Jesse, Eckhard: Die Bundestagswahlen von 1990 und 2002 im Spiegel der repräsentativen Wahlstatistik.
Das bei den Bundestagswahlen 1994 und 1998 nicht angewandte Instrumentarium der repräsentativen Wahlstatistik, das exakt die Wahlbeteiligung der Altersgruppen und das Wahlverhalten nach Alter und Geschlecht ermittelt, wurde bei der Bundestagswahl 2002 wieder eingeführt. Die Wahlbeteiligungsquoten der Frauen und Männer lagen noch nie so nah beieinander wie 2002. Die Union kam bei den Frauen (37,8 Prozent) nicht an das Ergebnis der Männer (39,2 Prozent) heran. Bei der SPD ist es, anders als früher, umgekehrt (Frauen: 40,2 Prozent; Männer: 36,7 Prozent). Bei den 18- bis 24-jährigen Frauen schnitt die Union am schlechtesten (30,7 Prozent) und die SPD am besten (41,3 Prozent) ab. Die FDP sticht bei den 18- bis 24-jährigen Männern (11,5 Prozent) überraschenderweise die Partei der Grünen aus (10,9 Prozent). Aus dem Stimmensplitting lässt sich indirekt ablesen, welcher großen politischen Richtung die Wähler kleiner Parteien nahe stehen, die keine Chance haben, ihren Wahlkreiskandidaten durchzubringen: Die FDP-Zweitstimmenwähler gaben zu 36,1 Prozent dem Kandidaten der Union die Erststimme, die Zweitstimmenwähler der Grünen dem der SPD zu 59,7 Prozent. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 645 – 656)
Kampwirth, Ralph: Der ernüchterte Souverän. Bilanz und Perspektiven der direkten Demokratie in den 16 Bundesländern und auf Bundesebene.
Daten zu landesweiten Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden in allen 16 Bundesländern sowie zu kommunalen Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden seit Gründung der Bundesrepublik zeigen die Themen, Trends und Erfolgen der direkten Demokratie im Jahr 2001. Daraus kann ein „Ernüchterungseffektes” abgelesen werden. Es ist zu vermuten, dass diese Instrumente die in sie gesetzten Erwartungen aufgrund der unzureichenden Gestaltung der Verfahren nicht erfüllen können und partizipationswillige Bürger durch hohe Hürden abgeschreckt werden. Die aktuellen politischen und juristischen Debatten geben Hinweise darauf, wo Reformen für eine „bürgerfreundliche” Direktdemokratie ansetzen müssten – insbesondere, nachdem 2002 die Einführung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene am Nein der CDU/CSU scheiterte. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 657 – 671)
Schmitt-Beck, Rüdiger und Cornelia Weins: Die hessische Landtagswahl vom 2. Februar 2003: Erstmals Wiederwahl einer CDU-Regierung.
Die CDU konnte bei der Landtagswahl 2003 nicht nur zum ersten Mal in Hessen für sich eine zweite Amtszeit erringen, sondern gewann die Wahl sogar mit absoluter Mehrheit. Unter Führung von Ministerpräsident Roland Koch regiert sie das Land nun allein. Dieser Wahlsieg hatte sowohl landes- als auch bundespolitische Gründe. Der CDU wurde bei allen entscheidenden Sachthemen ein Kompetenzvorsprung gegenüber der SPD und ihrem kaum bekannten Spitzenkandidaten eingeräumt und den Schwarzgeldskandal hatte sie unbeschadet überstanden. Der Fehlstart der wiedergewählten rot-grünen Bundesregierung belastete den Wahlkampf der SPD zusätzlich. Von ihrer Schwäche profitierten neben den Christdemokraten auch die Grünen. Die Wahl des Jahres 2003 beendete eine lange Periode knapper Mehrheitsverhältnisse bei hessischen Landtagswahlen. Zusammen überflügelten CDU und FDP das rot-grüne „Lager“ um fast 18 Prozentpunkte. Freilich bedeutet das Wahlergebnis nicht, dass die hessische Landkarte nun dauerhaft schwarz eingefärbt wäre, denn die hessischen Wähler sind sehr mobil. Die Landtagswahl 2003 zeigt, dass hohe elektorale Volatilität nicht notwendigerweise zur Zersplitterung des Parteiensystems führt, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch absolute Mehrheiten einzelner Parteien hervorbringen kann. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 671 – 688)
Müller-Rommel, Ferdinand: Die niedersächsische Landtagswahl vom 2. Februar 2003: „Denkzettel“ für Berlin.
