Patzelt, Werner und Karin Algasinger: Abgehobene Abgeordnete? Die gesellschaftliche Vernetzung der deutschen Volksvertreter.
Viele Bürger halten die Abgeordneten für ,abgehoben’. Diese behaupten, das gerade nicht zu sein. Wer hat Recht? Eine mehrschichtige Untersuchung der Vernetzungs- und Kommunikationsstrukturen von hessischen und sächsischen Bundestags- und Landtagsabgeordneten sowie eine teilnehmende Beobachtung ihrer Wahlkreisarbeit erlaubt ein empirisch fundiertes Urteil. Es lautet: Über die eigene Partei, die Kommunalpolitik und den vorpolitischen Raum halten Parlamentarier engen Kontakt mit der Lebensweit der Bürger im Wahlkreis; sie sind tatsächlich über die Probleme und Ansichten an der gesellschaftlichen Basis gut informiert. Obwohl es im Einzelfall immer Defizite und Verbesserungsmöglichkeiten gibt, stimmt das populäre Bild von den ,abgehobenen‘ und ,bürgerfernen‘ Abgeordneten also mit den Tatsachen durchaus nicht überein. (ZParl, 32. Jg., H. 3, S. 503 ff.)
Wettig-Danielmeier, Inge: Die Stellungnahme der SPD zur Reform der Parteienfinanzierung.
Zur Reform des Parteiengesetzes macht die SPD unter anderem folgende Vorschläge: Die Zahlung staatlicher Mittel an eine Partei sollte an ein Mindestquorum von 100.000 oder auch 200.000 Wählerstimmen in Landtags-, Bundestags- und Europawahlen gebunden sein. Ein Verbot der Spenden juristischer Personen ist zwar nicht zwingend, aber verfassungsrechtlich ebenso möglich wie eine Begrenzung ihrer maximalen Höhe. Großspenden in Höhe von 100.000,- DM und mehr sollten zeitnah veröffentlicht werden. Unternehmen mit einer öffentlichen Beteiligung von 50 und mehr Prozent sollten als Spender ausgeschlossen werden. Barspenden sollten auf 5.000,- DM begrenzt und unverzüglich weitergeleitet werden. Spenden an Abgeordnete sollten unzulässig sein. Mandatsträgerbeiträge sollten getrennt von den Mitgliedsbeiträgen ausgewiesen werden. Für die unternehmerische Tätigkeit von politischen Parteien besteht kein Regelungsbedarf; eine Einschränkung von Beteiligungen an Medienunternehmen findet im Grundgesetz keine Unterstützung. Vermächtnisse sollten gesondert verbucht werden. Sanktionen bei Verstößen gegen das Parteiengesetz sollten sich vor allem gegen die Parteien richten; von Sanktionen wie Mandatsverlust etc. wird abgeraten. (ZParl, 32. Jg., H. 3, S. 528 ff.)
Stein, Katrin: Parteiverbote in der deutschen Verfassungsgeschichte vom Vormärz bis zum Ende der Weimarer Republik.
Bereits die in der Weimarer Zeit bestehende Verbotskonzeption entwickelte sich nicht isoliert in Raum und Zeit. Sie war das Ergebnis der geschichtlichen Prozesse ihrer Zeit und der vorangegangenen Tage des Kaiserreiches. Ganz so wurde die durch Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz eingeräumte Möglichkeit des Parteiverbotes aus den Erfahrungen der Weimarer Republik und als Reaktion auf die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus konzipiert. In der aktuellen Diskussion um das Verbot der NPD spielt zwar besonders die verfassungsgeschichtliche Dimension der Parteiverbote in Deutschland eine wichtige Rolle. Allzu leicht wird indessen vergessen, dass der Einblick in die davor gültigen Rechtsgrundlagen und deren Anwendung in der deutschen Rechtspraxis für die Gegenwart nicht minder erhellend ist. (ZParl, 32. Jg., H. 3, S. 536 ff.)
Lovens, Sebastian: Parteiverbote in der Bundesrepublik Deutschland. Zur verfassungsrechtlichen Ausgangslage der Anträge gegen die NPD.
