Abstracts 4/2014 deutsch

Dhungel, Anna-Katharina und Eric Linhart: Interessenvermittlung in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages

Obwohl sich zahlreiche Arbeiten bereits mit Verbändesystemen insgesamt befasst haben, finden sich kaum Studien, die auf die Interessenvermittlung in den Fachausschüssen des Bundestags abheben. Wenig ist darüber bekannt, welche Strukturen in den einzelnen Ausschüssen vorliegen, wie bedeutend Verbände im Vergleich zu anderen Sachverständigen für die Ausschüsse sind und wie pluralistisch sich das Bild der Verbände mit Zugang zu den Ausschüssen gestaltet. Dazu ergab die Auswertung der Tagesordnungen und Protokolle aller Fachausschüsse des 17. Deutschen Bundestags folgende Hauptergebnisse: (1) Verbände nehmen eine sehr bedeutsame Rolle unter den geladenen Sachverständigen ein; (2) von einer Konzentration auf wenige Verbände kann kaum noch die Rede sein; (3) es sind starke Unterschiede zwischen den einzelnen Ausschüssen zu beobachten. [ZParl, 45. Jg., H. 4, S. 743 – 762]

 

Dohle, Marco und Uli Bernhard: Mediennutzung und -wahrnehmung von Bundestagsabgeordneten: Ersetzen oder ergänzen Online-Medien klassische Informations- und Kommunikationskanäle?

Online-Medien sind für die politische Information und Kommunikation von Parlamentariern wichtig geworden, was Folgen haben dürfte für die Nutzung klassischer Medienangebote und traditioneller Wege der Kommunikation. Um diese näher zu untersuchen, wurden in den Jahren 2012 und 2013 zwei Studien unter den Mitgliedern des Deutschen Bundestags durchgeführt (n = 194 und 149). Danach die Abgeordneten sowohl von On- als auch von Offline-Medien intensiv Gebrauch. Insbesondere Zeitungen werden weiterhin durchgängig stark genutzt, stärker etwa als Social-Media-Angebote. Letztere genießen vor allem (aber nicht nur) einen hohen Stellenwert unter jüngeren Abgeordneten und unter solchen, die diesen Angeboten eine gute Eignung zur politischen Information zuschreiben. Der ergänzende Gebrauch von On- und Offlinemedien zur politischen Information und Kommunikation ist aus verschiedenen Gründen rational, aber auch mit hohen Anforderungen verbunden. [ZParl, 45. Jg., H. 4, S. 763 – 774]

 

Pappi, Franz Urban und Thomas Bräuninger: Direktkandidaten und die Wahlerfolge ihrer Partei im deutschen Zweistimmensystem. Das Beispiel der Bundestagswahl 2013 in Stuttgart

Wahlkreiskandidaten bei Bundestagswahlen sind für ihre Parteien doppelt bedeutsam. Ihre positive Beurteilung durch den Wähler kann zum Wahlkreissieg führen, und der Partei lokal zu mehr Zweitstimmen verhelfen. Es zählt aber auch die Parteibewertung, und sie fällt, wie eine Wahltagsbefragung in den Wahlkreisen Stuttgart I und II 2013 zeigt, im Durchschnitt positiver aus als die ihrer Wahlbewerber. Außerdem bilden sich viele Wähler kein Urteil über die Direktkandidaten. Werden sowohl diese als auch Parteien bewertet, neigt der Großteil der Wähler zu einem übereinstimmenden Urteil und gibt die Erststimme dem Kandidaten der Partei, die wegen der hohen Bewertung auch seine Zweitstimme erhält (Konsonanzwähler). Bei nicht übereinstimmender Beurteilung wird die Kandidatenbewertung für die Erststimme ausschlaggebend (Divergenzwähler). Da es sich dabei um eine Mehrheitswahl handelt, achten Wähler auch auf die Siegchancen der Kandidaten, die sie im Aggregat gut abschätzen können. Die Kandidatenbewertung wird mit den Siegchancen abdiskontiert. Die Wahlempfehlung von SPD und Grünen in Stuttgart I, den Kandidaten der Grünen wegen seiner höheren Siegeschancen zu wählen und in Stuttgart II den Kandidaten der SPD, ging trotzdem nicht auf. Die Adressaten derartiger Empfehlungen wären teilweise gezwungen, jemanden zu wählen, den sie nicht so gut finden wie den Kandidaten der eigenen Partei. Und außerdem schwächt sich eine Partei, die vom Konvergenzwählen abrät. [ZParl, 45. Jg., H. 4, S. 775 – 795]

 

