Abstracts 4/2013 deutsch

Weinmann, Philipp: Führt das neue Wahlrecht zur „Aufblähung“ des Bundestages? Simulationsrechnungen auf Basis des neuen Bundeswahlgesetzes.

Es wird untersucht, wie das neue deutsche Wahlrecht die Größe des Bundestages beeinflusst. Ausgehend von der Überlegung, dass das Wahlsystem nicht nur bei der nächsten Wahl, sondern unter allen möglichen Konstellationen eine Bundestagsgröße möglichst nahe an der Regelgröße von 598 Mitgliedern ermöglichen sollte, werden Simulationen auf Basis regelmäßiger Umfragedaten seit der Wahl 2009 erstellt. Da in bestimmten Szenarien sehr große Bundestage entstehen können, steht eine weitere Reform zur Debatte. Die Simulationen zeigen außerdem, dass zwei mögliche Reformoptionen tatsächlich zu teilweise deutlich kleineren Bundestagen führen würden. Während die genauen Wirkungen des Einstimmensystems schwer vorherzusagen sind, erscheint das Verfahren nach Richard Peifer u.a., das weniger unvorhersehbare Nebenwirkungen aufweist, für eine Reform grundsätzlich empfehlenswert. Es müsste jedoch notwendigerweise mit weiteren Maßnahmen kombiniert werden, da ansonsten in einigen Fällen sehr große Bundestage entstehen können. Zum Schluss wird daher ein Ausblick auf weitere Reformvorschläge gegeben. [ZParl, 44. Jg., H. 4, S. 719 – 741]

 

Träger, Hendrik: Die Auswirkungen der Wahlsysteme: elf Modellrechnungen mit den Ergebnissen der Bundestagswahl 2013.

Dieter Nohlen erklärt, dass „[m]ittels Wahlsystemen Stimmenergebnisse (data of votes) in spezifischer Weise (im Falle von Parlamentswahlen) in Mandatsergebnisse (parliamentary seats) übertragen [werden]“. Dabei kann grundsätzlich zwischen Mehrheits- und Verhältniswahl differenziert werden; die einzelnen Systeme wirken sich unterschiedlich auf die Zusammensetzung des Parlaments und die Optionen zur Regierungsbildung aus. Der Bundestag würde also bei einer relativen Mehrheitswahl oder einer Verhältniswahl ohne Sperrklausel anders aussehen. Elf Modellrechnungen mit den Ergebnissen der Bundestagswahl 2013 zeigen den Einfluss der Wahlsysteme: Zum Beispiel wäre die nun begonnene Wahlperiode bereits die siebte mit einer Zweidrittelmehrheit für die Unionsparteien, wäre die relative Mehrheitswahl angewendet worden; und der gegenwärtige Bundestag bestünde aus 15 Parteien, wenn eine Verhältniswahl ohne Sperrklausel gegolten hätte – ein Befund, der angesichts des in Kürze anstehenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen aufhorchen lässt. Letztlich bleibt zu konstatieren, dass die Bundesrepublik mit ihrem Wahlsystem, das – von kleineren Modifikationen abgesehen – in dieser Form seit 1953 angewandt wird, 60 Jahre lang „gut gefahren“ ist. [ZParl, 44. Jg., H. 4, S. 741 – 758]

 

Rütters, Peter: Daten zur Sozialstruktur der deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments.

Daten und Analysen zur Sozialstruktur der Abgeordneten des Europäischen Parlaments (MdEP) haben bislang nur beiläufig wissenschaftliches Interesse gefunden, abgesehen von einer kurzlebigen Konjunktur nach Einführung der Direktwahl im Jahr 1979. Um dieses Defizit ein wenig zu mindern, werden für die in Deutschland gewählten Abgeordneten des EP für die bislang sieben Wahlperioden seit Einführung der Direktwahl (1979 bis 2009/2014) in tabellarisch komprimierter Form Grunddaten zur Sozialstruktur aufgearbeitet. Für die 81 beziehungsweise 99 (seit 1994) MdEP wurden Daten zur Altersstruktur, zu den Schul- und Bildungsabschlüssen, zur Geschlechterzusammensetzung, zu parlamentarischen Vorerfahrungen im Bundestag und in Landtagen, zu Regierungsfunktionen in Landes- und Bundesregierungen vor der Wahl in das EP und schließlich zur Dauer der Mitgliedschaft im Europäischen Parlament zusammengestellt. Bei aller Zurückhaltung, die bei der Interpretation quantitativer Daten geboten ist, lassen sich einige generelle Aussagen gewinnen: bemerkenswert ist eine personelle Kontinuität der MdEP, ähnlich der im Bundestag und in Landesparlamenten, eine berufspolitische Wahrnehmung des Mandats und des EP als politisch einflussfähige Institution, hingegen spielt die Nutzung des EP als „Zwischenstation“ für zeitweise blockierte andere politische Karrieren kaum eine Rolle. [ZParl, 44. Jg., H. 4, S. 759 – 782]

