Behnke, Joachim: Überhangmandate und negatives Stimmgewicht: Zweimannwahlkreise und andere Lösungsvorschläge.
Durch den Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts zum Effekt des so genannten negativen Stimmgewichts vom Juli 2008 ist der Deutsche Bundestag angehalten, das derzeitige Wahlsystem so zu reformieren, dass dieser Effekt nicht mehr auftreten kann. Da dieser sehr eng mit dem Auftreten von Überhangmandaten verknüpft ist, kann dem Urteilsspruch Genüge getan werden, indem das Problem der Überhangmandate selbst in Angriff genommen wird. Der derzeit am stärksten in der Literatur diskutierte Vorschlag – der Verrechnung von Überhangmandaten einer Partei mit „überschüssigen“ Listenmandaten dieser Partei in anderen Bundesländern – weist jedoch einige gravierende Mängel auf und verstößt unter anderem gegen grundlegende Fairness- und Gerechtigkeitserwägungen. Es sollte daher ein wesentlicher Bestandteil der Reform sein, das Auftreten von Überhangmandaten von vornherein möglichst zu erschweren. Dies könnte durch eine Herabsetzung des Anteils der Wahlkreismandate an allen Mandaten oder durch die Einführung von Zweimannwahlkreisen, in denen die beiden erfolgreichsten Kandidaten mit der Erststimme direkt gewählt würden, erreicht werden. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 237 ff.]
Pappi, Franz Urban und Michael Herrmann: Überhangmandate ohne negatives Stimmengewicht: Machbarkeit, Wirkungen, Beurteilung.
Unter dem gegenwärtigen Bundestagswahlrecht ist es möglich, dass ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust von Mandaten für eine Partei führen kann. Dieses so genannte negative Stimmengewicht wurde vom Bundesverfassungsgericht unlängst für verfassungswidrig erklärt. Zur Beseitigung des negativen Stimmgewichts, wurde in der jüngeren Diskussion um mögliche Reformen des Wahlsystems einem Lösungsweg bisher wenig Beachtung geschenkt: die Zuteilung von Sitzen auf Länderebene. Im Gegensatz zu anderen in der Literatur vorgestellten Reformvorschlägen zielt diese Lösung darauf ab, das bestehende Mischwahlsystem in seiner einzigartigen Wirkungsweise – einschließlich der Entstehung von Überhangmandaten – zu erhalten und es nicht durch ein wesentlich anderes System zu ersetzen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Funktion von Überhangmandaten, die als mehrheitsbildendes Element und wichtiges Strukturmerkmal des deutschen Mischwahlsystems angesehen werden können und für deren Beibehaltung plädiert wird. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 260 ff.]
Lübbert, Daniel: Negative Stimmgewichte bei der Bundestagswahl 2009.
Die Bundestagswahl im September 2009 wurde noch nach dem System ausgezählt, das im Juli 2008 vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wurde, weil es unter bestimmten Umständen die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl verletzt. Dem Gesetzgeber bleibt nun bis Juni 2011 nicht mehr viel Zeit, um das Bundeswahlgesetz so zu ändern, dass der von Karlsruhe gerügte Effekt des negativen Stimmgewichts für die Zukunft ausgeschlossen wird. Um die zugehörige Debatte zu befördern und mit Zahlen zu untermauern, wird hier diskutiert, wo und in welchem Ausmaß bei der letzten Bundestagswahl erneut negative Stimmgewichte aufgetreten sind. Mit Blick auf die unterschiedlichen bereits vorliegenden Reformvorschläge wird zudem analysiert, wie sich die aktuelle Sitzverteilung im 17. Deutschen Bundestag jeweils geändert hätte, wenn eine der Reformvarianten bereits vor der Wahl in Kraft getreten wäre. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 278 ff.]
Linhart, Eric und Harald Schoen: Überhang- und Ausgleichsmandate in Schleswig-Holstein: Unklares Wahlrecht und Reformvorschläge.
