Kropp, Sabine: Oppositionsprinzip und Mehrheitsregel in den Landesverfassungen: Eine Analyse am Beispiel des Verfassungskonfliktes in Sachsen-Anhalt.
Inzwischen haben neun Bundesländer Oppositionsregeln in ihren Verfassungen aufgenommen; „Opposition“ wurde damit zum auslegungsfähigen Rechtsbegriff aufgewertet. In Sachsen-Anhalt, wo seit 1994 eine Mehrheitsopposition von CDU und PDS einer Rot-Grünen Minderheitsregierung gegenübersteht, mußte nun aufgrund einer von der CDU eingebrachten Organklage erstmals der Oppositionsstatus einer Landtagsfraktion gerichtlich geklärt werden. Konkret war zu entscheiden, ob die PDS noch als „nicht-stützende“ Fraktion gelten kann, die von ihr verfolgte Tolerierungsstrategie mithin noch mit dem in Art. 48 LVerf festgeschriebenen Oppositionsbegriff vereinbar ist. Das Dessauer Verfassungsgericht hat sich in seiner Urteilsbegründung eine weite Auslegung des Oppositionsbegriffs zueigen gemacht. Da demnach der Tatbestand des „Stützens“ eine auf Dauer gestellte, koalitionsähnliche Abrede voraussetzt, konnte der PDS der Oppositionsstatus nicht abgesprochen werden, Darüber hinaus wurde das „Opposition“ gemein hinzugeordnete Machtwechselziel sowie die mit ihm verbundenen Funktionszuweisungen relativiert und implizit von der konkreten Erscheinungsform des Parteiensystems – und der mit ihr einhergehenden wandelbaren Koalitionslogik – abhängig gemacht. Mit diesem entwicklungsoffen und flexibel gehaltenen Oppositionsbegriff hat das Landesverfassungsgericht ein Stück Verfassungs- insbesondere Parlamentsgeschichte geschrieben. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 3, S. 373 ff.]
Renzsch, Wolfgang und Stefan Schieren: Große Koalition oder Minderheitsregierung. Sachsen-Anhalt als Zukunftsmodell des parlamentarischen Regierungssystems in den neuen Bundesländern?
In Sachsen-Anhalt haben die politisch Verantwortlichen aus dem Wahlergebnis von 1994 nicht den (naheliegenden) Schluß gezogen, sich zur Sicherung einer parlamentarischen Mehrheit in eine Große Koalition zu begeben. Statt dessen haben SPD und Grüne eine von der PDS tolerierte Minderheitsregierung gebildet. In vier der sechs ostdeutschen Bundesländer bieten die derzeitigen Mehrheitsverhältnisse nur die Alternative zwischen Großer Koalition und Minderheitsregierung. In den Ländern mit Großer Koalition steht der Regierung zumeist die PDS als einzige Oppositionspartei gegenüber. Während sie von dieser Situation profitiert, ist sie in ihrer Rolle als Dulderin einer Minderheitsregierung dazu gezwungen, Farbe zu bekennen. Außerdem hat sich die Regierung in Sachsen-Anhalt auch ohne die Unterstützung seitens einer Mehrheit als dauerhaft und aktionsfähig erwiesen. Gleichsam als Nebenprodukt haben sich auch noch die Handlungsspielräume des Parlaments erweitert. Durch das Erfordernis des konstruktiven Mißtrauensvotums in einer starken Stellung sogar gegenüber der eigenen Koalition, kann der Regierungschef auf der Suche nach einer Mehrheit für seine Politik die gegenseitige Blockade der Parteilager durch wechselnde Mehrheiten überwinden. Dies hat zur Folge, daß die Politik aus Koalitionsrunden und Parteizirkeln ins Parlament zurückkehrt und transparenter wird. Insofern ist die Minderheitsregierung der Großen Koalition vorzuziehen. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 3, S. 391 ff.]
Grönebaum, Stefan: Wird der Osten rot? Das ostdeutsche Parteiensystem in der Vereinigungskrise und vor den Wahlen 1998.
