Haarmann, Christopher: Die 10. Volkskammer der DDR 1990: Elitenpool der ersten Stunde.
Erstmals werden elitensoziologische Befunde zu den 409 Abgeordneten der letzten Volkskammer der DDR aus dem Jahre 1990 auf breiter empirischer Basis präsentiert. Im Vergleich zu ihren westdeutschen Kollegen im Deutschen Bundestag unterschieden sie sich weniger hinsichtlich Konfession, Alter oder Geschlecht, sondern vielmehr in ihrer Bildungs- und Berufsstruktur sowie in ihren politischen Vorerfahrungen. Die Mitglieder der neu gegründeten Parteien sind bestimmten Ausbildungs- und Sozialisationstypen zuzuordnen und haben erst mit den Ereignissen des Jahres 1989 in die Politik gefunden. Die Abgeordneten der früheren Blockparteien gehören dagegen zumeist einer Subelite an, aus der sie erst in den Tagen des Umbruchs aufsteigen konnten. In ihren Reihen waren die technische Intelligenz sowie Abgeordnete mit ideologienahen Ausbildungs- und Berufskarrieren stark vertreten. Nach 1990 sind gut zwei Drittel der Abgeordneten, zumeist die politischen Neueinsteiger, in der Politik verblieben, zum Teil an führender Stelle. Hauptaktionsfeld ist die regionale Ebene in den ostdeutschen Ländern. Die Gruppe der Volkskammerabgeordneten wurde ein Elitenpool der ersten Stunde für das wieder vereinigte Deutschland. (ZParl, 31. Jg., H. 3, S. 527 ff.)
Patzelt, Werner J.: „Seiteneinsteiger, Neulinge, Ossis …“: Die Integration ostdeutscher Abgeordneter in ‚gesamtdeutsche‘ Parlamente.
1990 mischten sich im Deutschen Bundestag und im Berliner Abgeordnetenhaus ostdeutsche Neulinge und Seiteneinsteiger unter die Akteure eines etablierten Parlamentarismus. Eine Befragungsstudie aus diesen Anfangsjahren erlaubt es, den daraus folgenden Integrations- und Sozialisationsprozess nachzuvollziehen. Auf der Grundlage sehr unterschiedlicher Vorprägungen und wechselseitig klar erkannter Unterschiede entstand bald Einverständnis über die in Rechnung zu stellenden Rahmenbedingungen und über die aus guten institutionellen Gründen einzuhaltenden Spielregeln des nunmehr gemeinsamen Parlamentarismus. Angesichts gewaltiger Probleme auf politische Effizienz bedacht, akzeptierten die ostdeutschen Neuparlamentarier rasch die Funktionslogik des etablierten Systems, arbeiteten mit ihr und nicht gegen sie, und trugen so zu einer doppelten Erfolgsgeschichte bei: persönlicher parlamentarischer Sozialisation und Integration einesteils, andernteils des bundesdeutschen Parlamentarismus angesichts der Herausforderungen der Wiedervereinigung. (ZParl, 31. Jg., H. 3, S. 542 ff.)
Schöne, Helmar: Vereinheitlichung und Diversität: Elitenintegration im Abgeordnetenhaus von Berlin.
Die Auswirkungen der politischen und kulturellen Differenzen zwischen alten und neuen Bundesländern auf den Prozess der parlamentarischen Willensbildung werden anhand einer empirischen Befragung unter Mitgliedern des Berliner Abgeordnetenhauses untersucht. 50 Experteninterviews mit Abgeordneten wurden um eine Analyse der Sozialstruktur des Landesparlaments ergänzt. Die Studie folgt der in der Elitenforschung verbreiteten Unterscheidung zwischen dem Aspekt der ideologischen (kulturellen) und der verhaltensbezogenen (institutionellen) Integration. Aus Ost-West-Gegensätzen resultierende Hindernisse für die Integration des Parlaments sind vor allem im kulturellen Bereich festzustellen. Die institutionelle Integration ist deutlich weiter voran geschritten als die kulturelle. (ZParl, 31. Jg., H. 3, S. 569 ff.)
