Kintz, Melanie: Daten zur Berufsstruktur des 16. Deutschen Bundestages.
Neben der Fortschreibung der Dokumentation zur Berufsstruktur des Bundestages nach dem von Adalbert Hess entwickelten Kategorienschema wird ein Vergleich zwischen ost- und westdeutschen Abgeordneten wieder aufgenommen. Die Daten zeigen, dass sich die Berufsprofile nur teilweise angleichen. Ostdeutsche Abgeordnete sind nach wie vor selten in der Verwaltung und unter den Freiberuflern und Selbständigen zu finden. Dieser Trend setzt sich auch unter den jüngeren Parlamentariern fort, die ihre berufliche Ausbildung im vereinigten Deutschland begonnen und beendet haben. Generell gilt, dass immer mehr, vor allem jüngere Parlamentarier aus den Parteien und Fraktionen rekrutiert werden. Zudem hat die Allianz von WASG und PDS dazu geführt, dass jetzt die Fraktion der Linken Gewerkschaftsfunktionäre stärker repräsentiert und damit die Vorherrschaft der SPD in dieser Gruppe beendet. [ZParl, 37. Jg., H. 3, S. 461 ff.]
Feldkamp, Michael F.: Frack und Cut im Bundestag. Die Einführung des Bundestagsfracks vor 50 Jahren.
Der 1949 konstituierte Deutsche Bundestag führte erst in seiner 2. Wahlperiode im Januar 1955, insbesondere auf Betreiben des Abgeordneten Karl Mommer (SPD) und des Vizepräsidenten Carlo Schmid (SPD), mit dem Frack eine einheitliche Dienstkleidung für die Saaldiener im Plenarsaal ein. Im Ringen um einen würdigen und angemessenen Parlamentsstil wurde gleichzeitig ein Eröffnungszeremoniell für die Plenarsitzungen gefunden, das bis heute gültig ist. Der Frack wurde nach französischem Vorbild gewählt; längst war die vergleichbare Kleiderordnung für die Saaldiener aus dem Jahre 1911 vergessen. Der amtierende Bundestagspräsident trug während der Sitzungsleitung den Cutaway mit silbergrauer Krawatte, der Direktor trug einen „Stresemann“. Der Cut einwickelte sich in den darauf folgenden Monaten zu einer der beliebtesten Abendgarderoben in Bonn, so dass der Bundestagspräsident unbeabsichtigt zum Trendsetter der Bonner Herrenmode wurde. Bis heute hat der Bundestagsfrack für die Saaldiener Bestand. Er wurde ein Markenzeichen und steht als Chiffre für die Würde des Hohen Hauses. [ZParl, 37. Jg., H. 3, S. 481 ff.]
Pappi, Franz Urban, Alexander Herzog und Ralf Schmitt: Koalitionssignale und die Kombination von Erst- und Zweitstimme bei den Bundestagswahlen 1953 bis 2005.
In deutschen Bundestagswahlkämpfen signalisieren die Parteien oft ihre Bereitschaft für bestimmte Koalitionsregierungen. Inwieweit die Wähler auf derartige Signale reagieren, kann anhand der Aufteilung der Erst- und Zweitstimmen untersucht werden, indem für alle Bundestagswahlen von 1953 bis 2005 die Kombinationstabellen aus Erst- und Zweitstimmen der repräsentativen Wahlstatistik ausgewertet werden. Zusätzlich hilft ein Datensatz, der auf einer inhaltsanalytischen Erfassung von Medienberichten und Fachbeiträgen zu den Bundestagswahlen von 1953 bis 2005 beruht. Kodiert sind sowohl positive als auch negative Koalitionsaussagen, die Parteirepräsentanten vor einer Bundestagswahl geäußert haben. Es zeigt sich, dass die gemessenen Koalitionssignale den Verlauf des strategischen Stimmensplittings zwischen den Koalitionsoptionen CDU/CSU-FDP und SPD-FDP widerspiegeln. Weniger deutlich ist der Zusammenhang für das Stimmensplitting zwischen der SPD und den Grünen. Die gefundenen Zusammenhänge bestätigt auch die loglineare Tabellenanalyse; Einflüsse möglicher Drittvariablen können ausgeschlossen werden. [ZParl, 37. Jg., H. 3, S. 493 ff.]
Jesse, Eckhard: Die Bundestagswahl 2005 im Spiegel der repräsentativen Wahlstatistik.