Die Landtagswahl 2003 brachte eine deutliche Veränderung der Stimmenanteile für die etablierten Parteien und damit den Regierungswechsel in Niedersachsen. Die SPD erzielte das schlechteste Ergebnis seit 1947 in diesem Bundesland und wurde nach 13 Jahren Regierungstätigkeit in die Opposition verwiesen. Die CDU verfehlte nur knapp die absolute Mehrheit, während die Grünen ihren Stimmenanteil halten konnten. Die FDP konnte vergleichsweise große Gewinne verbuchen und kehrte als drittstärkste Partei nach neunjähriger Pause in den Landtag zurück. Sie bildet nun zusammen mit der CDU die Landesregierung. Die Landtagswahl wurde im Wesentlichen durch bundespolitische Themen entschieden. Bei sehr niedriger Wahlbeteiligung verlor die SPD vor allem bei ihren traditionellen Wählern. Die CDU erhielt in allen Alters-, Berufs- und Konfessionsgruppen einen höheren Stimmenanteil als die Sozialdemokraten. Die neue schwarz-gelbe Regierung besteht – von einer Ausnahme abgesehen – durchgängig aus Politikern ohne Regierungserfahrung. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 689 – 701)
Rieger, Günter: Die bayerische Landtagswahl vom 21. September 2003: Banale Sensationen.
Die CSU erhielt bei der bayerischen Landtagswahl 2003 60,7 Prozent der Wählerstimmen und erreicht damit erstmalig in der Geschichte bundesdeutscher Wahlen eine Zwei-Drittel-Mehrheit in einem Landesparlament. Sie erscheint bei dieser Wahl als einzig wahre Volkspartei, während die SPD diesen Anspruch in Bayern kaum noch glaubhaft machen kann. Sie landet mit 19,6 Prozent der Stimmen auf einem historischen Tiefstand. Dagegen etablieren sich Bündnis 90/Die Grünen als Milieupartei in der Oppositionsnische; mit 7,7 Prozent erzielen sie ihr bislang bestes Ergebnis bei einer bayerischen Landtagswahl. Die FDP bleibt mit 2,6 Prozent auf dem Niveau einer Splitterpartei. Aus wahlsoziologischer Perspektive stellt der Wahlausgang keine Überraschung dar. Er kann mit bundesrepublikanischen Normalitäten und bayerischen Besonderheiten erklärt werden: Das Wahlergebnis liegt im Trend anderer Landtagswahlen im Jahr 2003, ist der Stellung der CSU als bayerischer Hegemonialpartei geschuldet und entspricht der Kompetenzzuschreibung und Kandidatenwahrnehmung der bayerischen Wähler. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 702 – 720)
Faas, Thorsten: Email-Befragungen von Direktkandidaten. Methodische Erfahrungen aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.
Email-Befragungen, die anlässlich der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz vom 21. März 2001 unter Direktkandidaten durchgeführt wurden, dienen als empirische Basis, um zu untersuchen, inwieweit dieses Instrument in der empirischen Parlaments- und Abgeordnetenforschung eingesetzt werden kann. Dabei wird anhand der von Robert M. Groves entwickelten und allgemein auf Umfragen anwendbaren Typologie auf Auswahl-, Ausfall- und Messfehler eingegangen. Es bewarben sich insgesamt 770 Kandidaten bei diesen Wahlen um Direktmandate, davon konnten rund 70 Prozent per Email kontaktiert werden, von diesen wiederum nahmen rund 60 Prozent an der Befragung teil. Damit kann die Aktion als Erfolg bezeichnet werden. Email-Befragungen können – zumindest als Ergänzung – in den Methodenkasten der empirischen Parlamentsforschung aufgenommen werden. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 720 – 729)
Winterhoff, Christian: Rechtsnachfolge in den Liquidationssaldo? Die Verwendung von Gewinnen und die Haftung für Verluste im Falle der Fraktionsauflösung am Beispiel des Hamburgischen Fraktionsgesetzes.
