Gabriel, Oscar W. und Bernhard Kornelius: Die baden-württembergische Landtagswahl vom 13. März 2016: Es grünt so grün.
Die baden-württembergische Landtagswahl am 13. März 2016 endete mit einem beeindruckenden Wahlerfolg der Grünen – sie gingen erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik als stärkste politische Kraft aus einer Landtagswahl hervor. CDU und SPD mussten hingegen ihre bislang schlechtesten Wahlergebnisse in Baden-Württemberg hinnehmen und erreichten gemeinsam nicht einmal eine regierungsfähige Mehrheit. Die rechtspopulistische AfD hingegen erhielt deutliche Unterstützung: Sie wurde aus dem Stand drittstärkste Partei im Landtag. Maßgeblich für das Wahlergebnis maßgeblich waren die außerordentlich hohe Popularität von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen), die Auseinandersetzung über die Flüchtlingspolitik und die positive Bewertung der Arbeit der Landesregierung durch die Wählerschaft. Dagegen schätzten die Wähler den Spitzenkandidaten der CDU nicht als überzeugende Alternative zum Ministerpräsidenten ein und nahmen die CDU in der Flüchtlingspolitik als zerstritten wahr. Da die grün-rote Regierung abgewählt wurde und auch ein Bündnis aus CDU und FDP weit von einer parlamentarischen Mehrheit entfernt war, verengten sich die Alternativen für eine Regierungsbildung rasch auf eine grün-schwarze Koalition, die am 12. Mai 2016 ihre Geschäfte aufnahm. [ZParl, 47. Jg. (2016), H. 3, S. 497 – 518]
Gothe, Heiko: Die rheinland-pfälzische Landtagswahl vom 13. März 2016: Populäre SPD-Ministerpräsidentin führt Rheinland-Pfalz in Ampel-Koalition.
Anfang 2013 übergab der als „Landesvater“ geltende Ministerpräsidenten Kurt Beck sein Amt und die Führung der rot-grünen Koalition an die langjährige Sozialministerin Malu Dreyer. Seit September 2015 dominierte die Flüchtlings- und Integrationspolitik die politische Agenda und sorgte für eine emotional geprägte Politisierung auch während des Wahlkampfes. Hinzu kam die starke Fokussierung auf die beiden Spitzenkandidatinnen: Erstmalig in Deutschland kämpften zwei Frauen um das Amt des Ministerpräsidenten. Mit der Wahl am 13. März 2016 differenzierte sich das Parteiensystem deutlich aus: Fünf (statt drei) Parteien sind fortan im Mainzer Landtag vertreten. Die SPD mit der sehr populären Dreyer setzte sich als stärkste Partei durch. Sie legte zwar nur minimal zu, feierte dies allerdings als Erfolg, weil sie im Endspurt des Wahlkampfes die CDU auf den zweiten Platz verweisen konnte. Obwohl die CDU absolut an Stimmen zulegte, scheiterte die Spitzenkandidatin Julia Klöckner ein zweites Mal. Sie hatte in der Flüchtlingspolitik eine Doppelstrategie aus Abgrenzung und Zustimmung zu Bundeskanzlerin Angela Merkel gefahren, die zur Irritationen bei der Wählerschaft führte. So verzeichnete die CDU ihr schlechtestes Ergebnis in der rheinland-pfälzischen Wahlgeschichte. Ein Wahlsieger war die AfD, die aus dem Stand heraus mit 12,6 Prozent drittstärkste Kraft wurde. Ihr großer Wahlerfolg basierte auf Zuströmen aus allen politischen Parteien und der Mobilisierung vieler ehemaliger Nichtwähler. Das Votum zugunsten der AfD war – im Unterschied zu den anderen Parteien – vorrangig durch die Flüchtlingsthematik bestimmt. Ebenfalls als Gewinner konnte sich die FDP fühlen, die fortan wieder im Landtag vertreten ist. Großer Wahlverlierer waren die Grünen, denen es nicht gelang, die 2011 im Rahmen der Fukushima-Katastrophe von der SPD gewonnenen Wähler auch bei dieser Wahl zu halten. Sie konnten nur knapp den Verbleib im Parlament sichern. [ZParl, 47. Jg. (2016), H. 3, S. 519 – 540]
Holtmann, Everhard und Kerstin Völkl: Die sachsen-anhaltische Landtagswahl vom 13. März 2016: Eingetrübte Grundstimmung, umgeschichtete Machtverhältnisse.