Parteiverbotsverfahren sind in der Bundesrepublik selten gewesen. Nur viermal hatte das Bundesverfassungsgericht bislang darüber zu befinden, ob eine Partei die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigen will und könnte, insoweit gemäß Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG verfassungswidrig ist. Die Verfahren gegen die rechte SRP und die linke KPD endeten in den 1950er Jahren mit Verboten. Das Gericht verankerte damit das Konzept der „streitbaren Demokratie“ im Verfassungsrecht der Bundesrepublik. Anträge gegen die rechten Organisationen NL und FAP in den 1990er Jahren scheiterten an deren fehlender Parteieigenschaft. Der Beitrag analysiert die vier Judikate auf die ihnen jeweils zugrundeliegende politische und historische Konfrontationslage hin. Er verschafft damit einen Überblick über die verfassungsrechtliche Situation, in der Anfang 2001 Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag je eigene Anträge gegen die NPD gestellt haben. Eine Darstellung der zugänglichen Unterlagen im NPD-Verfahren macht die Bezüge zu den vorherigen Fällen deutlich. Zur Antragstellung waren die Bundesorgane dabei nicht verpflichtet; es handelte sich um einen Schritt originärer politischer Führung. Den Abschluss bildet eine Einschätzung der Relevanz der bisherigen Parteiverbotsverfahren für den Entscheidungsgang gegen die NPD. (ZParl, 32. Jg., H. 3, S. 550 ff.)
Henkel, Michael und Oliver Lembcke: Die Dilemmata des Parteiverbots. Probleme der wehrhaften Demokratie im Umgang mit dem Rechtsextremismus.
Seit vielen Jahren ist die NPD bei Landtags- wie bei Bundestagswahlen ohne jeden Erfolg und mithin politisch unbedeutend. Die Konzentration der Diskussion just auf ein Verbot dieser Partei offenbart ein mangelndes Verständnis des Verhältnisses zwischen NPD und rechtsextremistischer Gewalt als auch eine unangemessene Interpretation des Art. 21 Abs. 2 GG. Eine Lösung der hier aufgeworfenen Probleme hat anzusetzen bei der praktischen Konkordanz von Extremismusprävention und Parteienfreiheit. Erst in dieser Perspektive eröffnet sich der Blick auf die unterschiedlichen Problemlagen der politischen Kultur in Deutschland. Deren Berücksichtung führt zur Möglichkeit des Verbotes von Teilorganisationen der NPD jenseits der Dilemmata, die aus einer kurzschlüssigen Interpretation der normativen Bedingungen des Parteiverbotes erwachsen. In dieser Weise kann das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung die rechtsextremistisch motivierte Gewalt als ein Problem der öffentlichen Friedensordnung identifizieren und der NPD, sofern diese sich als politischer Repräsentant der Gewalt in den Dienst nehmen lässt, zurechnen. Eine solche Entscheidung nimmt die Politik zugleich in die Verantwortung, für den demokratischen Verfassungsstaat zu werben und das Ihrige zur Pflege der demokratischen politischen Kultur in Deutschland zu leisten. (ZParl, 32. Jg., H. 3, S. 572 ff.)
Hallermann, Andreas und Michael Edinger:Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Struktur und Ursachen rechtsextremer Einstellungen am Beispiel Thüringens.
Am Beispiel Thüringens werden auf der Basis einer Repräsentativbefragung vom Herbst 2000 die Struktur rechtsextremer Einstellungen in Ostdeutschland untersucht und zentrale Erklärungsmodelle einem empirischen Test unterzogen. Dabei zeigt sich in der bivariaten Analyse die hinlänglich bekannte Anfälligkeit zum Beispiel der ältesten Alterskohorte und der Personen mir niedrigem formalen Bildungsniveau für rechtsextreme Deutungsmuster. Die vier betrachteten Erklärungsansätze – (fehlender) Kontakt zu Ausländern, Autoritarismus, relative Deprivation und Systemverdrossenheit – haben unterschiedlich starke Auswirkungen auf rechtsextreme Einstellungen. Im Rahmen einer multivariaten Analyse (Pfadmodell) erweist sich mit dem Autoritarismus eine persönlichkeitsbezogene Variable als wichtigste Determinante rechtsextremen Denkens. Starke Erklärungskraft kommt darüber hinaus den umweltbezogenen Faktoren der relativen Deprivation und der von ihr wiederum stark beeinflussten Systemverdrossenheit zu. Hingegen sind sozialstrukturelle Faktoren – mit Ausnahme des Bildungsstands – und der (fehlende) Kontakt mit Ausländern nur von geringer Bedeutung. Die Einordnung dieser Befunde in die Forschungslandschaft und die Konsequenzen für den Umgang mit dem Rechtsextremismus werden abschließend diskutiert. (ZParl, 32. Jg., H. 3, S. 588 ff.)
