Filzmaier, Peter und Fritz Plasser: Lokalismus und Lewinsky-Gate: Analyse der US-amerikanischen Kongreßwahlen 1998.
Der Artikel bietet eine Diskussion der US-amerikanischen Kongreßwahlen 1998, die auch in Westeuropa mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt wurden, da sie im Vorfeld des Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsident Clinton stattfanden und der Anlaß (Lewinsky-Gate) monatelang die massenmediale Berichterstattung dominierte. Überraschenderweise kam es zu einem Wahlergebnis, das die Mehrheitsverhältnisse bestätigte. Der „Lewinsky-Faktor“ erklärte allenfalls Ausschnitte des Wählerverhaltens, das vorrangig durch Persönlichkeit und Kompetenz der Kandidaten, regionale Problemlagen und ökonomisch-konjunkturelle Zufriedenheit bestimmt wurde. Weitere Stabilitätsfaktoren waren fehlende thematische Konfliktlinien und ein ausgeprägter Amtsinhaberbonus. Leichte Gewinne der Demokratischen Partei resultierten auch aus einer relativ hohen Wahlbeteiligung, während ein nachweisbarer Vorsprung bei den finanziellen Wahlkampfressourcen nicht zu besonderen Erfolgen der Republikanischen Partei führte. [ZParl, 30. Jg. ( 1999), H. 4, S. 819 ff.]
Helms, Ludger: Präsident und Kongreß in der legislativen Arena. Wandlungstendenzen amerikanischer Gewaltenteilung am Ende des 20. Jahrhunderts.
Ausgehend von einer Analyse der jüngeren theoretischen Gewaltenteilungsdebatte in den USA analysiert der Beitrag die Veränderungen im Verhältnis von Präsident und Kongreß seit den achtziger Jahren. Die empirische Bestandsaufnahme umfaßt sowohl eine kritische Würdigung der wichtigsten prozessualen und strategischen Wandlungen in den Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative als auch eine Diskussion der statistisch meßbaren „Erfolgsquote“ des Präsidenten in der legislativeu Arena sowie der spezifischen Auswirkungen von „divided government“ und „unified government“. Ein wesentlicher Teil der Veränderungen im Verhältnis zwischen Präsident und Kongreß in den neunziger Jahren kann als ein Ergebnis des politischen Führungsstils Präsident Clintons angesehen werden, welcher vor allem durch eine drastische Intensivierung der Strategie des „going public“ und eine Reihe neuartiger präsidentieller Kommunikationsstrategien gegenüber dem Kongreß und der amerikanischen Öffentlichkeit gekennzeichnet ist. Zur wichtigsten Bestimmungsgröße des Verhältnisses von Exekutive und Legislative ist aufgrund der deutlich angewachsenen „Parteigeschlossenheit“ im Kongreß jedoch die parteipolitische Machtverteilung zwischen beiden Institutionen geworden. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 4, S. 841 ff.]
Höhne, Roland: Die Transformation des politischen Systems der V. Französischen Republik nach den Parlamentswahlen von 1997.
Die Französischen Parlamentswahlen des Jahres 1997 brachten den siebten Regierungswechsel seit 1986. Die Sozialisten konnten gemeinsam mit den Kommunisten, den Grünen, den Linksliberalen und den Linksrepublikanern die bisherige Regierung ablösen. Sie waren vor allem deshalb erfolgreich, weil sie ihre Fragmentierung durch strategische Allianzen und Wahlabsprachen überwanden und weil der rechtsradikale Front National durch seine Konfrontationsstrategie die bürgerlichen Rechte schwächte. Durch den Wahlsieg der bisherigen Opposition wurde der 1995 gewählte gaullistische Staatspräsident Jacques Chirac zur dritten Kohabitation seit 1986 gezwungen.
Diese hat die Parteien und das Parlament aufgewertet und die Rolle der Parteien im politischen System stark verändert. Die traditionellen Parteien, die seit den sechziger Jahren die französische Politik maßgeblich bestimmen, wandelten sich von präsidentiellen Unterstützungsorganisationen zu Volksparteien im französischen Sinne, welche die politische Macht sowohl über die Besetzung des Präsidentenamtes als auch über die Gewinnung parlamentarischer Mehrheiten anstreben. Die linken Parteien haben sich diesem Wandel wesentlich besser angepaßt als die rechten, da sie seit ihrer Wahlniederlage von 1993 vor allem eine parlamentarische Strategie der Machteroberung verfolgten. Die rechten Parteien befinden sich dagegen in einer tiefen Krise. Diese ist besonders ausgeprägt bei der neogaullistischen Sammlungsbewegung RPR, aus deren Reihen der gegenwärtige Staatspräsident hervorgegangen ist. Einerseits versteht sie sich immer noch als präsidentielle Unterstützungsorganisation, andererseits als parlamentarische Oppositionspartei, welche im Bunde mit den übrigen bürgerlichen Rechtsparteien die Rückeroberung der parlamentarischen Mehrheit anstrebt. Die Zukunft des RPR, aber auch der übrigen bürgerlichen Rechtsparteien hängt im hohen Maße von der weiteren Entwicklung des Verfassungssystems ab. Sollte diejenige Kohabitation bis zu den nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahre 2002 dauern, wird sich je nach Ausgang der Wahlen seine präsidentielle oder parlamentarische Komponente verstärken. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 4, S. 864 ff.]
