Heynckes, Heinz-Willi: Das Ausschussverfahren nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages.
Die demokratische Mehrheitsordnung und die Beachtung von Minderheitenrechten bedingen sich gegenseitig. Dies gilt ebenso für das Spannungsverhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit im Ausschussverfahren. Die Entwicklung der Geschäftsordnungspraxis in einem typischen und durch eine besonders ausgeprägte parlamentarische Ressortkontrolle gekennzeichneten Gesetzgebungsausschuss wie dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages zeigt, dass eine konstruktive Ausschussarbeit einen breiten Konsens über Verfahrensfragen voraussetzt. Maßstab für die Ausschussberatungen sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das Verbot des Rechtsmissbrauchs und das Gebot des fairen und loyalen Verfahrens. Mitunter setzt die Beurteilung, ob eine Verfahrensweise geschäftsordnungswidrig ist, die Abwägung vieler einzelner Gesichtspunkte und Umstände voraus. Die Geschäftsordnungsstreitigkeiten im Ausschuss zu den wesentlichen Beratungsmodalitäten weisen keine signifikanten Unterschiede zu vorangegangenen Wahlperioden auf und erklären, dass es sich um grundlegende Fragestellungen handelt, die auch bei einer kleinen Regierungsmehrheit von besonderer Bedeutung sind. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 459 ff.]
Hoppe, Tilman: Ein Fall für Zwei: Untersuchungsausschuss und Ermittlungsbeauftragter.
Erstmals hat ein Untersuchungsausschuss des Bundestages einen Ermittlungsbeauftragten eingesetzt. Die Sichtung der Beweismittel durch den Ermittlungsbeauftragten zu etwaigen CIA-Gefangenenflügen über deutsches Staatsgebiet hat sich als effiziente Voruntersuchung erwiesen. Der Ausschuss muss sich selbst nur noch mit einem Bruchteil der gesamten potentiellen Zeugen und vorgelegten Akten befassen. Für seine weiteren Untersuchungen kann er sich zunächst auf die Anhörungsprotokolle und sonstigen Unterlagen des Ermittlungsbeauftragten stützen, da der strafprozessuale Grundsatz der unmittelbaren Beweisaufnahme nicht gilt. Aus Gründen der Öffentlichkeit muss er aber die entscheidenden Zeugen selbst vernehmen. Strittig, aber zu bejahen ist dabei insbesondere die Frage, ob der Ermittlungsbeauftragte selbst öffentlich als Zeuge vernommen werden kann und ob er hierfür nur dann eine Aussagegenehmigung des Bundestagspräsidenten benötigt, wenn seine Vernehmung Verschlusssachen betrifft. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 477 ff.]
Bartels, Hans-Peter: Wahlkreiskommunikation. Daten aus der Praxis eines Bundestagsabgeordneten.
Die Arbeit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages im Parlament selbst und allem voran ihr Verhalten im Wahlkampf sind ständiges Ziel wissenschaftlicher Dokumentation und Analyse. Im Gegensatz dazu steht die Wahlkreisarbeit der Abgeordneten weitaus weniger im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und der empirisch orientierten Forschung. Anhand der hier vorgestellten Daten zur Wahlkreiskommunikation des Autors, der direkt gewählter Bundestagsabgeordneter ist, wird ein erster Anhaltspunkt dafür gegeben, welche Reichweite die Kontakte von Parlamentariern mit den Bürgern im Wahlkreis durch Korrespondenz, Sprechstunden, Betriebsbesuche, Veranstaltungen von Parteien, Gewerkschaften und Vereinen sowie über Internet und Medien haben. Durch weitere empirische Erhebungen sollte das auf diesem Gebiet bisher vorherrschende anekdotische Wissen ergänzt und so letztlich eine bessere Grundlage für das Verständnis der tatsächlich zu leistenden Arbeit der gewählten Volksvertreter geschaffen werden. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 487 ff.]
Wolf, Sebastian: Parlamentarische Blockade bei der Korruptionsbekämpfung? Zur verschleppten Neuregelung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung.
