Lindner, Ralf und Ulrich Riehm: Modernisierung des Petitionswesens und der Einsatz neuer Medien.
In den letzten Jahren sind im Petitionswesen in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern, einige bemerkenswerte Reformen eingeführt worden, die eine erhöhte Transparenz und Attraktivität des Petitionsprozederes versprechen. Bei diesen Modernisierungen spielt die Anwendung neuer Medientechnologien eine wichtige Rolle, indem sie die elektronische, internetbasierte Einreichung, Veröffentlichung, Mitzeichnung und Diskussion von Petitionen, so genannten E-Petitionen, ermöglicht. Der Deutsche Bundestag hat durch den inzwischen in den Regelbetrieb überführten Modellversuch „Öffentliche Petitionen“ Anerkennung als einer der Vorreiter unter den parlamentarischen E-Petitionssystemen erfahren. Diese ersten zaghaften Institutionalisierungsschritte hin zu einer erhöhten Verfahrenspublizität sowie die beobachtete Akzeptanz bei Bürgern und Politik sind positiv zu bewerten. [ZParl, 40. Jg., H. 3, S. 495 ff.]
Riehm, Ulrich und Matthias Trénel: Öffentliche Petitionen beim Deutschen Bundestag – Ergebnisse einer Petentenbefragung.
Petitionen stellen eine der wesentlichen Möglichkeiten politischer Beteiligung dar. Trotzdem ist bislang wenig bekannt über die Petenten, ihre soziodemografische Zusammensetzung, ihre Beweggründe und ihre Bewertung des Petitionsprozesses. Im Zuge der Einführung öffentlicher Petitionen beim Deutschen Bundestag, die per Internet eingereicht, mitgezeichnet und diskutiert werden, bot sich 2007 im Rahmen einer begleitenden Evaluation erstmals die Gelegenheit, eine schriftliche Befragung von 571 Einreichern herkömmlicher und 350 Einreichern öffentlicher Petitionen durchzuführen. Die Befragung zeigt, dass beide Petentengruppen im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt häufiger politisch aktiv sind und das Internet stärker nutzen. Durch die Einführung öffentlicher Petitionen ist es dem Deutschen Bundestag gelungen, in stärkerem Maße als bisher jüngere Bevölkerungskreise zu erreichen; jedoch konnte die Dominanz von Männern und Petenten mit Hochschulbildung nicht reduziert werden. Gleichwohl scheint das Angebot öffentlicher Petitionen den Nerv der Petenten zu treffen, denn die meisten verfolgen kein privates Anliegen, sondern wünschen sich, ihre politisch motivierten Bitten zu Gesetzesänderungen in der Öffentlichkeit vorzutragen. Berücksichtigt man die relative Unbekanntheit öffentlicher Petitionen, so scheint ihr Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft zu sein. [ZParl, 40. Jg., H. 3, S. 512 ff.]
Riehm, Ulrich, Christopher Coenen und Ralf Lindner: Zur Öffentlichkeit des Petitionsverfahrens beim Deutschen Bundestag und beim Schottischen Parlament.
Das Schottische Parlament war Vorreiter bei der Einführung elektronischer Petitionen und der Deutsche Bundestag zeichnet sich dadurch aus, dass er als erstes nationales Parlament ein solches System eingeführt hat. Diese informations- und kommunikationstechnischen Modernisierungen sind im Kontext je unterschiedlicher institutioneller Reformen des parlamentarischen Petitionswesens zu betrachten. Von besonderem Interesse ist dabei der Aspekt der Öffentlichkeit des Petitionsverfahrens (Öffentlichkeit der Petition, Einsicht in die Petitionsakte, Öffentlichkeit der Ausschusssitzung, Informationsgehalt der Beschlussvorlage für das Plenum). Vergleicht man das Petitionsverfahren beim schottischen und beim deutschen Parlament unter diesem Aspekt, zeigt sich für Schottland eine grundsätzliche und umfassende Öffentlichkeit des gesamten Petitionsverfahrens und der ihm zugrunde liegenden Dokumente, für Deutschland eine vorsichtige Öffnung hin zu mehr Transparenz, aber ein grundsätzliches Festhalten an der Nichtöffentlichkeit des Petitionsverfahrens. [ZParl, 40. Jg., H. 3, S. 529 ff.]
Schmedes, Hans-Jörg: Mehr Transparenz wagen? Zur Diskussion um ein gesetzliches Lobbyregister beim Deutschen Bundestag.
