Zeh, Wolfgang: Über Sinn und Zweck des Parlaments heute. Ein Essay zum Auftakt.
In den über 55 Jahren der Existenz der Bundesrepublik Deutschland bildet der Parlamentarismus eine Erfolgsgeschichte, an der der Bundestag maßgeblich mitgeschrieben hat. Das belegt jeder seriöse Vergleich, sei es mit anderen parlamentarischen Demokratien oder mit der politischen Geschichte Deutschlands. In dem selben Zeitraum hat die Parlamentarismus-Diskussion in Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit eine unaufhörliche Verfallsgeschichte geschrieben: Der Bundestag verliere ständig an Einfluss, könne die Exekutive nicht kontrollieren, sei vom Lobbyismus unterwandert, habe keine Gestaltungsmacht in der Gesetzgebung, lasse sich seine Befugnisse von Kommissionen, Parteizirkeln und Massenmedien wegnehmen, sei personell immer schlechter besetzt und werde überhaupt obsolet im Zuge von Europäisierung und Globalisierung. Rätselhaft bleibt, warum der Parlamentarismus der Bundesrepublik nicht nur bis heute überlebt hat, sondern auch Beispiel für zahlreiche Staaten geworden ist. Ursächlich für die von keinerlei empirischen Befunden gerechtfertigten Abstiegsprognosen sind unverarbeitete Denktraditionen aus der wechselvollen Demokratieentwicklung in Deutschland und Defizite im Staatsdenken hinsichtlich Pragmatismus und Realismus. Ein konkreter Blick auf die Arbeitsweise des Bundestages entlarvt viele der gängigen Kritikmuster als Restbestände vergangener Denkwelten, welche die kulturellen Errungenschaften und die unentbehrliche Rolle des modernen Parlamentarismus nicht erfassen. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 473 – 488]
Schuett-Wetschky, Eberhard: Regierung, Parlament oder Parteien: Wer entscheidet, wer beschließt?
In den Medien wird häufig der Eindruck erweckt, dass die Regierung regiert, während tat-sächlich die Regierungsparteien die politischen Entscheidungen treffen. Allgemeiner formuliert: Nicht die Organe Regierung und Parlament entscheiden, sondern Parteien. In parlamentarischen Regierungssystemen ist dies schon immer so gewesen. Dennoch werden Parteien als Entscheidungsträger bis in die Gegenwart abgelehnt. Diese Antipartei-Haltung wird am Beispiel aktueller Theoretiker analysiert. Charakteristisch für die traditionelle, einseitig auf Organe fixierte Theorie ist, dass realistisch denkende Theoretiker wie Walter Bagehot, Joseph A. Schumpeter, Ernst Fraenkel und Dolf Sternberger ausgeblendet werden. Mit dem Festhalten an Organen als Entscheidungsträgern fördern die traditionell argumentierenden Theoretiker die Distanz zwischen Bürgern und Politik, obgleich sie weder überzeugende Rechts- noch Sachgründe vortragen. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 489 – 507]
Oberreuter, Heinrich: Parlamentarismus in der Talkshow-Gesellschaft: Wichtigtuer und Wichtiges tun.
Legitimation durch Kommunikation ist die Kernfunktion moderner Parlamente. Gleichwohl haben sie die Zentralität in der politischen Kommunikation verloren, da sie einer vielfältigen Konkurrenz – insbesondere zu den Medien – unterliegen. In diesem Wettbewerb sind parlamentarische Entscheidungsprozesse nicht öffentlichkeitswirksam genug. Die Abhängigkeit von den Massenmedien und ihren Nachrichtenwerten begründet zusätzlich ein Perzeptionsdilemma, denn das Parlament kann seine Verfahren der Medienlogik nicht vollständig anpassen. Reformen wären möglich, treffen aber auf Machtinteressen, Lethargie und Desinteresse. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 508 – 516]
Patzelt Werner J.: Warum verachten die Deutschen ihr Parlament und lieben ihr Verfassungsgericht? Ergebnisse einer vergleichenden demoskopischen Studie.