Das Instrumentarium der amtlichen repräsentativen Wahlstatistik wird bei Bundestagswahlen seit 1953 angewendet. Diese weltweit einzigartige Wahlstatistik ermittelt anhand von Auszählungen die Wahlbeteiligung und das Stimmverhalten nach Alter und Geschlecht. Für die Bundestagswahl 2005 ergaben sich folgende Ergebnisse: Die Wahlbeteiligungsquoten von Männern und Frauen unterscheiden sich fast nicht mehr. Die Differenz zwischen dem Wahlverhalten der Männer und dem der Frauen ist bei den beiden großen Parteien ebenfalls nicht sonderlich groß. Die SPD wird weiterhin stärker von Frauen (35,5 Prozent) als von Männern (32,8 Prozent) gewählt. Die Differenz zwischen den Altersgruppen ist bei der SPD (18 bis 24 Jahre: 36,9 Prozent; 25 bis 34 Jahre: 32,7 Prozent) deutlich geringer als bei der Union (18 bis 24 Jahre: 26,4 Prozent; ab 60 Jahre: 43,3 Prozent), deren Wählerschaft mit zunehmenden Alter wächst. Die repräsentative Wahlstatistik ist aufgrund ihrer Genauigkeit (auch im Bereich des Stimmensplittings) wichtig, doch sind Alter und Geschlecht keine wahlbestimmenden Faktoren. Insofern stehen die Validität der Ergebnisse und ihre Relevanz in einer gewissen Diskrepanz. [ZParl, 37. Jg., H. 3, S. 513 ff.]
Niedermayer, Oskar: Die Wählerschaft der Linkspartei.PDS 2005: sozialstruktureller Wandel bei gleich bleibender politischer Positionierung.
Die in Linkspartei.PDS umbenannte PDS konnte bei der Bundestagswahl 2005 durch die Zusammenarbeit mit der WASG ihr Wahlergebnis gegenüber 2002 mehr als verdoppeln. Inwieweit unterscheidet sich ihre Wählerschaft 2005 von der früheren PDS-Wählerschaft im Hinblick auf die sozialstrukturelle Zusammensetzung und die politischen Positionen? Bei der Sozialstruktur ist ein deutlicher Wandel festzustellen: Im Osten Deutschlands ist die Partei nicht mehr die Repräsentantin der ehemaligen DDR-Eliten. Hinzu kommt das Vordringen in eine neue Wählerschicht im Westen, so dass sich das gesamtdeutsche Sozialprofil der Wählerschaft in Richtung einer Partei der sozial Schwachen und Modernisierungsverlierer verschoben hat. Dies wurde jedoch nicht von einer Veränderung der politischen Positionen begleitet. Wie zuvor zeichnen sich auch die Linkspartei.PDS-Wähler von 2005 durch eine dezidiert „linke“ ideologische Selbsteinschätzung, eine Verortung am sozialstaatlichen Pol der sozio-ökonomischen Konfliktlinie und eine vergleichsweise geringe Systemakzeptanz aus. Um die traditionellen und neuen Wähler auch künftig für sich zu mobilisieren, muss die Linkspartei.PDS somit keinen inhaltlichen Spagat vollbringen. Sie kann sich auf die Vermittlung ihrer Stellung als Repräsentantin des Sozialstaatspols in der sozio-ökonomischen Konfliktlinie des Parteiensystems konzentrieren. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich mittelfristig als relevante Partei im gesamtdeutschen Parteiensystem behaupten kann. [ZParl, 37. Jg., H. 3, S. 523 ff.]
Becher, Johannes: Staatliche Mittel für Listenvereinigungen von Parteien? Zur Verfassungs- und Rechtswidrigkeit von § 52 c Landeswahlgesetz Sachsen-Anhalt.
