Abstracts 2/2018 deutsch

Jesse, Eckhard: Die Bundestagswahl 2017 im Spiegel der repräsentativen Wahlstatistik.

Die repräsentative Wahlstatistik Deutschlands ist einzigartig in der Welt. Sie ermittelt die Wahlbeteiligung nach zehn Altersgruppen sowie das Wahlverhalten nach Geschlecht und sechs Altersgruppen. 2017 fiel der Frauenanteil bei der Union besonders groß aus, größer  war er nur bei den Grünen. Hingegen erwies sich die Wählerschaft der AfD – klarer als noch 2013 – als eine von Männern dominierte Kraft. Für das Elektorat der FDP und der Partei Die Linke gilt das ebenso, wenngleich nicht so stark. Bei der SPD ist die Verteilung zwischen Männern und Frauen ausgeglichen. Union und SPD sind bei den älteren Altersgruppen erheblich überrepräsentiert, Die Linke und die FDP bei den jüngeren überproportional vertreten, allerdings nicht so deutlich wie die Grünen. Die Statistik liefert ferner Daten zu den Urnen- und Briefwählern, zum Stimmensplitting sowie zu den Wählern, die eine ungültige Stimme abgegeben haben. Was sie nicht bietet, sind Erklärungen für die Ergebnisse. Auch wenn Alter und Geschlecht keine ausgeprägt wahldeterminierenden Faktoren darstellen, besteht kein Anlass diese Statistik bei der Analyse des Wahlverhaltens nicht heranzuziehen, zumal sie zu weiterführenden Vergleichen geradezu einlädt. [ZParl, 49. Jg. (2018), H. 2, S. 223 – 242

 

Bergmann, Knut, Matthias Diermeier und Judith Niehues: Ein komplexes Gebilde. Eine sozio-ökonomische Analyse des Ergebnisses der AfD bei der Bundestagswahl 2017.

Die empirische Analyse des AfD-Wahlerfolgs bei der Bundestagswahl 2017 anhand sozio-ökonomischer Charakteristika ergibt, dass die Wählerschaft weitgehend einem Querschnitt der Bevölkerung entspricht. Allerdings ist die Zustimmung zur AfD im Zuge ihrer Entwicklung von einer eurokritischen zu einer rechtspopulistischen Partei besonders im unteren Einkommensbereich angestiegen. Zudem ist die Partei sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland in Wahlkreisen mit hohem Anteil an Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe erfolgreich. Die Analyse von AfD-Hochburgen zeigt die unterschiedlichen regionalspezifischen Muster innerhalb der Bundesrepublik: Maßgebliche Erfolge feierte die Partei in süddeutschen Industriestädten, ländlichen Gebieten in Ostbayern, Agglomerationsräumen im Ruhrgebiet sowie verschiedenen Regionen Ostdeutschlands. Je nach wirtschaftlicher und geographischer Lage eines Wahlkreises konkurriert die AfD mit unterschiedlichen Parteien um deren Stammwähler. Die Spannbreite der Ergebnisse zeigt, dass monokausale Erklärungsmuster – insbesondere die Prekarisierungshypothese – zu kurz greifen. So stammt aus den sozialschwachen Hochburgen im Ruhrgebiet nur ein Bruchteil der bundesweiten AfD-Stimmen. Demgegenüber deutet viel auf eine hohe Bedeutung von regionalspezifischen und kulturhistorischen Ausprägungen hin. [ZParl, 49. Jg. (2018), H. 2, S. 243 – 264]

 

Jakobs, Simon und Uwe Jun: Parteienwettbewerb und Koalitionsbildung in Deutschland 2017/18: Eine Analyse der Wahlprogramme.

Mit der Wahl zum 19. Deutschen Bundestag am 24. September 2017 begann eine für die deutsche Nachkriegsgeschichte in ihrer Dauer einmalige Koalitionsbildung. Nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche über ein Jamaika-Bündnis nahmen CDU/CSU und SPD Gespräche über Koalitionsverhandlungen auf, wobei gerade letztere dies unmittelbar nach der Wahl ausgeschlossen hatte. Eine Untersuchung der Programmatik Positionen der in den Bundestag gewählten Parteien zeigt, dass die Positionen der potenziellen Jamaika-Partner – CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen – recht weit auseinander lagen, so dass ein erfolgreicher Abschluss der Sondierungsgespräche nur bei erheblicher Kompromisswilligkeit aller Beteiligten zu bewerkstelligen gewesen wäre. Der nun zu einer weiteren Großen Koalition ausgehandelte Koalitionsvertrag und die Einigung zwischen Union und SPD war aus programmatischer Perspektive wahrscheinlicher, wenngleich die inhaltlichen Differenzen keinen – von Medien häufig behaupteten – programmatischen ‚Einheitsbrei‘ der Koalitionspartner erkennen lassen. Sowohl die Unionsparteien als auch die SPD mussten sich daher auf schwierige Kompromisse einlassen, um die für eine parlamentarische Demokratie übliche Mehrheitsregierung zu realisieren. [ZParl, 49. Jg. (2018), H. 2, S. 265 – 285]

 

Niedermayer, Oskar: Die Entwicklung des deutschen Parteiensystems. Zur Bedeutung kurzfristiger Faktoren im Jahrzehnt des europäischen Wandels.