Parlamenten wird in Deutschland vergleichsweise wenig Vertrauen entgegengebracht, ihre Leistungen werden eher schlecht bewertet. Warum ist das so? Zentrale Ursachen sollten sich durch einen Vergleich mit stets vertrauensvoll und gut bewerteten politischen Institutionen herausfinden lassen. Dafür bietet sich in Deutschland ein Vergleich der Vertrauens- und Bewertungslage von Bundestag und Bundesverfassungsgericht an. Auf der Grundlage einer im Herbst 2004 durchgeführten bundesweit repräsentativen Umfrage zeigen sich an zentralen Ursachen, dass der ‚institutionelle Charakter‘ des Bundestages (Gemeinwohlorientierung, Überparteilichkeit, Sachlichkeit, Zeit- und Kosteneffektivität) in jeder Hinsicht für deutlich schlechter gehalten wird als jener des Bundesverfassungsgerichts; dass die institutionelle Performanz sowie die Responsivität des Parlaments schlechter bewertet werden als die des Verfassungsgerichts; und dass der Bundestag auch in den Medien schlechter wegkommt als das Bundesverfassungsgericht. Im Übrigen hängt die Beurteilung beider Institutionen stark vom allgemeinen Urteil über das politische System ab, wobei auf das Bundesverfassungsgericht vor allem Zufriedenheit mit tragenden Systemprinzipien abfärbt, auf den Bundestag aber sehr stark Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage und dem politischen Personal. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 517 – 538]
Schüttemeyer, Suzanne S. und Roland Sturm: Der Kandidat – das (fast) unbekannte Wesen: Befunde und Überlegungen zur Aufstellung der Bewerber zum Deutschen Bundestag.
Der Kandidatenauswahlprozess für die Mitglieder des Deutschen Bundestags ist von hoher Wichtigkeit für die Qualität der Abgeordneten. Im Gegensatz zu dieser Binsenweisheit steht das Faktum, dass dieser Auswahlprozess schmerzlich unterforscht ist. Eine Untersuchung der Kandidatennominierungen für die Bundestagswahl 2002 und Eindrücke von den Nominierungen für die Wahl 2005 zeigen, dass im Vergleich zu den 1960er Jahren, für die die letzten verlässlichen Daten verfügbar sind, der Anteil der Parteimitglieder, die an der Kandidatenauswahl beteiligt sind, auf sieben bis acht Prozent in allen Parteien gestiegen ist. Kandidaten bevorzugen dabei Auswahlprozesse, die sie kennen. Die lokalen und regionalen Parteiorganisationen kontrollieren meist die Kandidaturen in den Wahlkreisen, während die Parteiaktivisten der mittleren Ebene (einschließlich der Abgeordneten) einflussreicher bei der Bestimmung der Listenkandidaten sind. Mandatsträger können sich ziemlich sicher sein, wieder nominiert zu werden. Allerdings wissen wir immer noch nicht, warum das so ist. Welche Motive leiten Delegierte, wenn sie Kandidaten auswählen? Und was motiviert Bürger heutzutage, in das Rennen um eine Kandidatur einzusteigen – auch wenn ihre Niederlage wahrscheinlich ist? Uwe Thaysens Respekt für das Parlament als Institution wäre sicherlich eine gute Antwort. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 539 – 553]
Kühne, Jörg-Detlef: Hatscheks teilerschienenes Parlamentsrecht: Zu Abbruch und Rekonstruktion seines legendären Gesamtvorhabens.
Der Anfang 1915 erschienene Erste Band des berühmten Werks von Julius Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, eine Darstellung von europäischem Rang, ist leider ein Torso geblieben. Ungeklärt war bislang das Warum. Dank einer Trouvaille im Archiv des seinerzeitigen Verlages ließ sich nunmehr das Schicksal des weiteren Teils definitiv klären. Zugleich war feststellbar, dass Hatschek 1915/16 noch intensiv am Folgeband gearbeitet haben muss. Infolgedessen war die Suche auf den Manuskriptverbleib zu erstrecken. Die ergab: Einschlägige Ausführungen Hatscheks sind in großem Maße in sein zweibändiges Kompendium „Deutsches und Preußisches Staatsrecht“ von 1922/23 eingeflossen, was eine annähernde Rekonstruktion des fehlendes Parlamentsrechtsbandes ermöglicht. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 554 – 572]
Schreiner, Hermann J.: Die Berliner Stunde – Funktionsweise und Erfahrungen: Zur Redeordnung des Deutschen Bundestages.