Filzmaier, Peter und Fritz Plasser: Die US-amerikanischen Kongresswahlen 2000: Pattsituation und regionale Spaltung.
Das Wahlergebnis bestätigte die knappe Mehrheit der Republikanischen Partei im Repräsentantenhaus, während sich im Senat überraschenderweise ein Gleichstand von republikanischen und demokratischen Abgeordneten ergab. Verantwortlich dafür war der unwahrscheinliche Fall, dass in sämtlichen (fünf) Wahlkämpfen ohne klare Favoritenstellung Kandidaten der Demokratischen Partei siegten. Im Wahlverhalten zeigte sich eine Spaltung der Nation: Demokratische Kandidaten erzielten im Nordosten, an der Westküste und in den Großstädten signifikant höhere Stimmenanteile, während Republikaner im Landesinneren, in den Südstaaten und in ländlichen Gebieten besser abschnitten. In soziodemographischer Hinsicht fortgesetzt hat sich die Verschärfung von Unterschieden im Wahlverhalten nach dem Geschlecht und der ethnischen Herkunft zugunsten der Demokratischen Partei. Strategisch bemerkenswert waren unter anderem ein exzessiver Anstieg von Meinungsumfragen als Grundlage der Ausarbeitung von Images der Kandidaten und von Wahlbotschaften, eine weitere Verteuerung der Wahlkampfführung, eine Fortführung des Wechselspiels von negativer Wahlwerbung und deren kritischer Beobachtung sowie ein zunehmender Stellenwert von Wahlkampagnen im Internet. (ZParl, 32. Jg., H. 3, S. 613 ff.)
Thunert, Martin: Die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen vom 7. November 2000 – kein Sieg Bushs, sondern eine Niederlage Gores.
Der knappe und umstrittene Sieg George W. Bushs hat Forderungen nach einer Abschaffung des Elektorenkollegs laut werden lassen. Die erforderlichen Mehrheiten für eine Verfassungsänderung werden jedoch kaum erreichbar sein; Erfolg versprechender wäre der Übergang vom Winner-takes-all-Prinzip zum Distrikt-System bei der Verteilung der Elektoren in den Einzelstaaten. Verantwortlich für die Niederlage Al Gores waren aber letztlich nicht das Wahlsystem, die Pannen bei der Stimmenauszählung in Florida oder die umstrittene Supreme Court-Entscheidung inBush vs. Gore, sondern die wenig überzeugende Performanz und strategische FehlerGores im Wahlkampf. Trotz sozialstrukturell kaum veränderter Ausgangslage gegenüber 1996, einer guten Wirtschaftslage und einer unverändert hohen Popularität der Clinton-Administration gelang es Gore nicht, seinen „Amtsinhaber“-Vorteil zu nutzen. George W. Bush, der vor allem der Präsident des ländlichen und inneren Amerikas ist, hat es in den nächsten vier Jahren mit einer soziokulturell tief gespaltenen Nation – „the Beautiful and the Dutiful“ – zu tun. In dieser Spaltung und der mit ihr einhergehenden Polarisierung zwischen den zunehmend homogenen Parteien liegen die Chancen und Gefahren seiner Präsidentschaft. (ZParl, 32. Jg., H. 3, S. 630 ff.)
Wickel, Martin: Recht und Reform der Wahlkampffinanzierung in den USA.