Schultze, Rainer-Olaf und Tanja Zinterer: Kanadische Royal Commissions: Ein Vorbild für den Abbau von Reformstaus?
Der Artikel untersucht vor dem Hintergrund des offenkundigen Reformstaus in der bundesdeutschen Politik die Möglichkeiten von Politikberatung am Beispiel kanadischer Royal Commissions. Ausgehend von konzeptionellen Überlegungen zum Policy-Wandel wird zunächst diskutiert, welchen Beitrag politikberatende und politikgestaltende Institutionen im Prozeß der Politikformulierung leisten können. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der Rolle von Politikberatung in Zeiten gesellschaftlicher Krisen.
Anhand dieses Konzeptes wird sodann die Leistung verschiedener politikgestaltender Royal Commissions kritisch gewürdigt. Abschließend wird erörtert, ob kanadische Royal Commissions als Modell für bundesdeutsche Policy-Gestaltung dienen könnten, welche Bedingungen für oder gegen die Einführung von Royal Commissions in den bundesdeutschen Politikprozeß sprechen und ob eine Reform der Enquete-Kommissionen nach ihrem Vorbild sinnvoll ist. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 4, S. 881 ff.]
Möckli, Silvano: Die Supervision der Wahlen in Bosnien-Herzegowina durch die OSZE. Ein Erfahrungsbericht.
Im Abkommen von Dayton wurde die OSZE mit der Supervision der Wahlen in Bosnien-Herzegowina betraut. Es ist dies die größte Mission, welche die OSZE je durchgeführt hat — und ihr Ende ist nicht abzusehen. Der Autor schildert, gestützt auf persönliche Erfahrungen, die Vorbereitung, Durchführung und Implementierung der Wahlen von 1996 und 1997 und beurteilt die Leistungen der OSZE. Die Wahlen wurden zwar technisch korrekt durchgeführt, an der bestehenden Machtverteilung zwischen den beiden Entitäten (Republika Srpska und Föderation) haben sie aber nichts geändert. Das Wahlergebnis hat vielmehr die politisch führenden Kräfte in den Entitäten gestärkt und international legitimiert. Ein Aufweichen der ethnischen Trennlinien und eine nachhaltige Demokratisierung werden in Bosnien-Herzegowina erst möglich sein, wenn auch Restjugoslawien und Kroatien zu stabilen Demokratien werden. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 4, S. 904 ff.]
Reetz, Axel: Demokratische Transformation im Baltikum.
Die baltischen Staaten sind seit 1991 wieder unabhängig und haben inzwischen das zweite Parlament in freien Wahlen bestimmt. Beständige Spaltungen und Fusionen sowie Neugründungen lassen das Parteiengefüge nicht zur Ruhe kommen, das damit ein Abbild der gesellschaftlichen Verhältnisse gibt. Keine Regierung konnte den Urnengang letztlich für sich entscheiden. Bei genauer Betrachtung der Entwicklung werden jedoch große Unterschiede zwischen den drei benachbarten Republiken deutlich. In Estland fehlt nach wie vor eine echte Linke im Parlament, während die anderen Parteien sich im rechten Spektrum drängen. Die mehrfach wechselnden Koalitionen in der Folgezeit verdeutlichen, wie nahe sich die Ideologien der Parlamentsparteien sind. Lettland verharrte nicht nur weiter im Blockdenken, die politische Blockade konnte letztlich nur durch eine Koalition der großen sich im Patt gegenüberstehenden Parteien verhindert werden. In Litauen wurde die alte Regierung am klarsten abgewählt und durch eine absolute Mehrheit der ehemaligen Kommunisten ersetzt. Als Erklärungsversuch kann nur die stark personalisierte Wahlentscheidung herangezogen werden. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 4, S. 924 ff.]