Die Verteilung der Redezeit gehört zu den Grundfragen der parlamentarischen Redeordnung. Die parlamentarische Praxis des Deutschen Bundestages arbeitet seit der 10. Wahlperiode (1983) mit einer Formel für die Verteilung der Redezeit auf die Fraktionen (beziehungsweise Gruppen), die sich seither bewährt hat und bei den meisten Debatten zur Anwendung kommt: Die „Bonner Stunde“, später „Berliner Stunde“. Bei der „Berliner Stunde“ wird zunächst die Gesamtdauer einer Debatte auf der Grundlage einer zu Beginn jeder Wahlperiode interfraktionell vereinbarten Berechnungsbasis festgelegt. Die Berechnungsbasis ist eine „Stunde“, die regelmäßig mehr als 60 Minuten (derzeit 62), umfasst. Die Gesamtredezeit, zum Beispiel zwei „Berliner Stunden“, wird dann nach einem ebenfalls zu Beginn jeder Wahlperiode interfraktionell vereinbarten Verteilungsschlüssel auf die Fraktionen aufgeteilt. Fraktionslose Abgeordnete erhalten gesondert Redezeit. Der Verteilungsschlüssel geht vom Stärkeverhältnis der Fraktionen aus. Er berücksichtigt aber zusätzliche Faktoren wie einen Bonus für kleinere Fraktionen, einen Zeitzuschlag für Oppositionsfraktionen sowie andererseits einen Zeitzuschlag für die die Regierung tragenden Fraktionen, die sich Redebeiträge der Regierung in der Debatte anrechnen lassen müssen. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 573 – 588]
Schöning, Jürgen: Die parlamentarische Dimension der Ostseekooperation: Der Beitrag der norddeutschen Landtage.
In der 1991 auf finnische Initiative ins Leben gerufenen Ostseeparlamentarierkonferenz – Baltic Sea Parlamentaric Conferenz (BSPC) – arbeiten alle nationalen und regionalen Parlamente des Ostseeraumes gleichberechtigt zusammen. An diesem gleichberechtigten Zusam-menwirken sollte festgehalten werden. Dabei haben die norddeutschen Landesparlamente aufgrund ihrer größeren Orts- und Problemnähe zahlreiche Möglichkeiten, dem „bottom up approach“ in der Ostseeregion zur Wirksamkeit zu verhelfen. Die BSPC wird sich aber nicht zu einem Ostseeparlament entwickeln, und sie sollte auch gar nicht erst diesen Ehrgeiz haben: Die im Ostseeraum vorhandenen, unmittelbar gewählten Parlamente bedürfen ebenso wenig wie die Regierungen eines weiteren parlamentarischen Überbaus noch zusätzlicher demokratischer Legitimität. Anzustreben ist vielmehr eine symbiotische Beziehung dergestalt, dass Parlamente konkrete Aktivitäten initiieren und den Regierungen die Durchführung erleichtern, weil sie sich auf einen international abgestimmten parlamentarischen Konsens stützen können. Die Parlamente sollten sich in der Ostseekooperation auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren, insbesondere auf ihre Öffentlichkeitsfunktion und ihre Mittlerrolle zum Bürger. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 589 – 599]
Jesse, Eckhard: Nach der gescheiterten Vertrauensfrage: Zur Lage der Parteien und des Parteiensystems in Deutschland.
Nach der gescheiterten Vertrauensfrage von Kanzler Gerhard Schröder am 1. Juli 2005 und nach den vorgezogenen Bundestagswahlen steht vermutlich ein Wandel des deutschen Parteiensystems bevor. Dabei sind zwei Fragen zentral: Kommt es zu einem Regierungswechsel? Erweitert sich die Zahl der Bundestagsparteien? Ein Regierungswechsel ist angesichts der Landtagswahlergebnisse zwischen 2002 und 2005 ebenso wahrscheinlich wie die Vergrößerung der Zahl der Bundestagsparteien. Doch was kurzfristig für die neue „Linkspartei“, eine Verbindung von PDS und der WASG, von Vorteil ist, muss es nicht mittelfristig sein. Durch einen – wahrscheinlichen – Linksruck der SPD könnte die „Linkspartei“ wegen der Vernachlässigung der Ostidentität in Schwierigkeiten geraten. Im Vergleich zur letzten Bundestagswahl von 2002 stehen Union und FDP dieses Mal eng zusammen, während der Zusammenhalt zwischen der SPD und den Grünen zu bröckeln scheint. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 600 – 615]
Holtmann, Everhard: Dürfen die das, wo sie doch Dänen sind? Über den Umgang mit Macht und Minderheiten in Deutschland.
