Abstracts 3/2015 deutsch

 

Kolkmann, Michael: Republikanischer Sieg auf ganzer Linie? Die Wahlen zum US-Kongress vom 4. November 2014.

Bei den Kongresswahlen im November 2014 konnten die Republikaner bei historisch niedriger Wahlbeteiligung ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus ausbauen und im Senat zurückgewinnen, so dass fortan ein Republikanischer Kongress einem Demokratischen Präsidenten gegenüberstehen wird („Divided Government“). Es zeigte sich, dass amerikanische Parteien mit dem Phänomen der „unterschiedlichen Wählerschaften“ konfrontiert sind: Wählerschaften in den Zwischenwahlen („Midterms“) sind zunehmend anders zusammengesetzt ist als in Präsidentschaftswahlen. 2014 kam eine sehr geringe Popularität von Präsident Barack Obama hinzu, der ja selbst gar nicht zur Wahl stand. Zudem konnten die Demokraten die wirtschaftliche Erholung in den letzten Jahren nicht zu ihrem Vorteil nutzen. Zu beachten sind eine Reihe weiterer aktuelle Entwicklungen, etwa der strategische Wahlkreiszuschnitt („Gerrymandering“) und des „Sorting“ sowie die gestiegene parteipolitische Polarisierung und das Instrument des „Filibuster“. Für die verbleibende Amtszeit von Präsident Obama bleibt abzuwarten, ob beide Seiten zu einer stärker kooperativ geprägten Arbeit finden. Ohne Frage steht die Politik der USA schon jetzt unter dem Eindruck des beginnenden Präsidentschaftswahlkampfes von 2016. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 3, S. 459 – 475]


Sturm, Roland: Das Land gespalten und auf dem Weg aus der EU? Die britischen Parlamentswahlen vom 7. Mai 2015.

Die britische Parlamentswahl überraschte die Meinungsforscher. Sie hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden großen Parteien und eine fehlende absolute Mehrheit für eine der Parteien mit der Folge einer erneuten Koalitionsregierung vorhergesagt. Stattdessen gab es einen eindeutigen Sieger: David Cameron von der Konservativen Partei. Dennoch war das Ergebnis der Wahl spektakulär. Sowohl die Labour Party als auch die Liberaldemokraten, der frühere Koalitionspartner der Konservativen, mussten herbe Niederlagen erfahren. Die Liberaldemokraten verloren ihre Hochburgen im englischen Südwesten und in Schottland. Die Zahl ihrer Mandate im Unterhaus reduzierte sich von 57 auf acht. Der Labour Party nahm die Scottish National Party (SNP) in Schottland 40 Sitze ab. Die schottische Labour Party ist fortan, wie die anderen unionistischen Parteien in Schottland, nur noch mit einem Mandat im Unterhaus vertreten. Großer Gewinner der Wahl wurde in Schottland die SNP, die 56 der 59 schottischen Sitze errang. Dieses Ergebnis verschärft die Spaltung zwischen Schottland und dem Rest des Vereinigten Königreiches – mit ungewissem Ausgang. Ebenso offen ist die Zukunft des Landes in der EU. Ein Austrittsreferendum wird 2017, vermutlich aber früher, stattfinden. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 3, S. 475 – 493]

 

Jochem, Sven: Die schwedische Reichstagswahl vom 14. September 2014: Regierungswechsel und Regierungskrise im schwedischen Minderheitsparlamentarismus.

Die Wahl zum schwedischen Reichstag 2014 führte zu einen Regierungswechsel und mündete in eine schwere Regierungskrise. Das Erstarken der Schwedendemokraten hat das Gleichgewicht der schwedischen Verhandlungsdemokratie mit ihren Minderheitsregierungen und einer dezidierten Blocklogik des Parteienwettbewerbs deutlich gestört. Die rot-grüne Minderheitsregierung steht vor immensen Herausforderungen, die parteipolitischen Strategien so zu bündeln, dass reformpolitisch belastbare Mehrheiten und stabiles Regierungshandeln möglich werden. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 3, S. 494 – 504]

 

Köllner, Patrick: Neuseeland unter dem Mischwahlsystem deutscher Prägung: Eine Bilanz zu Aspekten des Parteiensystems, der Regierungsbildung und der parlamentarischen Repräsentation.