Der Wahlkampf 2016 in Sachsen-Anhalt war von einer Grundstimmung der diffusen und spezifischen Ängste geprägt. Seit der Jahreswende 2015/16 dominierte das Flüchtlingsthema die politische Agenda. Zugleich wurden bestehende Probleme auf Landesebene lange nicht angemessen zur Kenntnis genommen. Dadurch stieg die rechtspopulistische Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) rasch in den Umfragen und wurde für einen Großteil der Wähler zum Favoriten. Das Ergebnis war, dass die AfD fast ein Viertel aller Wählerstimmen gewann und als zweitstärkste Partei aus der Wahl hervorging. Die „Anti-Partei“ AfD zog überdurchschnittlich Arbeiter und Arbeitslose sowie männliche Wähler und Personen der unteren Bildungsschicht an. Demgegenüber schrumpfte die SPD zu einer kleinen Partei, denn sie erhielt kaum mehr als zehn Prozent. Die SPD litt unter ihrer Schwäche auf Landesebene (geringe Problemlösungskompetenz, eine unbeliebte Spitzenkandidatin, unklare Koalitionspräferenz) und einem insgesamt für sie nachteiligen Bundestrend. Trotz einiger Stimmenverluste behauptete die CDU ihre Position als führende Partei. Da übereinstimmend alle Parteien die AfD als potentiellen Koalitionspartner ablehnten, entschieden sich CDU, SPD und Grüne für die Bildung einer sogenannten Kenia-Koalition (Schwarz-Rot-Grün). [ZParl, 47. Jg. (2016), H. 3, S. 541 – 561]
Hornig, Eike-Christian: Der Ausbau des Frankfurter Flughafens – (k)ein Hindernis für die schwarz-grüne Koalition 2013 in Hessen?
Im Vorfeld der Landtagswahl 2013 in Hessen war die Erweiterung des Frankfurter Flughafens eines der zentralen Themen. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde der Flughafenausbau als wesentliche Hürde für die sich abzeichnende schwarz-grüne Koalition betrachtet. Der verabschiedete Koalitionsvertrag war in Fragen des Flughafenausbaus ein Kompromiss, der aber vornehmlich als Einknicken der Grünen wahrgenommen wurde. Besonders die Protestgruppen beklagten einen Verrat an den Wählern. Doch wurden bei der Landtagswahl 2013 die Grünen tatsächlich für ihre ausbaukritische Position belohnt, so dass von einer Abkehr der Partei von ihren Wählern gesprochen werden kann? Die Auswertung von erstmalig kombinierten Wahl- und Flugbelastungsdaten spricht gegen diese Abkehrhypothese. Da die Grünen bei der Landtagswahl nicht entsprechend von ihrer Position zum Flughafen-Ausbau profitiert hatten, entpuppt sich der angeprangerte Verrat der Grünen an den Wählern eher als eine Abkehr von den Protestgruppen innerhalb und außerhalb der Partei. Das Thema Fluglärm in der Rhein-Main-Region hatte bei der Wahl eine viel geringere Bedeutung als vermutet. Diese Einsicht könnte auch die Kosten-Nutzen-Kalkulation der hessischen Grünen verändert und den Weg in die schwarz-grüne Koalition frei gemacht haben. [ZParl, 47. Jg. (2016), H. 3, S. 561 – 573]
Ley, Richard: Wahl der Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen von 1990 bis 2015.
Der Aufsatz bietet einen innerdeutschen Verfassungsvergleich für einen wichtigen Regelungsbereich: die Mitwirkung der Landtage bei der Konstituierung der Landesregierungen. Die Regeln zur Wahl der Ministerpräsidenten in den neuen Bundesländern werden analysiert und mit entsprechenden Bestimmungen der alten Bundesländer kontrastiert. Anders als in den Verfassungen der süddeutschen Länder, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, begrenzten die verfassunggebenden Versammlungen der neuen Bundesländer die Mitwirkung der Parlamente auf den ersten Schritt im Rahmen der Regierungsbildung: die Wahl des Ministerpräsidenten. Dabei wurde ein mehrstufiges Verfahren geschaffen, das stringent auf die Wahl des Regierungschefs hinwirken soll. Dokumentiert und analysiert werden die Hintergründe und Ergebnisse der 40 Ministerpräsidentenwahlen im ersten Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung. So bietet der Aufsatz nicht nur einen Einblick in die Verfassungsgeschichte der fünf neuen Länder, sondern hält einen wichtigen Aspekt des Aufbaus einer demokratischen Ordnung im Zuge der Transition nach der Deutschen Einheit fest. [ZParl, 47. Jg. (2016), H. 3, S. 573 – 606]
Reutter, Werner: Vizepräsidenten in Landesparlamenten. Eine Bestandsaufnahme aus Anlass einer Verfassungsänderung in Brandenburg.