Während der Präsidentschaftswahlkampf fast vollständig und der entsprechende Vorwahlkampf teilweise aus öffentlichen Mitteln finanziert werden können, sind die Kandidaten für den Kongress ausschließlich auf das Einwerben privater Mittel angewiesen. Dieses unterliegt bundesrechtlichen Regelungen, die vor allem die Kreise der möglichen Spender und Empfänger beschreiben, Höchstbeträge festlegen und Berichts- und Offenlegungspflichten schaffen. Überwacht wird das System von der Federal Election Commission. Die umfangreichen Regelungen weisen jedoch Lücken auf, weshalb zunehmend auch Gelder, die nicht den genannten Regelungen unterfallen (soft money), ihren Weg in den Wahlkampf finden. Obwohl die Missstände bekannt sind, sind alle Reformversuche der letzten Jahre an den unterschiedlichen Interessen der Parteien gescheitert. Darüber hinaus unterliegt der Gesetzgeber bei jeder Reform des Systems der Wahlkampffinanzierung engen verfassungsrechtlichen Grenzen. Diese hat der U.S. Supreme Court während der letzten 25 Jahre in einer Reihe von Entscheidungen vor allem aus dem Grundrecht der Redefreiheit entwickelt. Das Schicksal auch der jüngsten Reformbemühungen erscheint vor diesem Hintergrund ungewiss. (ZParl, 32. Jg., H. 3, S. 645 ff.)
Holtz-Bacha, Christina: Negative Campaigning: in Deutschland negativ aufgenommen.
Negative Campaigning ist ein Charakteristikum des US-amerikanischen Wahlkampfes. Indirekte und direkte Angriffe auf Themen und Person des Kontrahenten gehören zur Werbestrategie jedes Kandidaten. Obwohl solche Negativwerbung bei der Wählerschaft nicht besonders beliebt ist, gilt sie dennoch als effektiv hinsichtlich der Vermittlung von Informationen, unter Umständen auch bezüglich wahlrelevanter Einstellungen. Negativstrategien müssen jedoch sorgfältig geplant und bedacht eingesetzt werden, weil sie das Risiko des backlash, des „Zurückfeuerns“ auf den Urheber, in sich tragen. Auch in deutsehen Wahlkämpfen wird Negativwerbung eingesetzt. Diese ist – im Vergleich zu den USA – allerdings zurückhaltender und vermeidet (bislang) eher den direkten Angriff auf Kandidaten. (ZParl, 32. Jg., H. 3, S. 669 ff.)
Arnauld, Andreas von: Gewaltenteilung jenseits der Gewaltentrennung. Das gewaltenteilige System in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland.
Gewaltenteilung beschränkt sich nicht auf die Trennung der Staatsgewalt in Legislative, Exekutive und Judikative, sondern beschreibt ein hierüber hinausgehendes System von „checks and balances“ im Interesse einer Machtmäßigung durch Aufteilung von Kompetenzen und durch Kontrolle. Das gewaltenteilige System des Grundgesetzes lässt sich – unter Fortführung des Ansatzes von Loewenstein – in gewaltenteilige Subsysteme der Inter-, Intra- und der Extra-Organ-Kontrolle einteilen. Zu den Inter-Organ-Kontrollen in einem weiteren Sinne zählen unter anderem neben der klassischen Gewaltenteilung auch das föderative Prinzip sowie der Wettbewerb der Parteien, während Intra-Organ-Kontrollen zum Beispiel horizontal innerhalb von Kollegialorganen, vertikal im Rahmen des gerichtlichen Instanzenzugs greifen. Elemente der Extra-Organ-Kontrolle schließlich sind in erster Linie durch grundrechtliche Verbürgungen etwa der Pressefreiheit oder der privaten Rechtsetzungs- und Vereinigungsmacht verfassungsrechtlich abgesichert. Mit Blick auf diese Komplexe von staatlicher Macht und Gegenmacht lässt sich durchaus von einem Gewaltenteilungssystem im Grundgesetz sprechen, dem eigenständige normative Bedeutung allerdings nur in begrenztem Maße zukommt. (ZParl, 32. Jg., H. 3, S. 678 ff.)