Das Ergebnis der Landtagswahl vom 22. Februar 2005 in Schleswig-Holstein ließ kurzzeitig die Bildung einer vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) tolerierten rot-grünen Min-derheitsregierung als möglich erscheinen. In der darüber aufgeregt geführten öffentlichen Debatte wurde eine derartige regierungsstützende Rolle der dänischen Minderheitspartei teilweise grundsätzlich infrage gestellt. Dabei wurden vornehmlich zwei Argumentationslinien bemüht: Zum einen wurde argumentiert, der SSW dürfe, da er kraft seines Status als Minderhei-tenvertretung besondere Wahlrechtsprivilegien genieße, sich in die Regierungsbildung nicht aktiv einschalten. Zum anderen wurde dem SSW nahe gelegt, sich auf die Vertretung von Minderheitsanliegen zu beschränken, da seine Abgeordneten ein allgemeines politisches Mandat im Grunde nicht besäßen. Diese beiden Argumentationsmuster werden hier auf ihre empirische und verfassungsrechtliche Belastbarkeit hin untersucht. Und es ergibt sich: Sie dürfen, die Dänen. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 616 – 629]
Saretzki, Thomas: Politikberatung durch Bürgergutachten? Konzept und Praxis des „kooperativen Diskurses“.
Nach 1989 hat der „Runde Tisch“ eine hohe symbolische Attraktivität als Modell für die Be-wältigung von Transformationsprozessen entfaltet, nicht nur in Mittelosteuropa, sondern auch bei der Suche nach neuen Politikformen und Vermittlungsinstitutionen zur Bearbeitung komplexer Probleme in westlichen Industriegesellschaften. Vor diesem Hintergrund sind verschiedene Konzepte für neue partizipativ und diskursiv ausgerichtete Vermittlungsformen modellhaft entworfen und experimentell erprobt worden. Eines dieser Konzepte, der „kooperative Diskurs“ von Ortwin Renn und Thomas Webler, wurde in partizipativen Verfahren zur Technikfolgenabschätzung von Biotechnologie und Gentechnik durch die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg eingesetzt. Die Umsetzung dieses mehrstu-figen Beratungskonzeptes verdeutlicht einige grundlegende Probleme von sequentiell angelegten Beteiligungsmodellen. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 630 – 648]
Hartmann, Jürgen: „Efficient parts of the Constitution“ und „die normative Kraft des Faktischen“: Bagehot, Jellinek und die Europäische Union.
Die Struktur der Regierungssysteme erschließt sich dem Blick hinter die Kulissen.Walter Bagehot und Georg Jellinek haben die Bedeutung der Praxis im Vergleich mit den formalen Normen des Regierungssystems hervorgehoben. Überträgt man ihre Vorstellungen von den zeremoniellen und wirksamen Verfassungselementen sowie von der normativen Kraft des Faktischen auf das europäische Regierungssystem, so wird das Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit als zentraler Schwachpunkt der Legitimität der europäischen Politik deutlich. Das Rechtstaatsdenken ist der wichtigste Rückhalt für die Wirksamkeit europäischen Rechts. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 649 – 665]
Müller-Rommel, Ferdinand: Parteienwettbewerb in mittelosteuropäischen Demokratien: Zum Zusammenhang von Strukturen der Regierungsbildung und Stabilität von Parteiensystemen.
Stabilität und Wandel mittelosteuropäischer Parteiensysteme sind bisher nur unzureichend empirisch untersucht worden. Auf der Grundlage eines kürzlich vonPeter Mair vorgeschlagenen Untersuchungsdesigns werden Offenheit beziehungsweise Geschlossenheit der Wettbewerbsstrukturen in zehn mittelosteuropäischen Parteiensystemen untersucht. Ergebnis ist, dass in fünf der untersuchten Staaten heute stabile Wettbewerbsstrukturen existieren; in zwei weiteren Staaten lassen sich in den letzten Jahren Stabilisierungstendenzen erkennen. Zusammengefasst heißt dies, dass die Stabilisierung mittelosteuropäischer Parteiensysteme in den letzten zehn Jahren deutlich vorangeschritten ist. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 666 – 679]
Horst, Patrick: Der neue Republikanische US-Kongress: Polarisiert, zentralisiert und nachgiebig gegenüber dem Präsidenten.
