ende und wurde durch ein rot-grünes Regierungsbündnis ersetzt. Verantwortlich für diesen Wechsel war nicht in erster Linie der Wählerwille, denn die SPD blieb zwar stärkste Partei, musste aber höhere Verluste hinnehmen als die CDU. Vielmehr leitete die klare Präferenz des neuen SPD-SpitzenkandidatenJens Böhrnsen für eine Koalition mit den Grünen den Wechsel ein und konnte durch das hervorragende Abschneiden der Bremer Grünen realisiert werden. Zweitens gingen alle drei kleinen Parteien aus dieser Wahl gestärkt hervor, so dass nunmehr neben SPD und CDU auch Bündnis 90/Die Grünen, die Linke sowie die FDP jeweils in Fraktionsstärke im Parlament vertreten sind. Das bisherige stabile Bremer Dreiparteiensystem hat sich damit zu einem Fünfparteiensystem erweitert. Inwiefern es dem neuen Regierungsbündnis wie der veränderten Parteienlandschaft im Parlament gelingen wird, die drängenden wirtschafts- und finanzpolitischen Probleme des kleinsten Bundeslandes zu lösen, bleibt abzuwarten. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. 270 ff.]
Tils, Ralf und Thomas Saretzki: Die niedersächsische Landtagswahl vom 27. Januar 2008: Popularität, Wahlstrategie und Oppositionsschwäche sichern Ministerpräsident Christian Wulff die schwarz-gelbe Mehrheit.
Die niedersächsische Landtagswahl war 2008 durch eine klare Zuweisung der Favoritenrolle an den Ministerpräsidenten Christian Wulff gekennzeichnet. Diese Ausgangslage ist nicht nur auf die große Popularität des Amtsinhabers zurückzuführen, sondern auch auf eine strategisch auf den Wahltag ausgerichtete Politik der zeitlich gestaffelten Verteilung von Belastungen und Vergünstigungen, auf die ansteigende Konjunktur und auf eine eklatante Schwäche der sozialdemokratischen Opposition. Nach einem konfliktarmen Wahlkampf sank die Wahlbeteiligung auf den niedrigsten Stand, der je bei einer niedersächsischen Landtagswahl gemessen wurde. Die CDU blieb trotz erheblicher Verluste stärkste Kraft und kann ihre Regierungskoalition mit der FDP fortsetzen. Die SPD verlor gegenüber 2003 noch einmal und erzielte ihr schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegszeit. Die Grünen gewannen trotz Stimmenverlusten prozentual leicht dazu. Die Linkspartei verzeichnete als einzige Partei erheblich gestiegene absolute Stimmenzahlen und zog erstmals in den Landtag ein. Mit der erfolgreichen Wiederwahl zum niedersächsischen Ministerpräsidenten und der zeitgleichen, herben Niederlage von Roland Koch in Hessen hat Wulff den Wettkampf um die Position des zweiten Mannes hinterAngela Merkel in der internen Hierarchie der CDU im Bund klar gewonnen. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. 282 ff.]
Kulick, Manuela und Holger Onken: Die Wähler der Linkspartei in ihren Hochburgen: Eine empirische Analyse zur niedersächsischen Landtagswahl 2008 in Oldenburg, Delmenhorst und Wilhelmshaven.
Im Januar 2008 schnitt die Linkspartei, die erst 2007 aus der Fusion von PDS und WASG hervorgegangen war, bei der niedersächsischen Landtagswahl mit 7,1 Prozent der Wählerstimmen unerwartet gut ab. Die Frage, ob sich eine neue Partei langfristig im Parteiensystem etablieren kann, hängt maßgeblich davon ab, ob sie über eine dauerhaft mobilisierbare und ausreichend große Wählerbasis verfügt. Anhand einer Nachwahlbefragung (2241 Befragte) in drei Hochburgen der Linkspartei wurden die Motive ihrer Wähler im Hinblick auf diese Frage untersucht. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Wählersegment, das sich selbst überwiegend den unteren gesellschaftlichen Schichten zuordnet und das auf Grundlage vieler soziologischer Kriterien diesen Schichten auch zugeordnet werden kann, die Partei deutlich überproportional unterstützt. Dies spricht für eine dauerhaft mobilisierbare Wählerbasis der Linkspartei. Für diese spielt soziale Gerechtigkeit eine zentrale Rolle. Die Linkspartei wird von vielen Wählern – zumindest in zahlreichen Städten der westlichen Bundesländer – anscheinend dauerhaft als wählbare Alternative wahrgenommen. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. 299 ff.]
Pukelsheim, Friedrich und Sebastian Maier: Parlamentsvergrößerung als Problemlösung für Überhangmandate, Pattsituationen und Mehrheitsklauseln.
Im Landtag Nordrhein-Westfalen gibt es Initiativen für eine Novellierung des Landeswahlgesetzes, um den Wählern zwei Stimmen zu geben statt wie bisher nur eine, um zur Verrechnung der Stimmen in Sitze die bisherige Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten (Hare / Niemeyer) zu ersetzen durch die Divisormethode mit Standardrundung (Sainte-Laguë / Schepers) und um das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre zu senken. Um Ausgleichsmandate, Pattauflösung und Mehrheitsklausel in einheitlicher Art zu regeln, wird empfohlen, die Sitzzahl der Landtage zu vergrößern. Zudem harmoniert die Divisormethode mit Standardrundung (Sainte-Laguë / Schepers) in hervorragender Weise mit dem Grundsatz der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen, der von der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit als zentral angesehen wird. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. ff.]