Wenn eine Fraktion sich auflöst, ihr Fraktionsstatus erlischt oder nach dem Ablauf einer Wahlperiode keine Nachfolgefraktion als Rechtsnachfolgerin bereitsteht, hat nach den Bestimmungen des Hamburgischen Fraktionsgesetzes sowie der Fraktions- beziehungsweise Abgeordnetengesetze anderer Länder und des Bundes eine Liquidation der Fraktion stattzufinden. Die Gesetze enthalten überwiegend keine Regelungen darüber, was mit einem etwaigen Vermögensüberschuss zu geschehen hat und wer gegebenenfalls für die Verbindlichkeiten der Fraktion haftet. Weder kommen das jeweilige Land oder der Bund als „Rechtsnachfolger in den Liquidationssaldo“ in Betracht, noch kann die der betroffenen Fraktion zuzuordnende Partei als Haftungssubjekt oder Anfallberechtigter angesehen werden. Entsprechend den zivilrechtlichen Bestimmungen über den rechtsfähigen Verein ist davon auszugehen, dass das nach Rückerstattung staatlicher Mittel verbleibende Fraktionsvermögen zu gleichen Teilen an die Fraktionsmitglieder fällt. Für die Verbindlichkeiten der Fraktion haftet ausschließlich das Fraktionsvermögen. Eine Benachteiligung einzelner Gläubiger kann dadurch vermieden werden, dass im Falle einer sich abzeichnenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fraktion eröffnet wird. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 730 – 745)
Hanebeck, Alexander: Gestoppte Kompetenzerosion der Landesparlamente? Neueste Rechtsprechung zum alten Thema der Gesetzgebungsverteilung im Bundesstaat: Das Urteil des BVerfG zum Altenpflegegesetz.
Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeiten war lange Zeit praktisch jedes vernünftige Bundesgesetz zulässig. Die Einhaltung der in Art. 72 Abs. 2 GG für eine Bundeskompetenz genannten Voraussetzungen wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht überprüft. Mit der Änderung dieses Artikels im Jahre 1994 strebte der Gesetzgeber die Revision der Rechtsprechung an. Vor dem Urteil zum Altenpflegegesetz wurde jedoch regelmäßig angeführt, die Tatbestandsmerkmale auch der neuen Fassung von Art. 72 Abs. 2 GG seien unbestimmt; deshalb würde eine strenge richterliche Kontrolle dieser Voraussetzungen einer Bundeskompetenz die gestalterisch-politische Entscheidungsverantwortung noch stärker in die Kompetenz des Gerichts verlagern. Diese Befürchtung verkennt, dass es bei Urteilen zur Kompetenzordnung nicht um den Spielraum des Parlaments gegenüber dem Gericht geht, sondern darum, welches Parlament entscheiden darf. Das Bundesverfassungsgericht sieht nunmehr zu Recht den Sinn des neu gefassten Art. 72 Abs. 2 GG „im Schutz der Länder vor einer weiteren Auszehrung ihrer Gesetzgebungskompetenzen“. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 745 – 754)
Wiefelspütz, Dieter: Das Immunitätsrecht der Abgeordneten des Bundestages nach dem Pofalla-Urteil des BVerfG.
Mit dem Pofalla-Urteil aus dem Jahre 2001 liegt erstmals eine grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Immunitätsrecht der Bundestagsabgeordneten vor. Der Deutsche Bundestag hatte aufgrund dieses wichtigen Urteils zu entscheiden, ob und in welchem Umfang immunitätsrechtliche Bestimmungen einer Revision zu unterziehen waren. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung änderte inzwischen seine Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten und präzisierte vor allem den Prüfungsmaßstab für Immunitätsentscheidungen des Bundestages. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 754 – 763)
Edinger, Florian: Faires Verfahren Bedingung für Fraktionsausschluss. Zum Urteil des LVerfG Mecklenburg-Vorpommern vom 27. Mai 2003 – LVerfG 10/02.
