König, Thomas, Andrea Volkens und Thomas Bräuninger: Regierungserklärungen von 1949 bis 1998. Eine vergleichende Untersuchung ihrer regierungsinternen und -externen Bestimmungsfaktoren.
In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, die inhaltliche Ausrichtung der von 1949 bis 1998 erfolgten Regierungserklärungen zu bestimmen. Über eine Unterscheidung zwischen sozio-ökonomischen, gesellschaftlichen, umwelt- und außenpolitischen Regierungspositionen werden zwei Arten von Faktoren herangezogen: interne Faktoren untersuchen die Erklärungskraft der Kanzler-, Minister- und Koalitionsparteien, während externe Faktoren die Aussagekraft des Bundestags- und Bundesratsmehrheitsakteurs sowie die durch die Bürokratie induzierte Status quo-Beharrlichkeit überprüfen. Die Regierungspositionen in allen 18 Großen Regierungserklärungen wurden vermittels einer Dokumentenanalyse festgestellt wie auch die Daten für die internen und externen Faktoren aus den Parteiprogrammen aller im Bundestag vertretenen Parteien gewonnen wurden. Den Ergebnissen zufolge geben interne Faktoren, insbesondere die Kanzler- und Koalitionsparteien, den besten Einblick in die inhaltliche Ausrichtung von Regierungserklärungen, während externe Faktoren wie der Bundestags- oder Bundesratsmehrheitsakteur keine Erklärung für Regierungspositionen liefern. Darüber hinaus lassen sich Regierungspositionen nicht auf eine Links-Rechts-Dimension reduzieren, da zwischen den sozio-ökonomischen, gesellschaftlichen, umwelt- und außenpolitischen Inhalten ein signifikanter Unterschied besteht, der auch in unterschiedlichem Maß zur Erklärung der dimensionsspezifischen Regierungsposition beiträgt. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 3, S. 641 ff.]
Mai, Manfred: Wissenschaftliche Politikberatung in dynamischen Politikfeldern.
Mit der Ausweitung der Staatstätigkeit und der Ausdifferenzierung von Politikfeldern ist der Bedarf an wissenschaftlicher Expertise als Grundlage politischer Entscheidungen stetig gestiegen. Die bestehenden Befunde wissenschaftlicher Politikberatung (Instrumentalisierung, Funktionswandel) bedürfen insbesondere in jenen Politikfeldern einer Ergänzung, die von einer besonderen Dynamik geprägt sind. Dynamische Politikfelder zeichnen sich dadurch aus, daß es darin schnell wechselnde Akteurskonstellationen und -strategien gibt, auf die vor allem die Regierung reagieren muß. Im Gegensatz zu eher statischen Politikfeldern fehlen auch weitgehend Netzwerk- und korporatistische Strukturen als Steuerungsinstrumente. Als Möglichkeit, auch in dynamischen Politikfeldern wissenschaftlich reflektierte Entscheidungen zu treffen, wird eine neue Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik vorgeschlagen, die eine teilweise Abkehr von tradierten Rollenverständnissen bedeutet. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 3, S. 659 ff.]
Krott, Max: Musterlösungen als Instrumentarien wissenschaftlicher Politikberatung. Das Beispiel des Naturschutzes.
In der wissenschaftlichen Politikberatung trifft die regelgebundene Erkenntnisproduktion durch die Wissenschaft auf die Interessen- und machtgeleitete Verwertung durch die politischen Akteure. Am Beispiel des Naturschutzes werden Möglichkeiten für eine, dem empirisch-analytischen Ansatz verpflichtete Politikforschung aufgezeigt, dem Akteur Naturschutzverwaltung wissenschaftliche Hilfestellungen an die Hand zu geben. Dank der Theorieorientierung in enger Verknüpfung mit Empirie erhält die Verwaltung nicht nur eine kritische Beschreibung mit hohem Neuigkeitswert, sondern zusätzlich Aufklärung über Machtprozesse. Wegen des Machtbezuges können die Ergebnisse unmittelbar für die Stärkung des Steuerungspotentials der Naturschutzverwaltung Anwendung finden und leiden nicht unter dem vielfach beklagten Durchsetzungsdefizit von naturwissenschaftlichen Schutzempfehlungen. Wegen des Staus an naturwissenschaftlich beschriebenen aber nicht umgesetzten Schutzmaßnahmen wäre die disziplinäre Konzentration auf die politischen Handlungsmöglichkeiten für die Politikberatung im Natur- und Umweltschutz derzeit eine besonders effiziente Strategie. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 3, S. 673 ff.]