Auf den ersten Blick scheint die Wahl von 2013 eine Ausnahmewahl gewesen zu sein, die den auf die Entwicklung langfristiger Faktoren zurückzuführenden Trend des deutschen Parteiensystems zu einer immer größeren Zersplitterung durch eine spezifische Kombination kurzfristiger Faktoren umgekehrt hat. Die Wahl von 2017 scheint den längerfristigen Faktoren jedoch wieder Geltung zu verschaffen und den Fragmentierungstrend fortzusetzen. Die genauere Analyse zeigt jedoch, dass die Strukturcharakteristika des Parteiensystems in der ersten Hälfte der Wahlperiode konstant blieben und auch die Ergebnisse von 2017 sehr stark von Kurzfristfaktoren – vor allem der Flüchtlingspolitik – bestimmt wurden. Die Entwicklung des Parteiensystems seit 2013 ist somit kein zwangsläufiger, nur durch langfristige ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen bestimmter Prozess. Er kann durch die Parteien selbst aufgehalten beziehungsweise umgekehrt oder dramatisch beschleunigt werden, je nachdem, wie sie die das Wahlverhalten prägenden kurzfristigen Faktoren – die Beurteilung der Spitzenkandidaten und der relevanten Sachthemen –  durch ihr personelles und inhaltliches Angebot an die Wähler gestalten. [ZParl, 49. Jg. (2018), H. 2, S. 286 – 303]

 

Wiesendahl, Elmar, Benjamin Höhne und Malte Cordes: Mitgliederparteien – Niedergang ohne Ende?

Die rückläufige Entwicklung der Mitgliederzahlen politischer Parteien in Europa lässt vermuten, dass sie in Zukunft als Mitgliederorganisationen verschwinden werden. Dieser Sicht steht die Normalisierungsthese entgegen, also das Überleben der Mitgliederparteien auf niedrigem Niveau. Doch inwieweit ist mit dem Verschwinden oder der Normalisierung der Parteien in Deutschland zu rechnen? Die Mitgliederentwicklung unterliegt einem Konjunkturzyklus, dessen Klimax von Mitte der siebziger Jahre bis kurz nach der deutschen Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre reicht. Seitdem sinken die Mitgliederzahlen stetig, hervorgerufen vor allem durch ausbleibende Eintritte, durch Austritte und ansteigende Todeszahlen einer alternden Parteimitgliederkohorte. Entsprechend der Normalisierungsthese wird zunächst ein weiteres Abschmelzen des Mitgliederniveaus nach den außergewöhnlichen Zuflüssen Mitte der 1970er Jahre und Anfang der 1990er Jahre erwartet, längerfristig aber von einer Stabilisierung ausgegangen. Mittels einer Zeitreihenanalyse wird die zukünftige Entwicklung der Mitgliederzahlen am Beispiel von SPD und CDU bis zum Jahr 2030 geschätzt. Danach wird die Zahl der Beitritte nicht so stark absinken wird wie die der Abgänge, die schon jetzt durch einen hohen Anteil an Sterbefällen determiniert sind. Nach Abklingen dieser Phase werden sich die Ein- und Austritte wahrscheinlich angleichen. [ZParl, 49. Jg. (2018), H. 2, S. 304 – 324]

 

Walther, Jens und Michael Angenendt: Freie Wähler zwischen Partei und Wählergemeinschaft. Mitglieder, Identität und Organisation.