Vizepräsidenten von Parlamenten sind bisher wenig erforscht, obwohl es ein bedeutsames Spannungsfeld zwischen der Art und Weise ihrer Wahl und ihren Aufgaben gibt. Einerseits sind sie eng mit den Struktur- und Funktionsprinzipien von Fraktionenparlamenten verknüpft. Andererseits müssen Vizepräsidenten das Verfassungsorgan Parlament als Gesamtinstitution vertreten und ihr Amt überparteilich und neutral ausüben. Sie sind damit den Fraktionen und dem Gegenüber von Regierungsmehrheit und Opposition systematisch entzogen. Der Beitrag untersucht, nach welchen Prinzipien diese parlamentarischen Leitungsfunktionen besetzt werden und wie das skizzierte Spannungsverhältnis so moderiert und kanalisiert wurde, dass sie die ihnen zugewiesenen Kompetenzen und Aufgaben erfüllen können. [ZParl, 47. Jg. (2016), H. 3, S. 607 – 618]
Jänicke, Steffen: Unabhängigkeit und Professionalität von Abgeordneten durch Wissenschaftliche Dienste – Perspektiven für ein Landesparlament wie die Hamburgische Bürgerschaft.
Der Beitrag untersucht, inwiefern die wissenschaftlichen Dienste deutscher Parlamente die Abgeordneten bei der unabhängigen und professionellen Aufgabenwahrnehmung unterstützen. Ausgangspunkt der Analyse ist, dass die Hamburgische Bürgerschaft – anders als die meisten Landesparlamente und der Deutsche Bundestag – über keinen wissenschaftlichen Parlamentsdienst verfügt. Anlässlich einer Debatte in der Hamburgischen Bürgerschaft über den Bau der Elbphilharmonie und der Einberufung eines Unterausschusses zur Parlamentsreform befasst sich der Artikel mit Fragen der Funktionsweisen Wissenschaftlicher Dienste und den bei ihrer Einrichtung zu treffenden Grundsatzentscheidungen in Bezug auf ihre Aufgaben und Arbeitsweise, Organisationsstruktur und die Verzahnung mit den Fachausschüssen. Aufbauend darauf werden konkrete Ausgestaltungsvorschläge für die Umsetzung in einem Landesparlament entwickelt, und es wird für Hamburg ein Finanzierungsvorschlag anhand einer Reform des Untersuchungsausschussrechts vorgestellt. [ZParl, 47. Jg. (2016), H. 3, S. 618 –635]
Träger, Hendrik und Jan Pollex: Schwarzes Land vs. rote und gelbe Großstädte: Landrats- und Oberbürgermeisterwahlen in Sachsen (1994-2015).
Der Beitrag analysiert die Landrats- und Oberbürgermeisterwahlen in Sachsen seit 1994. Während die CDU fast alle Landratswahlen gewinnen konnte und aktuell wieder alle Landräte stellt, ist sie bei den Oberbürgermeisterwahlen in den drei Großstädten selten erfolgreich. Zur Erklärung dieser Wahlergebnisse untersucht der Beitrag die strukturell-organisatorische Situation der Parteien und die Persönlichkeiten der Kandidaten. Dabei fällt die (Mitglieder-)Schwäche aller Parteien mit Ausnahme der CDU in den ländlichen Regionen auf, die auch ihre Kampagnenfähigkeit beeinflussen. Auch wird deutlich, dass der regionale bzw. lokale Bezug eines Kandidaten und dessen Erfahrungen in der Kommunalverwaltung Erfolgskriterien bei Wahlen darstellen. Daraus folgt, dass das teilweise sehr kleine Bewerberfeld mithilfe von Parteienbündnissen oder parteiunabhängigen Initiativen, die bei Kommunalwahlen durchaus Erfolgschancen haben, kompensiert werden könnte. [ZParl, 47. Jg. (2016), H. 3, S. 636 – 656]
Nyhuis, Dominic: Partei oder Person? Parteispezifische Wahlmotive bei baden-württembergischen Kommunalwahlen.