Deutschland hat die 2003 unterzeichnete UN-Konvention gegen Korruption noch immer nicht ratifiziert, weil sich die Bundestagsabgeordneten nicht auf die notwendige Verschärfung des Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung einigen können. Die derzeitige deutsche Regelung müsste in Einklang mit internationalen Vorgaben ergänzt und geändert werden. Einzelne Fraktionen haben zwar verschiedene Reformvorschläge eingebracht, bis jetzt wurde jedoch keiner vom Parlament angenommen. Dies zeigt auch, dass es schwierig ist, sozialadäquates von strafwürdigem Verhalten bei Abgeordneten rechtlich abzugrenzen. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 493 ff.]
Jutzi, Siegfried: Verbotene Zuwendungen an Abgeordnete. Zum Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. März 2008 – 8 LC 1/07 –.
In Niedersachsen ist es seit 1978 kraft Gesetzes verboten, dass Abgeordnete des Landtags ohne Gegenleistung Zuwendungen im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses erhalten. Trotz des Verbots erbrachte Zuwendungen sind an das Land abzuführen. Im vorliegenden Fall hatte die Volkswagen AG einem zum Abgeordneten gewählten Beschäftigten das Gehalt über Jahre weitergezahlt, ohne dass er hierfür entsprechende Arbeitsleistungen erbrachte. Das Land klagte daher auf Zahlung von 343 519,92 €. Das Gericht hielt die Regelung des Gesetzes für verfassungsgemäß, allerdings genüge sie nicht in allen Punkten dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Das Gericht reduzierte daher die Klageforderung um gezahlte Steuern und Sozialabgaben auf knapp die Hälfte. Das Urteil sollte Anlass für den Niedersächsischen Landtag sein, das Gesetz klarer zu fassen. Andere Länder sollten dem Beispiel Niedersachsens folgen. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 203 ff.]
Horst, Patrick: Die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft vom 24. Februar 2008: WahlsiegerOle von Beust bildet die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene.
Dank der guten wirtschaftlichen Lage der Hansestadt und der Popularität ihres Bürgermeisters gewann die CDU die Bürgerschaftswahl deutlich. Die SPD erzielte trotz eines couragierten Wahlkampfes, der die sozialpolitischen Schwachstellen der Senatsbilanz effektiv angriff, ihr zweitschlechtestes Ergebnis in Hamburg überhaupt. Herausforderer Michael Naumann bekam in der letzten Woche vor der Wahl ein Glaubwürdigkeitsproblem, als der Bundesvorsitzende Kurt Beck öffentlich über eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei in den Ländern nachdachte, wasNaumann zuvor ausgeschlossen hatte. Der Linken schadete diese Diskussion nur wenig; sie zog nach Bremen, Niedersachsen und Hessen zum vierten Mal in Folge in einen westdeutschen Landtag ein. Die FDP dagegen scheiterte erneut an der Sperrklausel, weshalb sich BürgermeisterOle von Beust für die Bildung der ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene entschied. Diese Koalition will kein „Modell“ für den Bund sein, präsentiert sich aber als neuer Typus einer „Ergänzungskoalition“ in Abgrenzung von den „Schnittmengenkoalitionen“ vergangener Tage. Dem deutschen Parteiensystem eröffnet sie neue Koalitionsoptionen. Der Koalitionsforschung bietet sie den seltenen Anschauungsfall einer kleinen Koalition mit großer ideologischer Spannweite. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 509 ff.]
Herz, Hans: Die Verwaltung der Parlamente. Stellung, Organisation und Funktionen der Landtagsverwaltungen und ihr Verhältnis zu den Landtagen.
Die bundesrepublikanischen Landesparlamente verfügen über Verwaltungen einer besonderen Art (sui generis). Diese grenzen sich verfassungsrechtlich gegenüber den Verwaltungen der Regierungen (Öffentlicher Dienst, Ministerialbürokratie) durch einige Besonderheiten ab und sind ausschließlich in die parlamentarischen Funktionen eingebunden. Um ihre Aufgaben erfüllen zu können, besitzen die Landtagsverwaltungen eine spezifische Organisations- und Funktionsstruktur, die darauf ausgerichtet ist, ihrem parlamentarischen Unterstützungsauftrag nachzukommen. Aus dieser legislativen Konstruktion ergibt sich ein spezielles internes Verhältnis zwischen Landtagen und ihren Verwaltungen, das als „funktionale legislative Kooperation“ bezeichnet werden kann. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 528 ff.]