Schüttemeyer, Suzanne S. und Malte Lübker: Der Brandenburgische Landtag nach zehn Jahren – ein Parlament wie jedes andere?
Ein Jahrzehnt nach seiner Neugründung präsentiert sich der Brandenburgische Landtag als gefestigtes Parlament: Nach den Turbulenzen der Anfangszeit haben sich die gewohnten Muster von Fraktionsloyalität eingespielt, und die praktische Amtsausübung der Abgeordneten gleicht der in den alten Bundesländern. Dem steht insbesondere bei Oppositionsmitgliedern ein normatives Amtsverständnis gegenüber, das sich – ähnlich wie in vielen westdeutschen Parlamenten – an klassischen Modellen der Gewaltenteilung orientiert. Auch Sozialstruktur und Rekrutierungswege der Abgeordneten zeigen das bekannte Bild mit zwei anderen Facetten. Erstens ist die lokale Verankerung der Parlamentarier noch schwächer ausgeprägt, und zweitens dominieren Angehörige des öffentlichen Dienstes weit weniger als im Westen. Vielmehr sind Abgeordnete aus technischen und naturwissenschaftlichen Berufen stark vertreten, und zwar weitgehend unverändert auch in der dritten Legislaturperiode. Insgesamt ist festzustellen, dass sich die Funktionslogik des Parlamentarismus auch in Brandenburg als Lernprozess entfaltet hat, in dessen Verlauf die Abgeordneten die parlamentarische Demokratie nicht als „importiertes Modell“ übernahmen, sondern aus eigener belebter Erfahrung gestalteten. (ZParl, 31. Jg., H. 3, S. 585 ff.)
Pöhle, Klaus: Europäische Parteien – für wen und für was eigentlich? Kritik und Perspektive.
Die europäischen Zusammenschlüsse von Christdemokraten/Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen sind bisher nur ein schwacher „Faktor der Integration“ (Art. 191 EGV). Lediglich der Europäische Rat wird von ihnen „begleitet“; die alltägliche Integrationsarbeit dagegen den Fraktionen im EP überlassen. Hinter den föderalistisch organisierten, aber weitgehend unbekannten europäischen Parteien steht realiter ein auf Konsens bedachtes Kartell der Parteiführer souveräner nationaler Parteien. So werden zwar die oft wechselnden Parteispitzen „europäisiert“, nicht aber die Basis der Parteien. Befugnisse an die europäische Partei werden nicht abgegeben, was deren Handlungsfähigkeit trotz besserer organisatorischer, personeller und finanzieller Ausstattung nicht erhöht. Folglich stehen als Aufgaben europäischer Parteien weder die Herausbildung eines „europäischen Bewusstseins“ noch die Vertretung des „politischen Willens der Bürger“ im Vordergrund (Art. 191 EGV). Schuldig bleiben europäische Parteien nicht nur konzeptionelle Entwürfe für den Fortgang der Integration und ihrer Finalität, sondern auch für ihre eigene Verankerung in der Bevölkerung. Vordringlich sollten die nationalen Parteien die Handlungsfähigkeit ihrer europäischen Dachverbände befördern und deren Demokratisierung von der Basis bis zur Spitze ins Auge fassen. (ZParl, 31. Jg., H. 3, S. 599 ff.)
Bergsdorf, Harald: Rhetorik des Populismus am Beispiel rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien wie der „Republikaner“, der FPÖ und des „Front National“.
