Winkler, Jürgen R.: Die saarländische Landtagswahl vom 25. März 2012: Von Jamaika zur Großen Koalition.
Die strukturellen Gegebenheiten und politischen Traditionen des Saarlandes haben die Wahl der CDU seit den 1950er Jahren stets begünstigt. Wegen des schlechten Erscheinungsbildes der Regierungsparteien bestimmten bei dieser Wahl landespolitische Themen den Wahlkampf. Da SPD und CDU eine Große Koalition anstrebten, ging es für beide Parteien darum, als stärkste Partei aus den Wahlen hervorzugehen. Die regierende CDU konnte sich behaupten und erneut die Ministerpräsidentin stellen. Die SPD gewann merklich hinzu und trat der ersten Großen Koalition im Saarland bei. Während die Ausdehnung der Linkspartei gestoppt wurde und die Grünen nur knapp die Fünfprozenthürde schafften, wurde die FDP von den Wählern aus dem Landtag geworfen. Viele unzufriedene junge Saarländer machten schließlich die Piratenpartei zum größten Gewinner der Wahl. [ZParl, 43. Jg., H. 3, S. 507 – 524]
Horst, Patrick: Die schleswig-holsteinische Landtagswahl vom 6. Mai 2012: SPD, Grüne und SSW bilden erste Dänen-Ampel.
Nach nur zweieinhalb Jahren im Amt wurde die CDU/FDP-Koalition in Kiel wieder abgewählt. Die Wahl war nötig geworden, nachdem das Landesverfassungsgericht das Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt und eine Neuwahl anberaumt hatte. Die Wähler waren mit der Leistungsbilanz der Regierung unzufrieden und wünschten sich mehrheitlich einen Regierungswechsel, weshalb SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig einen nur wenig konfrontativen Wahlkampf führte. Der Sympathievorsprung vor seinem Kontrahenten war deutlich. Trotz eines starken Ergebnisses der Grünen reichte es nicht zu einer Mehrheit für SPD und Grüne. Der SSW, die Partei der dänischen Minderheit, erklärte sich jedoch erstmals bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die Bildung der ersten Koalition aus SPD, Grünen und SSW in Deutschland ging zügig vonstatten. Bei der Ministerpräsidentenwahl konnte sie sich auf zwei Stimmen der Piraten stützen, die in das dritte deutsche Landesparlament in Folge einzogen. [ZParl, 43. Jg., H. 3, S. 524 – 543]
Bajohr, Stefan: Die nordrhein-westfälische Landtagswahl vom 13. Mai 2012: Von der Minderheit zur Mehrheit.
Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen verschaffte der rot-grünen Minderheitsregierung eine komfortable parlamentarische Mehrheit. Nach einem Wahlkampf, der mehr auf die politischen Protagonisten als auf Programme fokussiert war, schöpfte die SPD ihr Wählerreservoir aus und erzielte bei Arbeitnehmern und Gewerkschaftern überdurchschnittliche Ergebnisse. Sie gewann auch von bisherigen Nichtwählern und Wählern der CDU Stimmen. Weitere Wahlgewinner waren die Piratenpartei und die FDP, die überraschend wieder in den Landtag einzog. Die CDU erzielte das schlechteste Wahlergebnis in der NRW-Geschichte; auch die Grünen verloren. Die Linke scheiterte an der Fünfprozenthürde. SPD und Grüne erwiesen sich als Großstadtparteien, während die CDU bei Katholiken und in Gemeinden unter 100.000 Einwohnern besser abschnitt als im Landesdurchschnitt. Das Wahlergebnis veränderte die Gewichte sowohl in der Koalitionsregierung als auch im Landtag: Die Landesregierung wurde sozialdemokratischer und mit der Piratenpartei betraten neue Akteure die politische Bühne. [ZParl, 43. Jg., H. 3, S. 543 – 563]
Fürnberg, Ossip: Landtagswahlen im „Schatten“ von Bundestagswahlkämpfen: Welchen Einfluss hat der Wahltermin?