 

Rütters, Peter: „Verbleib“ von in Deutschland gewählten Europa-Abgeordneten.

Der „Verbleib“ von Abgeordneten nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag oder aus Landesparlamenten wie auch die Gründe für die Beendigung der Parlamentsmitgliedschaft hat die politik- und sozialwissenschaftliche Forschung bislang kaum interessiert. Exemplarisch und explorativ wird diesen Fragen für deutsche Abgeordnete im seit 1979 direkt gewählten Europäischen Parlament (EP) nachgegangen, deren Mitglieder noch weniger als die Abgeordneten der nationalen Parlamente wissenschaftliche Aufmerksamkeit fanden. Von der kleinen Gruppe der Abgeordneten, die während einer Wahlperiode ausschieden, konnten alle Parlamentarier der sieben Wahlperioden des EP erfasst werden. Für das Ausscheiden lassen sich zwei Hauptursachen ausmachen: der Tod im Amt und der Wechsel in eine andere politische Funktion (Regierungsamt, Bundestags- oder Landtagsmandat, kommunales Spitzenamt, Funktion in der EU). Komplexer ist die Situation bei den Abgeordneten, die mit dem Ende einer Wahlperiode aus dem EP ausscheiden. Untersucht wurden die 2009 (6. Wahlperiode) ausgeschiedene Mitglieder des EP, bei denen es sich überwiegend um Berufspolitiker mit langjährigem EP-Mandat handelte. Nur sehr wenige Abgeordnete schieden aus, weil sie abgewählt wurden, andere Gründe (freiwilliger Verzicht aus Altersgründen, verweigerte Nominierung, absehbar aussichtslose Platzierung auf Kandidatenliste) traten häufiger auf. Bemerkenswert ist schließlich der „Verbleib“ der Abgeordneten. Der überwiegende Teil der ausgeschiedenen MdEP blieb weiterhin (berufs-) politisch oder gesellschaftspolitisch ambitioniert, während nur für eine kleine Gruppe ein – meist altersbedingtes – völliges Ausscheiden aus der Politik festgestellt oder angenommen werden kann. Nebenbei: ein Wechsel „in die Wirtschaft“ stellte bei der untersuchten Gruppe eine Ausnahme dar. [ZParl, 44. Jg., H. 4, S. 783 – 803]

 

Schröder, Hinrich: Das novellierte Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG).

Eine Neufassung des EUZBBG war erforderlich geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19. Juni 2012 die Unterrichtungsrechte des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 GG weiter ausgelegt hatte als sie vom bisherigen EUZBBG abgebildet waren. Daneben sind die Erfahrungen mit der Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon in das novellierte Gesetz eingeflossen. Insgesamt enthält das EUZBBG nunmehr eine Reihe wesentlicher Verbesserungen gegenüber der bisher geltenden Fassung. So dürften die weit gefasste und für neuere Entwicklungen offene Definition des Begriffs der Angelegenheiten der Europäischen Union und die Grundsätze der Unterrichtung gewährleisten, dass die Informationsrechte des Parlaments auch im Falle weiterer Integrationsschritte einfachgesetzlich gewährleistet sind. Die tägliche Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesregierung wird außerdem erleichtert durch die ausführlichen Bestimmungen zu den im Einzelnen zu übermittelnden Dokumenten. Schließlich gibt die Modifizierung des Stellungnahmeverfahrens dem Bundestag die Möglichkeit, dieses Recht künftig noch wirksamer als bisher wahrzunehmen. [ZParl, 44. Jg., H. 4, S. 803 – 812]

 

Heynckes, Heinz-Willi: Der Unterausschuss Kommunales und die Verfahrensvorgaben der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages.