Seit Bestehen der Bundesrepublik sind die Freien Wähler ein dominanter Akteur in der Kommunalpolitik. Dennoch liegen bislang kaum Befunde zu ihrer Mitgliederstruktur, Identität und Organisation vor. Neben einer Übersicht über die organisatorische Entwicklung der Freien Wähler als Hybrid zwischen Partei und Wählergemeinschaft wird erstmals anhand einer repräsentativen Befragung das Selbstbild der Freien Wähler als Nicht-Partei, das Sozialprofil ihrer Mitglieder sowie ihre Organisationsstruktur empirisch untersucht. Die Mitglieder stehen der voranschreitenden Formierung als Partei überwiegend positiv gegenüber, kennzeichnen sich dennoch durch eine skeptische Haltung gegenüber den etablierten Parteien. Das Sozialprofil ihrer Mitglieder deckt sich zwar weitgehend mit dem der im Bundestag vertretenen Parteien, organisatorisch stehen sie jedoch im Widerspruch zur Praxis deutscher Parteien: Eine formale Mitgliedschaft weisen weit weniger als die Hälfte der Befragten auf. Die skeptische Haltung gegenüber den Parteien drückt sich somit auch in dem vergleichsweise geringeren Formalisierungsgrad der Wählergemeinschaften aus. [ZParl, 49. Jg. (2018), H. 2, S. 325 – 345]

 

Hilmer, Richard und Jérémie Gagné: Die Bundestagswahl 2017: GroKo IV – ohne Alternative für Deutschland.

Die zweite von Angela Merkel geführte Große Koalition trat am 24. September 2017 mit einer bemerkenswerten Bilanz vor die Wähler: stabiles ökonomisches Wachstum, sichere Arbeitsplätze und eine Arbeitslosenquote auf Rekordtief. Am Ende wurden beide Koalitionspartner, Union und SPD, mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1949 abgestraft. Die Bürger registrierten und honorierten zwar den steigenden Wohlstand, kritisierten aber dessen ungleiche Verteilung. Viele fürchteten zudem mittelfristig finanzielle Einbußen und langfristig drohende Altersarmut. Die bis zum Sommer 2015 gleichwohl positive Grundstimmung kippte mit der sich zuspitzenden Flüchtlingssituation. Fand anfangs Merkels Entscheidung, in Budapest gestrandete syrische Flüchtlinge aufzunehmen, noch breite Zustimmung, nahmen im Zeitverlauf Skepsis und offene Ablehnung zu. Am Ende wanderten wegen einer als sozial ungerecht empfundenen Regierungspolitik enttäuschte SPD-Wähler in Richtung Linkspartei, Grüne oder FDP ab und eine noch größere Zahl von Unionswählern aus Protest gegen die Migrationspolitik Merkels in Richtung FDP oder gleich zur AfD. Mit der AfD schaffte erstmals eine Partei rechts der Union den Einzug in den Bundestag; mit 12,6 Prozent wurde sie auf Anhieb drittstärkste Partei. Nicht zuletzt wegen des von vier auf sechs Parteien angewachsenen Parlaments gestaltete sich die Regierungsbildung schwierig. Anfangs schien noch alles auf ein Zusammengehen von Union, FDP und Grünen hinauszulaufen; die programmatischen und strategischen Differenzen erwiesen sich aber nach wochenlangen, zähen Verhandlungen als zu groß, so dass am Ende nur die Wiederauflage der gerade massiv abgestraften Großen Koalition blieb – einer Regierung auf Bewährung gewissermaßen. [ZParl, 49. Jg. (2018), H. 2, S. 372 – 406]

 

Siefken, Sven T.: Regierungsbildung „wider Willen“ – der mühsame Weg zur Koalition nach der Bundestagswahl 2017.

Die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2017 war so kompliziert und dauerte so lange wie nie zuvor in der Geschichte Deutschlands. Dies war nicht nur durch das Wahlergebnis, sondern auch durch die frühzeitige Festlegung der SPD verursacht, in die Opposition zu gehen. Die Sondierungen für die scheinbar einzige Koalitionsoption eines Jamaika-Bündnisses aus CDU, CSU, FDP und Grünen wurden sehr formalisiert und detailliert geführt, doch sie scheiterten durch den Austritt der FDP. In einer Phase von Unklarheit mit der Diskussion über Neuwahlen und verschiedene Formen einer Minderheitsregierung übernahm der Bundespräsident die Führungsrolle, indem er die Parteien zu weiteren Anstrengungen ermahnte. Schließlich wurde ein Vertrag für eine Große Koalition ausgehandelt. Die Parteien stimmten diesem auf unterschiedlichen Wegen zu, die SPD unternahm wie 2013 eine schriftliche Mitgliederbefragung. So wurde die Bundesregierung 171 Tage nach der Wahl vereidigt. Der Gesamtprozess der Regierungsbildung zeigt eine fortgeschrittene Formalisierung wie auch deren Grenzen. Deutlich wird die gestiegene Bedeutung der Länder in den Koalitionsverhandlungen des Bundes, aber auch die Notwendigkeit, die Rolle individueller Akteure vertieft zu berücksichtigen. [ZParl, 49. Jg. (2018), H. 2, S. 407 – 436]

 

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