Wenn Landtagswahlen stattfinden, wird bei der anschließenden Wahlanalyse stets auf den möglichen bundespolitischen Einfluss eingegangen. Seit 1990 finden Landtagswahlen regelmäßig in zeitlicher Nähe zu Bundestagswahlen statt. Diese Gleichzeitigkeit erhöht den Einfluss bundespolitischer Faktoren auf das Wahlverhalten bei den betroffenen Landtagswahlen. Die Wahl kleiner Parteien ist von diesem Effekt sogar in besonderem Maße betroffen. Die Analysen zeigen aber auch, dass Wahlentscheidungen, zu Gunsten von Parteien die an der Landesregierung beteiligt sind, vom parallelen Bundestagswahlkampf verhältnismäßig gering beeinflusst werden. [ZParl, 43. Jg., H. 3, S. 564 – 579]
Linhart, Ericund Jana Windwehr: Die Bedeutung bestimmter Ministerien, Geschäftsbereiche und Politikfelder für die Parteien in den deutschen Bundesländern.
Dass bei Regierungsbildungen in den Ländern die Parteien die Ministerien proportional zu ihrer Stärke im Parlament aufteilen, ist nicht überraschend. Welche Partei aber welches Ressort wählt, welche Politikfelder schwerpunktmäßig besetzt werden, ist bisher wenig erforscht. Basierend auf einem Fragebogen an die Partei- und Fraktionsvorstände aller in den jeweiligen Landtagen vertretenen Parteien, wurde ermittelt, wie bedeutsam die einzelnen Parteien bestimmte Ministerien, Geschäftsbereiche und Politikfelder sind. Neben dem Ministerpräsidenten, der erwartungsgemäß als am wichtigsten angesehen wird, gilt die Leitung des Finanzministeriums als Schlüsselposition. Finanzen ist neben Schule und Bildung sowie Energie auch der Geschäftsbereich, der einer allgemeinen Einschätzung nach besonders bedeutsam ist. Am Ende der Skala rangieren Sport, Bund und Europa oder Forsten, aber auch klassische Portfolios wie Justiz. Fasst man ähnliche Geschäftsbereiche zu breiteren Politikfeldern zusammen, so zeigen sich zum Einen wieder zu erwartende Ergebnisse: SPD und Linke bewerten das Politikfeld Arbeit und Soziales am höchsten, Union und FDP Finanzen und Bündnis 90/Die Grünen Umwelt und Landesplanung. Zum anderen finden sich Resultate, die in dieser Form nicht unbedingt absehbar waren, wie die hohe Bewertung des Politikfelds Landwirtschaft durch die Grünen oder die vergleichsweise niedrige Einschätzung von Kultus durch die CDU/CSU. [ZParl, 43. Jg., H. 3, S. 579 – 597]
Hoffmann, Josef und Michael Wisser: Sachverständige Rechtsetzung: Die Ausschüsse des Bundesrates in der Gesetzgebung des Bundes.
Das föderative Bundesorgan Bundesrat wird in der öffentlichen, insbesondere der medialen Wahrnehmung häufig auf seine Funktion als politisches Gegengewicht zu Bundestag und Bundesregierung reduziert. Dabei bleibt verborgen, dass der Bundesrat in vielfaltiger Weise substanzielle Beiträge zur sachverständigen Rechtsetzung auf Bundesebene leistet. Dies gründet auf der historisch bedingten Zusammensetzung des zweiten Gesetzgebungsorgans aus Vertretern der Exekutive. In einem streng formalisierten, aber gleichwohl sehr effizienten Verfahren bringen die Länder dort ihre aus vornehmlich eigenen Quellen stammende Expertise und Vollzugserfahrung in die Normsetzung des Bundes ein. Die Beschlüsse des Bundesrates als Ergebnis vorangegangener Ausschuss- und Plenarberatungen tragen auf diese Weise erheblich zu einer praxisorientierten Rechtsetzung des Bundes und über die Stellungnahmen zu europäischen Vorhaben auch zu einer entsprechenden Rechtsentwicklung der Europäischen Union bei. [ZParl, 43. Jg., H. 3, S. 598 – 608]
Onken, Holger und Sebastian H. Schneider: Entern, kentern oder auflaufen? Zu den Aussichten der Piratenpartei im deutschen Parteiensystem.