Die Institutionalisierung der Unterausschüsse durch die große Geschäftsordnungsreform 1980 sollte der Atomisierung des Parlaments vorbeugen. Ein unachtsamer Umgang mit diesem Instrumentarium verbunden mit dem verständlichen Wunsch zu immer größerer Spezialisierung birgt ebenso die Gefahr der Atomisierung. Der Geschäftsordnungsgeber war sich dessen bewusst. Die Regelung des § 55 sollte die richtige Balance finden. Ratio dieser Bestimmung ist die enge Anbindung an den Hauptausschuss. Das Procedere zur Bearbeitung überwiesener Vorlagen wird durch die Vorbereitungsfunktion der Arbeit des Unterausschusses für den Hauptausschuss vorgegeben. So war auch die Beratungspraxis des Unterausschuss Kommunales geprägt durch die enge Anbindung an den einsetzenden Innenausschuss. Extensive Mitberatungsgepflogenheiten ohne tatsächlichen Beratungsbedarf begünstigen jedoch einen unzweckmäßigen Formalismus im Ausschusswesen. Für den Unterausschuss Kommunales, bei dessen zu bearbeitenden Querschnittsthema verschiedene Ausschüsse zu unterschiedlichen Aspekten mit der Federführung betraut sind, wäre eine gemeinsame Unterausschussbildung, bei der die beteiligten Ausschüsse gleichberechtigt mitwirken, vorzugswürdig gewesen. Ein fachlich sehr weit spezialisiertes Gremium ist vornehmlich dann sinnvoll, wenn es neben vermehrten Erkenntnisgewinn zu einer wirklichen Erleichterung der anfallenden Arbeit beitragen kann. [ZParl, 44. Jg., H. 4, S. 812 – 828]

 

Harm, Katrin, Tobias Jaeck und Jens Aderhold: Kommunalpolitiker in der Überforderungsfalle? Ratsarbeit und Belastungswahrnehmung in sechs Kommunalparlamenten aus Sicht der Mandatsträger.

Die Ausübung eines kommunalpolitischen Mandats in den Räten der Städte und Gemeinden ist anspruchsvoll, gestaltet sich zuweilen schwierig und ist in verstärktem Maße mit zeitlichen, organisatorischen und persönlichen Anstrengungen und Belastungen verbunden. Diese Entwicklungen werden von der politikwissenschaftlichen Professionalisierungsforschung aufgegriffen und bezogen auf das Spannungsfeld von Ehrenamt und politischer Verberuflichung sowie im Rahmen hiermit in Verbindung stehender Zeitaufwandsstudien diskutiert und analysiert. Obwohl hier exogene als auch endogene Ursachen möglicher Belastungsfaktoren identifiziert werden konnten, bleibt bisher ungeklärt, inwieweit die kommunalen Politiker selbst von einem Überforderungsgefühl ausgehen. Schwierige Bedingungen oder ein hoher zeitlicher Aufwand der Mandatstätigkeit müssen nicht automatisch dazu führen, dass die objektiv messbaren Belastungen von den Ratsmitgliedern auch als belastend empfunden werden. Vielmehr kann auf der Basis eines mehrdimensionalen Messmodells gezeigt werden, dass die Beurteilung der kommunalpolitischen Rahmenbedingungen das Überforderungsempfinden von Mandatsträgern maßgeblich beeinflusst: Es wird insbesondere davon geprägt, wie Ratsmitglieder die kommunalpolitischen Rahmenbedingungen wahrnehmen, inwieweit ihre Erwartungen an die Mandatstätigkeit erfüllt wurden, welche weiteren politischen Mandate sie innehaben und wo als auch mit welchem Aufwand sie die Mandatstätigkeit betreiben. [ZParl, 44. Jg., H. 4, S. 829 – 846]

 

Naßmacher, Hiltrud: Kommunalwahlen unter veränderten Wettbewerbsbedingungen.