Der Stellenwert von Ideologie für kommunalpolitisches Handeln ist ein zentrales Erkenntnisinteresse der lokalen Politikforschung. Eine breite Forschungsliteratur befasst sich mit dem Grad der Sachorientierung kommunalpolitischer Entscheidungsfindung und der Parteiorientierung des kommunalen Wahlverhaltens. In beiden Fällen wird häufig angenommen, dass der Personalisierungsgrad kommunalpolitischen Handelns als ein fester Punkt zwischen der reinen Personen- und Parteiorientierung beschrieben werden kann, der für alle Parteien gleichermaßen gilt. Die vorliegende Analyse zeigt hingegen, dass es parteispezifische Unterscheide im Grad der Personenorientierung gibt. Auf Basis der Kommunalwahlergebnisse baden-württembergischer Städte zwischen 1980 und 2014 wird herausgearbeitet, dass Parteien in unterschiedlichem Maße von kandidatenbezogenen Stimmabgaben profitieren. So sind die Wahlerfolge der kommunalen Wählergemeinschaften und der FDP in besonderem Maße der Kandidatenorientierung geschuldet. Demgegenüber begründet sich das Abschneiden der ideologisch extremeren Parteien eher in einer Parteiorientierung. [ZParl, 47. Jg. (2016), H. 3, S. 657 – 669]
Bug, Mathias: Terrorismusbekämpfung als Waffe gegen Alltagskriminalität – Argument und Wirklichkeit der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland.
Der Beitrag fasst die Argumentation zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung von 1996 bis 2015 zusammen, indem die zentralen parlamentarischen Vorgänge in Bundestag und Bundesrat ausgewertet werden. In der früheren Phase des Beobachtungszeitraums zeigen sich alternierende Argumente, die mit dem zeitlichen Kontext begründet werden können. Später ist ein recht allgemeines Kumulieren von Begründungsmustern festzustellen. Die Analyse wird durch ein erweitertes Securitisation-Modell unterstützt. Die Gegenüberstellung der zentralen im politischen Aushandlungsprozess explizierten Argumente mit den realen Nutzungsanlässen von Telekommunikationsdaten in der polizeilichen Kriminalitätsbekämpfung deuten indes auf eine Unpassung zwischen Argumentation und polizeilichem Alltag hin. So findet insbesondere die starke Rolle der Bekämpfung von Drogenkriminalität keinen expliziten Niederschlag in der öffentlichen Argumentation für die Vorratsdatenspeicherung. Diese über Jahre hinweg aufrecht erhaltene Diskrepanz zwischen Realität und Argumentation gefährdet die Legitimität der Einzelmaßnahme und kann damit das Vertrauen in staatliche Akteure der Inneren Sicherheit schwächen. [ZParl, 47. Jg. (2016), H. 3, S. 670 – 692]
Debus, Marc: Parlamentswahl in der Diktatur: Eine Analyse des Wählerverhaltens auf Ebene der Land- und Stadtkreise bei der Reichstagswahl vom 12. November 1933.
Das Wahlverhalten in der Weimarer Republik und insbesondere die Gründe für den Stimmenzuwachs sowie die sozialstrukturelle Zusammensetzung der NSDAP-Wählerschaft sind Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Eine Analyse der Ergebnisse der Reichstagswahl vom 12. November 1933 wird hiermit erstmals vorgelegt. Die Wählerschaft hatte zwar nur die Möglichkeit, für die NSDAP-Liste zu stimmen, doch gab es einen beträchtlichen Anteil ungültiger Stimmen. Dieser sowie der Anteil der Nichtwähler variierten deutlich über die Land- und Stadtkreise. Es wird geprüft, inwiefern Indikatoren für die regionale Milieustruktur helfen, die unterschiedliche Verteilung von Wahlbeteiligung und ungültigen Stimmen zu erklären. Multivariate Regressionsanalysen zeigen, dass insbesondere der Anteil der Industriearbeiter und damit die regionale Stärke des sozialistischen Milieus zu einem höheren Anteil an ungültigen Stimmen bzw. an Nichtwählern bei der Reichstagswahl am 12. November 1933 geführt haben. Für das katholische Milieu, das in der Weimarer Zeit als sehr resistent gegenüber dem Nationalsozialismus galt, trifft dies nicht zu. Die Ergebnisse bleiben bestehen, wenn für weitere Faktoren wie Einwohnerzahl oder Stadtstatus kontrolliert wird. [ZParl, 47. Jg. (2016), H. 3, S. 693 – 708]