Stallmann, Freia, Friedrich Paulsen und Annette Zimmer: Das Ehrenamt: erster Schritt in die Lokalpolitik? Zum Nexus von Vereinsengagement und lokalpolitischem Mandat am Beispiel der Stadt Münster.
Vereine auf der lokalen Ebene sind Sozialisationsinstanz für Lokalpolitiker und dienen darüber hinaus in einigen lokalen Politikfeldern dem Erlernen bereichsspezifischer Kompetenzen. Insofern scheinen die Ergebnisse bundesdeutscher lokalpolitischer Forschung in den 1980er Jahren, die lokale Vereine als „Schulen den Demokratie“ kennzeichnen, nach wie vor zu gelten. So haben sich Münsteraner Lokalpolitiker frühzeitig und doppelt so häufig wie die Gesamtbevölkerung ehrenamtlich in Vereinen engagiert. Ehrenamtliches Vereinsengagement aktiviert somit lokalpolitische Ambitionen. Funktionswahrnehmung und Amtsinhabe im Verein gehen dem lokalpolitischen Mandat voraus. Auch wird in der Mehrzahl der Fälle an eine Engagementtradition im Elternhaus angeknüpft. Angesichts derzeitiger Nachwuchsprobleme in der Lokalpolitik sollte das Ehrenamt in Vereinen wieder verstärkt in den Fokus von Parteien wie wissenschaftlicher Forschung gerückt werden. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 547 ff.]
Schmitt-Beck, Rüdiger, Christian Mackenrodt und Thorsten Faas: Hintergründe kommunaler Wahlbeteiligung. Eine Fallstudie zur Kommunalwahl 2004 in Duisburg.
Die Beteiligung an Kommunalwahlen gehört zu den „blindesten“ Flecken der empirischen Wahlsoziologie. Vor diesem Hintergrund wurde anlässlich der Kommunalwahl 2004 in Nordrhein-Westfalen in Duisburg eine Fallstudie mittels einer telefonischen Umfrage durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Palette von Faktoren sowohl individueller als auch kontextbasierter Art die Teilnahme an lokalen Wahlen beeinflusst. Zu ersteren zählt die Wahrnehmung von mangelnder Kompetenz und Responsivität der Parteien (gerade auch auf lokaler Ebene), aber auch Unzufriedenheit mit der Demokratie insgesamt. Ebenso lassen sich Effekte instrumenteller Erwägungen, einer internalisierten Wahlnorm sowie einer hohen politischen Involvierung nachweisen. Eine Bindung an die Stadt Duisburg und ein hohes Maß an sozialem Vertrauen sind partizipationsförderlich. Noch gewichtigere Determinanten sind politisch geprägte Interaktionen in sozialen Netzwerken: Gerade sozial verankerte Wahlnormen sind – neben einem Interesse an Kommunalpolitik – genuine Einflussfaktoren auf die kommunale Wahlbeteiligung. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 561 ff.]
Schmidt, Carmen: Wählerverhalten auf kommunaler Ebene. Eine Analyse am Beispiel der Kommunalwahl 2006 in Osnabrück.
Bei Bundestagswahlen in der niedersächsischen Stadt Osnabrück fielen die Stimmenanteile für die SPD stets überdurchschnittlich aus, während die Union regelmäßig unter ihrem Bundesdurchschnitt lag. Bei Ratswahlen indes errang die CDU seit Anfang der 1980er Jahre in Osnabrück deutlich mehr Stimmen als die SPD, die auch bei der Ratswahl 2006 nur zweitstärkste Kraft wurde. Anhand einer vergleichenden Analyse des Abstimmungsverhaltens der Osnabrücker Bürger bei der Bundestagswahl 2005 und der Kommunalwahl 2006 sollte geklärt werden, wodurch die Unterschiede zwischen den Ergebnissen bei kommunalen und nationalen Wahlen bedingt sind. Ungeachtet der politischen Ebene vermögen dieselben stadtgeographischen und sozialstrukturellen Gegebenheiten wie Bevölkerungsdichte, Bevölkerungsbewegung, Religion, Alter und Familienstruktur das Wahlverhalten maßgeblich zu erklären. Unterschiede zwischen kommunalen und nationalen Wahlergebnissen sind in erster Linie durch die bei Kommunalwahlen erheblich niedrigere Wahlbeteiligung bedingt und lassen sich nicht ursächlich auf die Ausprägung eines eigenständigen kommunalen Wahlverhaltens zurückführen. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 581 ff.]