Mit den Wahlen 1990 schien sich das ostdeutsche Parteiensystem zu einer Kopie des westdeutschen zu entwickeln mit der Besonderheit der Dreispaltung der linken Parteien. Tatsächlich entsteht, seit den Wahlen 1993/94 ablesbar, ein zunehmend eigenständiges ostdeutsches Parteiensystem: Die CDU büßt mit dem „Verblassen des Einheitsglanzes“ ihre dominante Stellung zum Vorteil der SPD mehr und mehr ein, die FDP verliert weitgehend ihre Mitglieder- und Wählerbasis, die Grünen müssen um den Einzug in die Landesparlamente bangen, und die PDS ist als „regionale Milieupartei“ zu einer etablierten Kraft geworden, ohne sich zwischen populistischer Opposition und ostdeutscher Interessenvertretung als Regierungspartei entschieden zu haben. Eine Schlüsselrolle fällt der SPD zu: Sie ist schon jetzt an den meisten Regierungen beteiligt und kann in Zukunft zwischen Großer Koalition, Rot-Grün und Tolerierung wählen. Strukturelle Vorteile der SPD werden im Osten stärker zum Tragen kommen und ihr in den kommenden Wahlen Erfolge erleichtern. Diese Wahlerfolge kann die SPD allerdings durch hektisches innerparteiliches Flügelschlager oder durch eine von der Mutterpartei geförderte ängstliche Abgrenzungsstrategie selbst verhindern. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 3, S. 407 ff.]
Witte, Jan: Plebiszitäre Elemente und Anwendungserfahrungen in den norddeutschen Kommunalverfassungen der Weimarer Zeit.
Die unmittelbar-demokratischen Elemente des Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids sind seit 1990 in mittlerweile sämtlichen Flächenländern auf der Kommunalebene (wieder) eingeführt worden. Auch schon in den norddeutschen Kommunalverfassungen der Weimarer Zeit waren solche Abstimmungen in Ämtern und Kreisen vorgesehen. Die tatsächliche Praxis von kommunalen Plebisziten zwischen 1919 und 1933 ist aber weitgehend unbekannt. Teils sehr rege, teils aber auch nur mäßig wurden diese genutzt. Die angenommenen Gefahren des Plebiszits verwirklichten sich nicht. Weder fand eine besondere Beeinträchtigung der laufenden Verwaltung durch den Sachentscheid oder das Auflösungsbegehren statt, noch führte etwa die Möglichkeit des ratsinitiierten Sachentscheids zu einer Abwälzung der Verantwortung auf die Bevölkerung. Das (selten angewandte) Abberufungsplebiszit war sogar erfolgreich in dem Sinne, daß Krisen zwischen der Verwaltungsspitze und der Vertretungskörperschaft auf diese Weise rasch lösbar waren. Insgesamt war das Gemeindeplebiszit sowohl hinsichtlich seiner quantitativen Nutzung als auch seiner politischen Auswirkungen positiver, als bislang vermutet. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 3, S. 425 ff.]
Naßmacher, Hiltrud: Keine Erneuerung der Demokratie „von unten“. Zur Bedeutung direktdemokratischer Beteiligungsverfahren.
Die hohen Erwartungen einer qualitativen Verbesserung der repräsentativen Demokratie durch direktdemokratische Elemente müssen – mindestens hinsichtlich der Kommunalebene – gedämpft werden. Informationen von Landesinnenministern, von Kommunalaufsichtsbehörden und Fraktionsvorsitzenden einzelner Städte, in denen direktdemokratische Instrumente angewandt wurden, geben ein deutliches Bild aus der Praxis: Die Beteiligungsbereitschaft der Bürger bleibt selbst bei sehr aktuellen Themen begrenzt. In der Regel wird die Mobilisierungskraft einer (etablierten) Organisation gebraucht, um eine Initiative zum Erfolg zu führen. Bei Entscheidungen über Sachfragen werden eher beharrende Tendenzen erkennbar. Hinzu kommen Gefahren der Elitendemokratie und Delegitimierung: Beteiligungsbereite können ihr Stimmengewicht durch mehr Partizipation erheblich erhöhen; Wahlen verlieren an Bedeutung; der Konkordanzzwang in der Politik wächst; die ohnehin spärlichen politischen Aktivisten werden zusätzlich belastet und müssen den Zufälligkeiten örtlicher Initiativen folgen. Gegenüber dem Risiko, vorhandene Partizipationsbereitschaft in direktdemokratischen Einzelentscheidungen zu „verheizen“, sollten lieber die Demokratiepotentiale in Parteien und Verbänden besser genutzt werden. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 3, S. 445 ff.]