Im September 2014 wurde in Neuseeland das Parlament neu gewählt. Es war bereits die siebte Wahl unter einem proporzorientierten Mischwahlsystem, welches in ähnlicher Form auch in Deutschland existiert. Besonderheiten des Wahlsystems in Neuseeland bestehen in Form von gesonderten Wahlkreisen für die Bevölkerungsgruppe der M?ori sowie der Möglichkeit für Parteien, bereits bei Gewinn eines Direktmandats mit vollem Stimmenanteil in das Parlament einzuziehen. Im Mittelpunkt des Parteiensystems stehen seit rund 80 Jahren die sozialdemokratische Labour Party und die konservative National Party, die unter dem Mischwahlsystem ihren Status als „Volksparteien“ weiter behaupten. Klar zugenommen hat aber auch die Präsenz von kleineren Parteien im Parlament, die sich wiederholt als Koalitionspartner oder aber als Unterstützerparteien an der Regierungsbildung beteiligt haben. Der Frauenanteil im neuseeländischen Parlament ist unter dem Mischwahlsystem auf rund 30 Prozent gestiegen und ethnische Minderheiten, insbesondere die M?ori, sind im Parlament mittlerweile deutlich stärker vertreten. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 3, S. 505 – 517]


Horst, Patrick: Die Hamburger Bürgerschaftswahl vom 15. Februar 2015: Rot-Grün für Olympia und für die Referendumsfestigkeit der hanseatischen Feierabenddemokratie.

Nach vier Jahren erfolgreicher Alleinregierung ging die regierende SPD mit ihrem anerkannten Bürgermeister Olaf Scholz als klarer Favorit in die Bürgerschaftswahl. An der Fortsetzung der SPD-Regierung bestand keinerlei Zweifel – nur ob sie dazu einen Koalitionspartner brauchen würde, war noch nicht entschieden. Am Ende verfehlte die SPD die absolute Mehrheit knapp und bildete eine Koalition mit den Grünen, die von beiden Parteien im Wahlkampf angestrebt worden war. Die neue Koalition stellte sich in die Tradition der Vorgängerregierung – sowohl inhaltlich als auch mit Blick auf ihren nüchtern-pragmatischen Regierungsstil. Die Grünen ergänzten das „gute Regieren“ der SPD um die Komponente einer „guten Beteiligungskultur“. Die Olympiabewerbung Hamburgs wird in einem Bürgerschaftsreferendum entschieden, das die neue Koalition mit Unterstützung der CDU in die Verfassung aufnahm. Mit dem Bürgerschaftsreferendum soll die hanseatische Feierabenddemokratie mit ihren starken direktdemokratischen Beteiligungsrechten insgesamt referendumsfester gemacht werden.  [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 3, S. 518 – 538]


Probst, Lothar: Die Bürgerschaftswahl in Bremen vom 10. Mai 2015: SPD und Grüne Verlierer der Wahl, aber Mehrheit knapp behauptet.

Im Vorfeld der Bremer Bürgerschaftswahl 2015 deutete trotz latenter Unzufriedenheit mit dem rigiden Sparkurs des rot-grünen Senats alles auf einen erneuten Wahlsieg von SPD und Grünen hin, wenngleich den Grünen höhere Verluste in den Umfragen vorausgesagt wurden. Der Wahlabend endete jedoch mit einer faustdicken Überraschung, weil auch die SPD mit ihrem beliebten Spitzenkandidaten Jens Böhrnsen erheblich an Zustimmung verlor. Dennoch konnten die beiden Koalitionsparteien aufgrund der Schwäche der Opposition einen knappen Vorsprung behaupten und erneut die Regierung bilden. Die CDU blieb mit einem Zuwachs von nur zwei Prozentpunkten auf 22,4 Prozent hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Neben einer gestärkten Linken konnten außerdem FDP, AfD und „Bürger in Wut“ Mandate in der Bürgerschaft erringen, so dass die Fragmentierung des Bremer Parteiensystems deutlich zugenommen hat. Für bundesweites Entsetzen sorgte die geringe Wahlbeteiligung von nur noch 50,2 Prozent. Besonders in statusniedrigen Stadtteilen mit hoher Arbeitslosigkeit und einem hohen Anteil von Hartz-IV-Empfängern war die Wahlbeteiligung sehr niedrig. Neben der ausgeprägten sozialen Spaltung Bremens in reiche und arme Stadtviertel trugen auch eine „lethargische“ Vorwahlstimmung und ein polarisierungsarmer Wahlkampf zu der geringen Mobilisierung der Wähler bei. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 3, S. 539 – 560]


