Münzing, Ekkehard und Volker Pilz: Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages: Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise.
Trotz einer Dominanz der Exekutive auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt sind dem Bundestag durch das Grundgesetz auch hier wichtige außenpolitische Befugnisse zugewiesen worden. Diese beschäftigen vor allem seinen Auswärtigen Ausschuß. Der Beitrag dokumentiert Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise des Ausschusses, analysiert seine Einflußmöglichkeiten und erörtert Reformperspektiven. Auch wenn der Ausschuß keine Möglichkeit hat, zur Ratifizierung anstehende Verträge zu ändern, wirkt er doch auf die Bundesregierung ein. Dies geschieht in einem kontinuierlichen Kommunikationsprozeß. Auf die verbleibende Alternative der vollständigen Ablehnung greift der Ausschuß wegen der damit einhergehenden außenpolitischen Schwächung des Außenministers nur in Ausnahmefällen zurück. Die Mitglieder sollten über außenpolitische Erfahrungen, ein ausgeprägtes Profil und politisches Gewicht verfügen, um auch ohne formale Machtmittel Einfluß ausüben zu können. Dies rechtfertigt die empirisch belegte Praxis der Parteien, vor allem „altgediente“ Abgeordnete für diese Aufgabe zu entsenden, kann jedoch auch zu Problemen bei der Rekrutierung des Nachwuchses führen. [ZParl, 29. Jg. (1998), H. 4, S. 575 ff.]
Beichelt, Timm: Die Wirkung von Wahlsystemen in Mittel- und Osteuropa.
Nachdem der Systemwechsel und die Institutionalisierung demokratischer Systeme in Osteuropa weitgehend abgeschlossen ist, werden Fragen nach dem realen Funktionieren der neugeschaffenen Institutionen bedeutsam. Die Wechselwirkung von Wahlsystemen und Parteiensystemen ist stark von externen Faktoren abhängig. Wahlsystemtypen und Sperrklauseln können daher nur begrenzten Einfluß auf wichtige Determinanten des Parteiensystems haben. Kein Wahlsystemtyp kann alle Funktionsanforderungen an Wahlsysteme gleichermaßen erfüllen. Vor allem Kontextfaktoren bedingen positive oder negative Wirkungen von Wahlsystemen: Während das Grabenwahlsystem Litauens zu hohen Repräsentationswerten, überdurchschnittlichen Sitzprämien und einer geringen Anzahl der vertretenen Parteien führt, erfüllt das Grabensystem Rußlands die Anforderungen an Repräsentativität und Konzentration vergleichsweise schlecht. Die im wissenschaftlichen Diskurs häufig behauptete Überlegenheit bestimmter Wahlsystemtypen läßt sich im osteuropäischen Kontext insofern nur eingeschränkt mit deren realer Wirkung begründen. [ZParl, 29. Jg. (1998), H. 4, S. 605 ff.]
Grotz, Florian: „Dauerhafte Strukturprägung“ oder „akrobatische Wahlarithmetik“? Die Auswirkungen des ungarischen Wahlsystems in den 90er Jahren.
Das kombinierte Wahlsystem, das im post-sozialistischen Ungarn seit 1990 zur Anwendung kommt, zählt zu den weltweit kompliziertesten Wahlsystemen und galt infolge der Wahlresultate von 1990 und 1994 als das einzige Wahlsystem im gegenwärtigen Osteuropa, das „dauerhaft strukturprägende Effekte“ auf das Parteiensystem auszuüben vermöge. Diese Einschätzung ist indes durch die jüngsten Parlamentswahlen vom Mai 1998 konterkariert worden. Deren Ergebnisse ließen das Bild von einer „akrobatischen Wahlarithmetik“ auf kommen. Erzielt das ungarische Wahlsystem in seinem historisch-politischen Kontext tatsächlich konstante Effekte, die auf seine spezifische Struktur zurückgeführt werden können, oder bewirkt es eher variable — schwer prognostizierbare — Resultate? Eine empirisch-vergleichende Analyse der drei bisherigen Parlamentswahlen, die die Struktur des Parteienwettbewerbs einbezieht und sich auch auf kontrafaktische Berechnungen stützt, kommt zu einem differenzierten Bild. Einerseits zeitigt das kompensatorische Wahlsystem unter den gegebenen politisch-strukturellen Kontextbedingungen durchgängig ähnliche Effekte wie ein Verhältniswahlsystem mit konzentrationsförderlichen Elementen. Andererseits erweisen sich einige institutionelle Detailregelungen als besonders „sensibel“ gegenüber politisch-situativen Veränderungen des Parteienwertbewerbs, die wiederum für das „Wirkungsspektrum“ des ungarischen Wahlsystems verantwortlich sind. [ZParl, 29. Jg. (1998), H. 4, S. 624 ff.]