Röper, Erich: Parlamentarische Behandlung von Bürgeranträgen/Volksinitiativen.
Bürgeranträge und Volksinitiativen auf Landesebene sind in gut der Hälfte der Bundesländer ein neues Instrument bürgerschaftlicher Mitwirkung. Hervorgegangen und weiterentwickelt aus dem Petitionsrecht können qualifizierte Minderheiten so das Landesparlament zwingen, einen Gegenstand politischer Willensbildung oder einen Gesetzentwurf – anders als bei Massenpetitionen – mit ihnen zu beraten und förmlich zu beschließen; strittig ist der Einfluß auf das Etatrecht; da dem Volk die nötige Übersicht fehle, soll wie bei Volksentscheiden die Prädominanz der Repräsentanten über die Repräsentierten erhalten bleiben. Auf kommunaler Ebene haben sich die Bürgeranträge bewährt. Auf Landesebene müssen sie noch zum allseits akzeptierten Instrument werden: die Parlamente müssen lernen, damit umzugehen. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 3, S. 461 ff.]
Winkel, Olaf: Die deutsche Einheit als verfassungspolitischer Konflikt.
Die verfassungspolitische Diskussion, die im Kontext der politischen Entwicklungen von der friedlichen Revolution in der DDR im Herbst 1989 bis zur verfassungsrechtlichen Vollendung der deutschen Einheit im Herbst 1994 geführt wurde, hat zwiespältige Ergebnisse hervorgebracht. Die Stärke der letztlich gewählten Lösung liegt vor allem darin, daß die Gunst der Stunde auf diese Weise genutzt werden konnte und die Bundesrepublik ein berechenbarer Faktor im internationalen System blieb. Die entscheidenden Schwächen sind, daß weder eine umfassende öffentliche Verfassungsdiskussion noch eine weitergehende Verfassungsmodifikation stattfand – und zwar nicht einmal zu einem Zeitpunkt, als dies sowohl unter innenpolitischen als auch unter außenpolitischen Aspekten gefahrlos möglich gewesen wäre. Eine partnerschaftliche Entwicklung und plebiszitäre Legitimierung einer gesamtdeutschen Verfassung wurde nicht zugelassen. Die Verabsolutierung des bundesdeutschen Status quo hat unter anderem dazu geführt, daß neue Impulse und Ideen im Keim erstickt und schon für sich allein wertvolle gesellschaftliche Diskussionsprozesse blockiert worden sind. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 3, S. 475 ff.]
Schultze, Rainer-Olaf: Verfassungsreform als Prozeß.
Die aktuelle Beschäftigung mit Verfassungspolitik ist durch einen eigentümlichen Widerspruch gekennzeichnet: Einerseits erleben wir weltweit – und nicht erst seit dem Umbruch nach 1989 – eine Vielzahl von Prozessen der Verfassungsgebung wie der Verfassungsreform. Andererseits fehlt es an soliden systematischen und empirisch gesättigten politikwissenschaftlichen Untersuchungen. Wer Politikberatung betreiben will, sollte davon ausgehen, daß es keine „universell feststehende Matrix demokratischer Institutionen“ gibt und daß die Frage nach angemessenen institutionellen Arrangements nicht kontext-unabhängig beantwortet werden kann. Es kommt entscheidend darauf an, wie die politischen Institutionen jeweils mit der konkreten gesellschaftlichen Konfliktstruktur vermittelt sind. Folglich muß mit Verfassungs- und Institutionentransfer sehr vorsichtig umgegangen werden. Es kann sich dabei nur um die Adaptation von Modellen an den gesellschaftlich, politisch-kulturell und politisch-institutionell definierten Kontext eines jeden Landes handeln. Mit Blick auf die Frage nach Planbarkeit und Machbarkeit sowie nach der Rolle von Experten bedeutet dies, daß Verfassungsgebung eben nicht als Wissenschaft, sondern nur als Kunst betrieben werden kann. [ZParl, 28. Jg., 1997, H. 3, S. 502 ff.]