Nestler, Christian: Einzelbewerber bei den Bundestagswahlen von 1949 bis 2013: zahlreich, aber chancenlos

Mit 261 im Jahr 1987 und immerhin 81 Kandidaten bei der vergangenen Bundestagswahl stellen Einzelbewerber eine zahlenmäßig signifikante Gruppe dar. Unter Einbeziehung der rechtlichen Rahmenbedingungen, der Entwicklung des deutschen Parteiensystems, der Wahlergebnisse seit 1949 und der persönlichen Motivation der Bewerber lassen sich grundsätzliche Aussagen zu dieser Gruppe treffen: Idealismus und Parteienverdrossenheit sind die wesentlichen Triebfedern des Engagements – direkt gefolgt von Werbung in eigener Sache. In diesem Sinne werden Wahlplakate und die äußerst begrenzte Medienaufmerksamkeit als Plattform für die Darstellung von mehr oder weniger persönlichen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zielen genutzt. Als Fazit bleibt, dass Einzelbewerber zwar zahlreich, aber auf Bundesebene derzeit chancenlos sind. [ZParl, 45. Jg., H. 4, S. 796 – 811]

 

Klein, Markus, Jan Ballowitz und Per Holderberg: Die gesellschaftliche Akzeptanz einer gesetzlichen Wahlpflicht in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage

Vor dem Hintergrund der sinkenden Wahlbeteiligung in Deutschland ist die Einführung einer gesetzlichen Wahlpflicht vorgeschlagen worden. Deren Befürworter erwarten als Folge eine deutliche Steigerung der Wahlbeteiligung. Dieser Effekt dürfte aber nur dann eintreten, wenn die Wahlpflicht auf die Akzeptanz der Bevölkerung trifft. Ob diese in Deutschland vorhanden ist, wurde bislang allerdings nicht umfassend empirisch untersucht. Eine unmittelbar vor der Bundestagswahl 2013 durchgeführte repräsentative Bevölkerungsumfrage zeigt, dass nur ein Drittel der Bevölkerung ihre Einführung befürwortet. Ist diese mit Strafen für Nichtwähler verbunden, sinkt die Unterstützung sogar noch weiter auf elf Prozent. Die Einführung einer Wahlpflicht in Deutschland würde folglich auf deutliche Widerstände in der Bevölkerung treffen, so dass zu bezweifeln ist, dass die erwarteten positiven Effekte auf die Höhe der Wahlbeteiligung tatsächlich eintreten. [ZParl, 45. Jg., H. 4, S. 812 – 824]

 

Althoff, Martin: Nichtwahl aus Unzufriedenheit: eine Option auch für Hochgebildete?

Die Beteiligungsraten bei Bundestagswahlen sinken und haben 2009 mit 70,8 Prozent ihren bisherigen Tiefpunkt erreicht. Der einschlägigen Forschungsliteratur zufolge, ist niedrige Wahlbeteiligung vor allem auf politische Unzufriedenheit einer bildungsschwachen Gesellschaftsschicht zurückzuführen. Die bisherige Nichtwählerforschung hat allerdings den Zusammenhang zwischen Bildung, Unzufriedenheit und Wahlbeteiligung nicht in seiner vollen Komplexität erfasst. Die Analyse von Umfragedaten zur Bundestagswahl 2009 zeigt, dass eine negativ eingeschätzte Regierungsarbeit gerade bei Höhergebildeten die Wahrscheinlichkeit von Wahlverweigerung erhöht. Das Problem verdrossener Nichtwähler ist somit schichtübergreifend und gesellschaftlich tiefer verankert als bisher angenommen. [ZParl, 45. Jg., H. 4, S. 825 – 845]

 

Schröder, Valentin: Parteienproporz, Länderproporz und Bundestagsgröße im neuen Bundestagswahlrecht

Das neue Bundestagswahlrecht ist Gegenstand teils heftiger Kritik. Besonders die Tendenz zur Vergrößerung des Bundestags über die gesetzliche Mandatszahl hinaus wird gerügt. Ordnet man diese Kritik in die Eigenschaft des Bundestagswahlsystems als Mischwahlsystem ein, in dem Elemente von Verhältniswahl und Mehrheitswahl einander gegenüberstehen, wird ein Zielkonflikt zwischen der Einhaltung der zentralen Repräsentationsprinzipien des deutschen Wahlsystems (Parteienproporz, Länderproporz, Personenwahl) auf der einen Seite und einer adäquaten Bundestagsgröße auf der anderen deutlich. Problematisch am neuen Wahlrecht ist seine Ineffizienz bei der Annäherung an letztere, aber nicht die Einhaltung der Prinzipien selbst. Simulationen der Mandatsverteilung unter unterschiedlichen Parametern für den Umgang mit der Personenwahlkomponente für die Wahlen von 1949 bis 2013 legen nahe, dass diese Ineffizienz durch einen kohärenten Mechanismus der Mandatszuteilung (z.B. das Pukelsheim-3-Verfahren) und eine leichte Absenkung des Direktmandatsanteils stark gemildert wird. Dies würde die tatsächliche Mandatszahl ihrer gesetzlichen Zahl zumindest annähern. Die Repräsentationsprinzipien würden zudem mindestens ebenso gut umgesetzt wie derzeit. [ZParl, 45. Jg., H. 4, S. 838 – 858]