Vor knapp 20 Jahren am Ende der Präsidentschaft Ronald Reagans ermittelte Uwe Thaysen – basierend auf seiner Einschätzung dreier Bestimmungsfaktoren: Politikinhalte, Persönlichkeiten, Parteien – eine deutliche Machtverlagerung vom Präsidenten auf den Kongress. Seine Prognose einer auf längere Zeit anhaltenden Selbstbehauptung des Kongresses bewahrheitete sich gegenüber den Präsidentschaften George H.W. Bushs und Bill Clintons. Durch die „Republikanische Revolution“ 1995, den Amtsantritt George W. Bushs und den 11. September 2001 veränderten sich jedoch die bestimmenden Konstellationen in der Gewaltenbalance: Der Neue Republikanische Kongress ist das Ergebnis elektoraler Verschiebungen, die das nationale Parteiensystem vereinheitlicht und die Republikanische Partei „versüdlicht“ haben. Die gewachsene Homogenität der Parteien hat die Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten im Kongress auf die Spitze getrieben. Mit den Organisationsreformen im 104. Kongress (1995-97) haben die Republikaner die Zentralisierung im Kongress weiter verstärkt, gleichzeitig den Kongress als Institution jedoch geschwächt. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat Präsident Bushweitreichende Notstandsrechte erhalten. Insgesamt hat die Trias der Bestimmungsfaktoren – Politikinhalte, Persönlichkeiten, Parteien – im zurück-liegenden Jahrzehnt Republikanischer Mehrheiten Machteinbußen des Kongresses gegenüber der Exekutive bewirkt. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 680 – 699]
Livingston, Robert Gerald: Legislatures and Intelligence Services: A Dark Spot in Executive Oversight?
In den USA haben seit den Anschlägen vom 11. September 2001 die Geheimdienste und ihr Scheitern zuvor ungekannte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der Kongress hat bis heute mehrere Anhörungen veranstaltet und eine Reihe von Untersuchungsberichten publiziert. Dabei ist Kontrolle vom Kongress besonders schwierig zu behaupten, wenn das Weiße Haus einen Krieg gegen Terrorismus führt und die Macht der Exekutive für diesen Krieg stärkt. Der Kongress hat bisher besonders sorgfältig die Verbindungen von amerikanischen Geheimdiensten mit ausländischen Partnern untersucht. Um noch stärkere Kontrolle ausüben zu können, könnte der Kongress gezwungen sein, neue Instrumente zu entwickeln, wie zum Beispiel die im Deutschen Bundestag übliche Einsetzung einer kleinen Gruppe von Abgeordneten, die von der Exekutive in operationelle Probleme der Geheimdienste eingeweiht wird. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 700 – 704]
Kloth, Hans Michael: UN-Reform im 109. US-Kongress. Oder: Wenn Außenpolitik zum innenpolitischen Spielball wird.
Kritik an Ineffizienz und mangelnder Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen ist eine Konstante der amerikanischen Außenpolitik. Das Versagen der internationalen Gemeinschaft in Jugoslawien, Ruanda oder Darfur, das Nein zum Irak-Krieg und eine Reihe von Skandalen haben die UN in amerikanischen Augen weiter delegitimiert und den Ruf nach weitgehenden Reformen lauter werden lassen. Bastion dieser Haltung ist der US-Kongress, der wiederholt Versuche unternommen hat, über seine Haushaltsprärogative per Einbehaltung von US-Beiträgen Reformen der Weltorganisation zu erzwingen. Jüngstes und drastisches Beispiel ist der im Juni 2005 vom Repräsentantenhaus verabschiedete „Henry J. Hyde United Nations Reform Act“, der die automatische Kürzung der US-Beiträge um 50 Prozent für den Fall vorsieht, dass die UN binnen zwei Jahren nicht mehrere Dutzend Reformvorgaben erfüllt. [ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 705 – 722]