Ein Landtagsabgeordneter klagte gegen den Ausschluss aus seiner Fraktion, nachdem er bereits aus der Partei aufgrund seiner Entscheidung, als Einzelbewerber bei der nächsten Landtagswahl zu kandidieren, ausgeschlossen worden war. Das Landesverfassungsgericht sah den Antrag als zulässig und begründet an. Hervorzuheben ist, dass das Gericht eine verfassungsprozessuale Beteiligungsfähigkeit der Fraktion über die eigentliche Legislaturperiode hinweg bejahte und dass es auf der Einhaltung formeller und materieller Voraussetzungen des Fraktionsausschlusses insistierte, insbesondere auf der Notwendigkeit einer Einberufung der Fraktionsversammlung. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 764 – 767)
Geerlings, Jörg: Die Finanzierung parteinaher Stiftungen im Lichte der vom BVerfG entwickelten Wesentlichkeitstheorie.
Parteinahe Stiftungen sind untrennbar mit den hinter ihnen stehenden politischen Parteien verbunden. Sie müssen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „parteinah“ und „parteifern“ zugleich sein, um in den Genuss staatlicher Förderung zu gelangen. Die erheblichen Mittel, die die Parteistiftungen dabei erhalten, sind Gegenstand vielfältiger Kritik. Diese wurde jedoch im Zuge der Neuordnung des Finanzgebarens der Parteien nicht aufgegriffen, um diesen, teilweise als „Grauzone“ der Parteienfinanzierung bezeichneten Bereich, neu zu ordnen. Um der Bedeutung der Stiftungsfinanzierung für das Gemeinwesen gerecht zu werden und angesichts der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitstheorie ist es daher erforderlich, ein Stiftungsgesetz zu verabschieden. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 768 – 777)
Leunig, Sven: „Öl“ oder „Sand“ im Getriebe? Der Einfluss der Parteipolitik auf den Bundesrat als Veto-Spieler im Gesetzgebungsprozess.
Es wird dem Bundesrat wiederholt vorgeworfen, sich von den Oppositionsparteien im Bundestag zur Blockade von Gesetzesinitiativen der Bundesregierung instrumentalisieren zu lassen. Diese Gefahr wird insbesondere in Wahlkampfzeiten als besonders hoch eingeschätzt. Andererseits wird die Position vertreten, dass die bundesstaatliche Struktur der Parteien gerade zur Überwindung von föderalen Blockadetendenzen beitragen könne. Anhand von verschiedenen Gesetzesinitiativen der Jahre 1988 bis 1993, die in größerem zeitlichen Abstand von Bundestagswahlkämpfen beraten wurden, wird klar, dass die parteipolitische Blockadegefahr bei solchen Vorhaben aus verschiedenen Gründen vergleichsweise gering ist: Zum einen, weil – neben der parteipolitischen Orientierung – auch die Landesinteressen das Verhalten der Länder im Bundesrat wesentlich mitbestimmen. Zum anderen bleibt der Bundesregierung unter Umständen die Option, ein Zustimmungsgesetz in ein Einspruchsgesetz umzuwandeln. Ein langfristiger „Immobilismus“ des politischen Systems ist insofern wenig wahrscheinlich. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 778 – 791)
Thomas, Sven: Zur Handlungsfähigkeit von Minderheitsregierungen am Beispiel des „Magdeburger Modells“.
Zwischen 1994 und 2002 regierten in Sachsen-Anhalt zwei Minderheitsregierungen, die auch unter dem Begriff „Magdeburger Modell“ bekannt wurden. Diese entwickelten zunächst eine Art „parlamentarisches Tolerierungsmanagement“ und differenzierten es im Magdeburger Landtag sukzessive aus. Dabei handelte es sich um eine parteipolitisch orientierte Form der parlamentarischen Kooperation zwischen Regierungs- und Tolerierungsfraktionen, die über einige Jahre hinweg die Landesregierung mit relativ berechenbaren Mehrheiten ausstattete. Als die Leistungsfähigkeit dieser parlamentarischen Kooperationsform erschöpft schien, wurde etwa ab 1999 ein Verfahren direkter Verhandlungen zwischen den Spitzen der Landesregierung, der Parteien und Fraktionen von SPD und PDS installiert. In diesen so genannten 5+5-Verhandlungen wurden nahezu alle wesentlichen exekutiven und legislativen Entscheidungen der Landespolitik konsensorientiert vorverhandelt. Diese Konstruktion wird hier als „gouvernementales Verhandlungssystem“ bezeichnet. (ZParl, 34. Jg., H. 4, S. 792 – 806)