Nach den Niederlagen der CDU bei Oberbürgermeisterwahlen in deutschen Großstädten gab es bereits Prognosen, die einen Niedergang der CDU als Großstadtpartei voraussahen. Dabei stellte die CDU in der Mehrzahl der Großstädte zur gleichen Zeit die stärksten Fraktionen. Welche Faktoren das kommunale Wahlverhalten bestimmen, spielte in der Wahlforschung bisher kaum eine Rolle, unter anderem bedingt durch das sehr arbeitsaufwändige Zusammentragen der Daten. Durch eine Analyse der letzten Kommunalwahlen aller Städte mit über 50.000 Einwohnern kann gezeigt werden, dass langfristig relevante Faktoren, die das Wahlverhalten in Deutschland aufgrund neuester Forschungsergebnisse bestimmen, auch für die kommunale Ebene relevant sind. Jedoch kreieren die wichtigsten politischen Akteure, insbesondere die Oberbürgermeister, Aktivisten der politischen Parteien und die lokalen Medien, in jeder Stadt ein spezifisches politisches Milieu, bedingt durch ihre Fähigkeiten, ihre Persönlichkeiten, ihre Kommunikationsmöglichkeiten und Professionalität. Die Mobilisierung ist dann erfolgreicher, wenn die politische Elite es verstanden hat, durch ihre Leistung während der Wahlperiode Vertrauen bei den Wahlberechtigten zu schaffen. Die institutionellen Neuerungen für mehr Partizipation der Wahlberechtigten haben dagegen weniger Einfluss auf die Mobilisation potentieller Wähler. [ZParl, 44. Jg., H. 4, S. 847 – 872]

 

Schmidt, Carmen und Jan Knipperts: Politische Generationen, demografischer Wandel und Wahlverhalten in der Bundesrepublik Deutschland: Schicksalsjahre des deutschen Parteiensystems?

Der demographische Wandel führt auch zu einer sich verändernden politischen Repräsentation einzelner Altersgruppen und ihrer Einstellungen bei Wahlen. Die Auswirkungen des demografischen Wandels auf das politische System kann daher durch die Analyse des Wahlverhaltens der verschiedenen Generationengruppen in der (west)deutschen Gesellschaft erklärt werden. Die anhand der repräsentativen Wahlstatistik und der Daten der allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften betrachteten Wählergenerationen weisen ein deutlich unterschiedliches Wahlverhalten auf: Während die geburtenstarken Nachkriegs- und Wohlstandsgenerationen ausgeprägte Bindungen an die beiden Volksparteien und eine hohe Partizipationsrate aufweisen, besitzen die folgenden, geburtenschwächeren Generationen erheblich geringere Bindungen an diese Parteien und weisen eine deutlich geringere Partizipationsrate auf. Die großen Parteien konnten bisher uneingeschränkt auf die bevölkerungsstarken Generationen setzen. Dies dürfte angesichts des demografischen Trends jedoch immer schwieriger werden. [ZParl, 44. Jg., H. 4, S. 872 – 891]

 

Dose, Nicolai und Anne-Kathrin Fischer: Mitgliederschwund und Überalterung der Parteien: Prognose der Mitgliederzahlen bis 2040.

Die im Bundestag vertretenen Parteien weisen mit Ausnahme von Bündnis 90/Die Grünen bereits seit mehreren Jahren einen merklichen Verlust an Mitgliedern auf. Ursächlich hierfür sind erstens das Negativsaldo von Ein- und Austritten sowie zweitens zahlreiche Todesfälle. Während die Zahl von Ein- und Austritten unter anderem von der jeweiligen Popularität der Parteien und von politisch relevanten Ereignissen abhängig ist und sich deshalb nur schwer prognostizieren lässt, kann die Zahl der Todesfälle aufgrund der bekannten Altersstruktur und gegebener Sterbetafeln recht gut vorher gesagt werden. So muss davon ausgegangen werden, dass SPD und CDU im Jahre 2040 allein aufgrund der demographischen Entwicklung jeweils nur noch ungefähr über 200.000 Mitglieder haben. Die Mitgliederzahl wird sich also vom heutigen Stand aus betrachtet mehr als halbieren. Dabei sind die Verluste, die sich aus dem vermutlich weiterhin negativen Saldo von Ein- und Austritten ergeben, noch nicht mitgerechnet. Dies wird substantielle Auswirkungen auf die Arbeit der Parteien haben. [ZParl, 44. Jg., H. 4, S. 892 – 900]

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