§ 16 Abs. 1 Satz 1 LWG-ST ermöglicht es selbständigen Parteien, eine „Listenvereinigung“ zu bilden und sich an der Landtagswahl mit gemeinsamen Wahlvorschlägen (Landesliste und Direktkandidaten) zu beteiligen. § 52c Abs. 1 LWG-ST sieht vor, dass Listenvereinigungen, die in der Landtagswahl mindestens ein Prozent der gültigen „Parteienstimmen“ erreicht haben, auf Antrag für jede gültige Parteienstimme 4 DM (ca. 2,05 Euro) erhalten. Ist für eine solche Listenvereinigung eine Liste („Landeswahlvorschläge“) nicht aufgestellt oder zugelassen worden, erhält die Listenvereinigung für jede von ihr erzielte gültige „Personenstimme“ 4 DM, sofern der Direktkandidat 10 v. H. der im Wahlkreis abgegebenen gültigen Personenstimmen erreicht hat (§ 52c Abs. 2 LWG-ST). Diese Regelung ist unter anderem wegen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, die durch Erlass des Parteiengesetzes wahrgenommen wurde, verfassungswidrig. Es gibt drei Lösungsmöglichkeiten: ersatzlose Aufhebung des § 52c LWG-ST durch den Landesgesetzgeber, abstrakte und konkrete Normenkontrolle. Zusätzlich sollte geprüft werden, ob das geltende Parteiengesetz angepasst werden muss, um der Wählerverwurzelung Rechnung zu tragen, zu der Parteien im Rahmen der erfolgreichen Teilnahme einer solchen Listenvereinigung beitragen. [ZParl, 37. Jg., H. 3, S. 538 ff.]
Stüwe, Klaus: Informales Regieren. Die Kanzlerschaften Gerhard Schröders undHelmut Kohls im Vergleich.
Die Kanzlerschaft Helmut Kohls war von einem hohen Informalitätsgrad gekennzeichnet. Die Regierungspraxis der Regierung Schröder, angetreten mit dem Ziel, „das hohe Maß an informalem und intransparentem politischen Management derKohl-Ära zu vermeiden“, erwies sich im Verlauf ihrer Amtszeit indessen als nicht weniger informal. Während das „System Kohl“ vorwiegend von Informalität im Bereich des Koalitionsmanagements geprägt war, zeichnete sich das „System Schröder“ durch die mediengerechte Funktionalisierung informaler Beratungs- und Konsensgremien aus. Bei Kohl monierte man vor allem die Oligarchisierung und Intransparenz der Entscheidungsfindung. Schröder wurde vorgeworfen, die „Kommissionitis“ schwäche den Parlamentarismus und führe zu einer nicht legitimierten Verlagerung von Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen. Letzteres hat durchaus problematische Folgen, wenn durch informale Gremien ein öffentlicher Druck erzeugt wird, dem sich formale Institutionen wie der Deutsche Bundestag nur schwer entziehen können. Informalität bringt im Bereich der Regierung aber auch eine Reihe von Vorteilen. Entscheidend ist die Frage, ob die normativen Grundsätze der Partizipationsgleichheit, der Legitimation sowie der demokratischen Kontrolle gewahrt werden. [ZParl, 37. Jg., H. 3, S. 544 ff.]
Siefken, Sven T.: Regierten die Kommissionen? Eine Bilanz der rot-grünen Bundesregierungen 1998 bis 2005.
Das Regieren per Expertenkommission wurde von vielen Beobachtern als neues Instrument des Stils der rot-grünen Bundesregierungen zwischen 1998 und 2005 bezeichnet. Unter Abgrenzung zu anderen Gremien der Politikberatung wie Beiräten oder Projektgruppen können 25 Expertenkommissionen bestimmt werden, die von der rot-grünen Bundesregierung seit der 14. Wahlperiode eingesetzt wurden und ihre Arbeit bis zum Ende der 15. Wahlperiode abgeschlossen hatten. Dazu gehören viel beachtete Gremien wie die Weizsäcker-Kommission zur Bundeswehrreform, dieSüssmuth-Kommission zur Zuwanderung, die Hartz-Kommission über Arbeitsmarktreformen und die Rürup-Kommission zur Reform der Sozialversicherungen, aber auch viele Gremien, die kaum öffentliches Echo fanden. Anhand von insgesamt 40 Detailvariablen lassen sich drei Gruppen von Expertenkommissionen identifizieren: ein öffentlichkeitsorientierter, ein verwaltungsorientierter und ein wissenschaftsorientierter Typ. Biographische Daten von 378 Mitgliedern aus 23 Kommissionen zeigen darüber hinaus, dass Expertenkommissionen nicht primär als Einrichtungen der wissenschaftlichen Politikberatung zu verstehen sind. [ZParl, 37. Jg., H. 3, S. 559 ff.]
Thaysen, Uwe: Regierungsbildung 2005: Merkel, Merkel I, Merkel II?