Schröder, Valentin: Fremdverwertung und Personenstimmenparadox: Negatives Stimmgewicht im Bremer und Hamburger Bürgerschaftswahlrecht.

Die Bürgerschaftswahlsysteme in Bremen und Hamburg unterscheiden in Personen- und Listenstimmen. Deren Verrechnung bei der Ermittlung von Personen- und Listenmandatskontingenten kann zu einem negativem Gewicht von Personenstimmen mit Blick auf die Mandatschancen der mit ihnen bedachten Bewerber führen. Das verletzt den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit. Bei den bisherigen vier Wahlen unter diesen Wahlsystemen haben bislang zwei Kandidaten kein Mandat erzielt, weil auf sie zu viele Personenstimmen entfallen sind. Da bei der Wahl kein Wähler weiß, welche Kandidaten bei der Mandatszuteilung nach der Wahl davon betroffen sind und damit die Transparenz der Wahl beeinträchtigt wird, betrifft dieses „Personenstimmenparadox“ zudem alle Wähler als Verletzung des Grundsatzes der Direktheit der Wahl. Eine Lösungsmöglichkeit für dieses Problem wäre eine iterative Mandatszuteilung, mit der das Paradox kandidatenweise behoben werden kann, das Wahlrecht aber weiter verkompliziert wird. Alternativ könnte für Personenmandate die natürliche Mandatshürde eingeführt werden, mit der ihre Anzahl reduziert, aber das Wahlrecht vereinfacht werden würde. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 3, S. 561 – 577]


Tiefenbach, Paul: Das Bremer Bürgerschaftswahlrecht in der Kritik.

Am 10. Mai 2015 wurde in Bremen zum zweiten Mal bei der Landtagswahl das Kumulieren und Panaschieren mit fünf Stimmen angewendet. Die Wahlbeteiligung fiel auf 50,2 Prozent, den bisher niedrigste Wert in der Hansestadt. Das komplizierte Wahlrecht scheint aber nicht die Schuld daran zu tragen. Es wird Wählern recht gut angenommen: Nur noch ein gutes Drittel der Wähler wählt traditionell und vergibt ausschließlich Listenstimmen nur an eine einzige Partei. Während die Listenstimmen stark zurückgingen, sind die Personenstimmen trotz sinkender Wahlbeteiligung stabil geblieben. Kritik kommt aus den Parteien, vor allem aus der SPD: zahlreiche Kandidaten von hinteren Listenplätzen erhalten durch Personenstimmen ein Mandat, was die Fraktionsarbeit erschwert. Überdies wird die Geschlechterquotierung arg durcheinandergebracht und der Anteil der Abgeordneten unter 25 Jahren geht zurück. SPD und Linke wollen den Einfluss der Personenstimmen daher wieder reduzieren. Andererseits wird in dessen Folge der Wahlkampf bürgernäher, die Anzahl der Abgeordneten mit Migrationshintergrund nimmt zu und das Durchschnittsalter der Abgeordneten sinkt. Der Verein Mehr Demokratie e.V., Initiator des gelten Wahlrechts, möchte deren Bedeutung dagegen erhöhen. Möglicherweise müssen die Bürger in einen Volksentscheid selbst darüber abstimmen [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 3, S. 578 – 588]


Behnke, Joachim: Der Einfluss der Kenntnis des Wahlsystems auf das Wahlverhalten: Weil sie nicht wissen, was sie tun, tun sie, was sie nicht wollen?