Die Vertretung gesellschaftlicher Interessen stellt ein Wesensmerkmal parlamentarischer Demokratien dar. Da jedoch das Verhältnis zwischen Parlament, Regierung und Interessenvertretern in Deutschland bislang keinen Transparenzverpflichtungen unterliegt, sondern sich weitgehend im Verborgenen abspielt, existiert in der Öffentlichkeit ein weit verbreitetes Unbehagen gegenüber den Aktivitäten und der vermeintlichen Übermacht von Interessengruppen. Ausgehend von Forderungen nach einem gesetzlichen Lobbyregister in den Programmen einzelner Parteien zur Bundestagswahl werden zunächst die Herausforderungen einer solchen Regelung diskutiert. Der Blick auf gesetzliche Registrierungspflichten in den USA und in Kanada sowie der Entwicklungen auf europäischer Ebene zeigen die Defizite der seit 1972 vom Bundestagspräsidenten geführten Verbändeliste. Zentrales Element eines möglichen Lobbyregisters sollte eine sanktionsbewehrte Registrierungspflicht mit Angaben zu den Auftraggebern sowie den finanziellen wie organisatorischen Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit sein. Eine Realisierung dieser Offenlegungspflichten würde die Transparenz und somit auch die Legitimität parlamentarischer Entscheidungsprozesse deutlich verbessern. [ZParl, 40. Jg., H. 3, S. 543 ff.]
Maier, Jürgen, Alexander Glantz und Severin Bathelt: Was wissen die Bürger über Politik? Zur Erforschung der politischen Kenntnisse in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 2008.
Aus demokratietheoretischer Sicht sind fundierte Kenntnisse über politische Zusammenhänge ein Grunderfordernis. Bisher liegen aber nur sehr wenige empirisch abgesicherte Erkenntnisse über das politische Wissen der Bundesbürger vor. Um herauszufinden, wie Kenntnisse über politische Fakten in der deutschen Bevölkerung verteilt sind, wurden sämtliche bei GESIS-ZA verfügbaren repräsentativen Bevölkerungsumfragen aus den Jahren 1949 bis 2008, in denen politische Wissensfragen gestellt wurden, auf der Aggregatebene ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass die politischen Kenntnisse der Bürger insgesamt auf einem moderaten Niveau angesiedelt sind. Allerdings hängt das Wissensniveau stark vom Inhalt der gestellten Fragen und der dabei zur Anwendung kommenden Methodik ab. Das Wissen der Bürger ist über die Zeit hinweg weitgehend stabil. Ausnahmen sind die 1970er und 1980er Jahre, in denen das Wissensniveau erheblich unter den Kenntnisständen lag, die in früheren oder späteren Zeiträumen gemessen wurden. Generelle Wissensunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen lassen sich weder für bestimmte Zeiträume noch für bestimmte Themen nachweisen. [ZParl, 40. Jg., H. 3, S. 561 ff.]
Best, Volker: Die Strategie der kommunizierten Ehrlichkeit im CDU/CSU-Bundestagswahlkampf 2005.
Der Bundestagswahlkampf 2005 brachte mit der von CDU/CSU verfolgten Strategie der kommunizierten Ehrlichkeit eine Innovation in der Geschichte bundesdeutscher Wahlkampagnen hervor, die erstmals umfassend hinsichtlich Motivation, Ausgestaltung, Problemen und Effekten analysiert wird. Während ihr Plan, Vagheiten und Unehrlichkeiten im Programm hinter plakativen Zumutungen zu verstecken, weitgehend aufgegangen sein dürfte, hat sich die CDU/CSU mit weit offenkundigeren – teils strategisch motivierten, teils situativ verursachten – Unehrlichkeiten auf der Ebene der operativen Wahlkampfführung um die Früchte der Entbehrungen gebracht, die sie in einem an Versprechen armen und an erklärungsbedürftigen Zumutungen reichen Wahlkampf auf sich genommen hatte. Der Misserfolg der Union 2005 bedeutet nicht, dass ein Verzicht auf unrealistische Versprechen sich nicht auszahlen kann, er sollte aber als Warnung davor dienen, Ehrlichkeit zum Kampagnen-Leitthema auszurufen. [ZParl, 40. Jg., H. 3, S. 579 ff.]
Manow, Philip und Martina Nistor: Wann ist ein Listenplatz sicher? Eine Untersuchung der Bundestagswahlen 1953 bis 2002.
Berechnet man für alle Bundestagswahlen seit 1953 für jeden Rangplatz der Parteilandeslisten die Wahrscheinlichkeit, von ihm aus in den Bundestag gewählt zu werden, zeigt sich, wann ein Listenplatz sicher ist. Die Identifizierung sicherer Listenplätze ermöglicht die Untersuchung der Nominierungsstrategien der Parteien. Da die weit überwiegende Zahl der Abgeordneten sowohl auf der Liste als auch in einem Wahlkreis kandidiert, kann ermittelt werden, wie die Parteien (un)sichere Listenplätze mit (un)sicheren Wahlkreisen kombinieren. Dies gibt Aufschluss über die relative Attraktivität von Listen- versus Wahlkreiskandidaturen, über mögliche parlamentarische Rollendifferenzierungen von Direkt- und Listenabgeordneten und nicht zuletzt über die Effektivität des demokratischen Grundsanktionsmechanismus – die Abwahl. [ZParl, 40. Jg., H. 3, S. 603 ff.]