 

Hermsdorf, Fred: Erfolgswertgleichheit als Maßstab für die Sitzverteilung in Parlamenten

Jedes der vielfältigen Verfahren zur Berechnung von Sitzverteilungen in Parlamenten hat seine eigene Entstehungsgeschichte. Das Bundesverfassungsgericht hat die Erfolgswertgleichheit beziehungsweise seine bestmögliche Erfüllung als wesentliches Kriterium festgelegt. Keines der gängigen Verfahren erfüllt dies wie gefordert. Betrachtet man aber Sitzverteilungen, diese Anforderung einhalten, sind die bekannten Paradoxien unabdingbar und dürften somit nicht als negative Argumente zur Bewertung von Berechnungsverfahren benutzt werden. [ZParl, 45. Jg., H. 4, S. 858 – 865]

 

Wagschal, Uwe und Pascal König: Alle gleich? Analyse der programmatischen Parteienunterschiede bei Bundestagswahlen auf der Basis des Wahl-O-Mats

Um die These der Homogenisierung des deutschen Parteiensystems zu untersuchen, werden der Wahl-O-Mat und die darin enthaltenen Informationen für die Bundestagswahlen im Jahr 2013 im Vergleich zu den zwei vorangegangenen Wahlen 2005 und 2009 als eine weitere Möglichkeit zur Beschreibung und (räumlichen) Darstellung von Parteipositionen genutzt. Die deskriptiven Befunde ebenso wie deren clusteranalytische Überprüfung und die Extraktion räumlicher Positionen der Parteien können die Auffassung einer Homogenisierung und eines Verschwindens von parteilichen Gegensätzen nicht stützen. Zwar zeigt sich eine leichte relative Annäherung der beiden Volksparteien zur Bundestagswahl 2013 im Vergleich zu den beiden vorangehenden Wahlen, doch die beiden bekannten Lager bleiben klar unterscheidbar, wobei die Piraten und die AfD sich in das linke beziehungsweise das so genannte bürgerliche Lager einfügen. Aus der Diskussion der Brauchbarkeit und Verbesserungsmöglichkeiten der Wahl-O-Mat-Daten ist als auffälligstes Manko die durchgängig geringe Trennschärfe der Parteien im linken Parteienspektrum festzuhalten. [ZParl, 45. Jg., H. 4, S. 865 – 884]

 

Cancik, Pascale: Der „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ – zur Relativität eines suggestiven Topos

Für die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung weisen die deutschen Verfassungen dem Parlament und der Opposition im Parlament Informationsrechte zu. Diese greifen auf den Bereich der Regierung zu. Die Kontrollkompetenz umfasst aber nicht die Mitwirkung an Regierungsaufgaben („Mitregierung“). Daher wird aus dem Gewaltenteilungs-prinzip eine Grenze des Informationsrechts gefolgert, für die sich die – absoluten Schutz suggerierende – Wendung vom „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ etabliert hat. Ein absolut, dauerhaft geschützter Bereich der Regierung, der zu absoluter, dauerhafter Exemtion von parlamentarischer Kontrolle führte, ist verfassungsrechtlich aber nicht begründbar. Der Vertraulichkeitsschutz aufgrund des „Kernbereichs“ – also jenseits anderweitig normierten Geheimnisschutzes – ist in Umfang und Dauer relativ. Erforderlich ist jeweils eine Einzelfallabwägung, die nur anhand einer konkreten, begründeten Informationsverweigerung der Regierung vorgenommen werden kann. Die Möglichkeit, sich auf den „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ zu berufen, ist ausschließlich der amtierenden Regierung zugewiesen. Eine Umdeutung dieses Rechts in eine Pflicht einer nachfolgenden Regierung („Fortwirkung“ oder „Sperrwirkung des Kernbereichs“) ist verfassungsrechtlich nicht begründbar. [ZParl, 45. Jg., H. 4, S. 885 – 907]

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