Dieringer, Jürgen: Die ungarischen Parlamentswahlen 1998.
Die ungarischen Parlamentswahlen des Jahres 1998 brachten den dritten Regierungswechsel seit den ersten freien Wahlen 1990. Die Jungdemokraten konnten in einer Koalition mit dem Ungarischen Demokratischen Forum und der Kleinlandwirtepartei die bisherige sozial-liberale Regierung ablösen. Die Mitte-Rechts-Koalition war nur deshalb erfolgreich, weil sie die vorherige Fragmentierung überwand und sich zu Wahlbündnissen zusammenschloß. Das Parteiensystem ist auf der rechten Seite instabiler als auf der linken, erstmals konnte eine rechtsradikale Partei ins Parlament einziehen. Die Rechts-Links-Dimension in Ungarn entspricht jedoch nicht exakt derjenigen westeuropäischer Parteiensysteme. In der Wirtschaftspolitik vertreten liberale und sozialistische Parteien einen stark marktwirtschaftlich marktliberalen Kurs, konservative und rechtsliberale Parteien neigen stärker zu interventionistischer Politik. Im Wahlkampf wurden in Ungarn erstmals Elemente aus westeuropäischen und nordamerikanischen Kampagnen sichtbar. Personenzentrierung und Inhaltsleere im amerikanischen und britischen Sinne sorgten für eine geringe Mobilisierung der Bevölkerung und eine geringe Wahlbeteiligung. Dennoch haben die Parlamentswahlen 1998 die Stabilität des ungarischen Parteiensystems bestätigt. Daß der Regierungswechsel ohne Probleme vonstatten ging, zeigt, daß die demokratischen Strukturen gefestigt sind. [ZParl, 29. Jg. (1998), H. 4, S. 648 ff.]
Macków, Jerzy: Verfassungsnorm und -praxis in der polnischen Verfassunggebung 1989 bis 1997: Das Ende einer Asymmetrie.
Polen entschied sich, zuerst die Verfassungswirklichkeit zu entwickeln und erst in Anlehnung daran endgültige Verfassungsnormen festzulegen. Als Folge dieser Entscheidung dauerte der Prozeß der Verfassunggebung länger als in allen anderen postkommunistischen Ländern und beeinträchtigte in den Jahren 1990-93 die Regierungsstabilität. Indirekt trug die Dauer der Verfassunggebung dazu bei, daß die Verfassungspraxis des (gemäß der Verfassung vom April 1997) unmißverständlich parlamentarischen Systems der Republik Polen stärker dem Modell der V. Französischen Republik als dem des englischen Parlamentarismus ähnelt. Denn das jahrelange Verfassungsprovisorium räumte dem direkt gewählten Staatspräsidenten exekutive Gestaltungsmöglichkeiten ein, die über die repräsentativen Funktionen hinausgingen. Daß Polen trotzdem speziell auf wirtschaftlichem Gebiet und beim Aufbau des Rechtsstaates bemerkenswerte Erfolge verzeichnen konnte, zeigt allerdings, daß die postkommunistische Systemtransformation nur bedingt von der Verabschiedung einer Verfassung beeinflußt wird. Bedeutender erscheint vielmehr, wie konsequent die jeweiligen Regierungen den Reformkurs durchsetzen. [ZParl, 29. Jg. (1998), H. 4, S. 660 ff.]