Behnke, Joachim: Überhangmandate bei der Bundestagswahl 2009 – Eine Schätzung mit Simulationen.
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erhält, als ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis dort zustehen würden. Die Bundestagswahl 2009 dürfte aus mehreren Gründen besonders anfällig für Überhangmandate sein und es ist sehr wahrscheinlich, dass mehr Überhangmandate als je zuvor entstehen. Grund hierfür ist unter anderem der von allen Umfrageinstituten einheitlich vorausgesagte starke Einbruch der SPD. Mit Hilfe von Simulationen wird gezeigt, dass die von den Umfragen derzeit geschätzten Zahlen die Entstehung von Überhangmandaten zugunsten der CDU in einem bisher nicht gekannten Ausmaß begünstigen, solange man von den bisher üblichen Stimmensplittingmustern ausgeht. Sollte sich hingegen das Splittingverhalten der Anhänger der Partei Die Linke dahingehend verändern, dass sie in einem deutlich stärkeren Ausmaß als bisher ihre Erststimme dem SPD-Wahlkreiskandidaten geben, dann könnte die SPD trotz – und absurderweise gerade wegen – ihrer immensen Verluste an Zweitstimmen die Partei sein, die am meisten von den Überhangmandaten profitieren würde. [ZParl, 40. Jg., H. 3, S. 620 ff.]
Linhart, Eric: Mögliche Auswirkungen von Grabenwahlsystemen in der Bundesrepublik Deutschland. Theoretische Überlegungen und Simulationen.
Verschiedene Autoren haben sich in kürzlich erschienenen Beiträgen mit der Möglichkeit befasst, die personalisierte Verhältniswahl in Deutschland durch ein Grabenwahlsystem zu ersetzen. Auch das Bundesverfassungsgericht verwies ausdrücklich darauf, dass es ein Grabenwahlsystem akzeptiere, solange damit das aktuelle Problem des negativen Stimmgewichts behoben wird. Doch wie erfüllt die personalisierte Verhältniswahl funktionelle Ziele und wo liegen Chancen und Risiken von Grabenwahlsystem und reiner Verhältniswahl mit Fünfprozenthürde? Die nähere Betrachtung der personalisierten Verhältniswahl zeigt, dass man mit Blick auf die Partizipationsfunktion zu unterschiedlichen Bewertungen kommen kann. Das Verhältnis von Repräsentations- und Konzentrationsfunktion gibt hingegen Anlass zu Kritik. Vor allem die Konzentrationsfunktion wird trotz der komplexen Konstruktion der personalisierten Verhältniswahl nicht erfüllt. Simulationen zeigen, dass auch die Umstellung auf ein Grabenwahlsystem nicht beide Funktionen optimal erfüllen kann, aber Repräsentations- und Konzentrationsfunktion besser austariert. Die reine Verhältniswahl ist deutlich weniger komplex als das derzeitige System, aber bei wohlüberlegter Ausgestaltung genauso funktionell. Beide Alternativen beheben das Problem des negativen Stimmgewichts. [ZParl, 40. Jg., H. 3, S. 673 ff.]
Fritzsche, Erik: Innerfraktionelle Geschlossenheit im Spiegel der Politikwissenschaft. Stand der Forschung und notwendige Weiterführungen.
Innerfraktionelle Geschlossenheit ist eine wichtige Determinante für das Funktionieren der Regierungssysteme und des politischen Wettbewerbs. Während im parlamentarischen Regierungssystem die Stabilität der Regierung oft unmittelbar von hoher Fraktionsgeschlossenheit abhängt, können im präsidentiellen Regierungssystem verschiedene Geschlossenheitsniveaus auch unterschiedliche Auswirkungen haben. Folglich ist es wichtig zu klären, wie Fraktionsgeschlossenheit entsteht. Es wird ein kritischer Bericht der international verfügbaren Literatur zum Thema gegeben. Dabei werden die verfügbaren theoretischen Modelle und Hypothesen vorgestellt, bevor die vorliegenden vergleichenden und Einzelfallstudien berichtet werden. Schließlich wird sich den Forschungsdefiziten und einigen weiterführenden Vorschlägen gewidmet. Der dabei festzustellende Mangel an theoriebildenden Vergleichsstudien zeigt teils die ganz üblichen vergleichsbehindernden Probleme, teils jedoch auch einige Probleme der internationalen Parlamentarismusforschung auf. Es fehlen nämlich nicht nur internationale Daten zu vielen wichtigen Aspekten des Parlamentarismus, vielmehr ist auch das Forschungsprogramm, das diese Daten beschaffen könnte, nicht in Sicht. [ZParl, 40. Jg., H. 3, S. 661 ff.]