Rechtsextreme Populisten wie Jörg Haider, Franz Schönhuberund Jean-Marie Le Pengehen von einem antipluralistisch-identitären Politikverständnis aus, das vorgibt, es gebe den Volkswillen schlechthin und das Volk an und für sich sei in seinem Wollen und Sein eine Einheit. Auf der Jagd nach Wählerstimmen und Anhängern setzen sie auf „einfache Wahrheiten“ statt differenzierte Lösungen für komplexe Probleme der pluralen Gesellschaft. Insbesondere werden hohe Kriminalität und Arbeitslosigkeit von rechtsextremen Populisten „den“ Ausländern angelastet – etwa unter der Parole: „Vier Millionen Arbeitslose sind vier Millionen Ausländer zu viel“. Um sich als „Anwälte des einfachen Volkes“ zu präsentieren, konstruieren beziehungsweise schüren Populisten Gegensätze zwischen „denen da oben und uns hier unten“ – eine Stimmungsmache vor allem gegen politische Parteien und Politiker. Die populistische Agitation der FPÖ, der REP und des FN droht mit der wachsenden Komplexität und Unüberschaubarkeit in Gesellschaft und Politik (beides ist gerade vom Fernsehen schwer vermittelbar) zunehmend auf fruchtbaren Boden zu fallen. Doch ein umfassend harmonisches Gemeinwesen mit politisch einfachen Lösungen ist mehr denn je eine Utopie. (ZParl, 31. Jg., H. 3, S. 620 ff.)
Minkenberg, Michael: Die EU-Osterweiterung im westeuropäischen Parteiendiskurs.
Bei allen im Bundestag vertretenen Parteien herrscht Konsens nicht nur in der Bejahung der Osterweiterung, sondern auch im Interesse an einer, wie es fast überall heißt, „zügigen“ Erweiterung der EU. Allerdings kann man bei einigen Parteien, wenn nicht von Gegnern, so jedenfalls von Kritikern des laufenden Erweiterungsprozesses sprechen. In Frankreich ist die Situation nicht anders. Die vergleichende Inhaltsanalyse von Schlüsseldokumenten aller relevanten deutschen und französischen Parteien im Zusammenhang der Europawahl 1999 ergibt folgendes Ergebnis: Die Positionen wichtiger deutscher und französischer Parteien zur EU-Osterweiterung fügen sich fast nahtlos in deren grundsätzliche Haltung zum EU-Integrationsprozess ein. Je größer die Ablehnung der europäischen Einigung, desto stärker die Gegnerschaft zur Osterweiterung. Der deutsch-französische Vergleich legt die Annahme nahe, dass es sich hier um einen allgemeinen, nicht Deutschland-spezifischen Zusammenhang handelt. (ZParl, 31. Jg., H. 3, S. 626 ff.)
Macków, Jerzy: Jelzins Erbe: Die „präsidentielle Staatsgewalt“ im politischen System Russlands.
Von Boris Jelzin hing nicht nur die Amtsführung des Präsidenten ab, sondern er entschied schließlich auch über die Vollmachten, die die Verfassung vom 13. Dezember 1993 dem Staatsoberhaupt des parlamentarischen Systems der Russländischen Föderation zuerkannte. Jelzin war bemüht, seine Präsidialdiktatur der Jahre 1991 – 1993 in einen funktionsfähigen Autoritarismus zu überführen, in dem der Staatspräsident der faktische Regierungschef und der wichtigste Gesetzgeber ist, der auch gegen die Verfassung handeln darf. Zwecks Legitimitätserzeugung bediente er sich demokratischer Wahlen, wobei er gewöhnlich gegen seine politischen Gegner den Staatsapparat einsetzte. Die Unterordnung des Verfassungs- und Rechtsstaates unter das Streben des Präsidenten nach Machtsicherung hat jedoch insbesondere in den Gliedstaaten der Föderation letzten Endes zur Schwächung seiner Macht beigetragen. Jelzins Nachfolger, Wladimir Putin, hofft offenbar, den von Jelzinhinterlassenen schwachen Staat mittels Machtzentralisierung effizienter gestalten zu können. Ob ihm das gelingen kann, ist fraglich. Die Demokratisierung Russlands kann allerdings nur über eine Stärkung des Parlaments auf Kosten der präsidentiellen „Oberstaatsgewalt“ erfolgen. (ZParl, 31. Jg., H. 3, S. 635 ff.)
Münch, Ursula und Tanja Zinterer: Reform der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern: Eine Synopse verschiedener Reformansätze zur Stärkung der Länder 1985 – 2000.