Parallel zur Bundestagswahl wurde am 27. September 2009 in Schleswig-Holstein ein neuer Landtag gewählt. Bei beiden Wahlen wurde die personalisierte Verhältniswahl angewendet. Anders als das Bundesrecht sieht das Landeswahlrecht von Schleswig-Holstein allerdings Ausgleichsmandate für Überhangmandate vor. Zugleich enthält das Gesetz zwei Unklarheiten, die unterschiedliche Interpretationen ermöglichen. Die eine betrifft die Zahl der Ausgleichsmandate, die andere die konkrete Vorgehensweise bei der Verteilung dieser. Beide Unklarheiten sind politisch bedeutsam, da die Regelungen je nach gewählter Interpretation zu unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen im Kieler Landeshaus führen. Die Parlamentarier sind daher aufgefordert, die unklaren Passagen im Landeswahlrecht zu präzisieren und Rechtssicherheit zu schaffen. Sie können zwischen mehreren Möglichkeiten der Präzisierung entscheiden, die gängigen Anforderungen an Wahlsysteme in unterschiedlichem Maße gerecht werden, wie verschiedene Simulationen zeigen. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 290 ff.]
Gothe, Heiko: Die thüringische Landtagswahl vom 30. August 2009: Desaster für Althaus-CDU mündet in schwarz-rotem Bündnis.
Der Ausgang der Landtagswahl in Thüringen ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Das Ergebnis bedeutete für die CDU ein Desaster, den Verlust ihrer dominanten Stellung im thüringischen Parteiensystem und den Gang in ein Bündnis mit der SPD unter Führung der ersten CDU-Ministerpräsidentin Deutschlands. Die CDU konnte den langfristigen Vertrauens- und Ansehensverlust nicht mehr durch die Popularität des amtierenden Ministerpräsidenten auffangen, denn Dieter Althaus ging ohne Amtsbonus in den Wahlkampf. Althaus’ Umgang mit dem von ihm verursachten Skiunfall, bei dem eine Frau starb, irritierte die Wahlbevölkerung und seine eigene Partei. Das fehlende Bekenntnis zu seiner Schuld und die Instrumentalisierung zu Wahlkampfzwecken schadeten seinem Ansehen massiv. Der SPD fiel trotz mäßigen Ergebnisses die Rolle des „Königsmachers“ zu, denn nur mit ihr war eine Regierungsbildung möglich. Die Hoffnung einer erneut erstarkten Linken, erstmals einen Ministerpräsidenten stellen zu können, erfüllte sich nicht, weil die SPD nach turbulenter Sondierungsphase die CDU mit Regierungschefin Christine Lieberknecht als Koalitionspartner vorzog. Das Parteiensystem erweiterte sich auf fünf Parteien, weil FDP und Grüne nach 15 Jahren wieder den Einzug in den Landtag schafften. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 304 ff.]
Jesse, Eckhard: Die sächsische Landtagswahl vom 30. August 2009: Sachsens Vorreiterrolle für den Bund.
Wie 2004 trat 2009 ein Ministerpräsident an, der bei der vorherigen Landtagswahl nicht das Amt innehatte. Nach einem müden Wahlkampf gelangten erneut sechs Parteien in das Parlament. Diesmal konnte die CDU nach schnellen Koalitionsverhandlungen eine Koalition mit der FDP eingehen. Sachsen sollte eine Pilotfunktion für den Bund haben. Die SPD blieb das dritte Mal mit einem Stimmenanteil von etwa zehn Prozent in einer Diaspora-Situation. Zum ersten Mal ging der Zuspruch zur Linken im Land zurück. Sie vermochte vom doppelten Oppositionsbonus (im Land wie im Bund) selbst in einer Zeit schwierigster finanz- und wirtschaftspolitischer Probleme nicht zu profitieren. In Sachsen ist das „bürgerliche Lager“ seit 1990 in einer klaren Mehrheitsposition. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 322 ff.]
Winkler, Jürgen R.: Die saarländische Landtagswahl vom 30. August 2009: Auf dem Weg nach Jamaika.