Die Piratenpartei steht aufgrund ihrer Erfolge bei den Landtagswahlen 2011 und 2012 im medialen Fokus. Es stellt sich die Frage, wie groß die Chancen auf einen Einzug in den Bundestag 2013 sowie eine dauerhafte Etablierung der Partei im deutschen Parteiensystem sind. Dazu ist ein soziodemographisch und politisch-ideologisch hinreichend stark abgrenzbares Wählersegment („Cleavage“) nötig. Eine Analyse von Umfragedaten zu den Landtagswahlen 2010 und 2011 sowie einer regionalen Erstwählerbefragung in Niedersachsen 2009 zeigt, dass die Wähler der Piraten männlich, jung und politisch hoch interessiert, aber mit dem gegenwärtigen Zustand der Demokratie unzufrieden sind. Ideologisch positionieren sie sich in der Mitte der Gesamtwählerschaft, mit einer leichten Tendenz zu SPD, Grünen und Linke. Bei den Erstwählern zeigt sich eine starke Wertorientierung in Richtung persönlicher Freiheit, während Familie und Umweltschutz weniger wichtig sind. Politisch wird zudem Bürokratieabbau und ein Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan präferiert. Die Chancen für eine Etablierung sind gut, solange es sich nicht nur um kurzfristige Lebenszykluseffekte handelt und nicht wieder außenpolitische Ereignisse (Wirtschaftskrise in der EU), Sicherheit und Stabilität in den Vordergrund rücken. [ZParl, 43. Jg., H. 3, S. 609 – 625]
Buck, Sebastian: Liquid Democracy – eine Realisierung deliberativer Hoffnungen? Zum Selbstverständnis der Piratenpartei.
Das Konzept der Liquid Democracy ist mit dem zunehmendem Erfolg der Piratenpartei vor allem im medialen politischen Diskurs als eine neue Möglichkeit, Willensbildung und Politik zu organisieren, wahrgenommen worden. Eine Neuartigkeit des Phänomens lässt sich bei genauer Betrachtung nicht erkennen, vielmehr handelt es sich hierbei um eine technisch neue Ausformung der deliberativen Demokratietheorie. Auf Grundlage einer Verortung im deliberativen Spektrum wird ersichtlich, dass es sich um ein prozeduralistisches Konzept handelt, das jedoch unter zwei entscheidenden Defiziten leidet: Ein auf Rationalität ausgerichteter Onlinediskurs sowie die Tendenz, eine einheitliche Diskursarena zugunsten einer Vielzahl von themenbezogenen Arenen aufzulösen. Beide Aspekte reduzieren zum einen die für demokratische Systeme notwendige Inklusivität. Zum anderen werden dadurch genau die auf Arbeitsteilung und dem maßgeblichen Einfluss von Fachexperten bestehenden Strukturen, die die Liquid Democracy zu überwinden angetreten ist, reproduziert. [ZParl, 43. Jg., H. 3, S. 626 – 635]
Borowy, Oliver: Parlamentarisches Ordnungsgeld und Sitzungsausschluss: Verfassungsrechtliche Aspekte.