Schmitt-Beck, Rüdiger: Mediennutzung und Wahlentscheidungen: Fünf westliche Demokratien im Vergleich.
Die Analyse repräsentativer Befragungen von Wählern aus West- und Ostdeutschland (1990), Großbritannien (1992), Japan (1993), Spanien (1993) und den USA (1992) zeigt, daß die Berichterstattung von Massenmedien individuelle Wahlentscheidungen tatsächlich beeinflussen kann. Es besteht eine offenbar kurvilineare Beziehung: Der Einfluß ist sowohl bei eher neutralen Medien, als auch bei unverhüllt einseitigen Medien geringer als bei Medien, die weniger parteiliche Redaktionslinien verfolgen. Des weiteren zeigt sich, daß die politischen Prädispositionen der Wähler mögliche Medieneinflüsse hemmen. Medieneinflüsse sind dann am stärksten, wenn sie im Einklang mit den Prädispositionen stehen. Thesen, die lediglich einem bestimmten Medium, z.B. dem Fernsehen, Wirkung zusprechen, greifen zu kurz: Alle Arten von Medienangeboten — sogar solche unterhaltenden Charakters — können Wählerverhalten beeinflussen. [ZParl, 29. Jg. (1998), H. 4, S. 676 ff.]
Buchstein, Hubertus: Freie Parlamentswahlen. Die Argumente für die geheime Stimmabgabe in der Frankfurter Nationalversammlung und im Preußischen Abgeordnetenhaus.
Im historischen Rückblick fällt auf, wie neu und ungewöhnlich die heurige nahezu unbefragte Anerkennung der geheimen Stimmabgabe bei Wahlen zu Parlamenten und anderen politischen Körperschaften ist. Einen ersten großen Schlagabtausch lieferten sich Gegner und Befürworter der geheimen Stimmabgabe in den Verfassungsberatungen der Frankfurter Paulskirche. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde dann das Preußische Abgeordnetenhaus Schauplatz der parlamentarischen Auseinandersetzungen über die Geheimwahl. Aufschlußreich ist es, wie Sozialdemokraten nach der Jahrhundertwende einige Vorzüge der öffentlichen Stimmabgabe entdeckten, die Vertreter des liberalen Lagers nun aber aus taktischen Gründen die Geheimwahl einforderten. Zum anderen überrascht, daß viele Rechtfertigungen der Geheimabstimmung im 19. Jahrhundert einen ausgesprochen defensiven Charakter hatten; viele Anhänger der Geheimwahl hofften, daß diese eines Tages überflüssig werden und die öffentliche Abstimmung dann zu ihrem eigentlichen Recht als demokratische Abstimmungsform kommen würde. [ZParl, 29. Jg. (1998), H. 4, S. 706 ff.]
Heintzen, Markus: Noch einmal: Parlamentarische Redebeiträge vor den Zivilgerichten. Eine Replik auf den Beitrag von Michael Wild in H. 2/1998 der ZParl.
Die parlamentarische Redefreiheit wird heute weniger durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren als durch Klagen bedroht, die von Dritten vor Zivilgerichten gegen Abgeordnete erhoben werden. Häufig geht es dabei um die Frage, ob die Äußerung eines Abgeordneten eine verleumderische Beleidigung darstellt, die gemäß Art. 46 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes von der Abgeordentenindemnität nicht erfaßt wird. Ob dies der Fall ist, müssen auch Zivilgerichte, so die Kernthese des Beitrags, von Amts wegen feststellen. Insoweit findet aus verfassungsrechtlichen Gründen der Beibringungsgrundsatz, der den Zivilprozeß sonst beherrscht, keine Anwendung. Art. 46 Abs. 1 GG bewirkt zum Schutze der parlamentarischen Redefreiheit eine Überlagerung insbesondere der §§ 935 ff. der Zivilprozeßordnung, die in der Praxis der Zivilgerichte nicht beachtet wird. [ZParl, 29. Jg. (1998), H. 4, S. 728 ff.]