Jaehrling, Karen: Der Einsatz wissenschaftlicher Beratung zur Strukturierung der politischen Kommunikation — eine „informelle Funktion“ am Beispiel der Wehrpflichtdebatte.
Zunehmende Verflechtungen und interne Differenzierungen von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit unterminieren die empirische Grundlage für solche Analysen des Politikberatungsprozesses, die diese drei Kräfte als einander geschlossen gegenübertretende Akteure mit je unterschiedlichen Rationalitäten und Aufgaben konzipieren. Die Unterscheidung in formelle und informelle Funktionen der Politikberatung bildet diese überkommene Konzeptualisierung ab und erschwert so eine adäquate Einschätzung der politischen Bedeutung von Politikberatung.
Anhand von Beispielen aus dem bundesdeutschen Entscheidungsprozeß zum Thema Wehrpflicht von 1990 – 1996 arbeitet der Beitrag Motivlagen von Politikern heraus, die auf die innerpolitisch-kommunikative Funktion von Politikberatung verweisen. Die Interpretation der Beispiele erfolgt in Auseinandersetzung mit konventionellen Interpretationen ähnlich gelagerter empirischer Vorgänge als Varianten ,informeller’ Funktionen der Politikberatung. Während diesen Interpretationen zufolge Politikberatung nach dem Willen politischer Akteure auf die Beeinflussung einer externen Öffentlichkeit zielt, setzt der Beitrag eine Interpretation entgegen, derzufolge Politikberatung in Anspruch genommen wird, um innerpolitische Kommunikationsräume zu öffnen oder zu schließen. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 3, S. 686 ff.]
Marschall, Stefan: Public Relations der Parlamente. Parlamentarisches Kommunikationsmanagement in der modernen Öffentlichkeit.
Demokratische Repräsentation ist auf dichte kommunikative Verkopplung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten angewiesen. Wenn Parlamente mit der Bevölkerung in Kontakt treten wollen, bewegen sie sich gemeinsam mit vielen anderen auch nicht-politischen Organisationen in einem komplexen Kommunikationsraum — der „Öffentlichkeit“. Öffentlichkeit wird in modernen Gesellschaften zu einem großen Teil von den Massenmedien aufgebaut. Dies hat mitunter problematische Auswirkungen auf die Politikvermittlung der Volksvertretungen. Dem versuchen Parlamente mittels Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit entgegenzuwirken. Am Beispiel des Bundestages und unter Berücksichtigung anderer Parlamente skizziert der Beitrag, in welcher Weise Parlaments-PR betrieben wird, wo die Chancen und Grenzen des Versuches liegen, parlamentarische Außenkommunikation zu „managen“. Ein Ergebnis der Untersuchung ist, daß der Strukturwandel parlamentarischer Öffentlichkeit demokratische Repräsentation in ihrem Kern herausfordert. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 3, S. 699 ff.]
Schröder, Stephen: Das parlamentarische Untersuchungsrecht der Weimarer Reichsverfassung im Spiegel der zeitgenössischen Staatsrechtslehre und Rechtsprechung. Damals wie heute: „Es wimmelt von Streitfragen …“
Mit Art. 34 der Weimarer Reichsverfassung wurde das parlamentarische Untersuchungsrecht erstmals seit der Gründung des deutschen Nationalstaats auf Reichsebene verankert. Die Weimarer Verfassungsväter versprachen sich vom Enqueterecht des Reichstags dabei nicht nur eine wirksame Kontrollmöglichkeit gegenüber Regierung und Verwaltung, sondern vor allem auch wertvolle Dienste für die Gesetzgebungsvorbereitung. Der unbestimmt formulierte Art. 34 WRV bereitete der zeitgenössischen Staatsrechtslehre und Rechtsprechung jedoch große Probleme. Zwar herrschte weitgehend Einigkeit darüber, daß es sich bei den Untersuchungsausschüssen um Hilfsorgane des Parlaments handelte, die mit behördenähnlichen Zwangsbefugnissen ausgestattet waren. Welche Zwangsmittel die „sinngemäße Anwendung“ (Art. 34, Abs. 3 WRV) der Strafprozeßordnung den Ausschüssen im einzelnen an die Hand gab, blieb jedoch genauso umstritten wie manche Frage im Zusammenhang mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Vor allem an der Ausgestaltung des Enqueterechts als Minderheitsrecht sowie an der Parallelität von parlamentarischer und gerichtlicher Untersuchung und allen damit in Zusammenhang stehenden Fragen (Aktenvorlage, Öffentlichkeit der Ausschußverhandlungen) entzündeten sich wissenschaftliche Kontroversen. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 3, S. 715 ff.]