Ungefähr die Hälfte der deutschen Wähler verfügt über eine mangelhafte Kenntnis des deutschen Wahlsystems und hält fälschlich die Erststimme oder Erst- und Zweitstimme zusammen für die maßgeblichen Stimmen für die Verteilung der Sitze. Diese Unkenntnis der Wirkungsweise des deutschen Wahlsystems hat zur Folge, dass ein Teil der Wähler seine Stimme in einer Weise abgibt, die nicht der von ihm verfolgten Absicht entspricht, wie seine Stimme ihre Wirkung entfalten soll. So hat bei der Bundestagswahl 2013 ein nicht unerheblicher Teil der CDU/CSU-Anhänger mit der Zweitstimme die FDP gewählt wohl in der irrigen Annahme, diese sei nicht die für die Sitzverteilung entscheidende Stimme. Dieses Verhalten hat die CDU/CSU in jedem Fall Mandate gekostet und ist womöglich sogar dafür verantwortlich, dass die CDU/CSU bei der letzten Wahl keine absolute Mehrheit an Sitzen errungen hat. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 3, S. 588 – 607]


Raabe, Johannes und Eric Linhart: Wahlsystem-Effekte und die Rolle verschiedener politischer Ebenen bei Wahlen in Deutschland.

Im politischen System Deutschlands finden Wahlen auf verschiedenen politischen Ebenen statt – gleichzeitig unterscheiden sich die dort angewendeten Wahlsysteme über die Zeit und die Ebenen hinweg. Dieser Beitrag nutzt diese Varianz und untersucht mit Hilfe der Ergebnisse von Kreistags-, Landtags-, Bundestags- und Europawahlen seit 1990, wie die Stimmenanteile von Parteien verschiedener Größe durch das Zusammenspiel von Ebenen- und Wahlsystem-Effekten beeinflusst werden. Die empirische Analyse zeigt, dass, wenn Zeittrends und Regionen-Unterschiede berücksichtigt werden, sowohl Ebenen- als auch Wahlsystem-Unterschiede die Stimmenanteile von Parteien verschiedener Größe maßgeblich beeinflussen. Keiner der Faktoren ist hierbei zwangsläufig als gewichtiger einzuschätzen. Ein systematischer Unterschied besteht insbesondere zwischen kleinen Parteien einerseits sowie großen und mittelgroßen Parteien andererseits. Kleine Parteien schneiden zum einen besser ab, wenn die Wahlen auf Kreis-, Landes- oder EU-Ebene stattfinden. Zum anderen profitieren sie erwartungsgemäß von der Abwesenheit einer Sperrklausel. Systematische Unterschiede zwischen mittelgroßen und großen Parteien können hingegen nicht identifiziert werden. Insgesamt zeigt sich die Notwendigkeit, sowohl Ebenen- als auch Wahlsystem-Effekte zu berücksichtigen, wenn es etwa um die Einschätzung möglicher Wahlsystemreformen geht. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 3, S. 608 – 621]


Böller, Florian: More than a „constitutionally created potted plant“? Der US-Kongress und die demokratische Kontrolle militärischer Interventionen.

Bisherige Studien beschrieben den US-Kongress als durchweg schwach in der Realisierung seiner verfassungsmäßigen Rechte gegenüber dem Präsidenten in der militärischen Interventionspolitik. Berücksichtigt man allerdings neben den Autorisierungsentscheidungen im Vorfeld von Interventionen auch die Aktivitäten des Kongresses während des Krieges und legt einen differenzierten Begriff von demokratischer Kontrolle zu Grunde, zeigt sich ein anderes Bild. Anhand eines komprimierten Längsschnittvergleichs militärischer Interventionen der USA zwischen 1973 und 2013 wird deutlich, dass die Legislative im Rahmen ihrer demokratischen Kontrollrechte über verschiedene Instrumente zur Beeinflussung der Interventionspolitik verfügt. Zum anderen ordnet sich der Kongress keineswegs immer unter, sondern behauptet sich insbesondere dann gegenüber dem Präsidenten, wenn die Kongressmitglieder Zweifel daran haben, dass der Kriegseinsatz nationalen Interessen dient. [ZParl, 46. Jg. (2015), H. 3, S. 622 – 644]

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