Niclauß, Karlheinz: Parlament und Zweite Kammer in der westdeutschen Verfassungsdiskussion von 1946 bis zum Parlamentarischen Rat.
Die Protokolle des Parlamentarischen Rates, der vor 60 Jahren das Grundgesetz formulierte, sind inzwischen fast vollständig veröffentlicht. Obwohl sich die Entstehung der einzelnen Artikel des Grundgesetzes recht gut rekonstruieren lässt, bleiben die politischen Motive der Autoren unklar. Der Grund hierfür ist in der politischen Situation und im Beratungsstil des Parlamentarischen Rates zu sehen. Da das Grundgesetz von den Besatzungsmächten genehmigt werden musste, empfahl sich eine betont „sachliche“ Argumentation. Diese Neigung wurde durch die Notwendigkeit verstärkt, eine breite Mehrheit für die provisorische Verfassung zu erreichen. Die Motive der Grundgesetzautoren sind deshalb nur zu verstehen, wenn die Verfassungs- und Demokratiediskussion seit 1946 in die Analyse einbezogen wird. An dieser Diskussion waren die „Eltern“ des Grundgesetzes maßgebend beteiligt. Die Position des unmittelbar gewählten Parlaments bildete das zentrale Thema dieser Diskussion. Hier stießen die unterschiedlichen Demokratievorstellungen aufeinander. Das Ergebnis war der fragwürdige Kompromiss des „halbsouveränen Staates“, der bis heute Gegenstand der Versuche zur Verfassungsreform ist. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 595 ff.]
Schultze, Rainer-Olaf: Zur Möglichkeit demokratischen Regierens in postnationalen Mehrebenensystemen. Lehren aus dem kanadischen Föderalismus.
Demokratisches Regieren unterliegt in der globalisierten Welt der Gegenwart neuerlich Herausforderungen, die man im Nationalstaat der so genannten ersten Moderne weithin überwunden glaubte. Der Nationalstaat sieht sich konfrontiert mit neuen oder aktualisierten Geltungsansprüchen multinationaler und / oder multikultureller Interessen und Identitäten. Und er ist eingebunden in trans- und / oder supranationale Mehrebenensysteme, was zu Souveränitätsteilungen führt, veränderte Kompetenzzuordnungen erforderlich macht, Transparenzprobleme schafft und Demokratiedefizite befördert – auch und nicht zuletzt im Mehrebenensystem der Europäischen Union. Die vielfältigen kanadischen Erfahrungen eignen sich als Ausgangspunkt zur Diskussion der Frage, welcher Typ des Föderalismus beziehungsweise welche Formen föderaler Mehrebenensysteme wohl am ehesten demokratisch legitime Reformantworten auf diese Herausforderungen postnationaler Konstellation bereithalten. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 612 ff.]
Zeh, Wolfgang: Legitimationsprobleme im frühen Medienabsolutismus: Normierungsmacht ohne Befolgungspflicht?
Die Funktion der Massenmedien für die Entwicklung und Verbreitung der parlamentarischen Demokratie ist historisch und aktuell von großer Bedeutung. In Deutschland wie in anderen Mediengesellschaften der westlichen Welt ist der Parlamentarismus heute existenziell abhängig von der Rolle der Massenmedien. Sie sind damit zu einem integralen Systembestandteil des demokratischen Institutionengefüges geworden. Sie üben teils mit dem Staat und teils in Konkurrenz zu ihm politische Herrschaft aus. Die Ausübung staatlicher Herrschaft bedarf seit dem Ende des Absolutismus einer besonderen politischen Legitimation. Die Massenmedien haben sich dieser Forderung bisher nicht gestellt, obwohl sie in hohem Grade an der Produktion und Veränderung gesellschaftlicher Normen teilhaben. Sie nehmen eine öffentliche Aufgabe der politischen Kontrolle gegenüber allen anderen Akteuren des politischen und gesellschaftlichen Systems in Anspruch. Ihrerseits unterliegen die Medien aber keiner öffentlichen Kontrolle. Damit nähert sich ihre Position derjenigen, die historisch von „absoluten“ Machthabern eingenommen wurde. [ZParl, 39. Jg., H. 3, S. 633 ff.]