Die Reform des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland ist seit einiger Zeit wieder ein brandaktuelles Thema für Akteure in Politik und Verwaltung. Neben der Reform der Finanzverfassung steht eine generelle Neubestimmung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern zur Diskussion, voran Reformvorschläge der letzten Jahre, meist aus parlamentarischem Raum, welche die (Rück-)Verlagerung von Gesetzgebungskompetenzen auf die Länderebene und die Stärkung der Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Landesparlamente zum Ziel haben. Im Zentrum der Dokumentation steht eine Synopse, welche die Reformkonzepte thematisch geordnet einander gegenüber stellt. Dabei wird differenziert zwischen den allgemeinen Vorschlägen von Parlamenten, parlamentarischen Kommissionen und Arbeitsgruppen sowie den Anregungen von Gremien, die im Umfeld der Verfassungsreform 1994 tätig waren. Eine solche Synopse kann dazu beitragen, anhand der gesammelten Erfahrungen mit den weitgehend gescheiterten Reformvorschlägen Erfolg versprechende Einzelanregungen zu bestimmen. (ZParl, 31. Jg., H. 3, S. 657 ff.)
Schultze, Rainer-Olaf: Indirekte Entflechtung: Eine Strategie für die Föderalismusreform?
Nach einer Zeit des Stillstandes und Reformstaus scheint die Zeit für eine Verwirklichung der schon lange anstehenden Strukturreform des bundesdeutschen Föderalismus günstig. Eine Entflechtung der Kompetenzen von Bund und Ländern sowie der Finanzbeziehungen ist angesichts veränderter politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Bedingungen und mangelnder Steuerungsleistungen des föderalen Systems dringend geboten. Dabei verdienen prozessuale Aspekte einer Föderalismusreform stärkere Beachtung: die Potentiale, Hemmnisse und Chancen einer grundlegenden Umgestaltung der bundesstaatlichen Ordnung; die Widersprüche zwischen Reformrhetorik und -praxis; die Rolle von Politikberatung für die Verwirklichung struktureller Verfassungsreformen in Phasen des Policy-Wandels; insbesondere die Bedeutung politischer Krisen. Es werden verschiedene Reformstrategien zur Verwirklichung des Gestaltungsföderalismus zur Entflechtung der Bundes- und Länderkompetenzen dokumentiert und erörtert. Am Ende steht die Empfehlung eines strategisch aussichtsreichen Weges indirekter Entflechtung. (ZParl, 31. Jg., H. 3, S. 681 ff.)
Luthardt, Wolfgang: Perspektiven von Demokratie und Nationalstaat: Diskussionslinien der jüngeren Debatte.
Die jüngeren Entwicklungslinien interner Struktur- und Funktionsverschiebungen innerhalb der Nationalstaaten (verhandelnder Staat) werden verstärkt durch exogene Faktoren (europäischer Integrationsprozess; Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa; Globalisierung). Die heutigen, nach wie vor nationalstaatlich verfassten Demokratien und die staatliche Politik selbst stehen vor neuen Herausforderungen. Unbestritten ist zwar in diesem Zusammenhang, dass der Typus der ,westlichen Demokratie’ nach wie vor über ,beachtliche Selbstheilungskräfte’ verfügt. Allerdings ist ebenso unbestritten, dass die Stärkung der in der Regel rechtlich normierten demokratischen Grundfreiheiten der Bürger in – teilweise – neu gefasster Form ebenso notwendig ist wie die in komplexen Prozessen der Anpassung an die neuen Herausforderungen liegende Stärkung der politischen Institutionen. Es geht mithin um eine spannungsgeladene Verbindung und Vernetzung von Bürgergesellschaft und staatlich organisierter Politik. Die darin angelegte Perspektive beinhaltet jedenfalls auch, dass die demokratischen Nationalstaaten nach wie vor und, vermutlich wesentlich deutlicher noch in einem sich widersprüchlich fortentwickelnden Kontext der Europäischen Union an Bedeutung zunehmen werden. Dies ist allerdings kein grundsätzlicher Gegensatz zu den parallel in Erscheinung tretenden Prozessen einer notwendigen Stärkung sowohl regionaler als auch europäischer Institutionen. (ZParl, 31. Jg., H. 3, S. 699 ff.)