Der Deutsche Bundestag hat im Jahre 2011 das Ordnungsgeld als weiteres Instrument zur Wahrung der parlamentarischen Ordnung in den Plenarsitzungen eingeführt. Der Bundestagspräsident kann jetzt bei einer nicht nur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 Euro, im Wiederholungsfall von 2.000 Euro festsetzen. Die Einführung des Ordnungsgeldes stellt eine sinnvolle Erweiterung des dem Präsidenten im Rahmen seiner Ordnungsgewalt zustehenden Instrumentariums dar. Er wird hierdurch in die Lage versetzt, differenzierter und effizienter gegen die unterschiedlichsten Arten von Ordnungsstörungen vorzugehen. Die gegen das Ordnungsgeld und den Sitzungsausschluss vorgebrachte verfassungsrechtliche Kritik vermag nicht zu überzeugen. Sie postuliert von einem individualrechtlichen Standpunkt aus einen generellen Vorrang des Rede- und Stimmrechts des Abgeordneten vor der Funktionsfähigkeit des Plenums. Stattdessen sind die Abgeordnetenrechte in erster Linie als Funktionsgarantien für den Bundestag als Volksvertretung zu interpretieren. Die Auflösung etwaiger Konflikte obliegt dabei im Einzelfall der Entscheidung des Bundestagspräsidenten. [ZParl, 43. Jg., H. 3, S. 635 – 657]
Haug, Volker M.: Das Bundesverfassungsgericht als Gesetzgeber anstelle des Gesetzgebers: Ein kritischer Blick auf das Wahlrechtsurteil vom 25. Juli 2012.
Das jüngste Wahlrechtsurteil des Bundesverfassungsgerichts überzeugt in verfassungsrechtlicher Hinsicht nur in geringen Teilen: So hat der Gesetzgeber die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Effekts des negativen Stimmgewichts entgegen der Ansicht des Gerichts erheblich reduziert, so dass das Verdikt der Verfassungswidrigkeit nicht zwingend gewesen wäre. Die gerichtliche Festlegung einer konkreten Höchstzahl an zulässigen ausgleichslosen Überhangmandaten stellt einen äußerst fragwürdigen Übergriff des BVerfG in die Domäne des Gesetzgebers dar; außerdem wird die gesamte Behandlung der Überhangmandate dem gesetzgeberischen Konzept des Wahlrechts als Mischsystem von Verhältnis- und Mehrheitswahl nicht gerecht. Zuzustimmen ist dem Gericht (lediglich) bei seiner Kritik an der Berechnung der neu geschaffenen Zusatzmandate, die ausschließlich auf Rundungsverlusten beruht und damit Parteien mit besonderen Ausschlägen bei positiven Reststimmen sachgrundlos bevorzugt. Insgesamt betrachtet wäre es gut vertretbar gewesen, dem Gesetzgeber seine politische Verantwortung zu belassen und die Nichtigkeitserklärung auf die Regelung über die Zusatzmandate zu beschränken. [ZParl, 43. Jg., H. 3, S. 658 – 674]
Behnke, Joachim: Ein sparsames länderproporzoptimierendes parteienproporzgewährendes automatisches Mandatszuteilungsverfahren mit Ausgleich ohne negatives Stimmgewicht.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 2012 steht die Bundesrepublik Deutschland ohne gültiges Wahlgesetz da, nachdem das neue, soeben erst von der CDU, CSU und FDP verabschiedete Wahlgesetz in mehreren Punkten für verfassungswidrig erklärt worden ist. Die offensichtlich besten Lösungen für ein neues Gesetz schlössen die Entstehung von Überhangmandaten von vornherein ganz oder zumindest nahezu aus, wie zum Beispiel die Einrichtung von Mehrpersonenwahlkreisen für die Direktwahl von Kandidaten. Diese Lösungen würden allerdings einen grundlegend neuen Zuschnitt der Wahlkreise erfordern. Da die nächste Bundestagswahl allerdings nicht mehr fern ist, lassen sich realistisch nur noch Ausgleichs- oder Kompensationsmodelle umsetzen. Unter Abwägung mehrerer Kriterien scheinen Ausgleichsmodelle die meisten Vorteile auf sich vereinen zu können. Die Verknüpfung eines Ausgleichsmodells mit einem automatischen Sitzzuteilungsverfahren ist dabei besonders gut geeignet, die dem Wahlsystem inhärenten Probleme zu beseitigen. [ZParl, 43. Jg., H. 3, S. 675 – 693]