Während die strukturellen Gegebenheiten und politischen Traditionen des Saarlandes stets die Wahl der CDU begünstigt, reduzierte die schlechte Regierungsperformanz des amtierenden Ministerpräsidenten die Wahlchancen der Union bei der Landtagswahl im August 2009. Der Eintritt, der vom früheren saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine geführten Linkspartei in den politischen Wettbewerb, minimierte gleichzeitig die Chancen der oppositionellen SPD, an der Saar die Macht zu übernehmen. Wie erwartet verlor die CDU große Stimmenanteile; als stärkste Partei kann sie jedoch weiter den Ministerpräsidenten stellen. Von der SPD wanderten erneut Arbeiter, Arbeitslose und Gewerkschaftsmitglieder zur Linkspartei ab, die als großer Gewinner aus der Wahl hervorging. Die FDP zog gestärkt in den neuen Landtag ein. Die Grünen konnten am Ende zwischen einer gemeinsamen Koalition mit CDU und FDP sowie einem Bündnis mit SPD und Linkspartei wählen. Ihre Entscheidung für die erste Jamaikakoalition in einem Bundesland stellt eine Zäsur in der politischen Farbenlehre der Bundesrepublik dar. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 339 ff.]
Niedermayer, Oskar: Die brandenburgische Landtagswahl vom 27. September 2009: Die Landes-SPD trotzt dem Bundestrend.
Da die Landtagswahl zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfand, wurde ein deutlicher Einfluss der bundespolitischen Großwetterlage erwartet. Negativ betraf dies vor allem die SPD, die daher versuchte, durch ein starkes Zuschneiden der Kampagne auf den beliebten MinisterpräsidentenMatthias Platzeck eine Abkopplung vom Bundestrend zu erreichen. Die SPD ging ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf und alle anderen Parteien, außer der chancenlosen rechtsextremen DVU, wollten mit ihr koalieren. Das verhinderte einen harten Schlagabtausch und ließ die Personenkampagne der beiden Platzeck-Konkurrentinnen Kerstin Kaiser (Linke) undJohanna Wanka (CDU) deutliche Züge eines Wohlfühl-Wahlkampfes tragen. Bei einer hohen Wahlbeteiligung von 67 Prozent blieb die Landes-SPD mit einem im Vergleich zur Bundestagswahl deutlich besseren Ergebnis stärkste Partei vor der Linkspartei. Die CDU blieb dritte Kraft, die FDP und die Grünen konnten seit 1994 erstmals wieder in den Landtag einziehen, die DVU hingegen scheiterte. Das gute Abschneiden der SPD wurde vor allem als VerdienstMatthias Platzecks angesehen, der in allen Arten von Wählerorientierungen deutlich vor der Konkurrenz lag. Allerdings konnte seine Partei bei der Kompetenzzuschreibung durch die Wähler auch in fast allen wichtigen Politikfeldern die Führerschaft erringen. Die SPD entschied sich nach längeren Sondierungen aus inhaltlichen, personellen und vor allem strategischen Gründen für eine Koalition mit der Linkspartei. Matthias Platzeck wurde abermals zum Ministerpräsidenten gewählt. Die SPD erhielt fünf Ministerposten, die Linke vier. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 356 ff.]
Horst, Patrick: Die schleswig-holsteinische Landtagswahl vom 27. September 2009: Ministerpräsident auf Abruf kann nach vorgezogener Neuwahl schwarz-gelbe Wunschkoalition bilden.
Das Kalkül des Ministerpräsidenten ging auf: Nach dem Bruch der Großen Koalition in Kiel und der auf den Termin der Bundestagswahl vorgezogenen Landtagswahl reichte es für Peter Harry Carstensenzur Bildung der angestrebten Koalition mit der FDP. Der knappe Sieg der schwarz-gelben Koalition, die infolge einer Nachzählungskorrektur seit Januar 2010 über kein Surplus-Mandat mehr verfügt, war vor allem dem guten Abschneiden der FDP, dem bundespolitischen Rückenwind aus Berlin und der chronischen Schwäche der SPD zuzuschreiben. Die größere Wirtschaftskompetenz von CDU und FDP in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise spielte eine wichtige, aber keine überragende Rolle bei den Motiven der Wahlentscheidung. Eindeutige Verlierer der Wahl waren die Parteien der Großen Koalition, die historisch schlechte Wahlergebnisse erzielten, und ihre Spitzenkandidaten, die beide nicht zu überzeugen wussten. Der alte und neue Ministerpräsident Carstensen, der den Liberalen in den Koalitionsverhandlungen weit entgegenkam, galt nach Abschluss der Koalitionsbildung als ein Regierungschef auf Abruf, der zur Mitte der Legislaturperiode von Fraktionschef Christian von Boetticher abgelöst werden könnte. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 372 ff.]