Lemke-Müller, Sabine: Funktionen und Politikverständnis der weiblichen Abgeordneten in den Ausschüssen des 13. und 14. Deutschen Bundestages.
Die Studie untersucht die thematische Orientierung von Parlamentarierinnen, für die ihre Präsenz in den Ausschüssen des Bundestages — hier der 13. und 14. Wahlperiode — tragfähige Hinweise gibt. In Relation zu ihrer Präsenz im Bundestag von zunächst 26,3 Prozent in der 13. und 30,9 Prozent in der 14. Wahlperiode arbeiten Parlamentarierinnen überdurchschnittlich häufig in Ausschüssen, die sich mit Themen der Sozial- und Gesellschaftspolitik, der Kultur- und Menschenrechtspolitik befassen; relativ viele finden sich zudem im Petitions- und im Haushaltsausschuß. Unterrepräsentiert sind Frauen auf den klassischen Politikfeldern der Außen-, Verteidigungs-, Finanz- und Rechtspolitik. Tendenzen einer stärkeren Professionalisierung von Politikerinnen auf diesen Gebieten zeigen sich in der 14. Wahlperiode, doch ist auch eine gegenläufige Entwicklung etwa im zukunftsträchtigen Forschungsausschuß sowie im Europaausschuß unverkennbar. Frauen scheinen Ausschüsse mit stärkeren Gestaltungsmöglichkeiten in der Gesetzgebung (zum Beispiel Arbeit- und Sozialordnung) gegenüber den eher prestigeorientierten, regierungsbegleitenden Pendants (zum Beispiel Auswärtiger Ausschuß) zu bevorzugen. Spürbare Auswirkungen hatte der Mehrheitswechsel zu Rot-Grün: Da die Fraktionen von SPD und Bündnisgrünen wesentlich höhere Frauenanteile aufweisen als CDU/CSU und FDP, hat sich die Anzahl von „Frauen mit Macht“ stark erhöht. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 4, S. 968 ff.]
Steffani, Winfried: Der parlamentarische Bundesstaat als Demokratie.
Gerhard Lehmbruch hat in seinem Buch „Parteienwettbewerb im Bundesstaat“ unter anderem die These vertreten, daß in der Bundesrepublik Deutschland in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive die „Handlungslogiken“ beziehungsweise -stile des parlamentarischen und des bundesstaatlichen Subsystems zu erheblichen „Verwerfungen“ geführt hätten. Die Begriffe Konkurrenzdemokratie und Verhandlungsdemokratie würden dieses Spannungsverhältnis verdeutlichen. Dem wird hier eine grundsätzlich andere Sichtweise des parlamentarischen Bundesstaates gegenübergestellt. Es geht dabei nicht um eine Aufgliederung des politischen Gesamtsystems in verschiedene Handlungsebenen und eine Analyse des Spannungsverhältnisses zwischen den ihnen jeweils zugeordneten „Handlungslogiken“, sondern um eine Unterscheidung von politischer Willensbildung und rechtsverbindlicher Entscheidung einerseits sowie durch parlamentarische Wahlen ermöglichte Regierungsbildung und bundesstaatlich organisierte Gesetzgebung andererseits. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 4, S. 980 ff.]
Schieren, Stefan: Der Human Rights Act 1998 und seine Bedeutung für Großbritanniens Verfassung.
Die Transformation der Europäische Menschenrechtskonvention in britisches Recht durch den Human Rights Act 1998 ist einerseits Ausdruck des Verfassungswandels in Großbritannien, andererseits wird er diesen weiter vorantreiben. Dies wird vor allem das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung auf der einen und Gerichten auf der anderen Seite betreffen.
Verfassungsrechtlich gesehen ist die Konvention kein höherrangiger Normenbestand. Aber in der Praxis wird sie in der Mehrzahl der Fälle diese Wirkung erzeugen.
Mit Blick auf die Beziehungen zwischen Gerichten und Parlament läßt sich behaupten, daß der Grund-, Eck- und Schlußstein der britischen Verfassung, die absolute Parlamentssouveränität, ihren hegemonialen Einfluß auf die Rechtswirklichkeit eingebüßt hat. Die Doktrin hat sich in das Refugium selbstbezüglicher Unzerstörbarkeit zurückgezogen. Großbritannien hat somit seinen im Mittelalter angetretenen konstitutionellen und rechtlichen „Sonderweg“ verlassen und nähert sich der Rechtsentwicklung des europäischen Kontinents, was den Fortgang der europäischen Integration erleichtern dürfte. [ZParl, 30. Jg. (1999), H. 4, S. 999 ff.]