Brocken, Lars: Parlamentarisches Untersuchungsverfahren und Zurückhaltungsgebot.
Dem Zeugenbeweis kommt für die Arbeit eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zentrale Bedeutung zu. Der Auskunfts- und Zeugenpflicht korrespondiert die Pflicht des Ausschusses, schutzwürdige Privatinteressen des Zeugen zu wahren und ein faires rechtsstaatliches Verfahren zu gewährleisten. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Abgeordneten sich in ähnlichem Umfange wie Richter der Zurückhaltung zu befleißigen hätten. Namentlich das Prinzip der Unschuldsvermutung findet im Gegensatz zu einer neuerdings wieder vertretenen Auffassung in der Literatur im parlamentarischen Untersuchungsverfahren keine Anwendung. Folglich können Abgeordnete auch nicht wegen Befangenheit abgelehnt oder ausgeschlossen werden. Der Zeuge muß den „politischen Kampf“ im Ausschuß vielmehr bis zu einem bestimmten Grad ertragen. Dies ist dem Charakter eines Untersuchungsausschusses als politischem Kampfmittel immanent und trägt dem Verfassungsgrundsatz der Redefreiheit des Abgeordneten, der in diesem Zusammenhang zu beachten ist, hinreichend Rechnung. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 3, S. 739 ff.]
Röper, Erich: Petitionsrecht und Privatisierung — ein Spannungsverhältnis.
Die Privatisierung von Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge vermindert die Gestaltungs- und Eingriffsmöglichkeiten der Volksvertretungen; die Bevölkerung verliert den Schutz durch Parlamente und Kommunalvertretungskörperschaften. Das ist vor allem dann nicht hinnehmbar, wenn es um Beschwerden geht, die bisher Gegenstand von Petitionen sein konnten. Das Spannungsverhältnis zwischen dem politischen Wunsch nach „Verschlankung“ der Verwaltung und Haushaltsausgleich durch Verkaufserlöse Für öffentliche Unternehmen/Betriebe einerseits sowie der rechtlichen Isolation des einzelnen durch Wegfall demokratischer Gestaltung der öffentlichen Daseinsvorsorge andererseits verlangt aus dem Demokratieprinzip, daß die Petitionsausschüsse Bitten und Beschwerden zu diesen Unternehmen/Betrieben jedenfalls solange nachgehen und sie insoweit kontrollieren können, bis ideale Angebotskonkurrenz die freie Auswahl Für die Leistungen bisher öffentlicher Daseinsvorsorge erlaubt, was parlamentarische Kontrolle erübrigt. Einen wichtigen Schritt in die Richtung tat der Bremische Staatsgerichtshof. Eine gute Rechtsgrundlage darüber hinaus hat die Verfassung von Rheinland-Pfalz. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 3, S. 748 ff.]
Gu, Xuewu: Die „Vorbeugungsfunktion“ des Bundespräsidenten.
Der Begriff „Reservefunktion“ ist nicht scharf genug, um die Rolle des Bundespräsidenten präzise und ausreichend zu erfassen. Er sollte differenziert und durch den Begriff „Vorbeugefunktion“ ergänzt werden. Diese gehört wie die „Symbol-“ und „Reservefunktion“ zur Trias der präsidentiellen Funktionen. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 3, S. 761 ff.]
Steffani, Winfried: Das magische Dreieck demokratischer Repräsentation: Volk, Wähler und Abgeordnete.
Die Redeweise von einer „direkten Demokratie“ geht offenbar davon aus, in einer Demokratie könnten Volk und Wählerschaft miteinander identifiziert und den Abgeordneten als deren Repräsentanten gegenübergestellt werden. Dies ist jedoch analytisch unzulässig, da stets zwischen den Ebenen Volk, Wähler und Abgeordnete unterschieden werden muß. Erst diese Unterscheidung macht deutlich, daß auch die Wähler Repräsentanten des Volkes sind. Welche Befugnisse den Wählern und welche den Parlamentariern zugeordnet werden, ist dann keine Frage des Prinzips, sondern der Erfahrung. Die Erfahrung spricht für eine starke Betonung parlamentarischer Repräsentation. Demokratie wiederum verlangt logisch nach einem Wahlrecht von Geburt an, das jedoch bis zu einem bestimmten Alter von dazu befugten Personen vertretungsweise wahrgenommen werden müßte. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 3, S. 772 ff.]