Ley, Richard: Die Wahl der Ministerpräsidenten in den Bundesländern. Rechtslage und Staatspraxis.
Am Anfang und im Mittelpunkt der Regierungsbildungen steht die Wahl des Regierungschefs. Dies gilt auch für das Staatsrecht der deutschen Bundesländer. Ohne den Ministerpräsidenten gibt es keine neue Regierung. Er ist in gewisser Hinsicht der „Schöpfer“ der Landesregierung. Deshalb hat die Wahl eine entscheidende Bedeutung im System der parlamentarischen Demokratie. Der Vergleich der Rechtslage hinsichtlich Zeitpunkt und Zeitraum der Wahl am Anfang der Legislaturperiode, persönlicher Anforderungen an den zu Wählenden, Verfahren und erforderlicher Mehrheit, zeigt sowohl große Übereinstimmung in einer Vielzahl von Regelungsbereichen, aber auch eine Fülle von Besonderheiten. In diesem Sinne ist der rechtsvergleichende Teil eine Materialsammlung für zukünftige Verfassungsänderungen. Dies gilt auch für die Untersuchung zur Staatspraxis. So können verschiedene Praktiken in einzelnen Landtagen, zum Beispiel hinsichtlich der Durchführung der geheimen Wahl, Anregungen zur Weiterentwicklung dieses wichtigen Kriteriums geben. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 390 ff.]
van Beek, Ursula J.: Südafrika: Liberal oder demokratisch?
Mit einem historisch-kontextuellen Ansatz wird untersucht, ob die politische Praxis innerhalb der demokratischen Institutionen in Südafrika mit den Regeln übereinstimmt, die solche Institutionen benötigen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der regierenden Partei, dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC). In der Entwicklung vom Anti-Apartheidkampf bis hin zu den Parlamentswahlen 2009, wird die besondere und spezifisch südafrikanische Interpretation demokratischer Spielregeln durch führende politische Akteure des Landes deutlich. Mit der Wahl 2009 hielt sich zwar der ANC an der Macht und die erhoffte Umgestaltung der politischen Landschaft – zurück zu einer liberalen Mehrparteiendemokratie – blieb aus; sie brachte aber auch Potential für Veränderungen mit sich, indem sie half, den demokratischen Raum für Debatten in der Öffentlichkeit und im Parlament wieder zu öffnen. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 438 ff.]
Kersting, Norbert: Spannendes zum Fraktionswechsel. Erneutes Verbot des Floor Crossing in Südafrika.
2002 wurde in Südafrika die Treusicherungsgesetzgebung geändert und den Abgeordneten auf lokaler und nationaler Ebene die Möglichkeit zum Floor Crossing gegeben. Die Abgeordneten konnten nun in einem festgelegten zweiwöchigen Zeitfenster – ein Jahr nach beziehungsweise ein Jahr vor den Wahlen – ihre Partei wechseln oder eine neue Partei gründen ohne ihr Mandat zu verlieren. Ein Wechsel war zudem nur dann ohne Mandatsverlust möglich, wenn zehn Prozent der Abgeordneten aus der eigenen Partei dies taten. Diese Regelung wurde als notwendig angesehen, da es seit den ersten Wahlen 1994 zu gravierenden Veränderungen in der Parteienlandschaft gekommen war, die mehr Flexibilität erforderten. In der Folge erwies sich das Floor Crossing als problematisch, da Parteiwechsel in vielen Fällen nicht aus lauteren politischen Motiven, sondern durch Ämterpatronage charakterisiert waren. Die zweiwöchigen Floor Crossing-Perioden waren zum Teil durch Bestechungsversuche gekennzeichnet, das dem Image aller Abgeordneten schadete. Auch auf massiven Druck der Medien wurde 2008 das Floor Crossing erneut verboten. Südafrika, das weiterhin durch ein Quasi-Einparteisystem mit Dominanz des ANC charakterisiert ist, steht vor dem Dilemma eines weiterhin nicht gefestigten Parteiensystems und einem geringen Handlungsspielraum der Abgeordneten, dass die Rolle des Parlaments zusätzlich schwächt. [ZParl, 41. Jg., H. 2, S. 453 ff.]