Die Bildung Großer Koalitionen ist von besonderen Erwartungen begleitet, weil sie die Konturen der Macht weitgehend verändern könnten. Wenn aber zuvor gegeneinander opponierende Volksparteien zu einer neuen Regierung zusammen kommen, so verbindet sich damit auch die gegenteilige Befürchtung politischen Stillstands. Die Wirklichkeit 2005 und die Wahrscheinlichkeiten bis 2009 werden in der statistischen Dokumentation der Regierungsbildungen seit 1949 (S. 470 ff.) und in dem darauf bezogenen Aufsatz zur Sondierung, Verhandlung, Bildung sowie zum Start der zweiten Großen Koalition in Deutschland zu erfassen versucht. Welche Regelmäßigkeiten aus den vorangegangenen 19 Regierungsbildungen wurden durch die zwanzigste (2005/2006) bestätigt beziehungsweise relativiert? War der Start von Angela Merkelgelungen oder missglückt? Hat Merkel, so wie sie begonnen hat, mit dieser Regierung (Merkel I) begründete Aussicht, die ganze Legislaturperiode zu meistern? Wird sie nach der Wahl 2009 mit einer Regierung Merkel II antreten? Welche Koalition könnte das sein? [ZParl, 37. Jg., H. 3, S. 582 ff.]
Hildebrand, Klaus: Die erste Große Koalition 1966 bis 1969. Gefährdung oder Bewährung der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik?
Die Große Koalition von 1966 bis 1969 war anfangs heftiger Kritik ausgesetzt. Die wirtschaftliche Situation wurde als bedrohlich empfunden und die große Regierungsmehrheit im Bundestag als gefährlich für die parlamentarische Demokratie angesehen. Das Kabinett vereinte viele Spitzenkräfte und konnte sich auf die gute Zusammenarbeit der Vorsitzenden beider Regierungsfraktionen stützen. Die Koalition erwies sich als handlungsfähig und -bereit bei Entscheidungen, die unmittelbar den Alltag und die Existenz der Bürger betrafen. Sie betrieb eine moderne Gesellschaftspolitik und führte die Bundesrepublik hin zur Konsumgesellschaft. Als nicht handlungsbereit und -fähig zeigte sie sich hingegen bei großen, grundsätzlichen Fragen, vor allem in der Außenpolitik. Kritisiert wurde die Koalition für die Schwächung der Opposition und das Erstarken von Extremismen und somit für eine Schwächung des Parlamentarismus. Erstens stand aber das Aufkommen der Extremismen in keinem ursächlichen Verhältnis zur Koalition, und zweitens wurde die parlamentarische Opposition nicht nur von der FDP betrieben, sondern auch von Teilen der Regierungsfraktionen. Diese arbeiteten nicht gegen ihre Regierung, gingen aber gegen einzelne Gesetzesvorhaben vor. Die Große Koalition sorgte daher für eine Stärkung des Selbstbewusstseins von Abgeordneten, Fraktionen und des Bundestages – und insgesamt für die Bewährung der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik. [ZParl, 37. Jg., H. 3, S. 611 ff.]
Probst, Lothar: Große Koalitionen als Sanierungsmodell? Erfahrungen aus Bremen.
Große Koalitionen, so erscheint es angesichts der Tatsache, dass die Bundesrepublik erst zum zweiten Mal von einem solchen Bündnis regiert wird, repräsentieren eher eine „Ausnahmekonstellation“. Bezieht man die Landesebene ein, zeigt sich jedoch, dass es seit der Gründung der Bundesrepublik häufiger Große Koalitionen gegeben hat, als gemeinhin angenommen wird. Zurzeit werden mehr Bundesländer so regiert als jemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik – unter anderem auch Bremen, wo SPD und CDU mittlerweile seit elf Jahren gemeinsam den Senat stellen. Obwohl die Bedingungen auf der Bundesebene sich in vielerlei Hinsicht von der Situation im kleinsten Bundesland unterscheiden, erlaubt das „Bremer Modell“ der Großen Koalition einige Rückschlüsse auf die innere Dynamik dieses Regierungsformats. Während in den ersten beiden Legislaturperioden das kooperative Verhältnis der Spitzenakteure der Großen Koalition ein wesentlicher Garant des Erfolgs war, entwickelt sich die Koalition in ihrer dritten Legislaturperiode zu einem Krisenbündnis und steht unter dem „Gesetz der sinkenden Effektivität“. [ZParl, 37. Jg., H. 3, S. 626 ff.]