Pappi, Franz Urban, Ralf Schmitt und Eric Linhart: Die Ministeriumsverteilung in den deutschen Landesregierungen seit dem Zweiten Weltkrieg.
Koalitionsparteien unterscheiden sich in ihren Interessen an bestimmten Ministerien. In parlamentarischen Systemen ist ein Minister ein wichtiger Agenda-Setter für das Politikfeld, für das er Verantwortung trägt und in dem er für die traditionellen Politikschwerpunkte seiner Partei, ein einschlägiges Ministerium vorausgesetzt, viel erreichen kann. Die Geschäftsbereiche der deutschen Landesregierungen seit dem Zweiten Weltkrieg werden hier danach klassifiziert, wie sie schwerpunktmäßig in denselben Ministerien zusammengefasst waren. Auf diese Weise lässt sich vergleichen, welche Parteien in welchen Koalitionen welche Politikfelder kontrollierten. So stellte zum Beispiel die CDU in den Koalitionsregierungen, an denen sie beteiligt war, überproportional häufig den Kultusminister, während die SPD nicht nur für Arbeit und Soziales Verantwortung trug, was nicht überrascht, sondern auch für Inneres. Letzteres ist weniger selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass die CDU, zumindest seit 1990, dieses Politikfeld in ihren Wahlprogrammen stärker hervorhebt als andere Parteien. Die Koalitionstheorien haben diesem qualitativen Aspekt der Ministeriumsverteilung bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt; neue Anstrengungen bei der Theoriebildung sind daher nötig. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. 323 ff.]
Klose, Sabine und Ursula Hoffmann-Lange: Beamtete Staatssekretäre im Transformationsprozess: Rekrutierungsmuster in den neuen Bundesländern.
Der Demokratisierungsprozess in den neuen Bundesländern unterschied sich von dem in den übrigen ostmitteleuropäischen Ländern nicht nur, weil die Möglichkeit bestand, sich an eine bereits etablierte und zudem ökonomisch erfolgreiche Demokratie anzuschließen, sondern auch durch einen beträchtlichen Elitentransfer, also die Übernahme von Führungspositionen durch Personen, die aus den alten Bundesländern stammten. Gestützt auf Daten über die führenden Amtsinhaber in den Ministerien der neuen Bundesländer für den Zeitraum von 1990 bis 2007 werden sowohl das Ausmaß des Elitentransfers als auch der Werdegang und der spätere Verbleib der beamteten Staatssekretäre untersucht. Der Elitentransfer in dieser Personengruppe war im Vergleich zu anderen Sektoren außerordentlich hoch, wobei die Staatssekretäre jedoch zum Zeitpunkt der Übernahme ihres Amtes überwiegend schon in den neuen Bundesländern tätig gewesen waren und auch nach ihrer Ablösung dort blieben. Dieser Anteil hat sich im Lauf der Zeit noch deutlich erhöht. Ein Vergleich mit den Amtsinhabern in den alten Bundesländern zeigt nur geringe Unterschiede hinsichtlich Alter, Vorbildung (Studienfach), beruflicher Vorerfahrungen und Parteimitgliedschaften. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. 342 ff.]
Eder, Christina und Raphael Magin: Volksgesetzgebung in den deutschen Bundesländern: ein Vorschlag zu ihrer empirischen Erfassung aus subnational-vergleichender Perspektive.
Seit 1990 sind sowohl eine deutliche Zunahme in der Nutzung direktdemokratischer Elemente als auch eine Öffnung der Institutionen auf Landesebene zu beobachten. Der Verein „Mehr Demokratie“ hat in seinen „Volksentscheid-Rankings“ die Instrumente der direkten Demokratie hinsichtlich ihrer Nutzbarkeit für die Bürger bewertet. Ausgehend von einer grundlegenden Kritik dieser Rankings wird ein alternativer Index präsentiert, der die Offenheit direkter Volksrechte in den Bundesländern abbildet. Mittels dieses Vergleichsmaßstabs wird untersucht, ob die Rigidität der Strukturen Einfluss auf die Nutzungshäufigkeit der Volksgesetzgebung hat. Hier lässt sich zwar nachweisen, dass niedrigere institutionelle Hürden tatsächlich zu einer verstärkten Nutzung direktdemokratischer Instrumente führen, jedoch nur in begrenztem Umfang. Vielmehr weist das Ergebnis auch darauf hin, dass sich die Anwendungsmuster nicht allein durch die Ausgestaltung der Institutionen erklären lassen. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. 358 ff.]
Kailitz, Steffen: Zwei Seiten der gleichen Medaille? Über den theoretischen und den empirischen Zusammenhang zwischen der Regierungsform und der Ausgestaltung von Zweikammersystemen.
Bikameralismus und Präsidentialismus sind „Kinder“ der Gewaltenteilungstradition. Es gibt keinen empirischen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit eines Zweikammersystems und der Regierungsform, aber es finden sich starke Zusammenhänge zwischen der Ausgestaltung des Zweikammersystems und der Regierungsform. Zweite Kammern in präsidentiellen Demokratien, Senate genannt, sind gewöhnlich stärker als Zweite Kammern in parlamentarischen Demokratien. Sie besitzen zudem deutlich häufiger eine stärkere demokratische Legitimation und eine eigenständige Funktion, konkret die Vertretung bestimmter Regionen der Nation. Besonders deutlich werden die Unterschiede, wenn das Westminstermodell als Urform des (Mehrheitsmodells des) Parlamentarismus dem Präsidentialismus gegenübergestellt wird. [ZParl, 39. Jg., H. 2, S. 387 ff.]